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VW-Werk in Urumqi: Der Druck auf den deutschen Autobauer dürfte weiter steigen. - Foto: REUTERS
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Neue Vorwürfe gegen VW in Xinjiang

Berlin, San Francisco. Volkswagen sieht sich mit neuen Vorwürfen wegen möglicher Zwangsarbeit bei seinen chinesischen Gesellschaften konfrontiert. Hinweise deuten darauf hin, dass beim Bau einer Teststrecke in der westchinesischen Provinz Xinjiang Uiguren als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, erfuhr das Handelsblatt. Nach Tipps von VW-Mitarbeitern hatte der Xinjiang-Forscher Adrian Zenz Unterlagen der am Bau beteiligten Firmen gefunden und ausgewertet.

VW hatte die gigantische Teststrecke in Turpan mit dem chinesischen Fahrzeugbauer SAIC im Jahr 2019 bauen lassen. Experte Zenz hat auf der Website der Baufirma China Railway Fourth Bureau und in anderen Quellen Hinweise dafür identifiziert, dass bei dem Bau Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

„Zudem haben Mitarbeiter der Organisationen, die an dem Bau der Teststrecke beteiligt waren, aktiv an Maßnahmen zur Kontrolle und Unterdrückung der Uiguren teilgenommen“, sagt Zenz, Senior Fellow bei der Erinnerungsstiftung für die Opfer des Kommunismus in Washington, der seit Jahren zu Zwangsarbeit und Internierungslagern in Xinjiang forscht.

Vorwürfe könnten für VW Folgen haben

VW habe bislang keine Informationen über Menschenrechtsverletzungen bei dem Projekt, ließ der Konzern wissen. Neuen Erkenntnissen würde das Unternehmen aber nachgehen und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen, sagte ein Sprecher.

Die Vorwürfe können für VW durchaus Folgen haben. Wegen des Verdachts auf Zwangsarbeit in einem chinesischen Werk hatten Fonds vor einigen Monaten Investitionen in Anleihen gestoppt. Durch eine Untersuchung hatte VW die Vorwürfe damals versucht zu entkräften.

Neben Volkswagen ist auch der Chemiekonzern BASF in der Region aktiv. Am vergangenen Freitag hatte BASF mitgeteilt, der Konzern habe Ende vergangenen Jahres damit begonnen, seine Beteiligungen an zwei Joint-Venture-Werken in Xinjiang abzustoßen.

Zuvor hatte das Handelsblatt berichtet, dass zwei große Anteilseigner des BASF-Joint-Venture-Partners Markor mutmaßlich Zwangsarbeiter eingesetzt haben. Die USA hatten gegen beide Anteilseigner Sanktionen verhängt.

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Teststrecke war bei interner Überprüfung ausgenommen

Die neuen Vorwürfe gegen VW dürften den ohnehin hohen Druck auf das Unternehmen, sich komplett aus Xinjiang zurückzuziehen, noch steigern. Nachdem bekannt wurde, dass BASF seine Anteile in Xinjiang verkauft, hatten Politiker mehrerer Parteien auch den VW-Konzern erneut aufgefordert, seine Geschäfte dort aufzugeben.

Volkswagen betreibt in der Stadt Urumqi in Xinjiang gemeinsam mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner SAIC neben der Teststrecke auch ein Fahrzeugwerk. Wegen der Produktion in Urumqi steht der Konzern seit jeher in der Kritik, da die Unterdrückung der muslimischen Minderheit durch den chinesischen Staat durch zahlreiche Berichte und interne chinesische Dokumente dokumentiert ist.

HANDELSBLATT Quelle: Unternehmen
HANDELSBLATT Quelle: Unternehmen

Auf massiven Druck der Investoren hatte VW im vergangenen Jahr eine Überprüfung der Fabrik durch einen externen Dienstleister, einen sogenannten Auditor, durchführen lassen. Dabei war die für den Betrieb der Teststrecke zuständige Gesellschaft jedoch ausgeklammert worden. An beiden Unternehmen ist VW beteiligt.

Eine Auditierung der Teststrecke sei nicht möglich gewesen, sagte ein Konzernsprecher auf Anfrage, weil die Einrichtungen unterschiedlichen Betreibergesellschaften gehören würden. Zum weiteren Vorgehen will sich Volkswagen nun mit dem Partner SAIC abstimmen.

Ergebnisse des Audits hatten für Unruhe im Konzern gesorgt

Die Untersuchung der Fabrik brachte nach VW-Angaben keine Hinweise für eine Unterdrückung von Uiguren. Anzeichen für Zwangsarbeit hätten sich nicht ergeben, hatte Rechtsvorstand Manfred Döss erklärt. Für den Konzern war das nicht nur aus humanitären Gründen eine positive Nachricht, sondern auch weil einige Fonds danach wieder in VW-Anleihen investierten.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse des Audits von Volkswagen hatten für Unruhe im Konzern gesorgt. „Das Ergebnis“, so klagt eine Führungskraft bei VW, „stand doch schon vorher fest.“ Die Glaubwürdigkeit sei daher gering. Auch andere Mitarbeiter kritisierten gegenüber dem Handelsblatt die Ergebnisse der Untersuchung.

