Ohne Handwerk können wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern
Der Begriff des Handwerks erhält immer dann eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, wenn sich das Menschliche reduziert, die Dinge des Lebens durch Massenproduktion austauschbar werden und ihren ästhetischen Wert verlieren. Das stand schon im Mittelpunkt der Arts-and-Crafts-Bewegung des 19. Jahrhunderts. Heute stellt Industrie 4.0., die Verschmelzung von IT-Technologie und Produktionstechnologie, neue Anforderungen an die bisherige Arbeitswelt. Die Digitalisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und Industrie 4.0 im Besonderen haben zwar das Potenzial, die demografische Entwicklung positiv zu verändern, doch leider stehen Handwerk und Industrie in den sozialen Medien bislang weniger im Fokus, ebenso wenig neue Geschäftsmodelle, die durch die Digitalisierung für KMU, Handwerk und Dienstleistungen entstehen. Dabei ist vieles durchaus wert, berichtet zu werden. Denn die Schönheit der handwerklichen Fertigung und das Glück, das mit dem Herstellungsprozess verbunden ist, werden in der Gesellschaft immer mehr geschätzt. Angeblich stehen handwerkliche Berufe beim Glücks- und Sinn-Empfinden an der Spitze, weil Menschen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen und erkennen, dass sie etwas „bewegt“. Was handwerkliche Momente in der Arbeit eines Architekten bedeuten, „wenn in der Versunkenheit in den Prozess der Übersetzung einer Idee in ein Material sich plötzlich etwas glücklich klären und fügen mag, was im Gedachten des Entwurfes gar nicht vorherzusehen war“, beschreibt Jörn Köppler in seinem Buch „Die Poetik des Bauens“, das er so zusammenfasst: „veritas est adaequatio rei et intellectus“ – Wahrheit ist die Übereinstimmung des erkennenden Verstandes mit der Sache. (Thomas von Aquin).
Vom Handwerk lässt sich lernen, was es bedeutet, sich an eine Sache hinzugeben und dranzubleiben, sich zu fokussieren, schrittweise vorzugehen, etwas hervorzubringen und mit den Konsequenzen des eigenen Tuns konfrontiert zu sein. Ohne den Blick auf das Handwerk und das Bewusstsein über Material und Geschichte werden wir die Probleme der Zukunft nicht lösen und neue technologische Möglichkeiten nicht nachhaltig nutzen können, denn dazu braucht es Können und Meisterschaft, deren Fundament Erfahrungen sind. „Erfahrungswissen ist die Basis, um richtige Entscheidungen treffen zu können“, sagt der Personalexperte und Unternehmer Werner Neumüller. Erfahrung hilft dabei, eine Vielzahl von Fakten oder Eindrücken zu sortieren und im Unterbewusstsein zu filtern, welche dieser Eindrücke für die Entscheidung wichtiger sind und welche nicht. Ein Meister seines Faches beherrscht seiner Meinung nach zwar das Fachliche, er verfügt über Erfahrung, kennt die Fakten und ist mit dem was er tut, erfolgreich. Es gehört allerdings noch mehr dazu: „Er gibt sein Wissen und seine Kompetenz auch weiter, denn nur so gelingt es, auf der Welt wirklich etwas Nachhaltiges zu hinterlassen.“ Was nützt es denn, den eigenen Job besonders gut zu machen? In dem Moment, in dem jemand in Rente geht oder stirbt, hat niemand mehr etwas vom Wissen und der Kompetenz desjenigen, der nicht mehr auf der Welt ist. Es sollte deshalb Ziel sein, Meister seines Faches zu werden und dafür zu sorgen, dass es auch andere werden.
Wir müssen wieder zu einer Kultur des Handwerks mit Reparatur und Kreislauf zurückkehren und mehr Mut zu Selbständigkeit und Verantwortung haben.
Jugendliche müssen ernst genommen werden – es sollte nicht heißen „Ihr schafft das!“, sondern: „Ihr macht das!“
Im Sinne des Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt sollte vermittelt werden, dass man nur ein guter Handwerker sein kann, wenn man auch ein aufgeklärter Mensch und Bürger ist.
In die Lehrpläne gehört eine systematische Berufsorientierung.
Unternehmen sollten darüber nachdenken, wie sie die Attraktivität betrieblicher Lehrberufe sichtbarer machen können.
Interessensvertreter der Handwerker müssen das Image ihrer Branche verbessern.
Handfeste Ausbildungsberufe dürfen nicht ins Hintertreffen geraten.
Handwerk, Technik und Unternehmensorganisation müssen sich dem schnelllebigen Markt und der damit zusammenhängenden neuen Arbeitswelt verbinden.
Das Jobprofil des Handwerkers muss ausgeweitet werden.
