OKR: Das Management-Framework Schritt für Schritt erklärt
Immer mehr Unternehmen versuchen mit Objectives & Key Results ihre Vorhaben schneller und effektiver umzusetzen. Doch so schön und einfach die Methode ist: In der Anwendung lauern einige Fallstricke. Eine Anleitung.
Von Matthias Kolbusa
In der Wirtschaft wie im Leben gilt: Je unübersichtlicher die Lage, desto größer das Bedürfnis nach Orientierung. Kein Wunder, dass man Wolfgang Neubauer, Geschäftsführer von ProSiebenSat.1 Tech Solutions, immer wieder mit seinem Team vor einer elektronischen Metaplanwand findet. Auf ihr stehen in großen Lettern unzählige Ziele der Geschäftseinheit, die mit all ihren Verflechtungen auf den ersten Blick wie ein großes Spaghettiknäuel aussehen. Die IT- und Technikeinheit von ProSiebenSat.1, die Neubauer leitet, soll das Medienunternehmen ins digitale Zeitalter führen.
Um diese Mammutaufgabe zu meistern, haben sich Neubauer und seine Mannschaft für die Managementmethode Objectives & Key Results (OKR) entschieden. Dieses Werkzeug, dessen Wurzeln bis zum Managementvordenker Peter Drucker zurückreichen, erlaubt ein hohes Maß an Ziel- und Ergebnisfokussierung. Ein weiterer Pluspunkt: Der Weg dorthin ist relativ frei und flexibel.
Das Wort Objectives steht dabei für einen Zielzustand, der in maximal sechs Monaten erreicht werden sollte. Die Key Results sind die messbaren Etappengrößen, die auf dem Weg dorthin kontinuierlich wachsen und den Fortschritt zeigen. Wie das Ziel erreicht wird, bleibt dem OKR-Team überlassen. Das Entscheidende ist allerdings der monatliche Fortschritt.
Dinge wie Meilensteine und regelmäßige Reportings aus dem klassischen Projektmanagement sucht man bei der OKR-Methode vergebens. Die Mitglieder der OKR-Teams überprüfen sich stattdessen auf Basis von drei Fragen:
Glaubt ihr das Objective zu erreichen?
Machen alle Key Results Fortschritte?
Wo habt ihr Entscheidungs- oder Unterstützungsbedarf? (siehe auch unten).
OKRs zwingen zu Klarheit und Disziplin, ermöglichen gerade dadurch aber auch mehr Eigenverantwortung und Freiheit. Die Zielorientierung zahlt sich aus, Produktivität und Umsetzungsgeschwindigkeit sind hoch. Doch die Methode birgt auch ihre Fallstricke. In meiner Praxis als Berater für Umsetzungsmanagement habe ich vier zentrale Herausforderungen identifiziert:
Die Einführung von OKRs kann unterschiedlich ablaufen. Thyssenkrupp Steel stellte etwa mit einem „All in“-Ansatz alle Unternehmensbereiche von heute auf morgen komplett auf die neue OKR-Methode um: Jede Initiative und jeder Bereich der Stahlsparte musste seine Ziele für die kommenden drei bis fünf Jahre festschreiben und sie anschließend konsequent mit OKRs in Halbjahressprints verfolgen (siehe dazu „Wie Thyssenkrupp seine Stahlsparte umbaut“, Harvard Business manager, Dezember 2021).
Gänzlich anders ging der Energiedienstleister Techem vor: Das Eschborner Unternehmen konzentrierte sich mit einer Art OKR-Sneak-in zunächst nur auf vier Initiativen rund um die Digitalisierung der Heizkostenabrechnung. Erst danach übertrug es die Methode auf alle weiteren Unternehmensinitiativen.
Die Frage, wie der beste OKR-Einstieg aussieht, kann jedes Unternehmen nur für sich selbst beantworten. Gewiss: Wer auf „all-in“ setzt, wird schnell Ergebnisse sehen. Die Radikalkur kann zudem dabei helfen, Silos aufzubrechen und eine vernetzte, themenzentrierte Zusammenarbeit voranzutreiben. Der schnelle Fortschritt hat aber auch seinen Preis: Ohne einen nachhaltigen Wandel in Führung und Management – von den obersten Etagen bis hin zum Projektleiter – sowie intensive Unterstützung aller Beteiligten geht es nicht.
