Nicht gängeln! Warum Nachhaltigkeit Überzeugung und nicht Erziehung braucht
Ein kleiner „Stups“ reicht manchmal aus, um eine Entscheidung auf den richtigen Pfad zu führen.
Im Englischen heißt diese Strategie „nudging“ (sanftes, aber beständiges „Anstupsen“), die zu Verhaltensänderungen ohne Druck führen soll. Bekannt wurde sie durch das gleichnamige Buch „Nudge“ (2008) des amerikanischen Juristen Cass Robert Sunstein und des Verhaltensökonomen Richard Thaler von der Universität Chicago und der Harvard-Jurist Cass Sustein. Auch wenn dieser Ansatz im politischen Kontext zuweilen als „politischer Paternalismus im neuen Gewand“ (Miriam Meckel) kritisiert wird und mit der Forderung nach informationeller Selbstbestimmung des mündigen Bürgers einhergeht – Nachhaltigkeit im Alltag braucht Anstöße, die Menschen darin unterstützen, zu ihrem eigenen Vorteil, aber auch zum Vorteil der Gesellschaft und Umwelt zu handeln.
Durch Anstöße realisiert wird auch Empowerment („Ermächtigung, Bevollmächtigung, Übertragung von Verantwortung“), die vor allem in aufbauender und gegenseitig anerkennender Ermutigung besteht. Anstöße erfordern Übung und befördern Selbstwahrnehmung, Selbstkompetenz sowie Selbstbestimmung.
Ende der 1990er-Jahre wollte Aad Kieboom, damals Manager am Flughafen Schiphol in Amsterdam, ein lästiges Problem lösen: Viele Männer zielten beim Wasserlassen im Stehen daneben, was dazu führte, dass die Herrentoiletten am Flughafen viel schneller verschmutzten als die Damen-WCs. Deshalb klebte er das Bild einer Fliege ins Urinal. Das weckte den Spieltrieb der Männer, die auf die Fliege zielten – und es ging deutlich weniger daneben als zuvor. Die Sauberkeit der Toiletten soll sich um 80 Prozent verbessert haben, schreibt Sustein.
Noch ein anderes Beispiel: Wird bei Obst bei Veranstaltungen im Stück angeboten, bleibt es oft liegen. Steht es geschnitten und handlich zum Aufpieken bereit, steigt auch die Nachfrage. Eine ähnlich positive Wirkung können auch Technologien haben – beispielsweise das Submetering: Transparenz über den Wärmeverbrauch ist ein „Nudge“, da sie dem Verbraucher nachweislich hilft, sein Energieverbrauchsverhalten zu optimieren und dadurch ganz nebenbei Kosten und CO2 einzusparen. Denn wer weiß, wie viel Energie er verbraucht, geht bewusster mit ihr um.
Wie Untersuchungen zeigen, haben bereits kleine Änderungen im Verbrauchsverhalten eine große Wirkung.
„Wir duschen lange, lassen die elektrischen Geräte angeschaltet und werfen täglich unseren Müll weg, ohne groß darüber nachzudenken“, erklärt Pelle Hansen, Vorsitzender des Danish Nudging Network. In die Gebäude und Wohnungen können problemlos gewisse „Basis-Anstöße“ wie automatisierte Wasserhähne, zeitgesteuerte Duscharmaturen und durch Bewegungsmelder gesteuerte Beleuchtung eingebaut werden, die zu einer deutlichen Senkung des Wasser- und Energieverbrauchs führen.
Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth belegt in ihrem Buch „Die Donut-Ökonomie“, dass dieser Ansatz auch im öffentlichen Raum funktioniert: Auf den Straßen von Kopenhagen verteilten Hansen und seine Studenten Süßigkeiten an die Passanten und dokumentierten dann, wie viele Verpackungen auf dem Gehsteig, in Abfallkörben oder in den Fahrradkörben anderer Menschen landeten.
