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Prognosen: CEO-Stimmanalyse dank KI präziser als Finanzmarktexperten

CEOs malen die Zukunft ihrer Unternehmen gern in rosigen Farben. Analysten versuchen bei Bilanzpressekonferenzen deshalb zwischen den Zeilen zu lesen. Nun haben Forscher ein KI-Modell entwickelt, das dies angeblich weit besser kann als sie: ­Allein anhand der Stimmen kann es sagen, ob ein ­Unternehmen im nächsten Jahr Gewinne einfährt.

Das Interview führte Ingmar Höhmann

Harvard Business manager: Wollen Sie wirklich behaupten, dass man anhand der Stimme eines Menschen erkennen kann, wie viel wirtschaftliches Geschick er hat?

Doron Reichmann: Wir können zu­mindest belegen, dass eine künstliche Intelligenz, die die Stimme analysiert, dies gut prognostizieren kann. Wir haben mit unserem KI-Modell die Stimmmuster von Managern bei Bilanzpressekonferenzen analysiert. Das Modell, das mithilfe von Stimmanalysen Prognosen abgibt, wie sich die Gewinne von Unternehmen entwickeln werden, war um 6 bis 9 Prozent genauer als Modelle, die Voraussagen ­mithilfe von Finanzdaten treffen. Die Stimmen von Managern haben also eine Aussagekraft über künftige Geschäftsentwicklungen.

Ihr KI-Modell sollte vorhersagen, ob ein Unternehmen im nächsten Jahr Gewinn oder Verlust macht. Ist das denn eine wackelige Angelegenheit?

In der Forschung gelten Gewinnprognosen als Riesenherausforderung. Einige theoretische Aufsätze kommen zu dem Schluss, dass sich künftige Gewinne gar nicht voraussagen lassen, weil sie zufälligen Mustern folgen. Es gibt zu viele Einflussfaktoren – Konjunktur, Managementanreize, Bilanzierungsmethoden, um nur einige zu nennen. Ziel aller Modelle ist deshalb, besser zu sein als ein Münzwurf.

Und da kommt Ihre KI ins Spiel. Was genau haben Sie gemacht?

Andere Machine-Learning-Modelle verarbeiten für ihre Prognosen meist die Finanzkennzahlen. Bei uns sind es Audiodateien von CEO-Stimmen. Wir haben unser Modell mit mehr als 8000 Aufzeichnungen von Bilanzpressekonferenzen von US-Unternehmen aus den Jahren 2015 bis 2020 trainiert. Wir haben auch die Information hinterlegt, ob im Folgejahr ein Gewinn anfiel oder nicht. Das Modell hat Muster in den Stimmen erkannt und daraus seine Prognosen abgeleitet.

Wieso soll der Gewinn eines Unternehmens mit der Stimme des CEOs zusammenhängen?

In der Psychologie zeigt ein breiter Forschungsstrang, dass die Stimme eine Vielzahl von Informationen transportiert. Das liegt daran, dass der Sprachprozess komplex ist. Wir bewegen dabei unzählige Muskeln und Haare. Wenn wir Emotionen verspüren, schlägt sich das über die körperliche Reaktion unweigerlich in der Stimme nieder. Man kennt das aus Vorträgen, wenn Redner nervös sind. Stellt jemand dann auch nur eine kritische Nachfrage, gerät der Redner ins Schwimmen. Die Zuhörenden wissen intuitiv: Der Fragesteller hat einen Nerv getroffen.

Wieso einen Nerv getroffen? Die CEOs erklären bei diesen Veranstaltungen doch nur die Geschäftszahlen.

Ja, das könnte man meinen. Aber die Literatur zeigt, dass Manager oft opportunistisch handeln. Ihre Vergütung ist variabel, zudem hängt ihre Reputation davon ab, wie Investoren sie wahrnehmen. Sie haben diverse Anreize, zu sagen, dass für das Unternehmen im nächsten Jahr alles super wird – der Erfolg fällt ja auf ihr Management zurück. Wenn der Markt ihnen glaubt, erhöht das den Aktienkurs. Dennoch kann es sein, dass eine Managerin ein ungutes Gefühl hat, wenn sie Dinge sagt, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen. In dem Moment wird die Stimmanalyse interessant.

Funktioniert Ihre KI-Auswertung wie eine Art Lügendetektor? Offenbar halten die CEOs wichtige Informationen zurück, die ihre Stimme doch verrät.

Mit dem Wort Lügendetektor tue ich mich schwer. Wir können nicht sagen: Der Manager hat in dem einen Satz gelogen. Es ist eher ein Indikator für die Gefühlswelt des Managers – wie optimistisch er ist.