Der schnelle Fortschritt hat einen Preis – ohne nachhaltigen Wandel in Führung und Management geht es nicht.
Wer will, dass alle Verantwortlichen mitziehen und sich im Sinne der OKR-Prinzipien verhalten, muss für ein kompetentes Supportteam sorgen. Im Schnitt brauchen zwei Themenfelder mindestens einen Supporter (auch OKR-Champion genannt, siehe Glossar unten). Wenn Sie in Ihrem Unternehmen also zehn Initiativen – darunter etwa Digitalisierung, eine Vertriebsoffensive und ein Nachhaltigkeitsprogramm – über OKRs zum Ziel führen wollen, sollten Sie mindestens fünf Mitarbeitende dafür freistellen, den Prozess und alle Beteiligten zu unterstützen.
Bei einem OKR-Sneak-in müssen Sie sich entscheiden, mit welchen Themen Sie starten wollen. Es ist ratsam, mit mindestens zwei Themenfeldern zu beginnen, da es beim Lernen der Methode auch darum geht, das Managen von OKR-Abhängigkeiten zu trainieren – sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf die Ressourcen. Oft können Sie ein Etappenziel erst anstreben, wenn Sie ein anderes erreicht haben. Nur dann ist eine effektive Priorisierung möglich. Auf dem Papier mag es wie ein Spaghettiknäuel aussehen, doch wer genau schaut, erkennt schnell, welche Key Results oder Objectives auf dem Weg zum nächsten Drei- oder Sechs-Monats-OKR-Sprint erreicht werden müssen.
Wer lieber Schritt für Schritt in die neue Welt einsteigt, sollte nicht den Fehler machen, nur mit eher nebensächlichen Zielen zu starten. Suchen Sie besser gleich ein Thema, das für Ihr Unternehmen wichtig ist. Dann werden auch die Erfolge bei den Ergebniseffekten und der Umsetzungsgeschwindigkeit spürbar.
Für den Einsatz von OKRs ist ein Wandel des Mindsets nötig. Sowohl die Definition der Objectives und der Key Results als auch die Arbeit in den OKR-Teams und deren Steuerung unterscheiden sich vom klassischen Projektmanagement. Es gibt keine Projektziele, sondern einen präzise beschriebenen Zielzustand, auf den sich das Team geeinigt hat. Die Frage nach dem „Wozu“ ist immer präsent: Wachsen alle Key Results? Falls nicht: Wo muss unterstützt oder angepasst werden? Jede Etappe muss auf das Erreichen des Objectives einzahlen.
Ein OKR sollte spätestens nach sechs Monaten mindestens ein Outcome erreicht haben. Der Anspruch ist hoch, aber es ist auch der entscheidende Erfolgsfaktor in der Methode.
Um den Zielzustand niemals aus den Augen zu verlieren, sind regelmäßige Treffen zum OKR-Crafting, Fortschrittsmanagement und Retros hilfreich. Stellen Sie dabei inhaltliche Fragen: „Was wird genau anders sein, wenn unser gemeinsames Projekt ein Erfolg wird?“ Bitten Sie Ihre Mitarbeitenden, sich den Zielzustand inklusive der Zahlen, Daten und Fakten vorzustellen. Gute Objectives sind Minizeitreisen, die den künftigen Zielzustand beschreiben. Erst danach geht es um die Frage, was passieren muss, damit der gemeinsame Traum Wirklichkeit wird.
Key Results sind dazu da, den Fortschritt messbar zu machen. Hier lautet die passende Frage: Woran kann festgemacht werden, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet? Vorsicht! Key Results sind keine To-dos, kein Input, sie zeigen den Fortschritt auf dem Weg zum Zielzustand an, der Weg ist nicht vorgegeben.
Gut formulierte und durchaus ehrgeizige Key Results sind der Schlüssel zu einem erfolgreichen OKR-Management. Es mag mühsam sein, alle Etappenziele zu identifizieren, doch die Arbeit zahlt sich aus: Sorgen Sie für regelmäßige Treffen, in denen Sie den Fortschritt gemeinsam reflektieren. Als Faustformel gilt: ein monatliches Fortschrittsmeeting mit allen OKR-Ownern, das auch in Gruppen aufgeteilt sein kann, um den Gesamtfortschritt zu reflektieren und zu steuern. Ferner empfehlen sich ein- bis zweiwöchentliche OKR-Meetings, in denen sich die einzelnen OKR-Teams gemeinsam abstimmen.
