(C) Margeaux Belote

Pride 2025: Warum Diversity zum Risiko wird – und Unternehmen es jetzt erst recht eingehen müssen

Wir sind an einem Wendepunkt: Während Unternehmen wie SAP ihre Diversity-Maßnahmen zurückfahren und andere sich leise zurückziehen, wächst der gesellschaftliche Gegenwind gegen queere Menschen – besonders gegen trans Personen. Der Rückzug von DEI-Initiativen schafft Unsicherheit und erhöht den Druck auf marginalisierte Gruppen. Warum wir Pride 2025 brauchen!

Ein Regenbogen-Logo im Juni, ein kurzer Post auf Social Media – in den vergangenen Jahren war Pride für viele Unternehmen eine Gelegenheit, sich als inklusiv und fortschrittlich zu präsentieren. Doch 2025 sieht anders aus. Unternehmen wie SAP kündigen an, ihre Initiativen im Bereich Diversity, Equity, and Inclusion (DEI) herunterzufahren. Andere werden leiser, vorsichtiger. Was ist passiert?

Der gesellschaftliche Gegenwind hat zugenommen. Weltweit erstarken konservative Kräfte, und auch in Deutschland stellt sich zunehmend die Frage, ob Diversity noch „sicher“ genug ist, um öffentlich unterstützt zu werden. Einige Unternehmen ziehen sich zurück – aus Angst vor Kontroversen oder um nicht in politische Debatten verwickelt zu werden. So auch SAP.

Minderheitenstress macht was mit dem Miteinander am Arbeitsplatz

Doch dieser Rückzug bleibt nicht ohne Folgen. Unternehmen, die ihre DEI-Maßnahmen reduzieren oder deren Sichtbarkeit einschränken, senden klare Signale – und diese Signale haben weitreichende Auswirkungen auf marginalisierte Gruppen. In Bezug auf die LGBTQIA*-Community sind davon insbesondere trans Personen betroffen, die weltweit zu den am stärksten diskriminierten Menschen gehören. Sie erleben am Arbeitsplatz Unsicherheit, Misgendering und das ständige Gefühl, sich erklären zu müssen. Die Entscheidung, DEI-Initiativen stillzulegen oder ihre Kommunikation einzuschränken, erhöht den Minderheitenstress für diese Gruppen erheblich.

Der Begriff Minderheitenstress beschreibt die chronischen Belastungen, denen Menschen aus marginalisierten Gruppen ausgesetzt sind. Dieser Stress entsteht durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Diskriminierung und fehlende Repräsentation. Psychologische Sicherheit – das Gefühl, authentisch sein zu können, ohne negative Konsequenzen zu fürchten – ist für den beruflichen Erfolg und das persönliche Wohlbefinden entscheidend.

In den vergangenen Jahren habe ich in meiner Rolle als Beraterin ein wachsendes Bewusstsein für diese Zusammenhänge erlebt. Viele meiner Kund*innen haben proaktiv in die Aufklärung von Mitarbeitenden investiert, um sie für ein Miteinander zu sensibilisieren, das Diskriminierung stetig abbaut. Damit ist auch eine erhöhte Sicherheit einhergegangen, die queeren Personen es ermöglichte, sich mehr zu zeigen. Doch genau diese Sicherheit wird durch die Ankündigung des Rückzugs von DEI-Maßnahmen untergraben.

Bi+ Personen sind ein weiteres Beispiel. Als größte Gruppe innerhalb der queeren Community sind sie oft die unsichtbarste. Am Arbeitsplatz bedeutet dies, dass sie sich häufig nicht sicher fühlen, ihre sexuelle Orientierung offenzulegen. Dies führt zu doppelter Unsicherheit, fehlender Ansprechbarkeit und mangelnder Repräsentation. In einem Umfeld, das Vielfalt als „politisch heikel“ betrachtet, wird Unsichtbarkeit zur Überlebensstrategie. Ein Outing wird unwahrscheinlicher, wenn ich dadurch Konsequenzen auf mein Erleben am Arbeitsplatz fürchten muss.

Diese Unsicherheit betrifft nicht nur queere Menschen. Sie ist ein strukturelles Problem, das alle marginalisierten Gruppen angeht: Menschen mit Migrationshintergrund, Personen mit Behinderungen, ältere Arbeitnehmer*innen. Wenn Unternehmen sich von DEI-Initiativen zurückziehen oder sie aus Angst vor öffentlicher Kritik leise weiterführen, signalisieren sie, dass diese Themen verhandelbar sind.

Einige sehen die politischen Veränderungen als Freifahrtschein, um gar nichts mehr zu machen.

