Phänomen Sam Bankman-Frieds: Wie ein 30-jähriger Krypto-Milliardär die Wall Street vor sich hertreibt
Seine Kryptobörse FTX ist drei Jahre alt – und wertvoller als die Deutsche Bank: Wer die Regeln der neuen Finanzwelt verstehen will, muss das Phänomen Sam Bankman-Fried verstehen.
Der Milliardär trägt Tennissocken. Dazu Shorts und ein T-Shirt seines Unternehmens FTX. Das ist der Signature-Look Sam Bankman-Frieds, egal, ob er gerade mit Hedgefonds-Managern redet, mit Bill Clinton und Tony Blair auf der Bühne steht oder wie in diesem Moment im Schneidersitz auf einem halbrunden Sessel sitzt und das Handelsblatt auf den Bahamas zu einem Gespräch trifft.
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Der 30-Jährige mit der sanften Stimme, den ungebändigten Haaren und rund 17 Milliarden US-Dollar Gesamtvermögen versammelte Ende April das Who‘s who aus Finanzen, Politik und Kryptowelt in der Karibik – und sendete auf seine Art ein Warnsignal ans Wall-Street-Establishment.
FTX ist drei Jahre nach der Gründung die drittgrößte Kryptobörse der Welt und mehr wert als die Deutsche Bank. „SBF“, wie sich Bankman-Fried gern nennt, ist zu einem der wichtigsten Akteure der Finanzwelt aufgestiegen.
Sein Lebensstil steht im krassen Gegensatz zu dem eines typischen Wall-Street-Bankers. Bankman-Fried lebt vegan, engagiert sich für Klimaschutz und den Kampf gegen Armut, will sein gesamtes Vermögen spenden. Doch das Softie-Image sollte nicht über seine Ambitionen hinwegtäuschen: FTX arbeitet an einer groß angelegten Offensive, die alle drei Standbeine des Unternehmens deutlich stärken soll, erklärt Bankman-Fried im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Das ist nicht weniger als eine Kampfansage an klassische Börsen und Banken. Wer verstehen will, was in der Finanzbranche durch die Kryptorevolution alles in Bewegung geraten ist, der muss das Phänomen SBF verstehen.
FTX: Super-App und Hedgefonds-Kunden
FTX ermöglicht unter anderem den Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoin, Ether und Solana, aber auch von Kryptoderivaten wie Bitcoin-Futures, und -Optionen. Mit sogenannten Leveraged Tokens können Anleger ihre Wetten mit Hebelwirkung verstärken: Wenn die zweitgrößte Kryptowährung Ether (ETH) etwa um ein Prozent am Tag steigt, steigt der ETH-Bull-Token um drei Prozent.
Hinzu kommt eine Plattform für sogenannte Non-Fungible-Tokens oder NFTs. Das sind auf der Blockchain abgebildete Echtheitszertifikate, die gerade für digitale Kunst und Statussymbole beliebt sind. Aktien, die in einzelne Tokens zerlegt sind, ermöglichen es Anlegern zudem, nur einen Teil einer Aktie zu handeln.
FTX ist mit einem Handelsvolumen von rund 20 Milliarden Dollar am Tag die Nummer drei der Branche hinter Binance und OKX. Vor der Gründung von FTX hatte Bankman-Fried bereits den Hedgefonds Alameda aufgebaut, um von Preisdifferenzen auf den Kryptomärkten zu profitieren.
Der Großteil der FTX-Umsätze kommt aus dem Handel mit Kryptofutures, die FTX aus regulatorischen Gründen nur für Kunden außerhalb der USA anbietet. Die Kunden drehen ein großes Rad. „90 Prozent unseres Handelsvolumens kommen von Leuten, die mindestens 100.000 Dollar am Tag handeln“, erklärt der FTX-Chef. Diese „High Volume User“, wie er sie nennt, haben seiner Börse den schnellen Aufstieg ermöglicht.
