Gemeinsamer Auftritt, gemeinsamer Abgang: Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi verlassen Edding zum Jahresende. Foto: Max Threlfall
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„Ohne den Störenfried wird es einfacher“

Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi sind angetreten, um den Stiftehersteller Edding zu digitalisieren. Nun hören sie auf. Ein Gespräch über Radikalität, Demut und Schreckmomente in der Vorstandssitzung.

WirtschaftsWocheWirtschaftsWoche: Frau Kühne, Herr Temaismithi, seit fast drei Jahren teilen Sie sich beim Stiftehersteller Edding den Posten des Chief Digital Officer. Nun haben Sie entschieden, Ihre Verträge, die zum Jahresende auslaufen, nicht zu verlängern. Warum?
Fränzi Kühne: Weil wir überzeugt sind, dass das der richtige Zeitpunkt ist. Wir haben in den vergangenen drei Jahren die Weichen dafür gestellt, damit das Team den Weg jetzt ohne uns weitergehen kann. Zudem haben wir mit unserer Profit-for-Strategie eine solide Grundlage geschaffen, die ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Boontham Temaismithi: Wir sind an einem Punkt, wo wir uns ehrlich machen müssen: Wenn wir die Veränderung weitertreiben wollen, müssen wir uns da rausnehmen. Ohne den Störenfried wird es einfacher.

Aber besteht dann nicht eher die Gefahr, in alte Gewohnheiten zu verfallen? 
Kühne: Unsere Aufgabe als CDO war es auch, Digitalisierung in den gesamten Vorstand zu bringen. Wir haben Wissen vermittelt, Ängste abgebaut. Und ja, dadurch hat sich im Mindset was geändert.

Woran zeigt sich das?
Kühne: Wir haben Fehler gemacht – und korrigiert: Wir haben die Produktion von Nagellack eingestellt, das Tattoo-Business ebenfalls. Wir haben radikal reduziert. Und dazu muss man den Mut haben.

Zur Person

  • Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi: Die beiden haben 2008 die Digitalagentur TLGG mit gegründet und im März 2022 beim Stiftehersteller Edding gemeinsam die neu geschaffene Vorstandsposition des Chief Digital Officers (CDO) übernommen. Sie waren damit das erste Tandem im obersten Führungsgremium eines deutschen börsennotierten Unternehmens. Edding, 1960 in Hamburg gegründet, ist ein Familienunternehmen, das vor allem mit Markern und Flipcharts im vergangenen Jahr 155,97 Millionen Euro umsetzte und mehr als 700 Mitarbeiter beschäftigt.

Das hat allerdings weniger mit Digitalisierung zu tun.
Temaismithi: Digitalisierung ist ja kein Tool. Sondern eher die Art, wie wir miteinander arbeiten, wie wir Geschäfte machen. Dazu muss man an der Kultur arbeiten, am Mindset, an der Veränderungsbereitschaft.
Kühne: Es war sehr schlau von Edding, ein CDO-Tandem dazu zu holen, das als Katalysator wirkt, Dinge vorantreibt und durch die schweren Phasen auch durchzieht. Gleichzeitig haben der Vorstand und wir die Position immer als ein temporäres Mandat gesehen.

CDOs kokettieren gern damit, dass ihr Job darin bestehe, sich selbst abzuschaffen. Spüren Sie wirklich keine Wehmut? Kein bisschen gekränktes Ego?
Kühne: Natürlich ist da auch Wehmut dabei. Gleichzeitig haben die vergangenen drei Jahre uns schon sehr gefordert.

Inwiefern?
Kühne: Wenn wir bei TLGG...

...die Digitalagentur, die Sie beide 2008 mit Christoph Bornschein gegründet haben...
Kühne: ...nach drei Monaten wieder mal in die Unternehmen kamen, die wir beraten haben, dachten wir oft: Hier ist ja gar nichts passiert! Jetzt haben wir verstanden, wo die wirklichen Beharrungskräfte in einem Unternehmen sind. Das war also auch eine anstrengende Zeit mit Konflikten und vielen Diskussionen.
Temaismithi: Aber wir hatten halt auch eine wunderbare Aufgabe. Von einem familiengeführten Unternehmen dieses Vertrauen zu bekommen – das macht schon stolz. Wir waren schließlich auch ein Risiko.

Seit anderthalb Jahren verantworten Sie beide im Vorstand zusätzlich den Bereich Human Ressources. Auch das dürfte es einfacher gemacht haben, das neue Mindset im Unternehmen zu verankern.
Temaismithi: Leute, die neu ins Unternehmen kommen, lassen sich auf Veränderungen ein. Da muss man sich keine Sorgen machen. Was wir hingegen oft gesehen haben: dass sich selbst die veränderungsfreudigsten Mitarbeiter nicht verändern dürfen, wenn die Führungsebene blockiert.

