New Work: Was ist sie, was bringt sie, wie geht sie (nicht)?
Heute am Strand, unter Palmen, im Sonnenuntergang, der Cocktail in Reichweite, das Tablet irgendwie auch; morgen auf der Berghütte; und übermorgen, vielleicht, aber auch wirklich nur, wenn es mir in den Kram passt, in einem Büro in einer dieser hippen Städte, mit lustigen Sitzsäcken am Boden, bunten Post-its an den Wänden und veganem Trallala zum Mittagessen: So ungefähr diese Vorstellung von New Work vermitteln doch die Magazine, Influencer, Netflix-Serien, oder? In etwa das kommt auch bei ChatGPT heraus, wenn ich "Illustrationsideen New Work" prompte (siehe oben).
Aber ist es wirklich das, was mit dem Begriff "New Work" gemeint ist? Und wenn nicht, was dann? Beziehungsweise: Ist der Begriff nicht längst tot, gäbe und bräuchte es bessere statt seiner? Wozu braucht es und wie geht New Work?
Alles Themen einer großartigen Konferenz der Evangelische Akademie Tutzing vor einigen Tagen – spannende Themen, inspirierende Menschen, traumhafter Ort (und viel zu gutes Essen). Hier meine wichtigsten Ahas und Öhas, also Erkenntnisse und Fragen. Ziemlich ungeordnet, unvollständig, ungerecht ausgesucht – Pardon dafür!
Worum es geht
Ein "Containerbegriff", in den viele das reinwerfen, was sie dort später vorfinden möchten; Dienstagnachmittag und Donnerstagvormittag Homeoffice; eine Belegschaft, die ihre ChefIn selbst wählt und wo alle gemeinsam über Einstellungen, Gehälter und vieles mehr entscheiden: All das kann mit New Work gemeint sein. Was der österreichische Philosoph Frithjof Bergmann mit diesem Begriff meinte, den er schöpfte, bekannt- und zu seiner Lebensaufgabe machte? Arbeit, die
unser Bedürfnis nach Sinn stillt;
dem "vollkommenen Menschen dient";
eine Entwicklung hin zu mehr Autonomie und Selbstverwirklichung ermöglicht;
soziale Verbindungen fördert;
ein neues ökonomisches, menschlicheres Modell unseres Tuns meint;
"Work we really, really want" darstellt, um es auf einen Nenner zu bringen (Bergmann, F. (2019). New work new culture: Work we want and a culture that strengthens us. John Hunt Publishing.)
Arbeit, die also im aktuellen marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gewand aus vielerlei Hinsicht für Bergmann nicht als "neu" durchgehen würde. Egal wie viele Tischtennisplatten, Laptops und Matcha-Tee-Spender angeschafft worden sind.
Veränderung macht genau ... wer?
Wenn nun die Mitarbeiterin und der Mitarbeiter, also der Mensch im Mittelpunkt von Arbeit steht – wer ist dann für deren Veränderung zuständig? Die Personalentwicklung? Die OE-Abteilung? Der Feel-good-Manager? Die Chefin? U.a. dazu forscht und lehrt seit Jahrzehnten Simone Kauffeld, oder anders formuliert zu der Frage, wie die Frustrierten zu Engagierten werden und sich damit zu VorkämpferInnen neuer Arbeit werden können (wenn ich das jetzt falsch kondensiert/zitiert habe, ist es mein Fehler!)
In 4-D-Zeiten (Digitalisierung, Dekarbonisierung, Deglobalisierung, Demografie) braucht es aus Kauffelds Sicht kontinuierlich lernende Arbeitskräfte, die umweltbewusst und technologisch versiert sind, aber auch resilientere und inklusivere Organisationen und Organisationskulturen, die "Mitarbeitende als Gestaltende der Veränderungen" sehen und befähigen.
Beruflich gestaltungs- und handlungskompetente Menschen wiederum müssen durch Lerntransfersysteme dabei unterstützt werden, das aus dem Geprächsführungs-, Leadership- oder sonstigem Workshop Gelernte auch wirklich in der Organisation auf die Kette zu kriegen. Durch technische Hilfestellung, unterstützende Führungskräfte, Lernnetzwerke, ggfs. aber auch Familie und Freund:innen.
