Nachhaltigkeit und Immobilien: Warum die Energiewende bereits im Gebäude beginnt
In den 1990-er Jahren gab es erste Aktivitäten unter dem Motto „Green Building" aus dem angelsächsischen Bereich heraus. Es wurden die ersten Zertifizierungssysteme für Gebäude entwickelt und Produkte mit dem Etikett „Green" versehen. Leider wird nachhaltiges Bauen häufig mit Begriffen wie „ökologisches Bauen“, „energieeffizientes Bauen“ oder „bioklimatische Architektur“ gleichgesetzt. Doch das sind nur Teilaspekte. Berücksichtigt werden sollte auch:
die Standortwahl
vorausschauende Planung und angemessener Personaleinsatz (Personalkosten machen den höchsten Anteil aller Betriebskosten aus)
der Einsatz langlebiger, recycelbarer, nachwachsender, ökologisch und gesundheitlich unbedenklicher Baumaterialien/-elemente
Nutzerzufriedenheit
strategische Verankerung von Nachhaltigkeitszielen in allen operativen Prozessen
übergreifendes Denken aller Beteiligten, das sich auch klar definierten Managementprozessen verdankt (dadurch können Redundanzen vermieden, Schnittstellen eliminiert und der Informationsfluss sichergestellt werden).
Doch warum werden diese Erkenntnisse nicht flächendeckend genutzt? Liegt es an Defiziten der Inbetriebnahme, vertraglichen Beziehungen, mangelnder Information und Kommunikation? Sind „intelligentere“ Immobilien“ wirklich die beste Antwort auf die Frage nach einem klügeren Umgang mit Ressourcen? Oder genügt die Intelligenz des Simplen (Gebäude, die mit wenig Technik auskommen und vom Nutzer selbst betrieben werden können)?
Immobilien sind noch immer für 60 Prozent des deutschen Müllaufkommens verantwortlich und verursachen etwa 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 21 Prozent der Treibhausgase. In Deutschland wird über ein Drittel der Heizenergie in Nicht-Wohngebäuden (z.B. Bürogebäuden) verbraucht. Aber selbst ohne bzw. mit nur geringen Investitionen ließen sich Einsparungen erzielen, wenn die Betriebsführung energetisch optimiert würde.
Was es heute braucht, sind:
gemeinsame Visionen, die Nachhaltigkeit in der „Vor-Schau“ einschließen.
Identifikationsmöglichkeiten und Gestaltungsprozesse, die von allen Beteiligten (Politik, Verwaltung, Industrie und Bürger) geprägt sind.
die Fähigkeit zur Problemlösung und den richtigen Umgang mit Komplexität.
Austausch der verschiedenen Gesellschaftsgruppen, die den Wandel aktiv gestalten.
In der Qualität der gebauten Umwelt sollte sich dies widerspiegeln.
Seit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) im Jahr 2007 nimmt die Zahl zertifizierter Immobilien in Deutschland stetig zu. Auch die Zahl der zertifizierten Immobilien steigt konstant an. Die Bewertungskriterien für Green Buildings gehen besonders bei der DGNB weit über bloße Umweltgesichtspunkte hinaus. Es fließen auch ökonomische und soziologische Kriterien ein, ebenso Technik, Prozesse, Standortqualität und Lebenszykluskosten. Zertifizierte Gewerbegebiete oder Stadtquartiere lassen sich optimal an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, sodass Erweiterungen oder Maßnahmen der betrieblichen Infrastruktur problemlos möglich sind. Das spart Planungskosten und –zeiten und vermeidet Mehraufwand.
Vorteile von zertifizierten nachhaltigen Gebäuden:
Erhöhte Marktchancen bei Verkauf und Vermietung
Gebotene Qualität schon in der Planungsphase
Steigerung der Nachfrage
Reduzierung des Risikos von Leerständen
Schnellere Sicherung von Kreditvergaben
Erhöhung der Transparenz für Investoren, Betreiber, Nutzer und Bürger
Sie sind zukunftsfähig und geben Planungssicherheit
Zertifizierungen sind als Checklisten sehr hilfreich, aber sie machen noch kein nachhaltiges Gebäude. Der Verdienst dieser Zertifikate ist es, dass sie einen Anstoß zur Auseinandersetzung mit diesem Thema geben.
Die Nutzungsphase nimmt im Lebenszyklus (Erstellung, Betrieb, Rückbau) einer Immobilie den Hauptteil ein. Gerade bei Büroimmobilien ist es von Beginn an wichtig, Arbeitsplatzbedingungen nutzerorientiert zu planen bzw. zu optimieren. So wird beispielsweise ein optimales Energiemanagement oft dadurch verhindert, dass zu sehr auf technische Maßnahmen gesetzt wird und zu wenig auf die Mitwirkung der Gebäudenutzer. Für die Akzeptanz der Arbeitsumgebung ist auch die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Umgebungsbedingungen von Relevanz. Dazu gehört beispielsweise die Regelung der Raumtemperatur oder der Möglichkeit, Fenster manuell zu öffnen. So wird Selbstbestimmung am Arbeitsplatz im Kleinen greifbar.
In einer Studie zur Nutzerzufriedenheit in Büros konnte unter anderem gezeigt werden, dass nicht die Raumtemperatur selbst, sondern die Möglichkeit, diese zu beeinflussen, die Zufriedenheit mit den thermischen Bedingungen im Raum am meisten beeinflusst. Darüber hinaus sind Besonderheiten der organisatorischen Arbeitsumgebung, das Raumkonzept sowie psychosoziale Bedingungen am Arbeitsplatz von Bedeutung. Denn all das trägt entscheidend zur Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeiter bei.
