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Projektmanagement: Projekte planen nach dem Lego-Prinzip

Großprojekte werden immer teurer und dauern länger als geplant? Muss nicht sein. Denken Sie wie ein Lego-Baumeister: Entwerfen Sie Ihr Projekt aus kleinen Modulen, nutzen Sie bewährte Technik – und fügen Sie dann alles so schnell wie möglich zusammen. Damit senken Sie Ihre Kosten und Risiken deutlich.

Von Bent Flyvbjerg

Der Klimawandel zwingt viele Branchen, massiv in neue Technologien zu investieren und ihre Infrastruktur zu überholen. Die öl- und kohlebetriebenen Stromerzeuger des vergangenen Jahrhunderts weichen Windkraft- und Solaranlagen. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor könnten bald ebenso der Vergangenheit angehören wie das dazugehörige Tankstellennetz. Die Umstellung wird teuer und ist mit erheblichen Risiken verbunden.

Ich forsche und berate seit mehr als 30 Jahren zu Megaprojekten. Meiner Erfahrung nach entscheiden zwei Faktoren über den Erfolg: die reproduzierbare Modularität im Design und die Geschwindigkeit bei der Iteration. Lässt sich ein Projekt schnell und modular umsetzen und gibt es dabei Raum für Experimente und Lernen, wird es wahrscheinlich erfolgreich sein. Planen die Verantwortlichen hingegen in riesigem Maßstab und mit hoch integrierten Komponenten, die nur für das Projekt entworfen wurden, gerät es wahrscheinlich in Schwierigkeiten oder scheitert.

Leider zielen viele Megaprojekte von Unter-nehmen und Regierungen – wie Staudämme, Chemieanlagen, Flugzeuge oder groß angelegte Enterprise-Resource-Planning-Systeme – auf ein monolithisches und individuelles Ergebnis ab. Solche Projekte müssen zu 100 Prozent fertiggestellt sein, bevor sie Nutzen bringen können. So ist ein Nuklearreaktor, selbst wenn er zu 95 Prozent fertig ist, noch immer nicht funktionsfähig. Die Bauteile sind in der Regel maßgefertigt und in hohem Maße spezifisch statt modular. Dadurch sind die Lernmöglichkeiten gering und die Kosten für Integration und Nachbesserungen, wenn Probleme auftreten, hoch. Häufig kommen neue Technologien und maßgeschneiderte Designs zum Einsatz – ebenfalls zulasten der Geschwindigkeit und der modularen Skalierbarkeit.

Hinzu kommt, dass die Verantwortlichen den Umfang von Megaprojekten meist schon viele Jahre vor der geplanten Inbetriebnahme festlegen. Das kann katastrophale Folgen haben, wenn mehr Kapazitäten gebaut werden, als letztlich benötigt werden, oder wenn die Nachfrage größer ist als erwartet und sich die Kapazitäten nicht nachträglich ausbauen lassen. Ein Beispiel für den ersten Fall ist der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, der Frankreich und Großbritannien verbindet. Die Auslastung ist nur etwa halb so hoch wie ursprünglich geplant; ein großer und teurer Teil der Kapazitäten bleibt ungenutzt. Aus finanzieller Sicht war der Eisenbahntunnel ein Desaster (siehe "Der Eurotunnel: Vom Prestigeprojekt zum Desaster" unter dem Text).

Wenn Großkonzerne wie BP oder Tesla zehn Millionen Dollar in ein Projekt investieren, können sie es verschmerzen, wenn sich die Kosten später verdoppeln. An ihrem Gewinn würde das kaum etwas ändern. Liegt das geschätzte Budget jedoch bei zehn Milliarden US-Dollar oder mehr, steht einiges mehr auf dem Spiel, selbst für Regierungen. Clevere Unternehmen setzen daher Prozesse und Technologien ein, die sich für eine modulare Bauweise und schnelles Lernen eignen und bei Problemen weniger komplizierte Nachbesserungen erfordern.

Gründern aus dem Technologiesektor dürfte dieser Ansatz vertraut und logisch erscheinen. Großunternehmen und Regierungen müssen solche Lektionen jedoch erst noch verinnerlichen. Zwar lassen sich viele Megaprojekte wie Brücken oder Kraftwerke wahrscheinlich niemals vollständig modular entwerfen. Doch es gibt noch erheblichen Spielraum. Unternehmen können Technologien wählen, die eine schnelle Skalierung ermöglichen, und Modularität herstellen, indem sie bewährte Technologien auf innovative Weise einsetzen.

Betrachten wir zunächst die Frage, wie sich Projekte schnell skalieren lassen.

Machen Sie Tempo, bauen Sie Module

Geschwindigkeit ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Megaprojekten, weil längere Bauzeiten ein höheres Risiko und mehr Unsicherheit bedeuten. Philip Tetlock, Professor an der US-amerikanischen Elitehochschule Wharton School, hat in jahrzehntelanger Forschung belegt, dass Menschen bestimmte Ereignisse – etwa Wirtschaftswachstum, makroökonomische Maßnahmen, Konjunkturzyklen, technologische Fortschritte und geopolitische Konflikte – über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr recht zuverlässig vorhersagen können. Danach nimmt die Zuverlässigkeit der Prognosen jedoch rapide ab. Jenseits eines Zeithorizonts von drei bis fünf Jahren verschwindet die Zuverlässigkeit komplett. Wenn wir richtig liegen, dann durch Zufall.

