Nur ein überflüssiger Chef ist ein guter Chef
Sich einfach mal rausziehen und die Fäden anderen überlassen? Für viele Führungskräfte unvorstellbar! Ich habe mich getraut – und bin seitdem für meine Mitarbeiter überflüssig. Zum Glück.
Ende 2015 stand ich gefühlt kurz vor einem Burn-Out. Ich hatte ein sehr anstrengendes Jahr hinter mir und kaum Urlaub genommen, weil ich die Tage lieber für meine anstehende Weltreise verwenden wollte. Damit in der Firma alles weiterläuft, musste meine Abwesenheit natürlich perfekt geplant werden, was mir zusätzlichen Druck bereitete. Aufgaben, die normalerweise mein Beritt waren, musste ich auf andere Mitarbeiter verteilen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten hundertprozentig klären und dabei immer sichergehen, dass der Laden auch ohne mich läuft. Irgendwann ging ich total auf dem Zahnfleisch, weil mir alles über den Kopf wuchs, aber ich wusste ja, wofür ich es tat. Trotzdem war ich ständig gereizt, genervt und schon bei Kleinigkeiten auf der Palme.
Als mein Urlaub dann endlich los ging, war meine Freude natürlich riesig. Singapur, Bali, Australien, Neuseeland, Tahiti, Hawaii und San Francisco: alles wollte ich innerhalb von zwei Monaten bereisen und dabei einfach mal komplett abschalten. In den ersten Wochen gelang mir das leider nur so mittelmäßig, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mich voll und ganz zu entspannen. Meine Mitarbeiter kümmerten sich um die Mails und ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte. So richtig loslassen aber konnte ich anfangs trotzdem nicht.
Vielleicht war es auch die Angst, unentbehrlich zu sein. Ich war Tausende Kilometer entfernt, es war meine erste große Auszeit und ich wusste ja nie richtig, ob es vielleicht doch Probleme gibt oder Schwierigkeiten, in denen ich gebraucht werde. Natürlich vertraue ich meinen Mitarbeitern zu tausend Prozent, und dennoch ist es als Chef – gerade wenn es ein Familienunternehmen ist und man so selbst so tief drin steckt in den Prozessen – einfach schwierig.
Es ist merkwürdig, wenn man nicht mehr gebraucht wird
Nach drei Wochen hatte ich meine Unsicherheit zum Glück überwunden und wurde von Tag zu Tag entspannter. Zum Glück wurde ich von Tag zu Tag entspannter. Nach 60 Tagen Urlaub hatte ich vielleicht sechs Mal mein Handy gecheckt, was ich für einen ziemlich guten Schnitt halte. Wahrscheinlich lag es vor auch daran, dass mein Vater und mein Bruder Zugang zu den Postfächern hatten und alle Anfragen fleißig abarbeiteten. Vor meiner Rückkehr graute es mir trotzdem ein bisschen, weil ja immer irgendetwas liegenbleibt und auf den Chef wartet. Drohte mir vielleicht doch das totale Chaos? Würde mein Schreibtisch wirklich so leer und aufgeräumt sein, wie ich ihn vor meiner Reise verlassen hatte?
Zum meinem Erstaunen war er das tatsächlich: ordentlich und ohne irgendwelche Briefe, die auf mich gewartet hätten. Als ich die ersten Meetings nach meinem Urlaub besuchte, erwartete niemand eine Entscheidung von mir, ich war bloß Zuhörer und die anderen waren die Macher. Augenscheinlich lief der Betrieb wie von allein als ich weg war und das ließ mich einen kurzen Moment stutzen. Hatte ich mich durch meinen Urlaub selbst abgeschafft? War ich plötzlich überflüssig?
