Die großen Discounter werben mit Preissenkungen, doch die fallen gering aus. Foto: Imago, Getty Images [M]
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Preiskampf kostet Lidl und Aldi Milliarden – Kunden sparen kaum

Die Discounter nennen ihre Preissenkungen „historisch“. Doch exklusive Zahlen für das Handelsblatt zeigen erstmals, wie wenig die Kunden davon profitieren.

Düsseldorf. „Sparen lohnt sich wie noch nie“, singt Sarah Connor in der Lidl-Werbung zur Melodie der deutschen Nationalhymne – pathetischer geht es kaum. Nicht weniger als „die größte Preissenkung aller Zeiten“ hat der Discounter Ende Mai verkündet. Mehr als 500 Artikel seien dauerhaft im Preis gesenkt, einige davon sogar um bis zu 35 Prozent.

Konkurrent Aldi zog noch am selben Tag nach und versprach einen „historischen Schritt“. Der Discounter nannte 100 Produkte, die günstiger werden.

Die Discounter geben jedoch nicht bekannt, wie stark welche Artikel im Preis gesenkt wurden und wie groß die durchschnittliche Ersparnis für die Kunden ist. Lidl hat nicht einmal eine Liste der reduzierten Artikel veröffentlicht.

Eine Analyse im Auftrag des Handelsblatts zeigt nun erstmals konkrete Zahlen. Diese zeigen, dass die Discounter durch den Rabattkampf eine Milliardensumme verlieren. Doch bei den Kunden kommt davon kaum etwas an.

Der Preisvergleichsdienstleister Smhaggle hat mehr als eine halbe Million Kassenbons aus den vergangenen Wochen ausgewertet, die Kunden fotografiert und hochgeladen haben. Die Daten zeigen, dass sich der Preiskampf der Discounter für Verbraucher kaum auszahlt. Denn der Großteil der Artikel ist nur um wenige Cent günstiger geworden.

So hat Lidl ein Viertel der reduzierten Produkte lediglich um bis zu fünf Prozent verbilligt. Immerhin sind 40 Prozent der Artikel um mehr als zehn Prozent günstiger geworden.

Aldi war noch zurückhaltender: Drei Viertel der vergünstigten Produkte kosten jetzt maximal zehn Prozent weniger.

Nur zwei Prozent Ersparnis pro Einkauf

Beim Einkaufen dürften die meisten Konsumenten kaum einen Effekt registrieren. Da die reduzierten Produkte nur einen Teil am Gesamtsortiment ausmachten, sparten Kunden von Aldi und Lidl infolge der Aktionen pro Einkauf im Schnitt nur etwa zwei Prozent, sagt Smhaggle-Chef Sven Reuter.

Laut Smhaggle geben Verbraucher bei Lidl bei jedem Besuch im Schnitt 29,04 Euro aus. Infolge der Aktion sparen sie pro Einkauf im Mittel lediglich 52 Cent. Da Aldi ein etwas kleineres Sortiment als Lidl hat, wirken sich die Preissenkungen etwas stärker aus. Bei dem durchschnittlichen Einkauf von 27,26 Euro sparen Kunden im Mittel aber auch bei Aldi gerade einmal 68 Cent.

„Für Verbraucherinnen und Verbraucher sind Preissenkungen nach Jahren des Anstiegs zunächst eine gute Nachricht“, sagt Kai Hudetz, Handelsexperte beim IFH Köln. „Allerdings werden die Preissenkungen von den Händlern historischer angepriesen als sie tatsächlich sind.“

So hat Aldi seine 100 Produkte im Schnitt um 6,2 Prozent gesenkt, bei Lidl sind es 8,5 Prozent. Allerdings gleicht das den starken Preisanstieg der vergangenen Jahre bei Weitem nicht aus. Lebensmittel und alkoholfreie Getränke sind derzeit 36 Prozent teurer als im Durchschnitt des Jahres 2020, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.

So ist die Eigenmarkenbutter bei Aldi und Lidl nun 17 Prozent günstiger geworden. Insgesamt ist sie aber noch 21 Prozent teurer als Anfang 2022, als Russland die Ukraine angriff. Seitdem stiegen die Preise.

