Positiver und produktiver: Happiness-Hacks vom Weltglücksgipfel
Ich war zum World Happiness Summit am Comer See, habe mir drei Tage lang über 30 ExpertInnen angehört – damit Ihr das nicht tun müsst. Ja, man könnte sagen, ich habe mich geopfert … hier die für mich wichtigsten Erkenntnisse, Impulse, Zahlen zu Glück (oder nennt es meinetwegen Wohlbefinden) im und jenseits des Jobs.
Das individuelle Stresserleben auf der Welt hat sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt – trotz (oder wegen) steigender Einkommen. Das, sagt Lord Richard Layard, haben seine Studien für den World Happiness Report ergeben. Und die Antwort auf die Frage nach der individuellen Lebenszufriedenheit hängt statistisch stark zusammen mit der Gehirnaktivität, mit der Lebenserwartung, mit der Stabilität der Ehe und dem Verbleib im aktuellen Job. (Die schlimmste Erfahrung des Tages? Ist demzufolge übrigens die Zeit mit der/dem eigenen ChefIn!) Regierungen, Schulen, Unternehmen profitieren allesamt von glücklicheren Menschen, argumentiert Layard. Wer das von ihm aufgesetzte Como Wellbeing Manifest unterzeichnen will – hier der Link: https://worldhappinesssummit.com/como-wellbeing-manifesto/
Mehr Zeit macht uns nicht unbedingt glücklicher. Zeitarmut macht uns zwar
ungesünder,
unfreundlicher,
weniger zuversichtlich,
unglücklicher.
Aber mehr Zeit ist deshalb nicht unbedingt die Lösung, hat die Management-Professorin Cassie Holmes in Studien herausgefunden – es geht darum, die eigene Zeit reichhaltiger zu gestalten. Ein Aspekt, der uns helfen kann, die eigene Zeit als wertvoller zu empfinden: Zeit für andere herzugeben, prosoziales Verhalten fördert nämlich laut eigenen Experimenten von Cassie Holmes die subjektive Zufriedenheit mit der eigenen Zeit. (Wer mehr von ihr lesen mag – ihr Buch „Happier Hour: How to Beat Distraction, Expand Your Time, and Focus on What Matters Most“ klingt für mich vielversprechend.)
Gesunde Ernährung? Regelmäßiger Sport? Ausreichend guter Schlaf? Oder was ganz anderes? Was denkt Ihr ist der Schlüsselfaktor für ein langes, gesundes, glückliches Leben? Es sind vor allem die sozialen Beziehungen. Sie verleihen unserem Dasein, das betont Kelli Harding, Energie, Sicherheit, Verständnis, Respekt, Humor, Zugehörigkeit etc. Wer in den Teenager-Jahren erfülltere soziale Beziehungen hatte, wird später bessere Cholesterin-Werte und seltener chronische Krankheiten haben.
Jene 80-Jährigen, die in der „Harvard study of adult development“ die gesündesten waren, hatten im Alter von 50 das erfüllendste Sozialleben. Dabei muss es gar nicht immer um die engen und engsten Verbindungen gehen: Auch der wieder aufgefrischte Kontakt zu alten KollegInnen, das „Hallo“ zu Mitreisenden in der Tram, die Mikrofreundlichkeiten gegenüber Unbekannten können der Isolation entgegenwirken – und das Miteinander vertiefen.
Sprechen ist wichtig. Aber vom Zuhören lernen wir mehr. Wer gut zuhört, fühlt sich besser mit anderen verbunden, lernt mehr etc. Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit während jener durchschnittlich 3 Stunden, die wir täglich mit Zuhören verbringen:
auf die nächste Gelegenheit zum Sprechen?
auf die nächste Frage?
auf das, was nicht gesagt wurde?
auf die Verbindung mit dem Gegenüber?
auf die soziale/emotionale Temperatur im Raum?
um anderen eine Stimme zu geben?
Und ist Unterbrechen immer unhöflich? Oder nicht auch ein Zeichen von Interesse, vor allem aus eher engagierten („interjektionsgeneigten“) Sprechkulturen? Robert Biswas-Diener zuzuhören – immer wieder ein inspirierender Genuss! Besonders wenn’s ums Zuhören geht.