Einige der Unternehmen, die jetzt groß ankündigen, DEI sein zu lassen, werden dies nicht tun. Sie werden weiterhin in ihre Unternehmenskultur investieren und Mitarbeiter*innen darin schulen, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Vielerorts ist Diversity schließlich längst Normalität – sie muss gemanagt werden, damit die dadurch entstehenden Potenziale auch freigesetzt werden können. Entsprechende Unternehmen ändern lediglich ihre Kommunikationsstrategie, um sich dem Druck der Konservativen zu beugen oder weil sie Abhängigkeiten in die USA haben.

Es ist allerdings nicht zu unterschätzen, wie diese Kommunikationsentscheidungen den Diskurs gerade prägen und allgemeine Verunsicherung auslösen.

Natürlich gibt es solche und solche Unternehmen. Ich erlebe gerade viel Skepsis, aber gleichzeitig auch eine Trotzhaltung, ein gewisses Jetzt-erst-recht. Es ist wichtig, auch darüber zu schreiben. Ich erlebe in Deutschland derzeit keine messbare Rolle rückwärts, viele meiner Kund*innen sind alarmiert über die Entwicklungen in den USA und sehen sich in der Verantwortung, gegenzuhalten.

Während sicherlich einige die politischen Veränderungen in den USA als Freifahrtschein nutzen, um gar nichts mehr zu machen, und wieder andere im Stillen weitermachen, gibt es definitiv Unternehmen, die sich jetzt besonders stark positionieren und das Thema für sich klar zur Marke machen. Das ist richtig und wichtig, denn sie entscheiden sich bewusst für Sichtbarkeit und damit auch für Unterstützung. Auch das muss erwähnt werden, sonst entsteht ein fehlgeleitetes Bild.

„Ich will einfach einen unpolitischen Arbeitsplatz“

In meiner Arbeit und in zahlreichen Q&A-Sessions wurde ich letzte Woche gefragt: „Müssen wir uns als Unternehmen positionieren? Können wir nicht neutral bleiben?“ Die Antwort ist eindeutig: Neutralität gibt es nicht. Wer schweigt, akzeptiert den Status quo – und der ist momentan geprägt von wachsender Diskriminierung und Ausgrenzung.

Das klingt vielleicht für viele Menschen merkwürdig. Sie wünschen sich am Arbeitsplatz einen unpolitischen Ort, an dem sie sich mit ihren Kolleg*innen, über Meinungen und Einstellungen hinweg, einfach ihren Job machen. Was dabei übersehen wird: Für queere Menschen und andere marginalisierte Frauen gibt es keinen unpolitischen Ort. Wenn ich am Arbeitsplatz alltägliche Formen von Mikroaggressionen oder weiterreichende Formen von Diskriminierung erfahre, dann kann ich nicht einfach meinen Job machen.

Diversity ist kein Trend, den man nach Belieben aufgreifen und wieder fallen lassen kann.

Auch wenn es unbequem ist und teilweise sogar riskant: Unternehmen müssen ihre Position klar kommunizieren – nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Das ist kein Wohlfahrtsprojekt. Jeder Mensch hat das Recht auf Teilhabe, und Arbeitgeber*innen sind in der Pflicht, an der Umsetzung dieses Rechts mitzuwirken. Dazu müssen Barrieren abgebaut werden. Diese sind physisch, aber auch psychisch. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Unsicherheiten ausgesprochen werden dürfen, in denen emotionale Sicherheit existiert und in denen sich alle Mitarbeitenden respektiert fühlen.

Diversity ist kein Trend, den man nach Belieben aufgreifen und wieder fallen lassen kann. Sie ist eine Tatsache, die unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt prägt. Unternehmen, die Vielfalt aktiv fördern und sichtbar machen, setzen ein Zeichen – für Respekt, für Chancengleichheit und für psychologische Sicherheit. Die Regenbogenflagge schwingen, wenn es gerade einfach ist, das kann jede*r. Sie nicht direkt wieder einpacken, wenn es gerade schwierig ist, darin besteht die eigentliche Probe. Ja, Pride 2025 mag für manche Unternehmen zum Risiko werden. Und gerade deshalb zeigt sich jetzt, auf welche Unternehmen Queers zählen können.

Rea Eldem schreibt über Gendergerechtigkeit, Arbeitskultur, Wirtschaft & Management, Personalwesen

Rea Eldem ist die Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, Berliner Agentur für gendergerechte Arbeitskultur. Rea wuchs in Deutschland, Japan und Hongkong auf und studierte Kulturwissenschaften am Bodensee und Gender Studies an der University of Cambridge.

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