Dass sich auch Verbraucher mit einem kleinen psychologischen zu einer stärkeren Nutzung von Mehrweg-Bechern bewegen lassen, fand ein interdisziplinäres Team unter Leitung des Psychologie-Professors David D. Loschelder von der Leuphana Universität Lüneburg heraus: Dynamische soziale Normen können dazu beitragen, dass Verbraucher zu einem umweltfreundlicheren Verhalten bewegt werden können und sich verstärkt für Mehrweg-Becher entscheiden. Daten eines vierzehnwöchigen Interventionsversuchs mit insgesamt fast 24.000 verkauften Heißgetränken haben dies bestätigt. Die Nutzung von Mehrwegbechern konnte im Untersuchungszeitraum um gut 17 Prozent gesteigert werden.
Um Menschen auf glaubwürdige Weise zu erreichen, braucht es allerdings nicht nur Anstöße, sondern auch überzeugende Argumente, warum ein bestimmtes Verhalten richtig und erstrebenswert ist.
Das gelingt zum Beispiel dem Gemeinschaftsprojekt von Dudenverlag, der memo AG und dem VfL Wolfsburg. Das kostenlose Sonderheft aus der Duden-Reihe "Weltenfänger" mit dem Titel "Ab jetzt rette ich die Welt! Kinder übernehmen Verantwortung" erklärt Kindern ab acht Jahren, wie sie ihren Alltag nachhaltiger gestalten können und bietet dazu leicht umsetzbare Anregungen zu den Themen Lebensmittelverschwendung, gesunde Ernährung, Bildung, Gleichberechtigung, Vielfalt, Wasser- und Energiesparen, nachhaltige Mobilität. Spielerisch wird Kinder vermittelt, wie sie die Welt in positiver Weise verändern können.
Immer wieder integriert der Ökoversender memo auch praxisorientierte Tipps zu einem nachhaltigen Lebensstil in seine Drucksachen (z. B. Kataloge für Privat- und Werbekunden), aber auch die Website enthält Informationen zum Einkaufen und Kochen, zu Gesundheit und Wohlbefinden, zu Lifestyle- und Outdoorthemen. Vorgestellt werden auch die wichtigsten Umweltzeichen und Label, die die Einhaltung strenger ökologischer und sozialer Richtlinien belegen und für Verbraucher ein wichtiger Wegweiser zu nachhaltig guten Produkten sind.
Das Familienunternehmen Häcker Küchen in Rödinghausen setzt ebenfalls auf eigene Publikationen wie „Ordnung ist das halbe Leben“. Ordnung wird hier als Prinzip der Nachhaltigkeit vermittelt, denn es wird immer schwieriger, eine nachvollziehbare Stabilität und Ordnung in uns selbst, in der Wirtschaft, in den Märkten und vor der eigenen Haustür herzustellen. Aber auch das ist Nudging im Unternehmenskontext: Die Hausausstellung 2019 wurde beispielsweise auch genutzt, um einen „Nachhaltigkeitsraum“ vorzustellen: Besucher konnten durch eine überdimensionale Bienenwabe gehen und erlebten das soziale und ökologische Engagement des Unternehmens in einer neuen Dimension. Vom heimischen Bienenprojekt bis zum Bildungsprojekt in Sierra Leone (Afrika) fanden interessierte Besucher viele Maßnahmen, die das Unternehmen zum Umwelt- und Naturschutz sowie im Rahmen der Sozialverantwortung durchführt. All diese Maßnahmen sollten die Besucher auch zum eigenen Handeln anstoßen. Unauffällige Stupser sind bei solchen Maßnahmen mit diesen Botschaften verbunden:
* Niemand musss an die Hand genommen und manipuliert werden, um nachhaltigen Maßstäben zu entsprechen.
* Menschen sollten darin unterstützt werden, eigenständig zu denken und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
* Wo Empathie fehlt, läuft der Ansatz auf Zwang und Lösungen hinaus, die von oben nach unten gerichtet sind.
* Mündige Menschen vollziehen nachhaltige Verhaltensänderungen bewusst und aktiv handelnd.
* Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit beginnt mit kleinen Schritten.
Weiterführende Informationen:
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Ordnung ist das halbe Leben. Hg. Häcker Küchen, Rödinghausen 2018.
Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. Carl Hanser Verlag, München 2018.