Psychische und andere Kapitäler
Die Fähigkeit, Ziele zu setzen und über verschiedene Wege zu erreichen;
das Vertrauen in die Fähigkeiten, Aufgaben wuppen zu können;
die Fähigkeit, Widrigkeiten – eventuell sogar gestärkt – überstehen zu können;
und eine positive Erwartungshaltung im Blick auf künftige Ereignisse:
diese vier Komponenten Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Resilienz und Optimismus schaffen für Prof. Dr. Timo Lorenz Kapital. Und zwar nicht soziales oder geistiges oder finanzielles, sondern psychologisches Kapital. Ein Konzept aus der positiven Organisationspsychologie, das in unterschiedlichen kulturellen Kontexten überprüft und zu dem u.a. positive Effekte auf erhöhte Arbeitszufriedenheit, verringerte Kündigungsabsichten, reduzierte Unfallhäufigkeit am Arbeitsplatz nachgewiesen werden konnten (u.a. Margheritti, S., Negrini, A., & Miglioretti, M. (2023). Can psychological capital promote safety behaviours? A systematic review. International journal of occupational safety and ergonomics, 29(4), 1451-1459; Da, S., He, Y., & Zhang, X. (2020). Effectiveness of psychological capital intervention and its influence on work-related attitudes: daily online self-learning method and randomized controlled trial design. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(23), 8754; Donaldson, S. I., Chan, L. B., Villalobos, J., & Chen, C. L. (2020). The generalizability of HERO across 15 nations: Positive psychological capital (PsyCap) beyond the US and other WEIRD countries. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(24), 9432.)
Resili, Resila, Resilienz
Die Resilienz ist dabei für Lorenz der "schlüpfrige Fisch der Psychologie" – weil sie quasi jedeR anders versteht. Wenn aber Dr. Andrea Hammermann vom Institut der Deutschen Wirtschaft darauf verweist, dass "Krisenmodus" schließlich das aktuelle Wort des Jahres ist, kommen wir nicht umhin, uns mit Resilienz zu befassen. Auf individueller sowie organisationaler Ebene, egal ob man sie als Produkt aus Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit nach Antonovsky erlebt oder als eine Schleife aus Lernen, Feedback, Prüfen, und Vorhersehen. Eindrucksvoll zeigt das Beispiel von Morgan Stanley,
wie die Firma aus den Attacke auf das World Trade Center von 1993 gelernt hat, sodass am Tag der Anschläge vom 11. September 2001 die 3800 Beschäftigten innerhalb von 45 Minuten sicher evakuiert werden konnten
dass Reservekapazitäten, Übungen, doppelte Strukturen nicht zu Tode gespart werden können, wenn man wirklich resilient Herausforderungen bewältigen können will.
Ist mit den Frauen was falsch?
Noch mal: Wer Bermanns Vision von New Work ernst nimmt, kann sich mit der heutigen Arbeitswelt nicht zufriedengeben, und erst recht nicht mit deren Macht- und Geschlechterverhältnissen.
Müssen also Frauen tiefer reden, härter argumentieren lernen und dafür auf entsprechende Seminare geschickt werden, wie es etliche Buchtitel, SeminaranbieterInnen etc. propagieren?
Von wegen. "Stop fixing women, start fixing systems", argumentiert Leadership- und Diversitätsforscheein Mona Algner. Wer gegen modernere und subtilerer Formen von Diskriminierung vorgehen will – und damit auch gegen niedrigere Selbstwirksamkeitserwartungen, geringere Arbeitsleistungs- und -zufriedenheitswerte, höhere emotionale Erschöpfung (Algner et al., 2023; Jones et al., 2016), die oder der sollte(n) auf systemischer Ebene intervenieren, also:
nicht das 736. Mentoring-Programm starten;
unternehmerische Benefits von Gendergerechtigkeit für Organisationen eruieren und kommunizieren;
Meeting- und Kommunikationszeiten lebensweltgerecht gestalten;
unternehmens- und familiennahes Socializing möglich machen;
Teilzeit- und geteilte Führung ermöglichen;
Sensibilisierungsveranstaltungen abhalten;
harte, transparente Kriterien im Talent Management aufstellen und kommunizieren;
Männer als Verbündete sehen und finden uvm. – dies Ergebnisse eines von Mona Algner geleiteten Workshops.