Das heißt: Damit Edding weiterhin auf dem Weg bleibt, reicht es nicht, die richtigen Weichen zu stellen – sondern auch die richtigen Lokführer auszubilden, um im Bild zu bleiben?
Kühne: Ja. Deswegen starten wir jetzt auch ein riesiges Leadership-Programm.

Wie sieht das genau aus?
Kühne: Das durchlaufen alle Führungskräfte. Auch der Vorstand. Allein in diesem Jahr 100 Leute.

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Und was vermitteln Sie dort?
Kühne: Wir sind mit Werteworkshops gestartet. Dort haben wir die Werte, für die die Edding Gruppe steht, anfassbar gemacht und mit den Teams gemeinsam erarbeitet, welche Rolle unsere Unternehmenswerte im Arbeitsalltag spielen und was sie konkret bedeuten, aber auch wo die Grenzen liegen. Zum Beispiel bedeutet Pioneering Spirit für uns, dass wir neue Dinge ausprobieren und experimentieren wollen, jedoch nicht ohne gute Vorbereitung. So hat jedes Team für sich definiert, was die Werte bedeuten. Jetzt geht es darum, ein einheitliches Verständnis von Leadership zu schaffen: Wie wollen wir Führung bei Edding definieren? Da gibt es ja heute viel mehr Spielraum als vor 50 Jahren, wo einer... und ich gendere bewusst nicht... oben sitzt, der die Ansagen macht und runterreicht.
Temaismithi: Damit Leute den Kulturwandel mitmachen, müssen wir sie mitnehmen. Wir müssen erklären, warum wir was machen – und warum es lohnt, die Schmerzen auszuhalten, die das mit sich bringt. Diese Übersetzungsleistung ist Führungsaufgabe.
Kühne: Und dazu gibt es Handwerkszeug: Wie schaffe ich dieses Mindset in meinem Team? Wie verbessere ich die Zusammenarbeit? Wie löse ich Konflikte?
Temaismithi: Oder auch: Was mache ich, wenn es unlösbare Konflikte gibt? Nur kuscheln ohne Leistung - das funktioniert nicht. Und diese Konsequenz, also in Kritikgespräche reinzugehen, mit den Menschen zu arbeiten, ihre Stärken zu stärken, ihre Pflichten einzufordern, das ist etwas, was viele von uns komplett neu lernen müssen.

Wir haben vor allem über das gesprochen, was Sie in den drei Jahren bei Edding erreicht haben. Gibt es auch etwas, woran Sie gescheitert sind?
Kühne: Etwas, was wir anders machen würden, ist wahrscheinlich: schneller und konsequenter Entscheidungen treffen. Wir haben sehr lange angeschaut: Wie funktioniert hier was im Unternehmen.
Temaismithi: Meine Meinung ist vielleicht ein bisschen konträr dazu: Man kann nur transformieren, was man kennt. Und das wirklich zu verstehen, dafür muss man sich Zeit nehmen. Auch eine gewisse Demut mitbringen.
Kühne: Am Anfang hat sich der Vorstand regelrecht erschreckt vor dem, was wir gesagt haben. Und wir beide haben gar nicht verstanden, warum die sich erschrecken.

Was waren das für Ansagen?
Kühne: Nichts Dramatisches. Manchmal nur die Wortwahl, die Gedanken, die wir uns gemacht haben. Auch die Offenheit, über Dinge zu sprechen.
Temaismithi: Wir arbeiten gerade an der Restrukturierung der größten zwei Geschäftsbereiche. Schon zu Beginn haben wir gedacht: Warum gibt es da so viele parallele Strukturen? Vor drei Jahren war das etwas, was wir nicht hätten laut sagen dürfen, ohne Angstschweiß auszulösen. Wir wollten nicht immer jedes Wort auf die Goldwaage legen, bis wir verstanden haben: Manchmal muss man das.
Kühne: Manchmal. Nicht immer.
Temaismithi: Bei TLGG war das gelernt, dass wir auch einfach mal einen rausgehauen haben. Alle wussten: Das wird jetzt erstmal zerrissen und diskutiert. Bei Edding dachten alle, das, was ein Vorstand sagt, wird dann auch direkt so gemacht.

Sie haben TLGG gemeinsam gegründet, nun fast drei Jahre im Tandem gearbeitet. Werden Sie sich auf den nächsten Job auch gemeinsam bewerben?
Kühne: Bis zum Jahresende liegt unser voller Fokus auf der Edding Gruppe und den Themen, die es gut voranzutreiben und als CDOs abzuschließen gilt. Was danach kommt, ist heute noch völlig offen. Und wir sind gespannt drauf. Was wir aber jetzt schon wissen, ist: Wir sind ein Perfect Match – als Tandem, als Gründer, als Unternehmer und als Freunde.

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