VW-Werk in Urumqi: Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf Unterdrückung von Uiguren. - Foto: dpa
VW-Werk in Urumqi: Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf Unterdrückung von Uiguren. - Foto: dpa

Kritiker bemängelten an der Analyse unter anderem, dass die Befragung der Mitarbeiter von zwei Chinesen durchgeführt wurde, die gegenüber Uiguren Vorbehalte haben könnten – und diese dementsprechend nicht offen antworten könnten. Außerdem waren der Untersuchung enge Grenzen gesetzt worden. Nach Veröffentlichung des Berichts hatte ein VW-Mitarbeiter das Handelsblatt mit folgenden Worten konfrontiert: „Kein Wunder, dass die nichts finden. Sie müssen bei der Teststrecke suchen.“ Der Beschäftigte will anonym bleiben.

Die Teststrecke von VW und SAIC in Turpan war im Jahr 2019 fertiggestellt und eröffnet worden. Chinesische Staatsmedien begleiteten den Bau mit großem Interesse: Die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz ist für die Regierung in Peking wichtig, vor allem um die Propaganda von einer prosperierenden Region aufrechtzuerhalten.

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Als die Verträge für die Teststrecke im Jahr 2014 in Berlin unterzeichnet wurden, waren der damalige Konzernchef Martin Winterkorn, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas damaliger Premierminister Li Keqiang anwesend.

Merkel und VW-Chef Winterkorn unterzeichneten 2014 in China Verträge, darunter den Bau von Teststrecken in Xinjiang. - Foto: VW Volkswagen AG
Merkel und VW-Chef Winterkorn unterzeichneten 2014 in China Verträge, darunter den Bau von Teststrecken in Xinjiang. - Foto: VW Volkswagen AG

Die Strecke ist immer noch im Einsatz und dient zum Testen von Fahrzeugen bei extremen Temperaturen. Gebaut wurde sie von dem staatlichen chinesischen Infrastrukturunternehmen China Railway Fourth Bureau Group. In mehreren Beiträgen auf der Website des Unternehmens oder auf den Seiten von verbundenen Firmen wird beschrieben, dass beim Bau der Teststrecke Arbeiter aus den sogenannten „Armutsbekämpfungsprogrammen“ beteiligt waren.

Fotos in einem ausführlichen Bericht zur Eröffnung der Teststrecke im Jahr 2018 zeigen die uigurischen Arbeiter des Projekts in Militäruniformen – ein typisches Zeichen dafür, dass die abgebildeten Menschen Teil eines Zwangsarbeitsprogrammes sind.

In einem anderen Report aus dem Jahr 2017 wird über Züchtigungsmaßnahmen berichtet. Nachdem sich ein nicht näher bestimmter Vorfall ereignet hatte, sollte demnach die „Stärkung des ideologischen Bewusstseins“ bei den Arbeitern und die Kontrolle erhöht werden. Betroffene mussten Irisscans durchführen lassen und andere biometrische Daten abgeben, wie die Auswertung von Zenz ergeben hat. Die Daten wurden an die Polizei übermittelt.

Adrian Zenz forscht seit Jahren zu Zwangsarbeit und Internierungslagern in Xinjiang. - Foto: imago images/CTK Photo
Adrian Zenz forscht seit Jahren zu Zwangsarbeit und Internierungslagern in Xinjiang. - Foto: imago images/CTK Photo

Volkswagen weist zurück, von Zwangsarbeit beim Bau des Testareals zu wissen. Der Konzern orientiere sich an den Leitlinien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, wonach Zwangsarbeit ausgeschlossen sei. Diese Vorgaben würden auch für das Geschäft in China gelten, wie ein VW-Sprecher sagte. Darin stimme der Konzern mit dem chinesischen Partner überein. „Das gilt auch für das Testgelände in Turpan, das von einem Tochterunternehmen des nicht kontrollierten Joint Ventures SAIC Volkswagen betrieben wird.“

Die Lage der Uiguren in der Region ist lange bekannt. Unter dem Deckmantel der Verbesserung ihrer Lebensqualität wurden insbesondere in der Zeit von 2017 bis 2019 große Teile der uigurischen Minderheit zur Arbeit gezwungen. Die Maßnahmen dienen dazu, sie zu kontrollieren.

Erstaunliche Offenheit

Der australische Thinktank ASPI schätzt, dass zwischen 2017 und 2019 mehr als 80.000 Uiguren aus Xinjiang zur Arbeit in Fabriken in ganz China versetzt wurden; einige von ihnen wurden direkt aus Internierungslagern geschickt.

Oftmals sind westliche Beobachter angesichts der Offenheit in China, was Lager und Zwangsarbeit angeht, verwundert: Es ist nicht ungewöhnlich, dass Staatsmedien, Staatsunternehmen und Parteifunktionäre ganz offen über Transferprogramme von Arbeitern in Xinjiang berichten – insbesondere zur damaligen Zeit. Denn die Provinzregierungen sehen in den Programmen kein Unrecht, sondern in ihren Augen notwendige Maßnahmen, um die uigurische Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen.

Sie wollen, dass ihre Bemühungen auch von den obersten staatlichen Stellen gesehen werden. Die Texte auf den Internetseiten der am Bau der Testrecke beteiligten Unternehmen sind eine Art Werbung für die örtlichen Parteikader und das Staatsunternehmen.

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