Ergänzt werden soll das Profi-Angebot durch eine Finanz-App für die breite Masse: Der studierte Physiker und Mathematiker Bankman-Fried will seine aktuelle App für den Kryptohandel auch für solche Kunden tauglich machen, „die ein bisschen was mit Krypto machen, aber auch in Aktien investieren, Zinsen bekommen wollen und eine Kreditkarte brauchen“. Es gehe „in Richtung Super-App“. Viele Start-ups hätten „coole Teile gebaut“, doch noch sei es niemandem gelungen, alle wichtigen Finanzdienstleistungen in einer App zusammenzuführen.
Gleichzeitig will der frühere Trader des New Yorker Handelshauses Jane Street weiter zu institutionellen Wall-Street-Kunden vordringen. Gerade sei er in Verhandlungen mit großen Banken, die ihren Hedgefonds-Kunden nahtlosen Zugang zum Angebot von FTX geben sollen, erklärt er.
Geht es nach Bankman-Fried, dann soll ein Hedgefonds-Kunde etwa von Goldman Sachs die Bitcoin-Futures von FTX handeln können, ohne dafür sein Konto bei Goldman verlassen zu müssen. „Ich bin sehr optimistisch, dass das bei einer Reihe von Banken klappen wird“, so Bankman-Fried.
Erst im März hat FTX einen eigenen Bereich für institutionelle Kunden gegründet, über den Profi-Investoren auch strukturierte Produkte kaufen können sowie Zugang zu Risikokapital-Investments im Kryptobereich erhalten.
FTX-Zentrale unter Palmen
Mit seinem Gespür für Märkte und Kunden, für die richtigen Algorithmen und Werkzeuge und seiner nonchalanten Einstellung zum eigenen Erfolg ist der 30-Jährige einer der wichtigsten Spieler in der Kryptowelt geworden. Inzwischen ist er auch darüber hinaus bekannt.
FTX kaufte im vergangenen Jahr die Namensrechte für die Arena des NBA-Teams Miami Heat. Hinzu kommen Partnerschaften unter anderem mit dem Formel-1-Team von Mercedes, der Football-Legende Tom Brady und Basketball-Spieler Stephen Curry. Bankman-Fried ist auch Großspender für die Demokratische Partei und war zu Gast auf der Münchener Sicherheitskonferenz.
Das alles wirkt, als wolle da jemand unbedingt zum Establishment der US-Finanzbranche gehören. FTX sitzt allerdings nicht an der Wall Street und auch nicht im Silicon Valley, sondern dort, wo auch die große Kryptokonferenz des Unternehmens stattfindet: auf den Bahamas, dem Karibikstaat mit 400.000 Einwohnern, bekannt für seine langen Sandstrände und Jachthäfen, die schon seit Jahrzehnten die Reichen und Mächtigen anlocken. An sieben Monaten im Jahr liegt die Wassertemperatur bei mindestens 25 Grad.
Bankman-Fried zufolge wurde der Standort gewählt, weil es für FTX und andere Kryptobörsen vergleichsweise einfach sei, in dem Urlaubs- und Steuerparadies an Genehmigungen und Lizenzen zu kommen, die für den Handel mit Kryptowährungen und -derivaten notwendig sind. Dass die Zentralbank der Bahamas schon seit 2019 ihre eigene Digitalwährung, den Sand Dollar, eingeführt hat, untermauert das kryptofreundliche Image.
Beim Spatenstich zur neuen FTX-Zentrale – Platz für 1000 Mitarbeiter, Blick auf das türkise Meer inklusive – schaute Bahamas-Premier Philip Davis vorbei und lobte die Magnetwirkung von FTX: „Eine ganze Reihe von Krypto-Unternehmen hat nun Interesse, in die Bahamas zu kommen. Es ist überwältigend.“
Bis das Gebäude fertig ist, hat FTX ein kleineres Büro bezogen. „Da sitzen wir alle ziemlich eng aufeinander, aber alle wollen in der Nähe von Sam sein“, schwärmt Amy Wu, die seit Anfang des Jahres den neuen Risikokapitalfonds von FTX leitet. Zwei Milliarden Dollar von Bankman-Frieds privatem Vermögen soll sie mit Krypto-Investments vermehren. „Er hat mir im Einstellungsgespräch gesagt: ‚Von meinen Ideen klappt eine von zehn. Wenn du besser bist, dann sehe ich das schon als Erfolg’“, erinnert sie sich.
