Nutzen Sie die individuellen Stärken Ihrer Mitarbeiter
Die mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Dressurreiten Isabell Werth leitet ihren Turnierstall in Rheinberg mit festen Grundsätzen, die sie auf alle Mitarbeiter anwendet.
Rheinberg. Aus Überzeugung praktiziere ich in meinem Betrieb die Arbeit auf Augenhöhe. Viel für den Umgang mit den zweibeinigen Mitarbeitern lässt sich dabei von den vierbeinigen ableiten.
Im Alltag äußert sich dies durch den respektvollen Umgang miteinander – dazu zählt das Erkennen und die Pflege der individuellen Charaktereigenschaften. Das lässt sich wunderbar vergleichen mit dem Verhältnis eines Chefs zu seinem Mitarbeiter: Wenn die Führungskraft Stärken und Schwächen des Angestellten erkennt, können Aufgabenstellung und Einsatzbereich darauf ausgerichtet werden.
Dabei gebe ich die Richtung vor und verfolge stets die Absicht, dass das Pferd seine Talente entwickeln und entfalten kann. Natürlich schließt dieser Prozess nicht aus, dass es auch zu Meinungsverschiedenheiten kommt. Diese Meinungsverschiedenheiten zuzulassen, sie zu reflektieren und Fehler abzustellen, das bedeutet für mich Augenhöhe.
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Ich will, dass die Pferde die Leistungsfähigkeit, die sie von Natur aus mitbringen, optimal entfalten können – und dass sie das alles positiv sehen und gerne tun. Die Grundvoraussetzung für Höchstleistung ist der Leistungswille. Diese Formel ist auf den Spitzensport, die Wirtschaft sowie die Politik gleichermaßen anwendbar.
Bezogen auf meinen Co-Athleten bedeutet dies, dass intrinsische Motivation in unserer beider Charakter verankert ist. Spitzenpferde verfügen von Natur aus über einen ausgeprägten Bewegungsdrang und ein hohes Maß an Leistungsbereitschaft.
Es gilt, das Potenzial des einzelnen Pferdes zu erkennen, ehe man mit der Ausbildung beginnt. Im Unternehmenskontext würde man sagen, es gibt Menschen, die sehen die Arbeit, und es gibt Menschen, die laufen an ihr vorbei. Das unterscheidet im Unternehmen wie im Dressurviereck einen High und einen Low Performer.
Mitarbeiter sollen ihren Charakter behalten – es gilt, sie vom gemeinsamen Ziel zu überzeugen. Ein Zusammenwachsen über Monate und Jahre ist dafür erforderlich. Diese Zeit ermöglicht, sich kennenzulernen, sich zu verstehen. In der Regel bilde ich meine Sportpferde selbst aus. Im besten Fall gehen sie bei mir in die Schule, in die Lehre und werden zur Führungskraft.
Der entscheidende Faktor ist die Zeit, gepaart mit Kontinuität können sich Zuverlässigkeit und Stärke entwickeln. Wenn der Leistungsgedanke für beide Seiten definiert ist, wächst die Motivation und die Beziehung mündet in eine Symbiose. Wenn ich mit meinem sehr erfahrenen Wallach Emilio in eine Prüfung einreite, vertrauen wir uns blind, kennen uns auswendig und haben das Ziel, top zu performen.
Ein neues Miteinander
Im Reitsport wie in der Berufswelt hat sich das Miteinander verändert. Die alten Reitlehrer, die sogenannten alten Meister, bauten viel mehr darauf, dass der Mensch das Pferd dominieren müsse. Ich dagegen sage: Wir sind gleichberechtigte Partner.
Das beginnt bei der Zucht, die sich enorm weiterentwickelt hat. Unsere Pferde heute sind sensiblere, feinere und modernere Pferde als die der alten Meister. Dazu muss man wissen, dass die Reiterei nach dem Krieg mit Pferden ausgeübt wurde, die aus der Landwirtschaft stammten. Die Pferde damals dienten als Zucht- und Nutztiere zugleich. Heute hat sich dies grundlegend verändert. Wir züchten Athleten, die mit einer hochsensiblen und feinfühligen Persönlichkeit ausgestattet sind.
Ihre Leistungsbereitschaft ist aber auch eine der größten Herausforderungen für einen Reiter: Es muss gelingen, ihre Energie so zu kanalisieren, dass sie ihre optimale Leistung zeigen können, ohne außer Kontrolle zu geraten.
Das Engagement wird bewahrt, indem man die Charaktereigenschaften erkennt und gezielt fördert. Das lässt sich durch abwechslungsreiches Training und das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse erreichen. Die Arbeit darf nicht langweilen. Die Wertschätzung des Individuums spielt eine zentrale Rolle, die Pferde sind die tragende Stütze meines Betriebs, es gilt, dies anzuerkennen.
Enttäuschungen versuche ich vorzubeugen, indem ich möglichst weitsichtig die Entwicklung, die Kondition und den Ausbildungsstand der Pferde dem Turnierkalender anpasse. Das Regenerieren ist genauso wichtig wie das Fordern.
Die Zusammenstellung des Teams
Die Charaktereigenschaften meiner Pferde betrachte ich als ihre Stärke. Ich versuche, sie bewusst zu pflegen. Wenn ein Pferd frech ist, dann soll es frech bleiben und in diesem Kontext seine Leistung entwickeln.
Da hilft es, dass die jahrelange Erfahrung einen gnädiger stimmt. Die Erfahrung mit den Pferden und deren Eigenheiten lässt sich immer wieder auf Mitarbeiter übertragen. Ich versuche stets, dass mein Team zueinanderfindet. Übertragen auf die Reiter und Pfleger heißt das, dass die Charaktereigenschaften der Pferde, die sie betreuen, komplementär sein sollten. Die Zusammenstellung des Teams ist also nicht beliebig.
Die Gefahr in meinem Team besteht darin, dass es nach jahrelanger und intensiver Zusammenarbeit sehr emotional zugehen kann. Das führt dazu, dass Hierarchien verschwimmen, es wird immer familiärer, Auseinandersetzungen gleichen denen in der eigenen Familie. Unser Team existiert seit Jahren, wir bewegen uns in einem Mikrokosmos, in dem Grenzen verschwimmen. Der Vorteil ist sicherlich, dass wir Klartext miteinander sprechen, Floskeln gibt es nicht.
Buchtipp:
Am 31. Mai erscheint Isabell Werths Buch „Welcher Mensch ist mein Pferd?“. Darin erklärt die Dressurreiterin unter anderem, welche Erkenntnisse sie durch den Umgang mit Pferden über Menschen gewonnen hat.
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