BaSys 4.0 hat sich vor allem die Integration älterer Produktionsmaschinen auf die Fahnen geschrieben. - Quelle: ipopba - 123RF

Projekt BaSys 4.0 für Industrie-4.0-Fertigung

Ein großes Problem für Industrie-4.0- aber auch IoT-Projekte ist die Vereinheitlichung der durch Maschinen und Sensoren bereitgestellten Daten. Denn während ein IoT oft von Grund auf mit neuen Sensoren aufgebaut wird, können in der Produktion die bestehenden Maschinen nicht so ohne weiteres neuen weichen. Die heterogenen Daten solcher Produktionsanlagen in eine einheitliche Plattform zu bringen, war deshalb eines der Hauptziele des BaSys-4.0-Projekts, das in eine produktiv nutzbare Open-Source-Software mündete.

Das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) fasst Industrie 4.0 zusammen als "Flexibilisierung der Produktionsprozesse und wirtschaftliche Fertigung bis hin zur Losgröße 1" und definiert damit die beiden zentralen Herausforderungen der Digitalisierung in der Fertigung. Dabei besagt die erste Herausforderung unter anderem, dass die Produktion reibungslos und ohne Zeitverluste an ein neues Produkt oder eine neue Produktvariante anpassbar sein muss oder – sozusagen umgekehrt – das bisherige Produkt muss mit gleicher Qualität von anderen Maschinen erzeugt werden können. Und die zweite Herausforderung setzt der Flexibilität sogar noch die Krone auf. Diese fordert, die einmalige Herstellung eines einzelnen Produktes genauso unkompliziert abzuwickeln, als gelte es, eine Million Stück vom Band laufen zu lassen.

Selbst wenn wir nicht an die Extreme dieser Herausforderung denken, sondern nur die Produktion "milde" flexibilisieren, stellt diese Anpassung ein große Aufgabe dar – für Konzerne, aber insbesondere für KMUs. Während sich Heerscharen von Ingenieuren an die Arbeit an den Produktionsmaschinen machen, fällt der IT zunehmend die Steuerung und Überwachung der Maschinendaten zu – Stichwort Internet of Things (IoT). Und IT-seitig erkannte Fraunhofer IESE die Notwendigkeit einer Software, die wandelbare Abläufe in einem Fertigungsprozess unterstützt. Außerdem muss sie die Integration heterogener Maschinen von unterschiedlichen Herstellern zu einem Gesamtsystem beherrschen.

Gerade letzteres verursacht in der IT Sorgenfalten. Zwar liefern selbst 20 Jahre alte Fertigungsmaschinen schon Daten aus diversen Sensoren, doch wertvoll werden diese erst, wenn unterschiedliche Datenformate verschiedener Maschinen sich einheitlich in einer Datenbank ablegen lassen. Vergleichbar ist dieses in etwas mit der derzeitigen Situation in der IT, die (vergeblich) versucht, Logdaten unterschiedlicher Anwendung in einer Oberfläche zu überwachen und zu der Erkenntnis gelangt, dass neue Tools notwendig sind.

Projekt BaSys startete 2016

Am 1. Juli 2016 fiel der Startschuss für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt "Basissystem Industrie 4.0" (BaSys 4.0) [www.basys40.de], dass mit 12 Millionen Euro unterstützt wurde und über drei Jahre lief. In diesem Forschungsprojekt entwickelte das Fraunhofer IESE gemeinsam mit 14 weiteren Partnern aus dem Bereich der Produktionstechnik Konzepte, um "Digitale Zwillinge" (dazu gleich mehr) für die Produktion zu realisieren.

Angetreten sind die Forscher und Ingenieure mit dem Ziel, ein System für Produktionsanlagen zu entwickeln, das hilft, die oben genannten, zentralen Herausforderung der vierten industriellen Revolution umzusetzen. Um bestehende Technologien so zu vernetzen und zu integrieren, entwickelte das Projektteam eine virtuelle Middleware, die es erlaubt, die erforderlichen Dienste bereitzustellen und miteinander zu verknüpfen.

Digitaler Zwilling als Industrie-4.0-Fundament

Das zentrale Konzept der virtuellen Middleware ist der Digitale Zwilling. Ein Digitaler Zwilling repräsentiert ein reales Objekt – materiell oder immateriell – in der digitalen Welt in Form von Daten und Algorithmen und kann über Sensoren mit der realen Welt gekoppelt sein. Sie sind ein wichtiger Grundbaustein von Industrie-4.0-Konzepten und waren schon vor dem BaSys-Projekt bekannt. Digitale Zwillinge beschreiben die Eigenschaften und das Verhalten der realen Objekte unter bestimmten Bedingungen und können über Sensoren in Echtzeit mit der realen Welt in Verbindung stehen. Bei den Objekten kann es sich um Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse handeln. Die Objekte können tatsächlich in der realen Welt bestehen oder für die zukünftige Verwendung geplant sein.

