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Nörgelnde Kollegen: So gehen Sie im Team damit um

Wenn Teammitglieder klagen, jammern und nörgeln, schaden sie damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Umfeld. Wie Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen aus der Negativitätsspirale helfen und dabei sich selbst Gutes tun.

Von Manfred Kets de Vries

Lisa konnte es nicht länger ertragen. Jedes Mal, wenn sie ihren Kollegen Peter traf, begann er, endlos über seine Arbeit zu jammern, über die Regierung, sein Privatleben. Peter war leitender Angestellter bei einer großen Einzelhandelskette, in der sie gemeinsam arbeiteten.

Nachdem sie Peters Gejammer zugehört hatte, dauerte es nicht lange, bis Lisa sich eingeengt fühlte. Wenn sie versuchte, die Situation ihres Kollegen in ein positiveres Licht zu setzen, verfiel er sofort zurück in seine Negativität. Sein ständiges Nörgeln, Jammern und Klagen war für alle schädlich, auch für ihn selbst.

Professor Robert Sapolsky von der Universität Stanford hat gezeigt, dass chronisches Jammern physiologische Auswirkungen hat. Durch die Wiederholung von schlechten, traurigen, wütenden und ohnmächtigen Gefühlen können die Neurotransmitter im Gehirn eine neuronale "Neuverdrahtung" durchlaufen, die negative Gedankenmuster verstärkt. Zudem können sich negative Gedanken leichter wiederholen. Das lässt weniger Raum für die positiveren Gefühle wie Dankbarkeit, Wertschätzung und Wohlbefinden. Ein ständiger Kreislauf negativer Gedanken kann sogar Schäden am Hippocampus verursachen, dem Teil des Gehirns, der für Problemlösungen und kognitive Funktionen zuständig ist. Mit der Zeit werden Nörgler zu Negativitätssüchtigen, angezogen von dem Drama, das mit einer Nörglerhaltung einhergeht.

Menschen wie Peter neigen zu Schwarz-Weiß-Denken. Kompromisse sind bei ihnen nicht Teil der Gleichung. Kein Wunder, dass chronische Nörgler eher Probleme statt Lösungen sehen. Es fällt ihnen schwer, Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Ironischerweise erzeugt das Jammern über Probleme noch mehr Probleme, über die man sich beschweren kann.

Chronische Nörgler schädigen nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen in ihrer Umgebung. Unbewusst übertragen sie ihre negativen Gefühle auf Kolleginnen und Kollegen. Psychologen nennen diesen Prozess projektive Identifikation. In einem Bild gesprochen: Es ist, als ob Pessimisten andere Menschen als Mülleimer benutzen, wodurch sich die Nörgler erleichtert fühlen, aber alle anderen beschwert und erschöpft.

Interessanterweise ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Art der Übertragung Teil unserer evolutionären Ausstattung ist. Einige Neurowissenschaftler (wie der Neurophysiologe Giacomo Rizzolatti) weisen darauf hin, dass Menschen sogenannte Spiegelneuronen in ihrem Gehirn besitzen, die für das Überleben wichtig sind. Als soziale Wesen ahmen unsere Gehirne unbewusst die Stimmungen der Menschen um uns herum nach, was ein Vorteil sein kann, wenn wir mit Gefahren konfrontiert sind. Es kann auch als eine Form des sozialen Zusammenhalts dienen. Diese neuronale Spiegelung hat eine Kehrseite. Menschen, die sich über alles beschweren, stecken an – und bevor wir es merken, werden wir selbst zu Jammerern.

Natürlich ist es nicht grundsätzlich schlecht, seinen Unmut anzusprechen – in Maßen. Ärger über eine bestimmte Situation offen zu äußern ermöglicht es uns, eigene Bedenken vorzubringen und dadurch mögliche Stressreaktionen zu verringern. Unsere Gefühle zu unterdrücken kann uns zudem davon abhalten, ein Problem zu benennen und ihm auf den Grund zu gehen.

Menschen beschweren sich auch, um sich selbst besser zu fühlen. Vielleicht wollte Peter von Lisa nur eine Bestätigung dafür, wie unfair oder ärgerlich seine Situation ist, um eine Art emotionale Verbindung herzustellen.

