Nahes Desaster statt ferner Apokalypse: Warum es einen Kurswechsel zur globalen Nachhaltigkeit braucht
In sechs Monaten findet die nächste Weltklimakonferenz in Dubai statt. Damit sie nicht scheitert, finden derzeit Vorverhandlungen mit internationalen Vertretern in Bonn über die drängendsten Klima-Probleme statt. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist inzwischen unrealistisch. Der Klimawandel gehört zu den größten Umweltbedrohungen für die Menschheit und wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche aus. Der Weltklimarat IPCC warnt in seinem jüngsten Bericht, dass immer größere Gebiete der Erde von Hitze, Dürre und Überflutungen bedroht sein werden. Dies wird zu Fluchtbewegungen führen und das Leben von Millionen Menschen bedrohen. Vor diesen Hintergrund setzt die Bundesregierung auf verstärkte Anstrengungen zum Aufbau einer Klimaschutz-Allianz, damit in Dubai wegweisende Entscheidungen getroffen werden können. Schon vor Jahren verwies der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber darauf, dass sich die Menschheit auf direktem Weg „ins selbst entfachte Feuer“ befindet, weil die „Diktatur des Jetzt“ auf ungebremstes Wirtschaftswachstum setzt. Er spricht nicht von einer fernen Apokalypse, sondern von einem nahen „Desaster“, auf das wir zusteuern. Dennoch sei die kollektive Selbstverbrennung aus Gier und Torheit immer noch abzuwenden. Denn paradoxerweise sind bereits alle technischen und ökonomischen Voraussetzungen für einen Kurswechsel zur globalen Nachhaltigkeit gegeben. Es müssen nur Wissen und Wollen zusammenkommen.
Gelingt es uns nicht, den Klimawandel zu stoppen, „wird unsere eigene Lebenswelt unwiderruflich ausgelöscht, und die Geschichten unserer Kinder haben kein Happy End“, sagen die Autoren Stefan Bonner und Anne Weiss. Sie gehören zur Generation der „Kassettenkinder“, die, aufgewachsen mit den Phantasien Hollywoods, Tschernobyl, saurer Regen und Ozonloch, praktisch aufs Ende der Welt fixiert ist. Aber dabei bleiben sie nicht – vielmehr plädieren sie in ihren Publikationen für die Vision einer besseren Welt. Die Erkenntnis, dass unsere Zivilisation dem Feuer immer näher rückt, ist für Schellnhuber erdrückend. Auch der Dirigent und Umweltschützer Enoch Freiherr von und zu Guttenberg bemerkte vor seinem Tod, dass die Generation der jetzt Fünf- bis Achtzehnjährigen in ein „Desaster“ unglaublichen Ausmaßes hineingeboren wird - bedingt durch die Klimakatastrophe. Die Verkörperung der Erkenntnis, dass die Menschheit ihrem Ende entgegengeht, ist auch die junge Greta Thunberg. Besonders in Krisenzeiten sind die Menschen alarmiert und in Endzeitstimmung.
Im Jahre 70 nach Christus ging Jerusalem in Flammen auf. Seitdem rechnet das Christentum fest mit der Apokalypse. Im zweiten Korintherbrief wird geschildert, wie die Welt zerschmilzt und die Erde in einem Feuerinferno untergeht. Diese Texte sollten Menschen zur Umkehr bewegen. Der Historiker Johannes Fried sieht in der Weltuntergangsrhetorik in Bezug auf den Klimaschutz zahlreiche Vorteile. In diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Anstrengungen des Klimarats der Vereinten Nationen: „Wer damit rechnet, dass die Welt in einer Klimakatastrophe untergehen könnte, ist eher motiviert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“ Der populäre Rat von Dale Carnegie, „Sorge dich nicht – lebe!“ sollte vor diesem Hintergrund vielmehr heißen: „Sorge dich – lebe!“ Denn die Sorge, die im Kontext der Nachhaltigkeit steht, hat lange das Leben beschützt.