Kennzahlen, die den Erfolg, die Leistung oder Auslastung eines Betriebs messen, gab es auch schon vor der OKR-Methode. KPIs sind meist auf Finanzkennzahlen oder andere unternehmensrelevante Größen beschränkt und machen das Setzen und Erreichen der Ziele mess- und nachverfolgbar (wie beispielsweise bei Thyssenkrupp die Liefertreue oder bei der Deutschen Bahn die Pünktlichkeit). OKRs hingegen sind das Mittel zur Zielerreichung. KPIs und OKRs gehen demnach Hand in Hand, das eine ersetzt nicht das andere.
Ein Beispiel: Der Energiedienstleister Techem steigerte mit OKRs schnell und erfolgreich die Kundenzufriedenheit und Ebitmarge je Kunde – klassische KPIs. Das Unternehmen hatte sich gefragt, was genau in drei Jahren anders sein würde, womit dann diese KPI-Ziele erreicht werden würden. Dieser Zielzustand bestand aus insgesamt 35 kleineren Einzelzielzuständen, sogenannten Meta-OKRs, die in den nächsten drei Jahren erreicht werden sollten. Sie lauteten beispielsweise: „Durch ein neues Service-Partner-Modell haben wir die Sofortlösungsquote von Kundenanliegen verdreifacht“ oder „Die User-Experience im Kundenportal ist so, dass unsere Kunden nachweislich ein ‚Gesucht-gefunden‘- und kein ‚Gesucht-verzweifelt‘-Erlebnis mehr haben“. Ausgehend von diesen Meta-OKRs wurden dann Stück für Stück die Sechs-Monats-OKRs festgelegt.
KPIs sind Indikatoren, die dazu dienen, Ziele zu setzen und die Performance zu messen. Sie messen Resultate in Form von Impacts. Key Results dienen dazu, den monatlichen Fortschritt bezogen auf einen Zielzustand zu bewerten. Wer sich diesen Perspektivwechsel nicht klarmacht, landet schnell in einer Falle wie etwa dem OKR-Dickicht oder in der OKR-Kakofonie (siehe unten).
Wenn Sie mit OKRs erfolgreich sein wollen, muss klar sein: Solange nichts Neues kommt, gilt das Alte. Erst wenn die KPI- und Zielbild-Landschaften stehen (was in aller Regel zwei bis drei Monate braucht), kann man das vorhandene Projektportfolio neben die neue Struktur legen und anhand folgender Kategorien sortieren:
1. Kategorie: Lässt sich das laufende Projekt einem der definierten Teilzielzustände zuordnen? Falls ja: Sind schon mehr als 50 Prozent erledigt? Dann einfach zu Ende bringen! Wenn nein: in OKRs ummünzen.
2. Kategorie: Wenn ein bestehendes Projekt zugleich auf mehrere Teilziele einzahlt, ist Vorsicht angesagt: Vermutlich haben Sie es mit einem dieser typischen monströsen Langläuferprojekte zu tun, die Jahre brauchen, bis sie einen Nutzen liefern. Brechen Sie das Projekt konsequent in Einzel-OKRs auf, die auf Ihre Ziele einzahlen.
3. Kategorie: Wenn ein Projekt keinem Zielzustand dient und keinen klaren KPI-Bezug hat, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass man es beerdigen sollte.
Dienen Projekte keinem Zielzustand oder haben keinen klaren KPI-Bezug, können Sie diese getrost beerdigen.