Zeigen CEOs wirklich diese Emotionen auf einer Bilanzpressekonferenz? Das sind doch Profis, die wissen, was sie zu sagen haben.

Die Manager sind bei diesen Veranstaltungen unter Dauerbeschuss. Und zwar durch gut trainierte Analysten, die ihnen viele Fragen stellen. Tatsächlich suchen Analysten neben Fakten oft auch nach einem subjektiven Eindruck, wie optimistisch und realistisch das Management wirkt. Sie halten also auch nach emotionalen, unterschwelligen Reaktionen des Körpers Ausschau, die verraten, was jemand wirklich denkt – und nicht nur sagt.

Warum sollte eine Maschine das besser können als ein Mensch?

Wir Menschen hören Emotionen aus Stimmen heraus. Wenn uns ein Freund anruft, erkennen wir schon an den ersten Wörtern, wenn etwas nicht stimmt. Wir können aber nicht sagen, ob es an einem höheren Tonfall, einer leiseren Stimme oder einer anderen Sprechgeschwindigkeit liegt. Aber es scheint Regeln zu geben, nur können wir sie nicht definieren. Beim Machine Learning geben wir dem Computer Daten, aus denen er selbst lernen kann, er findet also diese Regeln. Und dann stellen wir ihm eine klare Aufgabe, auf die er das Trainierte anwendet – bei uns also die Gewinnentwicklung.

Was sind denn nun die Regeln? Eine höhere Stimme – und das Unternehmen geht im nächsten Jahr pleite?

Wir können nicht sagen, welche Muster das Modell erkennt. Das ist das Problem von Machine-Learning-Studien. Wir können nur sagen, dass es funktioniert – und dass die Stimme einen Informationsgehalt hat. Das ist nicht trivial. Es gab noch keine Studie, die das nachgewiesen hat.

Könnten Sie Ihr Modell auch in anderen Kontexten einsetzen, etwa bei Vorstellungsgesprächen? Sie könnten die spätere Leistung von Bewerbern messen und durch ein Modell jagen, das retrospektiv Muster erkennt. Neue Bewerber könnte man damit vergleichen – und nur die besten nehmen.

Könnte man solche Modelle für andere Settings einsetzen? Ja. Ich würde da eher an Dinge wie Bilanzfälschung denken. Das Modell sagt dann voraus, dass ein Kandidat für einen Managementposten betrügen wird. Das wäre vielleicht sogar ethisch vertretbar. Bei Vorstellungsgesprächen hingegen hätte ich Bauchschmerzen.

Wenn Computer schon Stimmen auf Pixelebene auslesen können, müssen CEOs dann künftig Schauspielunterricht nehmen?

Das wird sich jetzt zeigen. Dieser Bereich wird weiter wachsen, das ist gar keine ­Frage. Stimmanalysen werden sowohl bei Hedgefonds als auch in der Forschung an Bedeutung gewinnen.

Mich hat es beruhigt, in Ihrer Studie zu lesen, dass die besten Prognosen am Ende auch auf menschliche Intuition zurückgingen – als Sie die Computermodelle mit Analystenschätzungen kombinierten.

Ja, durch die Kombination mit dem Stimmmodell ließ sich die Prognose der Analysten noch einmal deutlich verbessern, und zwar um 40 Prozent. Das liegt daran, dass diese Experten die Unternehmen sehr ganzheitlich betrachten und dass sowohl Finanzkennzahlen, die Konjunktur als auch persönliche Einschätzungen in Analystenprognosen mit einfließen. Unser Stimmmodell liefert darüber hinaus weitere Informationen, die sie nicht erfassen können, und verbessert ihre Schätzungen.

Wann starten Sie eigentlich Ihren ersten Hedgefonds?

Dafür hatte ich noch keine Zeit.

Dann verkaufen Sie Ihr Modell doch an einen Hedgefonds.

Damit habe ich mich noch nicht im Detail auseinandergesetzt. Vielleicht ruft mich ja einer an. Dann kann ich es mir sparen, selbst einen aufzusetzen. © HBm 2023

Doron Reichmann

Jeden Monat überprüfen wir die Thesen von Wissenschaftlern und Wissenschaftle­rinnen. Dieses Mal sprach Ingmar Höhmann, Leitender Redakteur des Harvard Business managers, mit Doron Reichmann. Er leitet die FAACT-Forschungsgruppe (Finance, Accounting, Auditing, Controlling, Taxation) an der Ruhr-Universität Bochum. Bei der Studie, um die es in diesem Interview geht, hat er mit Jonas Ewertz, Charlotte Knickrehm und Martin Nienhaus zusammengearbeitet.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Juni-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.

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