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Dr. Alexandra Hildebrandt

Optimismus ist Pflicht, wenn es um die Erde geht

Dazu gehört auch das Artensterben, das für die Wissenschaftsjournalisten Dirk Steffens und Fritz Habekuss mit einem „emotionales Missverständnis“ verbunden ist: „Wir denken da an den Pandabären oder den bedrohten Eisbären. Aber was würde passieren, wenn morgen die Meldung käme: Die Eisbären sind ausgestorben. Die Wahrheit ist doch: Es würde sich für uns nichts ändern, in unserem Alltag. Das bedeutet für uns nichts.“ Es geht nicht darum, dass irgendwo eine einzelne Art ausstirbt - existenzbedrohend sei es, dass „schätzungsweise 150 Arten pro Tag aussterben.“ Das zunehmende Tempo hat die beiden dazu gebracht, das Buch „Über Leben“ zu schreiben. Darin beschäftigen sie sich auch mit den Fragen: Wie muss sich Ökonomie verändern? Welche neuen Gesetze braucht es? Was muss die Politik tun? Wie können alle gesellschaftlich relevanten Gruppen ihrer Mitverantwortung gerecht werden und erfolgreiche Handlungsstrategien zum Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt entwickeln?

Die offizielle Definition des Begriffs „biologische Vielfalt“ (auch Biodiversität), wie sie im UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity CBD) festgelegt wurde, ist sehr komplex. Der Naturschutzbund Deutschland hat folgende Darstellung gewählt: Sie „umfasst neben der Artenvielfalt die genetische Vielfalt sowie die Vielfalt von Ökosystemen und Prozessen. Sie ist Lebens- und Wirtschaftsgrundlage für den Menschen. Funktionierende Ökosysteme mit ihren vielfältigen Ökosystemdienstleistungen sowie der Vielfalt und Schönheit von Natur und Landschaften sind wesentliche Grundlage für eine hohe Lebensqualität.“

Der Verlust ist irreversibel. Das 6. Artensterben ist derzeit eines der größten Menschheitsprobleme, weil sein Fortschreiten darüber entscheidet, OB wir überhaupt überleben. Doch leider sind heute auch immer mehr Insekten gefährdet: Über 40 % der Arten sind im Bestand gefährdet und 5 % ausgestorben. In einigen Gebieten des deutschsprachigen Raums ist ihre Anzahl um bis zu 80 % zurückgegangen. Bestäubungsinsekten sind für die Landwirtschaft und unsere Ernährung von enormer Bedeutung. Doch ganze Landstriche ohne bestäubende Insekten sind in China schon Wirklichkeit. Dort müssen Bäume und Pflanzen bereits von Hand bestäubt werden. Die Vernichtung der Artenvielfalt gefährdet vor allem auch unser Überleben. Der amerikanische Entomologe Edward Wilson hat errechnet, dass die Menschen ohne Insekten nur wenige Monate überleben könnten. Insekten geben der Natur mehr Widerstandskraft, halten die Pflanzenwelt am Leben, sind ein wichtiger Teil der Nahrungskette, sichern die Welternährung, können uns nicht nur von Kot befreien, sondern gleichzeitig, machen unsere Erde fruchtbar, sind für die Textilproduktion unverzichtbar, helfen der Industrie bei der Chemieproduktion, können heilen und sind wissenschaftlich äußerst wertvoll. Biodiversität ist die Grundlage funktionierender Ökosystemleistungen, die auf der Erde Wasser und Luft reinigen, das Klima regulieren und die Menschen auch vor Krankheiten schützen. „Der Schutz von Biodiversität ist daher ein wichtiger Beitrag zum Schutz des Wohlergehens aller Mensch en und nicht allein Ausdruck eines romantischen Naturbildes“, schreiben die promovierte Biologin Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg, promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, in ihrem Buch „Was hat die Mücke je für uns gedan?“, in dem sie dafür plädieren, dass wir uns unserer Rolle im „World Wide Web of Life“ bewusstwerden.

Inzwischen gibt es viele naturnahe Firmengelände, langfristig angelegte Projekte, bei denen Unternehmen oft gemeinsam mit lokalen Naturschutzorganisationen sowie Landschaftsarchitekten und -gärtnern zusammenarbeiten. Bestimmte Gestaltungsprinzipien und Pflegeroutinen gewährleisten, dass Lebens-, Nahrungs- und Schutzräume für Pflanzen und Tiere erhalten oder geschaffen werden. Wer als Unternehmen an dauerhaftem wirtschaftlichem Erfolg interessiert ist, kann den Natur- und Umweltschutz nicht ausblenden. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Dass sich Menschen in einer grünen Umgebung nicht nur wohlfühlen, sondern auch gesünder sind, ist vielfach erwiesen. „Wer als junger Mensch umgeben von Parks, Wiesen und Wäldern aufwuchs, hatte als Erwachsener eine bis zu 55 Prozent geringere Gefahr, psychisch zu erkranken“, belegen auch Steffens und Habekuss, die mit Karl Popper fordern: „Optimismus ist Pflicht.“ Das ist keine naive, sondern eine vernünftige Haltung.