Dank der Kopplung mit realen Daten, wie Umgebungsbedingungen oder Maschinenpositionen, erlauben die Digitalen Zwillinge die Durchführung von komplexen Analysen und Simulationen. Für die Digitalisierung von Produktionsprozessen und Industrie 4.0 stellen Simulations-, Analyse-, Produktions- und Entwicklungsprozesse mit Digitalen Zwillingen die Basis dar. In der Industrie 4.0 begleiten die Digitalen Zwillinge den kompletten Entwicklungs-, Produktions- und Betriebszyklus eines Produktes oder Services. Abläufe lassen sich dank virtueller Simulationsmodelle planen, optimieren und anpassen.

Umsetzung des Digitalen Zwillings in BaSys

Das Besondere an BaSys 4.0 ist das Konzept der dienstbasierten Fertigung. Diese trennt die Implementierung eines Dienstes vom Produktionsprozess, der den Dienst aufruft. Damit adressiert es ein zentrales Problem beim Wandel aktueller Produktionsprozesse: Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) definieren den Produktionsprozess, der auf Implementierungen in zahlreichen SPS verteilt ist. Eine Änderung des Prozesses hat Seiteneffekte, die Anpassungen in vielen SPS erfordern, zum Beispiel weil sich die Bedeutung von Signalen oder Nachrichten ändert.

Eine dienstbasierte Fertigung definiert Schnittstellen für Dienste, die unabhängig von einem Prozess aufgerufen werden. Der Fertigungsprozess wird in einem Orchestrator realisiert, der die Dienste aufruft. Damit ist es möglich, den Fertigungsprozess zu ändern, ohne die Dienste zu ändern oder Seiteneffekte zu produzieren. Die "Verwaltungsschale" (so nennt BaSys seine Digitalen Zwillinge) dient dabei als allgemeine Kommunikationsschnittstelle. Die Grundidee ist, dass jedes Asset in der Produktion wie etwa eine Maschine, eine Produktionslinie oder ein Produkt über eine solche Verwaltungsschale verfügt, die alle Informationen zu diesem Asset in digitaler Form enthält oder auf diese verweist. Dies können zum Beispiel Informationen zu grundlegenden Eigenschaften des Geräts wie Größe, Gewicht oder Energieverbrauch sein.

Die Verwaltungsschale dient außerdem als Abstraktionsschicht, mit der der Zugriff auf die Informationen eines Assets vereinheitlicht wird. Durch diese Vereinheitlichung des Zugriffs auf Assets erhöht sich nicht nur die Wiederverwendbarkeit von Software, sondern auch die Wandelbarkeit. So können Geräte mit gleichen Produktionsfähigkeiten problemlos gegeneinander ausgetauscht werden.

Bevor wir gleich zu den Details der letztlich entwickelten Middleware kommen, möchten wir noch kurz die Vorteile von BaSys 4.0 zusammenfassen. Denn nicht alle Aspekte des Projekts lassen sich in der Kürze dieses Artikels beleuchten. Das Projektteam selbst summiert auf:

  • Bereitstellung und Implementierung zentraler Industrie-4.0-Konzepte als Open-Source-Projekt

  • Einfaches Erstellen Digitaler Zwillinge über definierte Schnittstellen

  • Wandlung der Produktion in Minuten, nicht in Monaten

  • Enabler für Losgröße 1

  • Einfache Integration sowohl bereits bestehender als auch neuer Anlagen

  • Durchgriff auf Prozessdaten aus der Verwaltung

  • Fertige Referenzkomponenten für schnelle Inbetriebnahme

  • Predictive Maintenance

  • Virtuelle Middleware BaSyx

Die dem BaSys-Projekt letztendlich entsprungene Middleware wurde auf den Namen "BaSyx" [https://projects.eclipse.org/projects/technology.basyx#_blank] getauft. Diese ist Open Source und lässt sich unter dem genannten Link-Code herunterladen. Dabei ist BaSyx verständlicherweise kein kleines Tool, dass der IT-Verantwortliche eben mal herunterlädt und mit wenigen Klicks in Betreib nimmt. Dennoch wird in einem entsprechenden Projekt die Schnittstelle zwischen IT und Produktionsverantwortlichen an dieser Software laufen, weshalb wir einen Blick auf die Technologie darin werfen möchten.

