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Zeichnung "Das Valentin-Orchester" von Alfons Schweiggert, München - Alfons Schweiggert

Neue Töne in der Wirtschaft: Was Karl Valentin mit außergewöhnlichen Unternehmern verbindet

Der Unternehmer Erich Sixt sprach vor einigen Jahren im SPIEGEL über seinen Aufstieg zu einem der größten Autoverleiher Europas und bezeichnete sich als einen „Schüler“ des Sprachkünstlers und Komikers Karl Valentin (1882-1948), denn auch er betrachtet die Dinge nicht nur von zwei Seiten: „Jedes Ding hat drei Seiten. / Eine positive, eine negative / Und eine komische.“ Ohne Träume, Humor und Visionen geht für den Unternehmer gar nichts.

So ist Sixt davon überzeugt, dass, wer in der Wirtschaft wirklich etwas erreichen will, Psychologie und Philosophie studieren sollte – Fächer, die auch Skepsis und Zweifel lehren. Beides hängt miteinander zusammen: Der alte, aus der griechischen Philosophie stammende Begriff Skepsis leitet sich vom griechischen Verb skeptesthai her („umherspähen, suchen, prüfen“). Ein Skeptiker ist jemand, der Dinge genau betrachtet und eine kritische Distanz zu ihnen hat. Das macht auch seinen Erfolg als Unternehmer aus. Allerdings braucht es auch die richtigen Partner: 1982/83 lernte Sixt den Werber Jean-Remy von Matt kennen und spürte das kreative Feuer in ihm. Für Werbung, sagte er einmal, dürfen „keine großen Komitees gebildet“ werden, denn das geht auf jeden Fall schief. Das muss „aus dem Bauch heraus“ entschieden werden. Wenn dieser seinem Kopf widerspricht und ihm sagt: „Tu das nicht", dann vertraut er immer seinem Bauchgefühl. Das deckt sich auch mit den Aussagen von Werner Neumüller, Geschäftsführer der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe in Nürnberg, der dazu sogar auch ein Buch herausgegeben hat.

  • Einmal mehr aufstehen als hinfallen

  • Auf das Bauchgefühl und seinen Erfahrungsschatz vertrauen

  • Immer wieder den Blick auf sich selbst neu auszurichten

  • Besonnen über die essenziellen Entscheidungen nachdenken, die vor ihnen liegen und sich aus mehreren Faktoren ergeben

  • Sich immer wieder neu erfinden – und zwar nicht erst, wenn eine Krise dazu zwingt

  • Handfertigkeiten pflegen und Tugenden greifbar werden lassen

  • Schwieriges durch Humor in eine erträgliche Distanz rücken

  • Infragestellen des sicher Geglaubten

  • Das Wesen der Kreativität begreifen

  • Betrachtung des Menschen in seiner Komplexität

  • Suche nach Nähe, Emotionen und direkte Begegnungen

  • Altbekanntes aufgeben und Neues zulassen

  • Pläne sind nicht überzeugend, weil sie Denken und Handlungsmöglichkeiten einschränken

  • Vorausgehen statt mitlaufen (Valentin formte z.B. Sprachnonsens, bevor es die Dadaisten taten)

  • Sich nicht am gemachten Weg erfreuen, sondern immer wieder neue Wege ausprobieren

  • Einfach ans Werk gehen

  • Aufgeschlossenheit gegenüber dem Unerwarteten und Unerwiesenen.

Der Personalexperte Werner Neumüller verweist allerdings noch auf einen entscheidenden Aspekt, der heute im HR-Kontext oft vernachlässigt wird: Unternehmen brauchen nicht nur Menschen, die ins Profil passen, sondern auch komplexe Persönlichkeiten und Generalisten mit einem Panoramablick. „Einstellungstests, psychologische Klassifizierungen oder Big Data sind eher sachorientiert und so nur eine Teilbetrachtung des Menschen in seiner Komplexität“, so Neumüller. Er kritisiert, dass der Entscheidungsspielraum und Verantwortungsbereich von Führungskräften heute zunehmend standardisiert und eingeschränkt ist – „verdrängt von vermeintlich objektiven Benchmarks“. Nicht Systemkonforme wie Seiteneinsteiger, Richtungswechsler und Grenzgänger erhalten immer seltener eine Gelegenheit, „sich zu beweisen“, so Neumüller. Es braucht auch im Personalbereich die geraden Gedanken eines Schrägdenkers, denn sie können die Unternehmenskultur und den Geist des Einzelnen erfrischen, zur Förderung von Kreativität und Innovation beitragen und das „Instrument“ sein, das zu einem unvergleichlichen Unternehmensrhythmus beiträgt. Denn auch der Ton macht in der Wirtschaft die Musik. Mangel an Resonanz würde ein Unternehmen verstummen lassen. Das Leben von Karl Valentin ist vor diesem Hintergrund immer auch symbolisch zu verstehen.

Er war das, was wir heute „EPU“ nennen würden - ein Ein-Personen-Unternehmer in der Kreativbranche: Sprachakrobat, Schauspieler, bildender Künstler, Sammler, Regisseur und Filmpionier. Dazu wurde in der Vergangenheit schon vieles publiziert. Die Beziehung zur Musik wurde bislang allerdings nur beiläufig thematisiert. Karl Valentin beherrschte er über zehn Musikinstrumente. Von 1902 bis 1905 konstruierte er ein so genanntes Orchestrion. Im Zentrum dieser Musikkolosses dröhnte ein „orgelartiges Harmonium“. Drum herum waren 30 weitere Instrumente gruppiert, „welche ich durch eigenen Mechanismus alle zur gleichen Zeit spielte“ mit dem Mund, mit Händen und Füßen. Erfolgreich war er damit allerdings nicht. „Valentin trat nunmehr nicht nur als Volks- und Moritatensänger auf, mit Couplets und als Liedparodist, er produzierte sich auch als Instrumentalmusiker und brachte Musik in seinen Monologen, Soloszenen, Dialogen und Stücken zur Sprache. In mehreren seiner Filme erweckte er Musik ebenso zum Leben wie in seinem Panoptikum.