Tetlocks Einschätzung ist wahrscheinlich sogar noch zu optimistisch. Seine Ergebnisse beziehen sich auf die Arbeit hoch qualifizierter Prognostiker. Außerdem waren die von ihm untersuchten Vorhersagen vereinfacht. Oft handelte es sich um Ja/Nein-Antworten auf Fragen wie "Wird im nächsten Jahr ein Land aus der Eurozone austreten?" oder "Wird Nordkorea noch in diesem Jahr eine Atombombe zünden?". Im wirklichen Leben sind die Antworten der meisten Prognosen jedoch nicht binär, sondern decken ein breites Spektrum möglicher Ergebnisse ab. Sie befassen sich mit Fragen wie: "Wie viele Menschen werden im Laufe des Jahres wahrscheinlich an Covid-19 sterben?" oder "Wie viel wird der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes in Kalifornien voraussichtlich kosten?". Binäre Fragen sind einfacher zu beantworten als Fragen mit vielen möglichen Antworten, doch letztere kommen in der Praxis häufiger vor.

Die Unternehmer und Investoren im Silicon Valley konkurrieren auf Märkten, die nach dem "Winner take all"-Prinzip (deutsch: "Der Sieger nimmt alles") funktionieren. Sie haben schon vor langer Zeit verstanden, wie wichtig Geschwindigkeit ist. Neue Techunternehmen legen großen Wert darauf, innerhalb ihres ersten Jahres ein MVP (Minimum Viable Product; deutsch: minimal funktionsfähiges Produkt) zu entwickeln und sich innerhalb von drei bis fünf Jahren als Marktführer zu etablieren.

Der Mitbegründer von Linkedin, Reid Hoffman, nennt diesen Prozess "Blitzscaling" und argumentiert, dass sich das Silicon Valley durch seine Scale-ups – und nicht durch seine Start-ups – von anderen Techökosystemen unterscheidet.

Geschwindigkeit ist aber nur die halbe Miete. Was noch fehlt, beschreiben der ehemalige Chairman und CEO von Alphabet, Eric Schmidt, und der ehemalige Senior Vice President of Products von Google, Jonathan Rosenberg, so: ausliefern und iterieren. "Erschaffen Sie ein Produkt, liefern Sie es aus, beobachten Sie, wie es funktioniert, entwerfen und implementieren Sie Verbesserungen, und bringen Sie es erneut auf den Markt", lautet ihr Rat. "Die Unternehmen, die diesen Prozess am schnellsten durchlaufen, werden sich durchsetzen."

Die Iteration stellt sicher, dass die Qualität des Angebots im Laufe der Zeit konstant zunimmt. Carliss Baldwin und Kim Clark, emeritierte Professoren der Harvard Business School, haben vor mehr als zwei Jahrzehnten gezeigt: Iteration führt zu Lernen, weil eine Feedbackschleife entsteht, in der die Erfahrungen aus der Ablieferung eines Moduls positiv in die Ablieferung des nächsten Moduls einfließen, und dies wiederholte Male. Die Iteration bietet auch Raum für Experimente. Anstatt direkt aufs Ganze zu gehen, können Sie zunächst mit ein paar Modulen experimentieren, anschließend bei deren Nachfolgern nachbessern und den Vorgang so lange wiederholen, bis Ihr Produkt die gewünschte Qualität erreicht hat. Erst dann beginnen Sie mit einer großflächigen Umsetzung. Man kann leicht erkennen, wieso Geschwindigkeit dabei eine wichtige Rolle spielt: Je schneller Sie iterieren, desto mehr lernen Sie und desto weiter können Sie Ihre Kosten senken und Ihre Sicherheit und Produktivität erhöhen.

Experimentieren und Lernen sind Fähigkeiten, die Menschen von Natur aus gut beherrschen. Deshalb hat ein Projekt, das auf modularer Reproduzierbarkeit aufbaut, bessere Erfolgschancen als eines, das sich auf langfristige Planung und Vorhersagen verlässt – Fähigkeiten also, die Menschen von Natur aus eher schlecht beherrschen.

Schauen wir uns ein Megaprojekt an, das heute als Inbegriff für intelligentes Skalieren gilt.

Die Gigafactory 1 von Tesla, auch bekannt als Giga Nevada, ist eine fünf Milliarden Dollar teure Hightech-Produktionsstätte für Lithium-Ionen-Akkus. Sie entsteht derzeit östlich von Reno im US-Bundesstaat Nevada. Ziel dieses Megaprojekts ist es, Elektrofahrzeuge und Energiemanagementsysteme für Wohngebäude erschwinglicher zu machen durch die Produktion von Akkus in noch nie da gewesener Größenordnung. Wird die Gigafactory 1 wie geplant fertiggestellt, wird sie auf einer Grundfläche von mehr als einer halben Million Quadratmetern stehen. Das entspricht 107 American-Football-Feldern. Damit übertrifft sie alle anderen Gebäude auf der Welt.