Grundsätzlich sind die Komponenten einer BaSyx-Implementierung in vier Schichten strukturiert, die den jeweiligen Komponententyp, deren Interaktionen und Schnittstellen beschreiben:

  • Das "Field Level" besteht aus Geräten zur Automatisierung, Sensoren und Bedienteilen ohne BaSys-konformes Interface.

  • Das "Device Level" enthält Geräte zur Automatisierung, die ein BaSys-4.0-konformes Interface anbieten. Hierzu zählen auch "Bridging Devices", die solche BaSys-4.0-Schnittstellen für Geräte bereitstellen, die keine konforme Schnittstelle haben.

  • Das "Middleware Level" umfasst wiederverwendbare Industrie-4.0-Komponenten, die generische produktionsspezifische Fähigkeiten implementieren. Auch Registry- und Discovery-Dienste, Protokoll-Gateways und Verwaltungsschalen finden hier ihre Heimat.

  • Das "Plant Level" besteht aus Werkzeugen, die die Produktion verwalten, überwachen und optimieren.

Als Middleware sorgt BaSyx für die virtuelle Ende-zu-Ende-Kommunikation zwischen jedem Paar vernetzter Geräte. Diese Kommunikation ist dabei über die Grenzen von Netzwerken, Protokollen und Herstellern hinweg möglich. Bei den Netzen unterstützt BaSyx die wichtigsten Industrie-4.0-Protokolle wie OPC-UA und OneM2M, aber auch IT-Standards wie HTTP/REST und TCP/UDP.

Außerdem stellt die Software Verzeichnis- und Discovery-Dienste bereit. Denn für Industrie 4.0 ist es besonders wichtig, alle Geräte über ein einheitliches Protokoll auffindbar zu machen, wofür in BaSyx die Discovery-Dienste verantwortlich zeichnen. Der Verzeichnisdienst ordnet dann wiederrum gefundenen logischen Devices eine ID zu und mappt diese auf die Netzwerkadressen.

Auch die Verwaltungsschalen bildet die Middleware ab. Dabei sorgt die Software dafür, dass alle am Produktionsprozess beteiligten Einheiten wie etwa Fertigungsmaschinen über ein sinnvolles, gemeinsames Datenformat miteinander kommunizieren können. Hier spielen auch die sogenannten "Model Provider" eine Rolle, die über eine gemeinsame API für die Integration der verschiedenen Datenquellen innerhalb der Produktion sorgen. Die unterstützen Datenformate sind hier beispielsweise SQL-Daten, Excel, CSV und EMF.

Über Gateways überbrückt BaSys schließlich unterschiedliche Protokolle und Netzwerke, um für eine reibungslose Ende-zu-Ende-Kommunikation in Produktionsstraßen mit heterogenen Netzwerktopologien zu sorgen. Auch leisten Gateways die Übersetzung von BaSyx-Kommandos zu den nativen Protokollen wie zum Beispiel Modbus/TCP. Damit ist die Integration bestehender Geräte in die Industrie-4.0-Produktion möglich.

Neben der Middleware stellt BaSyx auch ein SDK bereit, dass die einfache Nutzung von APIs erlaubt. Das SDK unterstützt die Entwicklung, das Management und den produktiven Einsatz von Verwaltungsschalen, Verzeichnissen und sogenannten Sub Models für Industrie 4.0. Das BaSyx-SDK ist verfügbar für Java, C# und C++.

Fazit

Es gibt sicherlich zahlreiche Geschäftsführer und Vorstände, die in Industrie 4.0 aktuell nur ein Konzept sehen, zu dem sich das eigene Geschäft zukünftig (vielleicht) entwickeln soll. Ein Konzept, dass häufig gar nicht richtig verstanden wird und so unter Umständen zu einer aktionistischen "Digitalisierung" führen, die mit Industrie 4.0 aber nichts zu tun hat. Unabhängig davon, ob in Ihrer Firma auch so, deutlich fundierter oder noch gar nicht digitalisiert wird, zeigen das BaSys-4.0-Projekt und die daraus entstandene BaSyx-Software, dass die aktuelle industrielle Revolution die Startlöcher bereits verlassen hat. Denn diese ist längst produktiv bei Erstanwendern im Einsatz und hilft nicht zuletzt bei einem der größten Problemen von Industrie 4.0 – der Integration von älteren Produktionsmaschinen und der Vereinheitlichung der Datenbasis. Und dass das alles in Deutschland kein "Neuland" ist, zeigt nicht zuletzt die Fördermöglichkeit [www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1941.html#_blank] des Bundes beim Einsatz von BaSyx in KMUs.

Autor: John Pardey

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