Studien deuten darauf hin, dass sich das Homeoffice gut für repetitive Aufgaben eignet. - Getty Images
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Performance im Job: Im Homeoffice arbeiten wir weder mehr noch besser

Arbeitsminister Heil plant einen Rechtsanspruch auf Homeoffice. Dabei zeigen neue Studien: Das positive Bild vom wachsenden Arbeitseifer und steigender Produktivität am heimischen Schreibtisch ist deutlich überzeichnet.

Jetzt kann das Homeoffice sogar vor der Inflation schützen. Als hätten wir in den vergangenen knapp zwei Jahren nicht genug über die Vorzüge des Arbeitens von zu Hause gelernt: Produktiver macht es uns; Freizeit und Arbeit lassen sich besser miteinander verbinden. Da fügen sich die Berichte, die aus der Türkei kommen, wunderbar in den Fluss guter Nachrichten. Während die Inflation ihr Leben von Woche zu Woche teurer macht, entscheiden sich Angestellte zwischen Istanbul und Adana für die virtuelle Migration: Sie kündigen ihre Verträge bei heimischen Arbeitgebern und heuern dort an, wo die Löhne in Dollar gezahlt werden, etwa in Kanada oder den USA. Rein digital, versteht sich.

Ein türkischer Softwareingenieur, so rechnete Gonul Kamali, Vorsitzender des Verbands der türkischen Digitalwirtschaft, in der „Financial Times“ vor, könne derzeit aus der Ferne etwa 2500 US-Dollar im Monat verdienen, mehr als doppelt so viel wie in der Türkei. Und das ganz ohne Inflationsrisiko. „Ich bin stolz, dass die türkischen IT-Kräfte dabei gewinnen“, so Kamali, „aber die türkische Wirtschaft leidet.“

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Und vielleicht nicht nur sie. So hoffnungsvoll die ersten Studien zu den Auswirkungen des Homeoffice auch stimmten, ausgerechnet jetzt deutet sich an: Ganz so rosig könnte es doch nicht sein. Die Leistung, aber auch die Motivation bei der Arbeit in den eigenen vier Wänden werden möglicherweise überschätzt.

Für viele Firmen käme diese Erkenntnis zur Unzeit. Sind sie doch gerade dabei, ihre zunächst chaotisch entwickelten und dann auf Zeit erträglich gestalteten Modelle dauerhaft zu etablieren. Der US-Konzern Apple hat seinen Mitarbeitern, die eigentlich im Februar wieder ins Büro kommen sollten, jüngst eröffnet, sie sollten sich allesamt darauf einstellen, auf Dauer von zu Hause aus zu arbeiten. Und auch in Deutschland wird sich die neue Flexibilität kaum zurückdrehen lassen: Wer möchte, der wird seinen Schreibtisch in den nächsten Jahren aufstellen können, wo es ihm am liebsten ist.

Dass dieser Wandel plötzlich möglich ist, liegt an den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre – und an den bislang rundweg positiven Studien zum Thema. Zeigten die doch, dass die meisten Angestellten in Heimarbeit zwar mehr arbeiten, private Interessen und berufliche Pflichten dabei aber besser vereinbaren können, was sie zufriedener macht – und positiv auf ihre Leistung zurückwirkt.

Arbeitszeiten haben sich durch Corona stark verschoben

Viele Untersuchungen teilen jedoch eine Schwäche: Sie basierten auf Befragungen, es sind keine objektivierbaren Beobachtungen. Und so finden nun die ersten Studien umso mehr Aufmerksamkeit, denen es gelingt, objektive Datenquellen zu finden, etwa die der beiden Ökonomen Benjamin Hansen und Greg McDermott von der Universität Oregon. Für ihre zum Jahreswechsel vom National Bureau of Economic Research veröffentliche Untersuchung der Arbeitsbedingungen im Büro und im Homeoffice griffen sie auf Informationen von Github zurück, einer ursprünglich für Softwareentwickler geschaffenen Plattform, mit der weltweit 50 Millionen Menschen ihre Arbeit organisieren und deshalb während der gesamten Arbeitszeit dort aktiv sind.

Hansen und McDermott stellten zunächst fest, dass sich die Arbeitszeiten seit Beginn der Pandemie stark verschoben haben. Es wird deutlich mehr abends oder sogar nachts gearbeitet. „Diese deutliche und nachhaltige Veränderung zeigt sich sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene“, so die beiden. Sie stellten nicht nur Veränderungen fest, sondern auch Kontinuität, wo sie diese nicht vermuteten: Anders als angenommen, ist die Arbeitszeit im Durchschnitt nicht gestiegen. Die Menschen scheinen ihre Arbeitszeit stärker nach den privaten Bedürfnissen zu richten, aber nicht auszuweiten.

Aber sind die Menschen zu Hause dann auch wirklich produktiver? Die Antwort auf diese Frage hänge ganz entscheidend davon ab, wie man Produktivität definiert, sagt Steffen Künn von der Universität Maastricht. Die ersten Studien mit durchweg positiven Ergebnissen dazu fokussierten sich vor allem auf repetitive und deshalb gut messbare Tätigkeiten, etwa die Arbeit der Mitarbeiter in Callcentern.

Homeoffice-Auswirkung auf komplexe Aufgaben

Künn und seine Kollegen haben nun versucht, auch die Auswirkungen auf komplexere intellektuelle Aufgaben nachzuvollziehen. Sie verglichen dafür die Spielzüge und Ergebnisse der Teilnehmer von Schachturnieren, die teils rein virtuell, teils an einem gemeinsamen Ort stattfanden mit den laut einer künstlichen Intelligenz besten Zügen in einer Situation. Und stellten fest: Menschen, die vom heimischen Rechner aus an den Turnieren teilnahmen, spielten deutlich schlechter als Spieler, die Brett und Gegner direkt vor Augen hatten. Durchschnittlich wichen ihre Züge im Homeoffice um fünf Prozent stärker vom optimalen Spiel ab als bei Live-Events.

Die Erkenntnisse, glaubt Künn, seien gut übertragbar auf die Welt des Managements: „Schach ist strategisch, analytisch und es findet unter hohem Zeitdruck statt.“

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