Ökonomie des Lebens: Nachhaltig wirtschaften mit Herz und Verstand
Der Begriff selbst kommt aus der Forstwirtschaft und wurde 1713 erstmals von Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz verwendet. Er beinhaltet die Maxime, dass nur so viel Holz pro Periode geschlagen werden darf, wie auch nachwachsen wird. Für Carlowitz hatte Nachhaltigkeit mit einer „Kultur des Machens“ und mit einer „Kultur des Lassens“ zu tun: des Wachsenlassens, des Schonens, des Sicheinlassens auf die Zyklen und Rhythmen der Natur.
Dieses regenerative Denken steht auch im Fokus des Buches „Wirtschaften mit Herz und Verstand“ von Johannes Liess, das Wege zu einer lebensfördernden Ökonomie zeigt. Er möchte es als „Vorschlag“ verstanden wissen: Es geht darum, das Kostbarste, das wir haben (unser Leben), ins Zentrum des Wirtschaftens zu stellen. Gemeinschaft (Soziales), Geldwirtschaft (Ökonomie) und Natur (Ökologie) sind für ihn heute das tragende Fundament einer nachhaltigen Gesellschaft, die sich im Komplexitätszeitalter ständig im Erhalten und im Haushalten üben muss, um Ressourcen und Werte auch für künftige Generationen zu bewahren.
Allerdings wird die Zeit für nachhaltige Veränderungen immer knapper – dennoch hat jeder Einzelne von uns die Möglichkeit, etwas dazu beizutragen, das Leben um einiges besser zu machen, indem er bewusste und lebensfördernde Entscheidungen trifft und in aktuellen Problemen nicht versinkt.
Sehnsucht hat ihre Heimat nicht im Kopf, wir müssen unsere Herzen weit öffnen.“ Voraussetzung ist aber auch, das Leben zu lieben, denn nur dann können wir uns auch danach sehnen. „Wir müssen uns auf allen Ebenen, mit Kopf, Herz und Hand mit der Welt verbinden, wieder in Kontakt, in Resonanz mit uns und der Natur kommen und mit allen Sinnen leben, dann könnte es gelingen, und dann könnten wir auch die Welt retten.“
Doch was bedeutet das für unsere Wirtschaft? Sie muss sich wieder auf die Grundbedürfnisse unseres Lebens ausrichten, und wir müssen wieder lernen, mit der Natur im Einklang zu leben - auf der Grundlage der Erkenntnis, dass auch wir ein Teil von ihr sind. Wichtig für die Vermittlung dieses Themas sind „handhabbare" Ansätze, in denen auch der Begriff des Könnens eine wichtige Rolle spielt, denn es geht vor allem darum, „Handwerker“ seines eigenen Lebens zu werden und selbst „ans Werk" zu gehen.
In einer Könnensgesellschaft, ohne die Komplexität nicht gemeistert werden kann, geht es vor allem darum, das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen, um das Ganze wieder aus dem Einzelnen zu erklären - und dass wir Hand, Herz und Hirn gleichermaßen brauchen, um die Herausforderungen und Krisen zu bewältigen und die Dinge selbstbestimmt in die Hand nehmen.
In einer Komplexitätsgesellschaft mit ihren nichtlinearen Systemen ist nicht alles prognostizierbar und steuerbar, auch Risiken lassen sich nicht einfach wegoptimieren in einer Zeit, in der der Umgang mit systematischen Unbestimmtheiten und Unsicherheiten stetig zunimmt. Lösungen für Mega-Krisen wie Klimawandel, Ressourcenverknappung, demografischer Wandel, die Folgen der Globalisierung, Digitalisierung und das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit erfordern das Können jedes Einzelnen, aber auch eine kollektive Anstrengung des Denkens und eine veränderte Kommunikation, die Genauigkeit und Seele verbindet.
Der Titel „Herz und Verstand“ erinnert daran. Letztlich ist es nicht entscheidend, in kleinen oder großen Dimensionen zu handeln, sondern überhaupt etwas zu tun, um einen positiven Beitrag nicht nur für die jetzige, sondern auch für zukünftige Generationen zu leisten. „Worum es geht, ist mehr Einbindung aller Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen bei gleichzeitiger Übernahme gemeinschaftlicher und individueller Verantwortung“, sagt Johannes Liess. Alle Krisen unserer Zeit können seiner Meinung nach auf eine dieser drei Ebenen zurückgeführt werden:
NATUR-Krisen: Umweltverschmutzung, Klimaveränderung, Artensterben, Ressourcenverbrauch, CO2-Ausstoß, Flächenversiegelung.
STRUKTUR-Krisen: Demokratieversagen, Ungleichheit, Hunger, Kriege, Diskriminierung, Arbeitslosigkeit.
KULTUR-Krisen: Bildungskrise, Kirchenkrise, Kulturkrise, Propaganda, Fake News, Zensur.
Um diese Krisen zu lösen, plädiert der Ökonom für eine umfassende Lösung: den Übergang von einer kapitalzentrierten und destruktiven Wirtschaft hin zu einer Ökonomie des Lebens, die die Förderung und Pflege des Lebens in den Mittelpunkt als Leitlinie unseres Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens stellt.
Grundpfeiler der Ökonomie des Lebens:
Förderung des Lebens
Einhegung des Kapitals
Demokratisierung der Ökonomie
Verbundenheit.
