Coverausschnitt: Erich Kästner: Goethe und die Schrebergärtner. Illustration: Christoph Niemann. Atruim Verlag 2025 - Atrium

Natürlich Kästner! „Die Welt verliert das Laub und den Verstand“

Erich Kästner als subtiler Beobachter seiner Zeit hat uns auch heute noch viel zu sagen. Wir sollten ihm als engagiertem Gesellschaftskritiker mehr zuhören, dann erkennen wir auch den Hymnus an unsere Zeit – und uns selbst in seinen Zeilen:

Ich möchte einen Schrebergarten haben,

mit einer Laube und nicht allzu klein.

Es ist so schön, Radieschen auszugraben ...

Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!

Was vielen Menschen bleibt, sind nur Träume und Wünsche oder Erinnerungen an eine Zeit, die wie ein Paradies war: die Gärten unserer Kindheit. In der Realität ist das Grün dem Gegenwartsgrau gewichen. Eine geistige und starke Wurzel zu allen Zeiten ist Goethe – leider aber treibt er auch seltsame Blüten: Sie wachsen nicht natürlich, sondern werden ihm damals wie heute angeheftet. Der Weltbürger und Dichter steht bei Kästner symbolisch für das Echte, das allerdings heute immer mehr zu verschwinden scheint, weil schlechte Kopien dominieren. Das zeigt auch die Sammlung „Goethe und die Schrebergärtner“ (der Titel stammt aus der Glosse „Goethe und die Hausbesitzer“) von Sylvia List, die auch viele andere bedeutende Kästner-Werke herausgegeben hat. Im Goethe-Kontext hat sie heiter-melancholische Kuriositäten, Turbulenzen und anderen atmosphärische Störungen ausgewählt, die zugleich den „wahren“ Kästner zeigen.

Goethe ist in vielen seiner Texte präsent. Am berühmtesten ist wohl „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn“. Weniger bekannt ist „Das Goethe-Derby“: In diesem Text geht Kästner mit den Goethe-Jubiläen und dem damit verbundenen Kitsch hart ins Gericht: „Der Goethebüstenhalter, Marke Frau von Stein, in jedem Fachgeschäft erhältlich!“ Oder: „Goethe-Tropfen halten Sie bis ins hohe Alter jung und elastisch!“ Die schärfste Kritik findet sich allerdings im Beitrag „Goethe als Tenor“: Kästner schrieb einen wütenden Verriss über „Friederike“, eine Operette von Franz Lehár. Uraufführung war am 4. Oktober 1928 am Metropol-Theaterin Berlin. Der Opernstar, Filmheld und Schlagersänger Richard Tauber spielte den jungen Goethe, und Käthe Dorsch interpretierte die Titelrolle. „Niemand kann etwas dafür, wenn er wie Tauber aussieht. Auch Tauber selber nicht. Aber unter solchen erschwerenden Umständen Goethe darstellen wollen ist bodenlose Vermessenheit. Tauber als Goethe ist schlimm. Goethe als Tenor ist noch schlimmer. Und Goethes Lieder, von fremden Händen verschweinigelt, als Schlager… im 20. Jahrhundert lancieren zu wollen, ist die allergrößte Gemeinheit.“ Goethe muss „echt“ bleiben – wo er es nicht mehr ist, sind wir es auch nicht mehr, sondern nur noch ein Abziehbild. Kästner erinnert uns daran.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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