Von dem provisorischen Büro in Nassau steuert Bankman-Fried nun seine internationale Expansion. Mit Lizenzen sei FTX auch in Japan, Australien, der Europäischen Union und Dubai vertreten. Hinzu komme FTX US mit der amerikanischen Lizenz. „Wir versuchen, so global wie möglich zu werden“, sagt Bankman-Fried. Dennoch bleiben die USA der wichtigste Taktgeber. Der Gründer ist nach eigener Aussage alle zwei Woche in Washington, um mit den dortigen Regulierern zu sprechen. In den USA ist das Angebot der Börse derzeit noch deutlich kleiner als in anderen Teilen der Welt.
Sam Bankman-Fried – Freund und Feind der Wall Street
In New Yorks Finanzbranche weiß längst jeder, wer Bankman-Fried ist. David Solomon, CEO von Goldman Sachs, traf ihn vor wenigen Wochen auf einer Konferenz in Florida. Mit-Gastgeber seiner Konferenz auf den Bahamas war Hedgefonds-Manager Anthony Scaramucci von Skybridge, der 2017 für elf Tage Pressesprecher des damaligen US-Präsidenten Donald Trump war. Auch Starinvestorin Cathie Wood gehörte zu den Rednern der Konferenz, genauso wie Manager von Visa und JP Morgan.
Ist Bankman-Fried nun ein Brückenbauer zwischen der alten und neuen Finanzwelt? Oder eine Art Wolf im Schafspelz, der zunächst Kooperationen schließt und sich später als Konkurrent entpuppt?
„Das ist eine interessante Frage“, sagt er und lächelt. „Viele an der Wall Street fragen sich gerade, wie das Verhältnis zur Kryptowelt sein sollte. Und die Antwort ist meist widersprüchlich und verwirrend, auch weil verschiedene Mitarbeiter der gleichen Bank nicht immer einer Meinung sind.“ Insgesamt jedoch sei er überrascht gewesen, wie viele Institute offen seien für eine Zusammenarbeit.
Wenn es nach ihm geht, dann würde er lieber weiter auf Partnerschaften setzen. Ein harter Konkurrenzkampf koste nur unnötig Energie auf beiden Seiten. Doch wer bei solchen Kooperationen die Richtung vorgibt, ist für ihn klar: „Ich will keine Produkte haben, die zu kompliziert sind, die zu viele Mittelsmänner haben oder zu hohe Gebühren verlangen, obwohl sie gar keinen wirklichen Mehrwert liefern.“
Schon seit Monaten arbeitet Bankman-Fried mit der US-Derivateaufsicht daran, Mittelsmänner beim Handel für Kryptoderivate auszuschalten. So will FTX alle Aspekte des Handels und des sogenannten Clearings selbst übernehmen. Algorithmen sollen dabei helfen, dass am Ende die Verkäufer ihr Geld und die Käufer ihre Wertpapiere bekommen.
Der Plan hat Schockwellen durch die Wall Street gesendet. Denn sollte FTX die Genehmigung erhalten, wäre diese Art des Clearings auch für den traditionellen Handel von Wertpapieren denkbar. Das könnte dann Broker, Banken und andere Finanzintermediäre überflüssig machen.
Keine Eile beim Börsengang
Laut dem Analyseportal Pitchbook ist FTX seit der letzten Finanzierungsrunde zu Jahresbeginn mit 32 Milliarden Dollar bewertet. Dabei ist das Unternehmen immer noch klein im Vergleich zu den Größen der klassischen Finanzwelt: Insgesamt hat FTX bisher 1,9 Milliarden Dollar von Investoren eingesammelt und beschäftigt knapp 300 Mitarbeiter.
Für viele Start-ups in diesem Stadium wäre ein Börsengang der nächste logische Schritt. Bankman-Fried indes hält sich bedeckt – angesichts der hohen Bewertung gebe es keinen Zeitdruck. Vorteilhaft wäre ein Börsengang im Hinblick auf Transparenz und Kundenvertrauen.