Die Idee ist, nicht das Kapital, sondern das Lebendige zu maximieren (die Ablösung der Ökonomie des Kapitals durch eine Ökonomie des Lebens). „Der Kapitalismus wird so transformiert, dass seine starken Kräfte nicht mehr zerstörerisch, sondern lebensfördernd wirken.“ Menschliches Leben als Teil der Biosphäre kann seiner Meinung nach nur im Zusammenhang mit ihr geschützt und gefördert werden. Eine Kernfrage in diesem Kontext lautet: Was macht ein gutes Leben aus? Und was brauchen wir dafür? Liess verweist zunächst auf die Bedürfnispyramide in Anlehnung an Abraham Maslow, der die menschlichen Bedürfnisse in Abhängigkeit ihrer Dringlichkeit in fünf Stufen eingeteilt hat:
Stufe: die physischen Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen
Stufe: Sicherheit (körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Diebstahl)
Stufe: Zugehörigkeit (Liebe, Zuneigung und soziale Bindungen)
Stufe: Wertschätzung und Anerkennung (alles, was Status, Macht, Arbeit und Geld betrifft)
Stufe: Selbstverwirklichung der individuellen Persönlichkeit.
Allerdings hat Maslow weder den Begriff der Pyramide noch die grafische Darstellung einer Pyramide verwendet. Die dadurch entstehende Hierarchisierung empfindet Liess zurecht als „unglücklich“, denn es handelt sich um unterschiedliche Kategorien, deren Wertung zueinander nur individuell erfolgen kann. Eine Weiterentwicklung der Bedürfnistheorie nach Maslow ist das ERGKonzept von Clayton Alderfer, der die fünf Ebenen der Bedürfnispyramide zu drei Bereichen zusammenfasst:
Existence: Grundbedürfnisse wie Ernährung, Kleidung und Sicherheit
Relatedness: umfasst die Stufen drei und vier der Bedürfnispyramide (zwischenmenschliche Bereiche der Beziehungen)
Growth: Bereich des individuellen Wachstums wie Entfaltung, Kreativität, Lebenssinn und Selbstwertgefühl.
In Anlehnung an diese beiden bedürfnistheoretischen Konzepte unterteilt Johannes Liess die menschlichen Bedürfnisse in die drei vorgestellten Bereiche NATUR, STRUKTUR und KULTUR. In einer auf Nachhaltigkeit basierenden Kultur ist ein Vorbild mehr als nur eine realisierte ethische Leitvorstellung. „Ein glaubwürdiges Vorbild zu sein bedeutet, Versprechen und Erwartungshaltungen einzulösen“, sagt der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller. Glaubwürdigkeit entsteht für ihn durch die Einheit von Denken, Reden und Handeln – zugleich die Basis von Vertrauen. Wahrheit ist notwendig, damit Unternehmen sicher gehen können, dass ihre Werte auch wirklich umgesetzt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie lediglich ein Feigenblatt sind und negativ auf das Unternehmen zurückwirken. Verlässlichkeit sowie Treue sich selbst und anderen gegenüber ist eine kleine Münze des Versprechens. Ihr stabiler Kurswert sollte gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten nicht unterschätzt werden. Auch Werner Neumüller engagiert sich mit seiner Unternehmensgruppe für ein besseres Business und eine bessere Welt, die er im Buch „Visionäre von heute – Gestalter von morgen“ zusammengetragen hat. Auch er möchte Denkanstöße liefern, indem er das eigene Wirken auch in Beziehung setzt zu anderen Menschen, die ihre Unternehmen in nachhaltiger Weise mit ihrer Persönlichkeit geprägt haben.
Ihm ist dabei wichtig, am Boden bleiben und sich nicht vom Erfolgs korrumpieren zu lasse. „Denn wer in erfolgreichen Zeiten in Arroganz verfällt, der ist in der Not verlassen.“ Die meisten seiner Babyboomer-Generation haben in Konzernen oder Großorganisationen Karriere gemacht. Es gab es kaum Möglichkeiten, in den auf Hierarchien und Herrschaftswissen basierenden Kulturen als individueller Tatmensch zu überleben. Zum großen Teil ist diese Generation mit Hierarchien und kontrollierten Abläufen aufgewachsen. Doch Neumüller wollte über sich und seine Arbeit selbst bestimmen. Ich brauchte sich die Frage, was ich „wirklich wirklich“ will, gar nicht stellen – er wusste es schon lange: „Ich war allein für mich und meinen Weg verantwortlich und machte sich vor über 20 Jahren mit seiner Frau Regina 2003 in Nürnberg selbstständig. Kerngeschäft ist die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld und bezüglich Ingenieurqualifikationen.
Kopf und Bauch, Logik und Irrationales gehören für Werner Neumüller genauso wie für Johannes Liess zusammen. Erst diese Verbindung sorgt dafür, unsere Urteilsfähigkeit zu schärfen, um heute klare Entscheidungen treffen zu können: „Ist der Verstand eingeschaltet, zeigt sich, ob die vom Bauch ausgesendeten Signale gut und richtig sind“, so Neumüller. Er sieht sich nicht nur als Pragmatiker und Realist, sondern auch als Visionär. Was diesen von anderen Menschen unterscheidet, ist das ständige Hinterfragen, wie das Leben und die Welt verbessert werden können. Visionäre sehen Dinge, die andere nicht sehen. Dieses Thema nimmt auch einen wichtigen Stellenwert im Buch von Johannes Liess ein, der kritisiert, dass es den meisten Menschen an einer Vision „einer wunderbaren, lebensfrohen Zukunft“ fehlt, die sie sich vorstellen und nach der sie sich sehnen können.“
Johannes Liess: Wirtschaften mit Herz und Verstand. Auf dem Weg zu einer lebensfördernden Ökonomie. Oekom Verlag, München 2024.
Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Werner Neumüller: Gutes Klima: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.
Werner Neumüller: Ehrlich weiter: Auf der Suche nach den Menschen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 145-158.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2018.