Beschwerden werden zudem als Mittel zur Machtausübung eingesetzt, wenn Menschen versuchen, andere zu beeinflussen und ihre Unterstützung zu erhalten. Nach dieser Interpretation könnte Peter probiert haben, Lisa für seine Sichtweise zu gewinnen, was seiner Meinung nach mit einigen Leuten in ihrer Organisation nicht in Ordnung war.

In vielen Fällen beginnt das chronische Beschweren schon früh im Leben, als ein Mittel, um Sichtbarkeit zu erlangen und Beziehungen in der Familie aufzubauen. Diese frühen Erfahrungen können zu tief verwurzelten Verhaltensmustern werden und in Peters Fall vielleicht zu einem Teil seiner Identität geworden sein. Das würde erklären, warum er schlecht auf Ratschläge reagiert, denn die Lösung seines Problems würde ihm den Grund für seine Beschwerden nehmen und sein Selbstwertgefühl bedrohen.

Versuche, chronischen Nörglern zu helfen, haben oft wenig oder keine Wirkung. Lösungsvorschläge wehren sie eher ab, um sich weiterhin mit den Schattenseiten ihrer Situation zu beschäftigen.

Kolleginnen und Kollegen sollten stattdessen klare Grenzen setzen. Lisa sollte Peter sagen, dass sie bereit ist, zuzuhören und zu reden, sich aber nicht auf ein sich wiederholendes Gespräch einlassen will. Immer und immer wieder die gleiche Sache durchzugehen ist für keinen von beiden von Vorteil. Sie sollte ihm sagen, dass sie seine Gefühle und sein Befinden zwar versteht, aber dass sein ständiges Jammern alle in der Organisation verärgert. Sie sollte anerkennen, dass sich jeder irgendwann einmal beschwert, aber auch darauf hinweisen, dass die meisten Menschen dies in Maßen tun und dass es eine richtige und eine falsche Art gibt, sich zu beschweren. Sich zu beschweren ist nützlich in Situationen, in denen Peter denkt, dass er echte und positive Veränderungen bewirken könnte. Er muss aber auch anerkennen, dass seine Art der Beschwerde nicht konstruktiv ist.

Pessimisten benutzen andere als Mülleimer. Die Nörgler erleichtert das, alle anderen erschöpft es.

Als Nächstes sollte Lisa ihrem Kollegen klarmachen, dass es ihm viel besser ginge, wenn er seine Perspektive ändern würde. Gezieltes Beschweren – also einen aktiven Standpunkt einnehmen – kann ihm einen Fahrplan geben, um seine Negativität zu überwinden. Denn wenn er die Zeit hat zu jammern und sich über all die schlechten Dinge zu beschweren, sollte er sich auch die Zeit nehmen, etwas dagegen zu tun. Er sollte sich beschweren, um etwas zu reparieren und zu lösen, nicht nur, um Sympathie zu gewinnen.

Lisa könnte auch vorschlagen, dass Peter eine Haltung der Dankbarkeit kultiviert. Wann immer er den Drang verspürt, sich zu beschweren, sollte er dies als rote Fahne sehen, um seine Aufmerksamkeit vom Jammern auf die Dinge zu lenken, für die er dankbar ist. Dabei könnte er feststellen, dass sich seine Stimmung verbessert; er könnte mehr Energie haben und sich weniger ängstlich fühlen.

Natürlich braucht es Zeit, eine solche Verhaltensänderung herbeizuführen. Aber er könnte auf diesem Weg Hilfe von einem Coach oder Psychotherapeuten bekommen, der mit ihm daran arbeiten könnte, seine Opferrolle zu erforschen, warum er ständig Bestätigung von anderen sucht und wie er an alternativen Reaktionen arbeiten kann.

Auch wenn chronische Nörgler oberflächlich betrachtet harmlos erscheinen, sind sie es ihren Kollegen und sich selbst schuldig, ihr Verhalten zu regulieren. Denn irgendwann werden die Leute der Negativität überdrüssig. Peter muss erkennen, dass das quietschende Rad nicht immer das Fett abbekommt. Es kann auch ausgetauscht werden. © HBP 2021

Der Autor

Manfred f. R. Kets de Vries ist Executive Coach, Psychoanalytiker und Managementwissenschaftler. Er ist Distinguished Clinical Professor für Leadership Development und Organizational Change am Insead in Frankreich, Singapur und Abu Dhabi. Sein aktuelles Buch ist "Down the Rabbit Hole of Leadership: Leadership Pathology in Everyday Life" (2018).

Dieser Artikel erschien in der August-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.

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