Schokoladenkuvertüre der Eigenmarke ist zwar als eines der wenigen Produkte bei Lidl deutlich im Preis gesunken, um 32 Prozent. Allerdings zahlen Verbraucher dafür noch immer über 50 Prozent mehr als Anfang 2022. „Es ist absolut illusorisch, dass wir im Supermarkt wieder bei den Werten ankommen, an die wir vor der Inflation gewöhnt waren“, sagt Experte Hudetz.

Zweifel an 500 reduzierten Produkten bei Lidl

Smhaggle konnte in der Auswertung nur etwa 270 reduzierte Produkte identifizieren, nicht die von Lidl versprochenen 500. Anhand von Kassenzetteln sei zwar nicht immer möglich zu ermitteln, ob mehrere einzelne Sorten eines Produkts günstiger geworden sind. Doch auch andere Branchenkenner kommen auf maximal 300 Artikel.

Unklar bleibt, ob Lidl 500 unterschiedliche Produkte meint oder in die Berechnung auch einzelne Sorten einbezieht, wie verschiedene Geschmacksrichtungen von Joghurts.

Lidl-Einkaufswagen: Der Discounter verspricht, 500 Produkte im Preis gesenkt zu haben. Foto: picture alliance/KEYSTONE

Aldi Süd und Aldi Nord dagegen haben auf ihren Internetseiten Listen von reduzierten Artikeln aufgeführt. Lidl nennt „aus Wettbewerbsgründen“ nur einzelne Beispiele in der Werbung.

Zudem variiert das Sortiment der Discounter regional, sodass nicht in jedem Supermarkt alle reduzierten Produkte zu finden sind. Wie viele Produkte in einem durchschnittlichen Markt billiger geworden sind, wollten Lidl und Aldi nicht mitteilen.

Deutsche Lebensmittelhändler lassen sich Milliardenumsatz entgehen

Während der einzelne Kunde also nur wenig spart, verzichtet der deutsche Lebensmittelhandel insgesamt auf Milliarden Euro. Laut Branchenkennern kostet die Aktion Lidl über das Jahr einen hohen dreistelligen Millionenbetrag an Umsatz. Lidl und Aldi wollten sich auf Nachfrage nicht dazu äußern.

Smhaggle-Chef Reuter rechnet mit einem entgangenen Umsatz der großen Händler von insgesamt mehr als 1,6 Milliarden Euro. Die Summe hat er aus den Netto-Umsätzen der Händler und den anteiligen Preisveränderungen hochgerechnet. Wie oft die reduzierten Produkte tatsächlich gekauft werden, musste er dafür schätzen.

Auch die Konkurrenten von Aldi und Lidl verlieren durch den Preiskampf Marge. Denn sie haben vergleichbare Artikel in ihrem Sortiment ebenfalls vergünstigt.

Rewe-Markt: Preissenkungen gab es bei allen großen Lebensmittelhändlern in Deutschland. Foto: dpa

So kündigten Lidl und Aldi ihre Preisreduktionen samstags an. Schon am folgenden Montag hatten auch die Vollsortimenter Edeka und Rewe ihre Preise gesenkt. Offizielle Mitteilungen dazu gab es nicht. Der kleinere Konkurrent Norma hat nach eigenen Angaben ebenfalls „mehrere hundert Produkte“ im Preis gesenkt, aber nur 16 benannt.

Das ist im deutschen Lebensmitteleinzelhandel mit seinen vier großen Akteuren Edeka (samt Netto), Rewe (inklusive Penny) sowie Aldi und Lidl typisch. Senkt ein Anbieter die Preise, ziehen die anderen rasch nach. Das zeigte eine Handelsblatt-Analyse bereits vergangenen Herbst. Durch die Preisaktionen sind also im gesamten Lebensmittelhandel in Deutschland die Produkte billiger geworden, die Aldi und Lidl im Preis gesenkt haben.

Vor allem die Preise der Eigenmarken sind bei den Händlern oft bis auf den Cent gleich. Viele Verbraucher nehmen Vollsortimenter allerdings als teurer wahr, weil es dort mehr Auswahl vor allem hochpreisigerer Markenprodukte gibt. Ein Rewe- oder Edeka-Markt führt durchschnittlich etwa 25.000 Produkte, ein Discounter nur ein Zehntel davon.