Vom Wert der Werte
Was ist Dir in der Arbeit wichtig? Welche Werte werden durch Deine Organisation vertreten – und welche getreten? Fragen von Jannick Schneider, die vielleicht helfen können, den eigenen Arbeitswerten auf die Spur zu kommen, was wiederum für das Verfolgen und Erreichen eigener Ziele recht, pardon: wert-voll sein kann. Die Gene, die Familie, die Sozialisation in unterschiedlichen Gruppen sowie unser kultureller Kontext prägen unsere Werte ganz wesentlich – genauso wie sich ändernde Lebensrollen oder auch einschneidende Ereignisse.
Die Werte-Forschung legt nahe, dass Aspekte wie das Wohlbefinden, das Konfliktverhalten, die Unterstützung anderer, die Einstellungen zu Diversität und vieles mehr mit dem Empfinden wert-voller Arbeit statistisch zusammenhängen (u.a. Lyons, S. T., Higgins, C. A., & Duxbury, L. (2010). Work values: Development of a new three‐dimensional structure based on confirmatory smallest space analysis. Journal of organizational behavior, 31(7), 969-1002 oder Arieli, S., Sagiv, L., & Roccas, S. (2020). Values at work: The impact of personal values in organisations. Applied Psychology, 69(2), 230-275 oder Schneider, J., Striebing, C., Hochfeld, K., & Lorenz, T. (2024). Establishing circularity: development and validation of the circular work value scale (CWVS). Frontiers in Psychology, 15, 1296282.
Natürlich blöd oder künstlich intelligent?
Und vielleicht oder bestimmt hängt ja auch meine Haltung zur KI mit meinen Werten zusammen. Der Berliner Philosoph Christian Uhle kritisiert im Gespräch mit Dr. Nadja Bürgle einen gesellschaftlichen Hang zum Technik-Determinismus, der etwa KI als etwas sehe, das sich wie eine Naturgewalt über uns hinwegwälzen werde – und dabei die Gestaltbarkeit durch uns Menschen übersehe. "Statt eines konstativen Futurum, das so tut, als sei Zukunft nicht offen und gestaltbar, sollten wir viel eher im normativem Futurum über unser Leben und unsere Arbeit sprechen – wie wollen wir arbeiten, wie wollen wir leben?", so Uhle.
Ob KI uns Arbeit abnehmen oder wegnehmen wird – eine Frage der Gestaltung. Ob KI-Assistenzen uns dabei helfen werden, Arbeitspakete zu simplifizieren, standardisieren, delegieren, kuratieren – eine Frage der Gestaltung. Dass KI uns hilft, von einer (Arbeits-)Kultur des Gehorsams zu einer "Kultur der Autonomie" (nach Alain Ehrenberg) zu gelangen – zumindest im Bereich des Möglichen.
It's the Rechnungswesen, stupid!
Stellt Personal wirklich nur Kosten dar, die umso niedriger sein müssen, damit der Gewinn umso höher sein kann?
Das herkömmliche Rechnungswesen sieht das so. Demzufolge sind Unternehmen "zweck-mittel-rationale maschinengleiche Gebilde und können über In- und Outputrelationen adäquat beschrieben werden", sagt Andreas Lerche. Aber was, wenn wir behaupten, dass die Mitarbeiter das Unternehmensergebnis nicht schmälern, sondern erst hervorbringen? Und sich das auch in der Bilanz so wiederspiegelt? Wenn wir also – zum Beispiel in einer Organisation –
Purpose und Gemeinwohl an die Stelle von Ertragszielen und die Erfüllung von Budgetplänen setzen,
persönliches Sinnerleben und Autonomie über Mittel-Zweck-Beziehungen stellen,
Hierarchie und Delegation durch dezentrale Koordination, Rollenautonomie und Selbstorganisation ersetzen
und sich dadurch mehr Vertrauen und Flexibilität statt starrer Command&Control-Logiken ergeben?
Dann sind wir, könnte man meinen, wenn man durch die Tutzinger Tagungsräume auf den herbstlichen Starnberger See schaut, vielleicht im Paradies. Oder wir sind, als Vorstufe, im Bereich der "Wertbildungsrechnung". Ein Ansatz von New Finance, wie ihn Lerche propagiert und wie ihn etwa Alnatura und die dm-Drogeriemarktkette leben.
Höchstwahrscheinlich sind wir aber dann in einem New Work-Unternehmen im Sinne Bergmanns. Das würde er wohl auch so sehen...
Gute Woche, egal ob mit old oder new, hoffentlich mehr good als bad work!
P.S.: Du machst, Ihr macht, Sie machen das gut!