In der Immobilienwirtschaft gewinnt im Nachhaltigkeitskontext auch das Strategische Facility Management (FM) immer mehr an Bedeutung: die Bereitstellung und Bewirtschaftung von Gebäuden und Anlagen mit dem Ziel, den Kernprozessen Bestleistungen zu ermöglichen. Dabei werden die Kompetenzen und Erfahrungen von Facility Managern, die die Scharnierstelle zwischen Investoren, Nutzern, Architekten, Fachplanern bilden, insbesondere bei großen Objekten mit komplexer Nutzungsstruktur, geschätzt und gebraucht. Denn die Arbeit hat keineswegs nur mit dem Einschalten von Haustechnik und Geräten tun, sondern umfasst auch die sogenannte „Einschwingphase“ eines Gebäudes. Denn es kann bis zu zwei Jahre dauern, bis alle Systeme optimal laufen und aufeinander abgestimmt sind.
In einem Bereich wie dem Gebäudesektor ist die Steigerung der Energieeffizienz ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Energiewende. Das zeigt auch das Beispiel des schwäbischen Druckluft- und Pneumatikspezialisten Mader mit Sitz in Leinfelden bei Stuttgart: Bereits Ende 2017 setzten die beiden Inhaber und Geschäftsführer Werner Landhäußer und Peter Maier die personellen Weichen für die Zukunft und beriefen die Millennials Stefanie Kästle und Marco Jähnig in die Geschäftsleitung des Unternehmens. Beide sind Mitte 30 und leiten die Geschäfte in einer Übergangszeit gemeinsam mit den Eigentümern. In einigen Jahren sollen sie die Führung komplett übernehmen. Das Unternehmen gehört zu den erfolgreichen mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg. Den sprichwörtlichen Grundstein für den neuen Firmensitz legten die vier Unternehmenslenker Ende Februar 2018.
Bereits 2016 wurde die Entscheidung für den Kauf eines Grundstücks mit Bestandsgebäude im Nachbarort Echterdingen, unweit von Flughafen und der Autobahn A 8, getroffen. Die rund 5 000 Quadratmeter große Halle wurde nach energetischen Gesichtspunkten saniert und das Bürogebäude entkernt. Im nächsten Schritt folgte die Erweiterung des Bürogebäudes um einen Neubau und die Revitalisierung des Bestandsgebäudes. Die Photovoltaikfassade deckt nicht nur 70 Prozent des eigenen Energiebedarfs, sondern verbindet auch optisch Alt und Neu.
„Beide Entscheidungen – sowohl die personelle Nachfolgeregelung als auch der neue Firmensitz – stehen ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit“, sagt Werner Landhäußer. Die Unternehmensnachfolge rechtzeitig mit der Berufung von Stefanie Kästle und Marco Jähnig in die Geschäftsleitung zu sichern, sei wichtig für den erfolgreichen Fortbestand des Unternehmens nach dem geplanten Ausstieg der beiden Gesellschafter Landhäußer und Maier aus dem Tagesgeschäft in einigen Jahren. Beide stammen aus den eigenen Reihen: Stefanie Kästle ist Wirtschaftsjuristin und war, nach ihrem Einstieg im Personalwesen bei Mader im Jahr 2011, lange Zeit verantwortlich für das Qualitäts- und Energiemanagement im Unternehmen. Zuletzt leitete sie den Bereich „Eneff“, in dem die Energieeffizienz-Dienstleistungen des Unternehmens zusammengefasst sind. Marco Jähnig ist Wirtschaftsingenieur und war ab 2009 im Außendienst bei Mader tätig. 2012 übernahm er die Leitung des Produktbereichs Drucklufttechnik.
Die Firmengeschäfte finden heute in einem nachhaltigen und energieeffizienten Umfeld statt. Eine Kombination aus Luft-Wärme-Pumpe und Pelletsheizung sorgt für optimale Temperaturen. Der Einsatz von LED-Beleuchtung, in den Büroräumen komplett helligkeitsgesteuert, ist ein weiterer energetischen Vorteil. Der Standort gilt auch unter Lokalpolitikern als „vorbildlich revitalisierter Unternehmensstandort“ (Ulrike Böhm). „Nachhaltigkeit bedeutet für uns aber nicht nur energetische Optimierungen. Nachhaltig wollen wir auch in der Gewinnung und Bindung von Fachkräften sein“, sagt Kästle. Dies beginne bei der Ausbildung eigener Nachwuchskräfte und setze sich fort bei der Gestaltung moderner Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen, die individuelle Arbeitsweisen fördern und die Umsetzung agiler Arbeitsmethoden unterstützen würden. Dass dies auch ganz im Sinne der Belegschaft erfolgt, dafür sorgt ein Team aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das aktiv in die Gestaltung der Räume eingebunden ist. Bezeichnete der Soziologe Max Weber Büros vor 100 Jahren noch als „Gehäuse der Hörigkeit“, so sind sie heute zu einem Kraftzentrum zwischen Leben und Arbeit geworden.
Weiterführende Literatur:
Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Ulrike Böhm: Wie ein Mittelständler zum „Klimaretter“ wird – die Fortsetzung der Geschichte zum Mader-Effekt. In: CSR und Energiewirtschaft. In: CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werbner Landhäußer. 2. Auflage, Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2019.
Stefanie Kästle und Werner Landhäußer: Druckluft 4.0 goes green: Herausforderungen, Chancen und innovative Lösungen am Beispiel der Mader GmbH & Co. KG. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2017, S. 115-126.
Harald Willenbrock: Der pragmatische Pionier. In. Brand eins (4/2016), S. 142.