2008 veröffentlichte der amerikanische Philosoph Richard Sennett sein Buch „Handwerk“, in dem er schreibt, dass handwerkliches Können zwei emotionale Belohnungen für den Erwerb von Fähigkeiten bereithält: „eine Verankerung in der greifbaren Realität und Stolz auf die eigene Arbeit.“ Er beklagt allerdings, dass sich Akademiker in der Regel zu wenig auf die Welt der Dinge und die Bedeutung der Hände für den Kopf einlassen: Als junger Mann habe er diese Position gegenüber seiner Lehrerin, der Philosophin Hannah Arendt, noch nicht zu vertreten gewusst. Später sei ihm jedoch bewusst geworden, „dass die Menschen durch die von ihnen hergestellten Dinge etwas über sich selbst lernen können“. Leider entscheiden sich viele junge Menschen nicht für einen handwerklichen Beruf: Tausende Lehrstellen sind unbesetzt, weil die meisten an die Hochschulen drängen. „Akademikerschwemme“ bzw. „Akademisierungswahn“ führt dazu, dass viele studieren, um dann festzustellen, dass dies doch nicht das Passende für sie ist. Die Gründe sind in der Regel mangelnde Leistung und der Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass schon in der Schule besser über die Möglichkeiten informiert wird, die diese Berufswahl für sie bringt. Denn den Nachwuchs vor allem für körperlich anstrengende Tätigkeiten im Handwerk zu begeistern, ist schwer. Wer nicht mit dem großen Geld locken kann, muss sich etwas anderes einfallen lassen, das allerdings auch nachhaltiger ist: „Wir sind bestimmt nicht die bestbezahlenden Arbeitgeber in der Region“, sagt Michael Fuhlrott, Personalleiter beim Baudienstleister und Projektentwickler Krieger + Schramm (K+S). Das Hochbauunternehmen hat seinen Hauptsitz in Dingelstädt (Thüringen) und Niederlassungen in Kassel, Frankfurt/Main, München und Berlin. Die kleine thüringischen Gemeinde möchte Schüler:innen aus der Region für das Handwerk begeistern, auch wenn Dingelstädt „keine Supermetropole“ ist. Viele Unternehmen präsentieren ihr Ausbildungsprogramm in Schulen. Bei K+S geht man einen Schritt weiter: So wurde eine „Talent Company“ eingerichtet. In einer Dingelstädter Schule ließ das Unternehmen einen Raum kernsanieren und mit Computern, Beamer, Leinwand, Arbeitsinseln und Lounge-Ecke ausstatten. Dort werden sämtliche Aktivitäten zur Berufsorientierung gebündelt und Gespräche und Veranstaltungen abgehalten, auch mit anderen Unternehmen. Auch der Firmengründer Matthias Krieger möchte jüngere Mitarbeitende zu Eigenständigkeit und Leistung anspornen. Für die unter 30-Jährigen gibt es deshalb die Projektgruppe „Jugend im Unternehmen“.
Auch in seinen Publikationen vermittelt der Unternehmer etwas Grundlegendes: Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, nicht Versteck zu spielen und sich deutlich zu positionieren sowie vor allem sein Wissen zu teilen. Die Themen Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung gelangen häufig nicht in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Das größte Risiko beim Hausbau ist, dass sich der Bauherr überhebt und Luftschlösser baut. Das passiert vor allem dann, wenn das eigene Ego dem Erfolg Nahrung gibt: „Es bläht sich dadurch auch immer mehr auf. Bei Kritik rastet das Ego aus. Erfolg macht einige Menschen eitel. Und die stürzen dann ab, weil sie unter Selbstüberschätzung leiden. Aber als Unternehmer geht es um Verantwortung, nicht um Selbstdarstellerei. Deshalb: Keine falsche Bescheidenheit, aber trotzdem auf dem Boden bleiben.“ Selbstreflexion verhindert, dass man egozentrisch, verblendet und ignorant wird und nur noch einem inneren Stressprogramm folgt. Man muss bereit sein, sich selbst zu hinterfragen, sich zu verändern und sich stetig zu verbessern. Das kann nicht früh genug vermittelt werden.
Handwerkliche Fähigkeiten sind heute genauso wichtig und wertvoll wie digitale Kompetenzen. Leider werden sie vielfach unterschätzt. Matthias Krieger räumt auch mit dem Vorurteil auf, dass Maurer Dummköpfe seien. Leider hält sich das Klischee des etwas tumben Handwerkers auf der Baustelle zuweilen noch immer hartnäckig. Dabei ist der Beruf des Maurers heute so viel mehr als Steine aufeinander zu schichten. Denn dieser Beruf hat sich gewandelt und ist mittlerweile hoch spezialisiert und vielfältig. Und in Zeiten des Fachkräftemangels sind die Berufsaussichten sehr gut. Um außerhalb des Tagesgeschäfts die Bindung zu seinen Handwerkern zu erhöhen, veranstaltet die Unternehmensgruppe pro Projekt ein gemeinschaftliches Zusammentreffen außerhalb der Baustelle.
K+S hat sich erfolgreich auf dem Gebiet der Wohngesundheit etabliert und gilt hierbei in Deutschland als ein führendes Unternehmen im Geschosswohnungsbau. Es braucht allerdings viele Schritte, damit Immobilien tatsächlich wohngesund sind. Um den Bauherren einen besonderen Vorteil für die Gesundheit in den eigenen vier Wänden zu bieten, hat K+S mit einem eigenen Fachbereich und externen Spezialisten Lösungen entwickelt. Architekten, Mitarbeitende und Handwerkerteams werden nach dem Konzept für wohngesundes Bauen des Sentinel Haus Institutes geschult (zertifizierte Fachhandwerker) und laufend über aktuelle Konzepte, Innovationen und besonders schadstoffarme Baumaterialien informiert. Das Sentinel Haus Institut hat deshalb ein Bewertungskonzept (Zirkularitäts-Check) für alle Phasen (Neubau, Modernisierung und Betrieb) und alle Schichten des Gebäudes (Tragwerk, Gebäudehülle, Innenausbau, TGA, etc.) entwickelt. Zudem stehen Planungs- und Handwerkerleitfäden für alle Leistungsphasen zur Verfügung.
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„Als Unternehmer geht es um Verantwortung, nicht um Selbstdarstellerei“: Interview mit Matthias Krieger
Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin. 2. Auflage 2021.
Jörn Köppler: Die Poetik des Bauens. Betrachtungen und Entwürfe. Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
Matthias Krieger: Praxiswissen Eigentumswohnung: Was Sie vor dem Kauf einer Neubauwohnung wissen sollten. Business Village Verlag, Göttingen 2020.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.