Nackensteak soll gehen, Kichererbse kommen
Experten sehen einen Hebel für die Probleme der Welternährung: Fleischkonsum zurückfahren, mehr Hülsenfrüchte anbauen. Das wäre gut fürs Klima und auch gesünder. Fragt sich nur, wie man Grillfreunde dazu bekommt, dabei mitzumachen.
Dem Food-Influencer Stefano Zarrella beim Formen von Falafelbällchen zuzuschauen, ist wegen seiner forcierten Fröhlichkeit recht anstrengend. Viele Wissenschaftler aus dem Komplex Ernährung/Klima/Umweltschutz sehen dergleichen aber mit Wohlgefallen – und die Zehntausenden Follower, die Likes hinterlassen, dazu.
Falafeln, Hummus und andere orientalische Spezialitäten basieren auf der Kichererbse, einer Hülsenfrucht wie Linse, Lupine, Bohne. Die Leguminosen, so der fachliche Oberbegriff, sind seit zehn Jahren auf deutschen Äckern langsam im Kommen und nähern sich der 2-Prozent-Hürde bei den Flächen. Aus Sicht der Experten ist das aber viel zu wenig.
Influencer, Proteine und Fleisch-Imitate
Immerhin, Hülsenfrüchte haben neben Food-Influencern noch zwei weitere Treiber auf ihrer Seite. Alle reden von Proteinen, dem großen Ernährungsthema der Saison. Die sind reichlich drin, Hülsenfrüchte sind die wichtigste alternative Proteinquelle zu Fleisch und Milch. Der dritte Aspekt: Der langsame, aber stetige Erfolg von veganen Fleischersatzprodukten beruht auf Proteinen, die nach allen Regeln der biochemischen Kunst aus Erbsen, Soja und Ackerbohnen extrahiert wurden. Die Verfechter der Streufrüchte haben aber ganz andere Dimensionen im Sinn.
PIK: Leguminosen für die Welt
Das zeigte sich, als das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), führend in diesem Bereich, kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine Erklärung von 660 Wissenschaftlern zur Krise initiierte. Die Kernforderungen: Beschleunigung der Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen – 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche dienen der Futtererzeugung. Zugleich eine Steigerung der Produktion von Hülsenfrüchten, mit dem Hauptargument: Diese sammeln den zum Wachstum benötigten Stickstoff mithilfe von Bakterien selbst aus der Luft und sparen importierte Düngemittel.
Wie sich Hülsenfrüchte und Getreide ergänzen
Der Aufruf im März 2022 fand einige Beachtung, hatte aber erwartungsgemäß wenig praktische Folgen. Dabei verfolgte auch das (alte) Bundeslandwirtschaftsministerium seit Längerem das Ziel, die Anbaufläche bis 2030 auf 10 Prozent zu erhöhen. Das entspräche in etwa den historischen Verhältnissen, als Leguminosen als „Fleisch der Armen“ im Anbau und in der Nahrung mit Getreide ergänzt wurden. Diese Mischung gilt als biologisch „wertig“ und prägt ja tatsächlich die Küche großer Teile der Erde. Bei asiatischen Reis-Linsen-Gerichten ist Fleisch eine mögliche, mehr oder weniger luxuriöse Zutat, aber nicht nötig für eine vollwertige Mahlzeit.
Tierproduktion ist ineffizient
Das zentrale Argument für mehr Falafeln statt Nackensteaks formuliert Marco Springmann von der Universität Oxford so: „Durch eine stärker pflanzlich basierte Ernährung anstelle von Fleisch wären in der Welt letztlich mehr Nahrungsmittel verfügbar, einfach weil die Tierproduktion ineffizient ist.“ Springmann, leitender Forscher für Umwelt und Gesundheit am Environmental Change Institute der Universität Oxford, gehört auch zu den Protagonisten einer „Planetary Health Diet“: Forscher aus aller Welt arbeiten in der „Eat-Lancet-Kommission“ an der Frage, wie eine Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen zu ernähren wäre, ohne den Planeten zu überlasten.
Das Schnitzel wegnehmen
Tatsächlich aber steigt der Fleischkonsum weltweit an. 2022 wurden rund 361 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt, ein Anstieg um 48 Prozent gegenüber dem Jahr 2002. Springmann hat da keine Illusionen: „Grundsätzlich ist die Umsetzung der Planetary Health Diet ohne progressive Intervention durch die Politik nicht möglich. Die Veränderungen des Ernährungssystems müssen politisch reguliert werden.“ Das führt schnurstracks in aktuelle Kulturkämpfe, bei denen Parolen über Schnitzel (oder Weißwürste), die man sich keineswegs wegnehmen ließe, ihre Wirkung erzielen.
Immerhin besser als Insekten
Die Frage, wie man die vielen Freunde günstigen Grillfleischs von den Vorzügen alternativer Eiweißquellen überzeugen könnte, treibt auch das Umweltbundesamt um. In der aktuellen Titelgeschichte („Alternative Proteinquellen für die Lebens- und Futtermittelproduktion“) des hauseigenen Magazins „Umwelt + Mensch“ heißt es, dass „diese neuen Lebensmittel und die damit verbundenen Technologien Bedenken hervorrufen, von denen einige die Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher eher reduzieren“. Gemeint sind vor allem Insekten, die nach einer aktuellen Untersuchung noch weniger gefragt sind als kultiviertes Fleisch aus dem Labor. Hülsenfrüchte sind in dieser Rangliste ganz oben.
Das Image transformieren
Womöglich sind die heftig verarbeiteten Fleisch-Imitate die beste Chance, Leguminosen auf den Teller zu bringen. Der Klimawandel könnte beitragen, denn die Kichererbse gehört zu den Pflanzen, die wegen ihrer Resistenz gegen Hitze und Dürre bald auch im Norden gefragter sein werden. Vorreiter gibt es bereits: Das Leipziger Start-up Hülsenreich produziert Snacks aus Kichererbsen und will den Anbau in Deutschland fördern. Hülsenreich-Managerin Katharina Hayn hat große Ziele: „Unsere Vision ist es, das Image von Hülsenfrüchten zu transformieren.“