Fazit
Managementvordenker Peter Drucker hielt bereits 1964 in seinem Buch „Managing for Results“ fest, dass Projekte vom Ergebnis her aufgezogen werden wollen anstatt über Maßnahmen. So klug die Erkenntnis dieses Vordenkers auch war, so wenig wurde sie lange umgesetzt. Doch seit John Doerr OKR bei Google eingeführt hat, haben sich immer mehr Unternehmen an die Methode herangewagt – mit großem Erfolg. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie ist extrem ergebniszentriert und ihr Einsatz steigert Produktivität und Umsetzungsgeschwindigkeit. Und das unabhängig davon, ob ein Unternehmen die Einführung von OKRs in allen Bereichen plant oder die Methode lediglich für ein größeres Programm oder eine Transformation einsetzen will. Unternehmen, die OKRs leben, können sich schneller an eine sich immer wieder spontan ändernde Umwelt anpassen als klassisch geführte Wettbewerber. © HBm 2023
Prinzip 1: FokusEin OKR-Prozess ist extrem ergebnisorientiert. Um diese Ergebnismaxime zu leben und OKRs erfolgreich anzuwenden, muss man konsequent zwischen den Begriffen Impact, Outcome, Output und Input unterscheiden:
Impact ist ein unternehmerischer Endeffekt, beispielsweise mehr Umsatz, reduzierte Kosten, ein höherer Marktanteil oder ein zufriedenerer Kunde.
Outcome ist die Stufe vor dem Impact: ein erster spürbarer Erfolg, zum Beispiel vertriebliches Kundeninteresse, realisierte Prozesspotenziale oder ein positives Produktfeedback.
Output sind die unmittelbaren Ergebnisse unseres Tuns (des Inputs), wie etwa ein Vermarktungskonzept, eine IT-Architektur oder ein Webdesign.
Input sind Tätigkeiten, beispielsweise Prozessworkshops oder Vertriebstrainings.
Dabei gilt die „goldene Fortschrittsregel Nr. 1“: Jedes Objective hat einen Impact oder Outcome. Das sorgt für schnelle, unternehmerisch relevante Effekte, sodass ein Unternehmen beispielsweise nach sechs Monaten nicht nur ein Vermarktungskonzept in den Händen hält, sondern bereits erste Kundeneffekte spürt.
Prinzip 2: Fortschritt
In einem OKR-Prozess geht es immer darum, was erreicht wurde: Jedes Key Result muss jeden Monat wachsen. Egal, wie wenig oder wie viel, Hauptsache, es geht voran. Diese „goldene Fortschrittsregel Nr. 2“ sorgt dafür, dass Sie während eines Sechs-Monats-OKRs nicht in die Arbeitsweise klassischer Projektarbeit abrutschen, in der eins nach dem anderen abgearbeitet wird.
Themen-/Initiativen-Owner: Verantwortet ein längerfristiges Thema, wie beispielsweise die Digitalisierung, eine Wachstumsinitiative oder „Operations 2.0“, das über Meta-OKRs im Zielzustand beschrieben ist.
Meta-OKR: Beschreibt in zwei bis drei Sätzen einen Zielzustand in ferner Zukunft (zwei bis zehn Jahre). Es besteht immer aus einem Outcome (Was ist zukünftig anders?) und einem Impact (mit welchem Nutzen?).
Impact: Ein unternehmerischer Endeffekt, etwa gesunkene Kosten, gestiegener Umsatz, höhere Kundenzufriedenheit.
Outcome: Ein dem Impact unmittelbar vorgelagerter Effekt: zum Beispiel realisierte Prozesspotenziale, reduzierte Wartezeiten, interessierte Kunden. Wichtig: Es ist bereits ein unternehmerischer Effekt, aber eben noch kein Impact!
Output: Das direkte Ergebnis unserer Tätigkeiten (Input): zum Beispiel ein Marketingkonzept, das Webdesign, kompetenteres Servicepersonal, identifizierte Prozesspotenziale.
Input: Tätigkeiten, die unternommen werden und zum Output führen. Beispielsweise Vertriebstrainings, Kundeninterviews, Kodierung, Marktanalyse.
OKR: Besteht aus einem Objective, also einem Zielzustand, der in maximal sechs Monaten erreicht werden soll, mit mindestens einem Outcome und zwei bis fünf Key Results.
OKR-Draft: Ein Objective-Entwurf aus Managementperspektive mit Stichpunkten, die eine grobe Richtung des Zielzustands für das OKR andeuten.
OKR-Crafting: Die Ausarbeitung eines OKRs auf Basis eines OKR-Drafts, mit allem, was dazugehört: Objective, Key Results, Key Actions – sodass OKR-Owner und OKR-Team voll hinter dem Zielzustand (Objective) stehen.
OKR-Owner: Ist verantwortlich für das Erreichen des Zielzustands, führt das OKR-Team und sorgt für kontinuierlichen Fortschritt bei den Key Results.