Er präsentierte sich als Sänger und Musical-Clown und erfand auch für seine Partnerinnen, vor allem für Liesl Karlstadt, musikalische Rollen. Er nutzte auch die modernen Medien – Schallplatte, Rundfunk und Film – zur Realisierung seiner musikalischen Ideen“, sagt Alfons Schweiggert, der zahlreiche viel beachtete Bücher über Karl Valentin verfasste. Von 1993 bis 2010 war Schweiggert am Staatsinstitut München als Institutsrektor tätig. Für sein literarisches Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1995 den Bayerischen Poetentaler. Als Co-Präsident stand er 17 Jahre der Autorenvereinigung Münchner Turmschreiber vor. Schweiggert ist Erfinder des „Großen Valentin-Karlstadt- Preises“, der aus „NICHTS“ besteht und von der Stadt München vergeben wird. 2012 bis 2022 Vorstandsmitglied des Valentin-Karlstadt-Fördervereins „Saubande“. 2007 Gründung der „Valentin-Karlstadt-Gesellschaft.

Eine Ausstellung des Buchheim Museums und des FORUM HUMOR UND KOMISCHE KUNST e.V. zeigt erstmals Originalinstrumente des Volksschauspielers, die sich im Besitz der Urenkelin Rosemarie Scheitler befinden. Zudem wird auf Teile des Nachlasses zurückgegriffen, der sich in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung in Köln befindet. Valentin ist außerdem im Freien zu sehen: Mehrere Künstlerinnen und Künstler, deren Werke in einem Freiluftparcours den Weg durch den Buchheimpark schmücken, haben eigens für ihn gezeichnet. Zur Ausstellung erschien die Begleitpublikation „Karl Valentin und die Musik“ von Alfons Schweiggert mit einem Vorwort von Gerhard Polt und von Gunter Fette, illustriert mit zahlreichen Abbildungen.

So sind seine Werke zu Einzelthemen von Valentin nicht nur etwas für Spezialisten - oder in diesem Fall Musikinteressierte -, sondern für alle, die Lust am Neuen und am Kombinieren haben: Der Autor zeigt, wie es geht: Er erzählt immer anhand eines ausgewählten Aspekts zugleich die gesamte Biografie. Nie nur chronologisch, sondern auf Basis seiner Entdeckungen. Auch vernetzt er bereits „Gefundenes“ und Publiziertes, so dass ein großes Puzzle entsteht, das die Leserschaft selbst zusammensetzen kann: Karl Valentin wurde am 4. Juni 1882 als Valentin Ludwig Fey in München geboren. Er wuchs im Stadtviertel Au in der Münchner Vorstadt auf – hier wohnten einfache Menschen, und Tagelöhner suchten dort Herberge. Nach der Schulzeit absolvierte er eine Schreinerlehre. Seit 1897 trat Valentin als Komiker auf, besuchte eine Varietéschule und lernte das Zitherspiel. 1908 kam sein Durchbruch als Komiker. 1911 entdeckte er die damals 19-jährige Elisabeth Wellano, die sich auf der Bühne des Frankfurter Hofes als Soubrette versuchte. Sie nahm den Künstlernamen Liesl Karlstadt an. 1913 trat er mit ihr erstmals gemeinsam auf. Mit ihr drehte er auch zahlreiche Filme. Valentin lebte eine Dreiecksbeziehung: Er war verheiratet mit Gisela Royes, die seine Kostüme schneiderte. Karlstadt ist seine Geliebte. Die beiden waren in den 1920er-Jahren das bestbezahlte Komikerpaar.

Während des Nationalsozialismus ging Karl Valentin auf Distanz, denn er gehörte zu den Lieblingskünstler Hitlers – allerdings war er kein Widerstandskämpfer, biederte sich aber auch nicht an. Nach langer Trennung – Karlstadt war immer wieder in psychiatrischen Kliniken und zog sich 1941 für zwei Jahre in die Tiroler Berge zurück, wo sie die Mulis der Gebirgsjäger versorgte - standen sie 1947 und 1948 wieder gemeinsam auf der Bühne. Allerdings blieb der Erfolg weitgehend aus. Im Januar 1948 trat der unterernährte Valentin im Kabarett Bunter Würfel ein letztes Mal mit Liesl Karlstadt auf. Er bekam eine Lungenentzündung und starb am 9. Februar 1948. Sein Todestag war ein Rosenmontag, an Aschermittwoch wurde er beerdigt.

Auch den Nachhaltigkeitsaspekt berücksichtigte er wie ein guter Unternehmer, der sein Erbe weitergibt, bereits zu Lebzeiten: So wollte er seinen künstlerischen Nachlass der Stadt München vererben. Doch er stand seiner Heimatstadt am Ende kritisch gegenüber, weil er nach dem Krieg keine Wohnung in der Stadt bekam und aus dem Münchner Rundfunk wegen Humorlosigkeit verbannt wurde. Er erhielt keine Möglichkeit, in der Stadt ein Singspielhalle einzurichten, hier wieder Filme aufzuführen und Bücher zu publizieren. „Obwohl München nach dem Tod Valentins durch dessen Frau noch einmal die Möglichkeit erhielt, seinen Nachlass zu erwerben und damit an ihm doch noch einiges wieder gut zu machen,“, so sein Biograf Alfons Schweiggert, „nutzte die Stadt diese Chance nicht und der Nachlass ging nach Köln, wo er noch heute liegt.“

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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