Lidl will sich als Preisführer positionieren

Lidl gibt auf Anfrage an, mit der Preissenkung „ein deutliches Zeichen für Verbraucher“ setzen zu wollen. Branchenkenner sehen in der Aktion vielmehr den Versuch, Marktanteile zurückzugewinnen, die Lidl im ersten Quartal an Aldi verloren hatte.

Zudem wolle Lidl das Preisempfinden der Verbraucher beeinflussen. Auch wenn die tatsächlichen Preise beinahe identisch sind, halten Kunden Aldi für den preiswertesten Lebensmittelhändler. Das zeigt der Kundenmonitor, eine jährliche Umfrage unter mehr als 27.000 Verbrauchern.

Preise im Supermarkt: Lidl versucht sich als Preisführer darzustellen. Foto: dpa

„Lidl versucht Verbrauchern durch die aktuelle Preiskommunikation plakativ den Eindruck zu vermitteln, dass sie der Preisführer sind“, sagt Experte Hudetz. Denn der Preis sei für viele Konsumenten das entscheidende Kaufkriterium. Der Discounter wolle durch die Aktion kurzfristig die Kundenfrequenz erhöhen und seinen Absatz steigern.

Werner Motyka, Partner der Beratung Munich Strategy, beobachtet: „Lidl ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die über Jahrzehnte unangefochtene Führungsrolle von Aldi zumindest infrage zu stellen.“

Tatsächlich zielen die Verlautbarungen der Discounter auf das Preisimage ab. Lidl-Deutschlandchef Friedrich Fuchs sagte: „Wir haben als erster Lebensmitteleinzelhändler gezeigt, was Verantwortung bedeutet: Handeln statt Reden.“ Vor der Preisaktion hatte sich der Manager kaum öffentlich geäußert.

Lidl düpierte Aldi mit dem Vorgehen. Das Aldi-Management konnte sich dann auch einen Seitenhieb auf die Aktion des Konkurrenten nicht verkneifen. „Preisführerschaft ist für uns kein kurzfristiger Aktionsmodus, sondern ein Grundprinzip“, sagte Felix Rottmann, Deutschland-Chef von Aldi Nord.

Eigenmarken sind günstiger geworden, Markenware nicht

Der Preiskampf zwischen Aldi und Lidl ist keine Reaktion auf Einsparungen. Zwar steigen Energie- und Rohstoffkosten nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren, doch sie sinken auch nicht und entspannen sich auf hohem Niveau. „Das hindert die Händler aber nicht daran, solche Entwicklungen als Argument heranzuziehen, ohne dass sie schon andere Einkaufspreise haben“, sagt Berater Motyka.

Branchenkenner erwarten allerdings nicht, dass der Preiskampf im Lebensmittelhandel weiter eskaliert. „Ein dauerhafter Preiskampf würde die Händler in den Ruin führen“, sagt Experte Hudetz. Dafür sei das Handelsgeschäft zu margenschwach.

Die Discounter dürften zunächst in Vorleistung gegangen sein, glauben Experten. Sie erwarten, dass die Händler bei den nächsten Verhandlungen mit Herstellern versuchen werden, bessere Einkaufskonditionen durchzusetzen.

Produkt der Edeka-Marke „Gut & Günstig“: Vor allem Eigenmarken sind günstiger geworden. Foto: IMAGO/APress

Das könnte ihnen gelingen, weil die Discounter mit ihrem Vorstoß vor allem Eigenmarken im Preis gesenkt haben. Auf deren Hersteller können die Händler stärkeren Druck ausüben, weil sie hier die wichtigsten Abnehmer sind. Zudem sind Produzenten von Eigenmarken oft austauschbar.

Auffällig ist, dass bei Lidl und Aldi keine Topmarken wie Coca-Cola unter den reduzierten Produkten zu finden sind. Ein Grund: An diesen verdienen Händler überdurchschnittlich gut.

Zudem hatte es in den vergangenen Jahren Auslistungen und Lieferstopps von Markenprodukten gegeben, weil Händler und Hersteller sich bei Preiserhöhungen nicht einigen konnten. Auch die Verhandlungen über mögliche Preisrückgänge dürften in diesen Fällen schwieriger sein.

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