In den Schriften des Kirchenvaters Augustinus wird erwartet, dass die gesamte Erde erkundet sein muss, bevor das Ende kommen wird. Dieser Auftrag wurde auf Christus selbst zurückgeführt. Auch wollten die Menschen wissen, wie nah das Weltende schon ist. Zeitgenossen Karls des Großen erwarteten es für das Jahr 800. Kaiser Karl entschied sich für die jüdische Rechnung. „Danach befindet man sich noch nicht kurz vor dem Jahr 6000, sondern erst im Jahr etwa 3500 nach Erschaffung der Erde. Da hat man also noch ein bisschen Zeit.“ Um 1250 kamen mongolische Reitervölker nach Europa, und viele Menschen dachten, dass es die apokalyptischen Reiter seien, die schon die Höllenpforten durchbrochen haben. Das enorme Interesse an außergewöhnlichen, von Gott gesandten Zeichen im Europa des 16. Jahrhunderts verdankt sich Überlieferungen von Omen und Weissagungen, die bis in die klassische Antike und Homer zurückreichen, wo von Donner, Regenbögen, Überschwemmungen oder dem Verhalten von Vögeln berichtet wurde. Die angebliche Häufung der Zeichen verstärkte das Gefühl des herannahenden Untergangs, „während die Erwartung des Weltendes ihrerseits die Neigung verstärkte, das Ungewöhnliche als unheilvoll zu identifizieren", schreiben Till-Holger Borchert und Joshua P. Waterman in ihrem Augsburger Wunderzeichenbuch, das erst vor wenigen Jahren aufgetaucht ist und zu den spektakulärsten Wiederentdeckungen auf dem Gebiet der deutschen Renaissancekunst gehört. Der Bogen spannt sich vom Alten Testament über Ereignisse aus antiker Überlieferung und mittelalterlichen Chroniken bis in die Gegenwart. Zudem sind Illustrationen zur visionären Johannesoffenbarung bis zum künftigen Ende der Welt.
Zuweilen ist dies mit einem Rückzug in eine reine Gegenwartsorientierung verbunden und kann zu Resignation führen. Deshalb lohnt sich eine Rückbesinnung auf einen der Pioniere der Umwelt- und Friedensbewegung und einen der frühen Zukunftsforscher: Robert Jungk (1913-1994). Wie sehr er sich mit der Zukunft der Menschheit auseinandersetzte, verdeutlich bereits sein erstes Werk „Die Zukunft hat schon begonnen" von 1952. Er etablierte Zukunftswerkstätten und gründete die Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen sowie das Institut für Zukunftsfragen in Wien. Zukunft war für ihn kein Schicksal, solange die Welt in nachhaltiger Weise verändert werden kann. Wie sich die Ereignisse künftig entwickeln, lässt sich nicht planen, doch ist es sinnvoll, sich rechtzeitig Gedanken über das zu machen, was auf uns zukommen könnte und welche Herausforderungen zu lösen sind.
Liegt in der Generation Weltuntergang noch das Potenzial der Wende?
Gestatten, Generation Weltuntergang. Gastbeitrag von Anne Weiss
Zukunft öffne dich! Warum wir die richtigen Fragen stellen müssen, um sie besser zu erschließen
Stefan Bonner und Anne Weiss: Nachhaltigkeit ist die Jutetasche des 21. Jahrhunderts. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.
Stefan Bonner und Anne Weiss: Planet Planlos. Sind wir zu doof, die Welt zu retten? Knaur Verlag, München 2017.
Till-Holger Borchert, Joshua P. Waterman: Das Wunderzeichenbuch. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. TASCHEN Verlag, Köln 2017.
Johannes Fried: Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs. C.H. Beck Verlag. München 2016.
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Hans Joachim Schellnhuber: Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. C. Bertelsmann Verlag, München 2015.