OKR-Team-Member: Ist Teil eines OKR-Teams, das in der Regel aus fünf bis neun Personen besteht. Das Team strebt gemeinsam den Zielzustand an, indem es regelmäßig die nächsten Schritte abstimmt, um die Key Results voranzubringen.
OKR-(bi-)weekly: Das regelmäßige (alle ein bis zwei Wochen stattfindende) operative Meeting eines jeden OKR-Teams, um den Fortschritt anhand der Key Results (Output/Outcome) zu bewerten und die nächsten Schritte mit Blick auf die folgenden zwei bis sechs Wochen abzustimmen.
OKR-Sprint: Ein Drei- oder Sechs-Monats-Sprint, auf den alle OKRs ausgerichtet werden. Inhaltliche Abhängigkeiten sowie Ressourcenabhängigkeiten beachten, um den nächsten OKR-Sprint zurechtzulegen.
OKR-Champion: OKR-erfahrener, interner Mitarbeiter, der im Rahmen einer Initiative dem Themen-/Initiativen-Owner zur Seite steht. Er hilft sowohl inhaltlich als auch methodisch den OKR-Ownern und OKR-Teams, die OKRs aufzusetzen und zu managen.
OKR-Supporter/-Coach: Interner oder externer Mitarbeiter, der aus einer Governance-/Steuerungsrolle heraus den OKR-Prozess für ein bis drei Initiativen verantwortet.
OKR-Retro/-Review: Treffen sämtlicher Themen-/Initiativen- und OKR-Owner alle drei oder sechs Monate (je nach OKR-Sprint-Gestaltung). Die Teilnehmer reflektieren dabei, wie gut die OKR-Arbeit methodisch gelaufen ist und was sie im nächsten OKR-Sprint besser machen können. Vor allem stimmen sie die OKRs für den nächsten OKR-Sprint ab.
Falle 1: OKR-Dickicht
Problem: Nach ersten erfolgreichen OKR-Gehversuchen geraten Unternehmen schnell in einen Rausch: Es werden mehr und mehr OKRs. Schnell sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, und Sie haben einen Wust an OKRs vor sich.
Lösung: Ziehen Sie zwischen der Ebene des „Wozu“, den KPIs, und den Einzel-OKRs eine „Was“-Ebene mit den längerfristig zu erreichenden Zielzuständen ein, den sogenannten Meta-OKRs.
Falle 2: Aktivitätsfixierung
Problem: Menschen fokussieren sich von Natur aus eher auf Aktivitäten und reden lieber darüber, was erledigt wurde und was als Nächstes zu tun ist. Diese Fixierung auf Aktivitäten ist typisch für das herkömmliche Management. Stattdessen in Zielzuständen (Objectives) und Fortschrittskriterien (Key Results) zu denken ist ein vollkommen neues Mindset.
Lösung: Alle OKR-Status-Meetings laufen nach dem No-how-Motto ab. Das heißt: Fragen Sie nie nach dem „Wie“, sondern fokussieren Sie sich auf Objectives, Fortschritte und Bedingungen. Starten Sie beispielsweise in den OKR-Team-Meetings immer mit den bereits erreichten Key Results, und sprechen Sie erst danach über Maßnahmen, die für die nächsten vier bis acht Wochen geplant sind – um ein nächstes Etappenziel zu erreichen.
Falle 3: OKR-Fake
Problem: Werden die OKR-Teams anfänglich nicht durch eine kluge Supporter- oder OKR-Champion-Struktur unterstützt, kommt es schnell zu einer bloßen Umbenennung – im Grunde wird genau dasselbe gemacht wie vorher, nur dass das Projektziel jetzt Objective und die Meilensteine Key Results heißen (ich nenne das manchmal „Management im Agilitätspelz“). Dadurch entsteht ein weiteres Methoden- und Administrationsmonster ohne irgendeinen Nutzen.
Lösung: Die OKR-Teams müssen verstehen, dass ein Objective nicht die Synthese dessen ist, was man meint, tun zu müssen, sondern die Genese dessen, was getan werden muss. Setzen Sie eine OKR-Supporter-Struktur auf, die Ihren Mitarbeitenden hilft, immer vom Zielzustand her zu denken, zu diskutieren und zu handeln.