Nach wenigen Minuten war mir klar: ja, ich war es! Ein totaler Schock, der sich aber mit jedem weiteren Gedanken besser anfühlte, denn mir wurde klar, dass meine Mitarbeiter plötzlich selbstständiger waren als je zuvor. Die Geschäftszahlen waren positiver als im Vorjahr, und das ganz ohne mein Zutun. Die Meetings liefen reibungslos und die Auftragszahlen gingen weiter nach oben. Es war sehr merkwürdig, aber auch sehr schön zu sehen, dass man sich als (guter) Chef wohl tatsächlich einfach mal rausziehen kann und nicht mehr direkt im, sondern AM Unternehmen arbeiten kann.
Mit anderen Worten: Ich war vom Spielfeld auf die Trainerbank gewechselt. Statt selbst Tore zu schießen und Aufträge an Land zu ziehen wie früher, bin ich jetzt eher strategisch am Spiel beteiligt und nur noch indirekt am Ball. Stattdessen punkten jetzt meine Angestellten mit Volltreffern und neuen Kunden. Klar, dass ich da nicht mehr einfach aufs Spielfeld rennen kann und mitspiele, aber es fühlt sich auch gut an, die Erfolge meiner Mitarbeiter von der Trainerbank zu beobachten.
Erfolg ist eine Sache des gesamten Teams
Und darum geht es doch, wenn man erfolgreiche Teams zusammenstellen will: Man braucht selbstständige Mitarbeiter, die motiviert über das Spielfeld rennen und sich gegenseitig die Bälle zuspielen, um am Ende gemeinsam Erfolge zu feiern. Dafür braucht es sicherlich auch einen guten Trainer, aber der bestimmt eben nur die übergeordnete Taktik, den langfristigen Erfolg, aber nicht das Tagesgeschäft und jedes einzelne Spiel bzw. jeden Kundenkontakt. Nur so greifen alle Zahnräder ineinander, weil jede Achse und jedes Rädchen genau weiß, was es seine Aufgabe hat und wie es zum Erfolg führt.
Während der Betrieb läuft, und das tut er bei uns sehr gut, kann ich mich als Chefin um das große Ganze kümmern: um unsere Zukunftsperspektiven, strategische Allianzen, Dinge wie: was brauchen wir, wo bauen wir vielleicht einen neuen Standort auf und wie sieht unser Geschäftsmodell eigentlich in ein paar Jahren aus? Das alles ginge gar nicht, wenn es an jeder Ecke brennen würde und ich ständig Feuer löschen müsste. Natürlich bin ich trotzdem noch nah dran an den Prozessen und habe immer ein Ohr für meine Mitarbeiter und auch für unsere Kunden, damit alles so erfolgreich weiterläuft wie bisher. Aber wirklicher Erfolg, der auch entspannter zu erreichen ist, stellt sich erst ein, wenn man als Chef im Tagesgeschäft so gut wie überflüssig ist.
Denn am Ende des Tages ist es nicht der Chef, der die Millionenumsätze für sein Unternehmen generiert oder einen Kunden nach dem anderen an Land zieht; es sind die fleißigen Mitarbeiter, die Vertriebler, Die Lagermitarbeiter und die Buchhalter, die wissen, wie der Laden optimal läuft.
Und deswegen sind Chefs zwar oft Aushängeschild einer Firma, aber eben nur ein Teil des Firmenerfolgs. Der erste Mann auf dem Mond – und das ist ein schöner Vergleich, den ich letztens gehört habe – ist ja auch nicht allein und vollkommen ohne Hilfe ins All geflogen. Neil Armstrong hatte ein ganzes Team an Forscher hinter sich, Ingenieure und Wissenschaftler, die monate- wenn nicht sogar jahrelang für diesen einen Moment geforscht haben. Deshalb ist es eigentlich falsch, den Erfolg einer ganzen Nation immer wieder allein an Neil Armstrong festzumachen. Es war sein Team, das ihn so weit gebracht hat. Und das sollten wir uns als Chefs und Vorgesetzte immer bewusst machen!
In diesem Sinne: Danke an mein Team, ihr rockt!