Wenn Firmen mehr Rücksicht nehmen auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden – und deren Familien –, dann können sie ein Ort der Heilung sein, sagt Raj Sisodia. Die Zahl der Herzinfarkte ist montags 20 Prozent höher als an einem durchschnittlichen anderen Wochentag, der statistisch wahrscheinlichste Moment für eine Herzattacke ist Montagfrüh um 4.00 Uhr. „Und wenn wir uns nicht bewusst entscheiden, Teil der Heilung zu sein“, so Sisodia – „dann sind wir vermutlich Teil der Beschädigung!“
„Die Beziehung zur Führungskraft ist bei uns eindeutig der stärkste Vorhersagefaktor von Wohlbefinden am Arbeitsplatz, da sind die Daten eindeutig“, das sagte Jen Fisher von Deloitte auf einer Panel-Diskussion in Como. Sie fand: „Das Bemühen um Wohlbefinden muss aus der Chefetage vorgelebt werden, HR kann diesen Job nicht erledigen.“ Michael Edwards von McKinsey hingegen betont, vor allem die Mittelmanager müssten das Bemühen um Glück und Wohlbefinden nach oben und unten in den Unternehmen ausstrahlen. „Und wir müssen toxische Leaders unnachsichting verfolgen, sie werfen einen langen Schatten und machen jeweils 10, 15 Menschen unproduktiv, unglücklich, ungesund."
Wer sein Geld in Aktien der Unternehmen mit dem höchsten durchschnittlichen Wohlbefinden der Beschäftigten investiert, macht doppelt so viel Rendite wie der S&P-Durchschnitt – im Auf- wie im Abschwung als auch in Zeiten starker Volatilität: Wer kalte, nackte Daten sucht, die den Wert des Glücks belegen, findet sie beim Oxford-Ökonomen Jan-Emmanuel De Neve. In der mit aktuell über 15 Millionen Dateneingaben weltweit größten Studie zu Wohlbefinden in der Arbeit fragen sein Team und er nach der Arbeitszufriedenheit, der Abwesenheit von Stress, dem Sinnerleben und dem schlichten Glückserleben im Job – und den darunter liegenden Treibern von job wellbeing wie Inklusion, Führungsverhalten, Wertschätzung, Vertrauen etc. Weitere Ergebnisse daraus: Wer das Wohlbefinden in seiner Arbeit mit ** bewertet, 𝘀𝘂𝗰𝗵𝘁 𝘇𝘄𝗲𝗶 𝗠𝗮𝗹 𝘀𝗼 𝘄𝗮𝗵𝗿𝘀𝗰𝗵𝗲𝗶𝗻𝗹𝗶𝗰𝗵 𝗻𝗮𝗰𝗵 𝗲𝗶𝗻𝗲𝗺 𝗻𝗲𝘂𝗲𝗻 𝗝𝗼𝗯 wie jemand, der ihn mit ***** bewertet. Und dort, wo die Mitarbeitenden glücklicher sind, steigen die Kundenzufriedenheitswerte – ebenso wie die Verkaufszahlen. Führungskräfte unterschätzen außerdem systematisch, wie wichtig das Erleben von Zugehörigkeit für Glück am Arbeitsplatz ist.
Fünf Fragen, die sich daraus für mich ergeben:
Wissen genügend Führungskräfte, wie wichtig glückliche Mitarbeiter für eine nachhaltig erfolgreiche organisatorische Performance sind?
Haben die, die das wissen, auch Ideen, was sie konkret für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz tun können?
Ist das Geld für die wachsende Zahl an Initiativen zur Förderung des Wohlbefindens in Organisationen richtig angelegt?
Oder wie lässt sich sonst der Anstieg an Stresserleben und Unzufriedenheit der Beschäftigten erklären?
Müsste statt in Yoga-Kurse und Achtsamkeitskurse für die einzelnen Beschäftigten nicht viel mehr investiert werden in Führungskräfteausbildungen und organisationale Faktoren zur Stressreduktion)
Ein großes Dankeschön von mir geht an alle, die in Como auf, hinter und vor der Bühne dabei waren! Und ein großes Pardon an jene, die ich hier nicht erwähnt habe! Die Veranstaltung kommt dick in meinen Kalender!
Herzlich aus dem immer noch schön weiß umrahmten Garmisch-Partenkirchen
Christian Thiele
P.S.: Ihr macht, Sie machen das gut!