Nachteilig seien jedoch die hohen Veröffentlichungspflichten: „Andere Unternehmer sagen mir, sie verbringen 30 Prozent ihrer Zeit damit, sich damit zu beschäftigen, dass sie börsennotiert sind. Das ist eine Menge Aufwand, den wir lieber in das Produkt stecken wollen.“
Auch zeige die letzte Finanzierungsrunde, dass das Interesse privater Investoren groß sei: „Wir müssen nicht an die Börse gehen, um Zugang zu Kapital zu erhalten. Und wir sind schon heute profitabel.“ Zu den Geldgebern gehören unter anderem die Risikokapitalfonds Paradigm und NEA sowie der Staatsfonds Temasek aus Singapur und die Pensionskasse für Lehrer aus dem kanadischen Ontario.
Philipp Sandner, Leiter des Blockchain Center der Frankfurt School of Finance, hält große Stücke auf den Finanzrevolutionär: „Sam Bankman-Fried ist ein beeindruckender Unternehmer, der das Thema Kryptowährungen exakt zum richtigen Zeitpunkt erkannt hat. Er hat aus dem Nichts ein beeindruckendes Unternehmen aufgebaut.“
Bezeichnend sei, dass die schnell wachsende Börse in Amerika entstand. Sandner: „Es ist sehr schade, dass wir Jungunternehmer dieses Kalibers in Deutschland leider nur sehr selten haben.“
Familienmensch mit High-Society-Kontakten
Beim Sprechen wippt Bankman-Fried kontinuierlich mit dem Knie – ihm ist sichtlich wichtig, was er sagt und wie er es sagt. Auf der Konferenz sind auch seine Eltern zu Gast und schauen während des Handelsblatt-Interviews kurz vorbei. Beide sind Jura-Professoren an der Universität Stanford. Auf dem Universitätscampus im Silicon Valley wurde der FTX-Gründer 1992 auch geboren.
Bankman-Frieds Lebensstil ist inzwischen deutlich glamouröser als der eines typischen Professorenkinds. Er machte Topmodel Gisele Bündchen zur Beraterin für soziale und ökologische Initiativen. Er reiste zum Superbowl, Amerikas größtem Sport-Event, auf dem er einen millionenschweren Werbespot schalten ließ. Auch bei der Münchener Sicherheitskonferenz war er zu Gast. Und sieht all das doch nur als Mittel zum Zweck.
Bankman-Fried ist Anhänger einer Bewegung, die sich Effektiver Altruismus nennt. Für ihn bedeutet das, mit Kryptowährungen so viel Geld wie möglich zu verdienen, um es dann zu spenden. Lediglich ein Prozent seines Vermögens, mindestens aber 100.000 Dollar im Jahr behält er für sich. Allein 2022 will er über seine Stiftung eine Milliarde Dollar spenden. Zu seinen Top-Prioritäten gehören der Umwelt- und Tierschutz, aber auch die Vorbereitung auf die nächste Pandemie.
FTX: Umwelt- und Klimaschutz haben Priorität
Zu seiner Mission zählt auch, die extrem energieintensive und dadurch klimaschädliche Blockchain-Technologie grüner zu machen. Seine Börse hat er unter anderem mit dem Kauf von entsprechenden Zertifikaten auf CO2-Neutralität getrimmt. „Es ist sehr wichtig, dass die Kryptobranche das Thema Energieeffizienz mit bedenkt“, stellte der FTX-Gründer in einem Interview mit „Forbes“ klar.
Ihm schweben CO2-neutrale Blockchains vor, über die künftig ein Großteil der Transaktionen abgewickelt werden soll. Gleichzeitig ist er natürlich abhängig von dem lukrativen Handel mit Bitcoin und Ether, den mit Abstand größten Energieverbrauchern in der Kryptowelt.
Davon lässt er sich indes nicht beirren. „Ich will mit meinem Geld den größtmöglichen Impact in der Welt erzielen“, betont Bankman-Fried. Ein Plan, der bislang zweifellos aufgegangen ist.