Die Natur selbst ist es, die uns die richtigen Wege dorthin weist. Wir müssen sie nur im Blick haben und spüren: Wer im Krankenhaus aus seinem Zimmer ins Grüne schaut, braucht weniger Schmerzmedikamente und wird häufig früher entlassen. Auch eine grüne Arbeitsumgebung trägt zur Gesundheit der Mitarbeitenden bei. Viele Maßnahmen nachhaltig agierender Unternehmen sind mit einem Engagement für den Erhalt der Biodiversität verbunden: Der Öko-Versandhändler memo ist auf einer „grüne Wiese“ in der Nähe von Würzburg ansässig. Der ans Unternehmen angrenzende Naturgarten ist mit einheimischen Wildblumen, Sträuchern und Bäumen bepflanzt. Ein Teil der Wiese wird in der warmen Jahreszeit nicht gemäht, um Bienen und anderen Insekten wertvollen Lebens- und Nahrungsraum zu geben. Auch Nistkästen, die seit den Anfängen des Vogelschutzes zu den festen Bestandteilen aktiver Nachhaltigkeitsarbeit vor Ort gehören, sind hier aufgestellt. Angrenzend ans Firmengelände hat die Gemeinde ein kleines Biotop angelegt (Quelle: memo Nachhaltigkeitsbericht).

Bei Häcker Küchen in Rödinghausen spielt der Erhalt der biologischen Vielfalt in der gesamten Unternehmensanlage ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch die „Dachterrassen“ zwischen den Panorama-Gebäuden sind begrünt. Zu finden sind im Areal etwa 70 unterschiedlichen Baum- und Pflanzenarten sowie einige Vogelarten wie den seltenen Stieglitz. Auf dem Firmengelände befindet sich neben dem Hauptgebäude zudem ein Feuchtbiotop in Form eines Teiches. Das Grundstück des neuen Produktionswerk Ostercappeln-Venne wurde ebenfalls mit Bäumen und blühenden Gewächsen bepflanzt, um aktiv die Insektenrettung zu unterstützen. An der Hauptverwaltung in Rödinghausen wurde zudem eine Blühwiese auf gut 25.000 qm angelegt. „Derzeit kommen auf dem Werksgelände in Venne noch weitere 15.000 qm dazu“, sagt Lars Breder, der hier im Marketing arbeitet und sich seit Jahren für das Thema Artenschutz einsetzt – auch im Rahmen des Projekts „Blumiger Landkreis Osnabrück“ (Bienen- und Insektenrettung im Osnabrücker Land). Vom Unternehmen wird das Projekt mit hochwertigem Blühwiesen-Saatgut und Maschinen gefördert.

Auch in der Unternehmenskommunikation wird das Thema „liebevoll“ vermittelt – beispielsweise in einem speziell angefertigten Nachhaltigkeits- und Vernetzungsraum, der alle Sinne anspricht und Insekten als vergrößerte Objekte zeigt. Alles hängt hier - wie in der Natur - mit allem zusammen. Der emotionale Ansatz ist nicht werblich, sondern wichtig, weil er zeigt, dass wir nur etwas positiv verändern können, wenn wir mit unserer Umwelt in Verbindung treten. „Mit dem fehlenden Wissen über Natur kommt uns das Mitgefühl abhanden“, sagt auch Dirk Steffens, der im Buch immer wieder danach fragt, wie es gelingen kann, Menschen für Insekten und deren Schutz zu begeistern. Dies ist ein Beispiel dafür.

Dies verdankt sich vor allem Erfahrungen der Resonanz. Der lateinischen Wortbedeutung nach ist sie zunächst eine akustische Erscheinung („re-sonare“ bedeutet widerhallten, ertönen). Doch ist sie auch weitaus mehr: Resonanz ist die Grundlage der Planetenbewegung, sie verbindet als chemische Bindung die Moleküle der Materie, schließt uns in Tages- und Jahreszeiten zusammen, koordiniert die Zellen und den Stoffwechsel unseres Organismus, macht ein individuelles Lebewesen aus und ermöglicht das Erfassen sinnlicher Eindrücke. Sie ist Grundlage des Zusammenlebens der Menschen und hält die Welt im Innersten zusammen. Der Mensch ist, so Rosa, als soziales Wesen auf Resonanz angewiesen - und darauf, dass sie antwortet. Ohne Liebe, Achtung und Wertschätzung bleiben die Resonanzachsen allerdings „starr und stumm“.

Die Biodiversity Foundation von Dirk und Ingrid Steffens

Wie sich jeder für die Rechte der Bienen einsetzen kann

Lars Breder: Retten statt reden. Was Unternehmen tun, die aus Tradition verantwortungsvoll sind. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg: Was hat die Mücke je für uns getan? Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet. oekom Verlag, München 2020.

Tina Teucher und Hans-Dietrich Reckhaus: Kleine Riesen – Von Insekten, Kunst und Respekt. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Springer Gabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2021.

Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag Berlin 2016.

Dirk Steffens und Fritz Habekuß: Über Leben. Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden. Penguin Verlag, München 2020.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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