Falle 4: OKR-Kakofonie
Problem: Alle arbeiten mit OKRs, aber jede Abteilung auf eine andere Art und Weise, und es gibt keine bereichsübergreifende Zusammenarbeit (obwohl gerade zwischen den Silos die größten Potenziale für die Umsetzung schlummern). Werden die OKRs nicht mithilfe übergreifender Zielbilder (Meta-OKRs) und Roadmaps orchestriert, bleibt viel Potenzial ungenutzt.
Lösung: Schaffen Sie ein und denselben OKR-Rhythmus für alle im Unternehmen. Häufig sind OKR-Laufzeiten von sechs Monaten eine gute Idee. Wenn Ihr Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, können Sie im Dezember und im Juni jeweils bereichsübergreifend die Erfolge der aktuellen Sprints feiern sowie Prioritäten und OKRs für die nächsten Sprints abstimmen.
Falle 5: Tool-Verführung
Problem: Die Arbeit mit OKRs ist im Grunde genommen eine Haltungsfrage: Denken und arbeiten wir konsequent vom Ergebnis her und konzentrieren uns in unseren Diskussionen genau auf diese Aspekte? Oder fallen wir in alte Muster zurück und fragen lieber nach dem genauen Plan für die kommenden Wochen oder Monate und wollen wissen, wer was wann als Nächstes erledigt?
Lösung: Es gibt gute OKR-Tools auf dem Markt, zum Beispiel Ally.io, Cascade, Leapsome, ProgressMaker oder Workboard. Erstellen Sie Ihre OKR-Strukturen (wie Zielzustände) und OKRs zunächst jedoch besser ohne Tools: Erst so verstehen Sie die Struktur und die Denkweise dieser Methode.
Falle 6: OKR-Aushöhlung
Problem: Der ärgste Gegner von OKRs sind Blender. Kein Wunder: Wegen des No-how-Prinzips und der zwei goldenen Fortschrittsregeln kann eine nicht vorhandene Performance in den OKR-Meetings nicht mehr mit guten Power-Point-Folien oder geschickter Rhetorik kaschiert werden. Nicht selten werden OKRs deshalb auf Vorstands- und Mitarbeiterebene schneller verstanden und umgesetzt als auf der Sandwich-Ebene (mittleres Management).
Lösung: OKRs sind das alleinige Steuerungsinstrument – auch in allen Topmanagementmeetings – und werden konsequent und ausnahmslos eingesetzt. Achten Sie darauf, bei der Formulierung der OKRs alle Mitarbeitenden einzubeziehen, um Ziele nicht top-down, sondern auch bottom-up zu setzen. Und behalten Sie einen langen Atem: Üblicherweise dauert es rund 18 Monate, bis alle Beteiligten merken, wie produktiv dieser Ansatz auch für sie selbst ist.
Kompakt
Das Problem Die Managementmethode Objectives & Key Results (OKR) gewinnt an Beliebtheit in Unternehmen. Im Vergleich zum klassischen Projektmanagement erlauben OKRs ein hohes Maß an Ziel- und Ergebnisfokussierung. Projekte werden vom Ergebnis her aufgezogen und nicht etwa klassisch über Maßnahmen. Allerdings müssen Unternehmen beim Einsatz dieser Methode einige Herausforderungen meistern und Fallen umgehen, wenn sie in den Genuss der Vorteile (höhere Produktivität und schnellere Umsetzung von Projekten) kommen wollen.
Die Lösung Sie müssen den richtigen Einstieg in die Methode finden. Wollen Sie alle Unternehmensbereiche komplett auf OKRs umstellen oder nur einige wenige Initiativen? Sie sollten ebenfalls bedenken, dass Sie ein anderes Mindset brauchen. Die Herangehensweise unterscheidet sich stark vom klassischen Projektmanagement. Denken Sie ferner Ihre Key Performance Indicators und die OKRs zusammen. Das eine ersetzt nicht das andere. Und schließlich sollten Sie das bestehende Projektportfolio in Bezug auf die OKRs auf Herz und Nieren prüfen und gegebenenfalls Projekte auch beerdigen.
Autor
Matthias Kolbusaist Strategie- und Veränderungsexperte, Managementbuchautor und Vortragsredner. Als Berater unterstützt er Konzerne und führende Mittelständler in Sachen Umsetzungsmanagement von Strategien und Transformationen. Sein aktuelles Buch ist „Management Beyond Ego“ (Ariston 2020).
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Juni-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.