Tesla errichtet die Fabrik in modularer Bauweise. Zu Beginn definierte das Unternehmen eine minimal funktionsfähige Produktionsanlage, Block genannt. Sie lässt sich sofort nach Fertigstellung in Betrieb nehmen und liefert Erkenntnisse für den Bau der nachfolgenden Blöcke.

Tesla baut die größte Fabrik der Welt in einzelnen Blöcken, die sich sofort nach Fertigstellung in Betrieb nehmen lassen.

Tesla legte den Grundstein der Gigafactory 1 Ende 2014. Bereits im dritten Quartal 2015 war der erste Bauabschnitt abgeschlossen und produzierte die Tesla Powerwall, einen Energiespeicher für Privathaushalte. Im Juli 2016 waren drei der 21 Blöcke – etwa 14 Prozent des gesamten Werks – fertiggestellt, und Tesla weihte die Anlage feierlich ein. Im Januar 2017 begann dann die Massenproduktion von Batteriezellen.

Der Bau schreitet deutlich schneller voran als bei anderen Projekten dieser Größenordnung; in der Regel vergehen zwischen Baubeginn und Inbetriebnahme fünf bis sieben Jahre. Im Jahr 2014 lag die erwartete Kapazität der Gigafactory 1 bei 35 Gigawattstunden pro Jahr. Tesla scheint diese Kapazität jedoch schon vor Fertigstellung des Werks erreicht zu haben, was darauf hindeutet, dass während der Konstruktion und Fertigung ein erheblicher Lernprozess stattgefunden hat.

Der Fokus auf Geschwindigkeit hat Tesla zwei große Vorteile gebracht: Erstens verringerte das Unternehmen das Risiko von Kostenüberschreitungen, welche mit zunehmender Dauer eines Projekts häufig deutlich zunehmen. Zweitens erwirtschaftete Tesla bereits ein Jahr nachdem die Entscheidung für das Projekt gefallen war, erste Einnahmen – deutlich früher, als es bei einem herkömmlichen Ansatz möglich gewesen wäre. Beide Vorteile sind von wesentlicher Bedeutung für ein schnell wachsendes Unternehmen, das es sich nicht leisten kann, sein Kapital in langwierigen, riskanten Bauvorhaben zu binden.

Herkömmliche Megaprojekte nehmen leider einen sehr anderen Verlauf.

Das japanische Kernkraftwerk Monju war der Prototyp eines schnellen Brutreaktors und als erster seiner Art für die kommerzielle Nutzung bestimmt. Japan selbst verfügt über wenige eigene Energiequellen. Daher sollte dieses nach der buddhistischen Gottheit der Weisheit benannte Kraftwerk zum Eckpfeiler eines vorrangigen nationalen Programms zur Wiederverwendung und später auch zur Herstellung von Kernbrennstoff werden.

Die Anlage war vollständig maßgefertigt: Unter Einsatz modernster Technologien wurde jeder Abschnitt und jedes Bauteil für eine spezifische Anwendung entwickelt und gefertigt. Baubeginn war 1986; acht Jahre später, im Jahr 1994, erreichte die Anlage planmäßig erstmals die Kritikalität (eine sich selbst erhaltende nukleare Kettenreaktion). Das Kraftwerk ging in den Testbetrieb und wurde im August 1995 offiziell eingeweiht.

Doch im Dezember desselben Jahres brach ein größerer Brand aus, der die Inbetriebnahme um fünf Jahre verzögerte. Während dieser Zeit kamen weitere Probleme ans Licht, wodurch der Zeitplan noch weiter in Verzug geriet. Erst 2010 nahm die Anlage den Testbetrieb wieder auf. Kurze Zeit später stürzte während eines Brennelementwechsels eine drei Tonnen schwere Maschine in den Reaktorbehälter. Deren Bergung nahm beinahe ein Jahr in Anspruch.

Nachdem weitere Probleme aufgetaucht und schwerwiegende Wartungsmängel entdeckt worden waren, fiel im Mai 2013 die Entscheidung, sämtliche Vorbereitungen für die Wiederinbetriebnahme des Reaktors zur kommerziellen Nutzung einzustellen. Die Atomaufsichtsbehörde erklärte den Betreiber von Monju für ungeeignet, den Reaktor zu betreiben. Im Dezember 2016 legte die Regierung die Anlage endgültig still.

Mehr als 30 Jahre nach Baubeginn sind für das Kernkraftwerk Monju bislang Kosten in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar entstanden. Angeblich hat die Anlage im Laufe ihrer 22 Jahre lediglich eine Stunde lang Strom erzeugt. Der Rückbau wird voraussichtlich weitere 30 Jahre dauern, bis ins Jahr 2047, und weitere 3,4 Milliarden US-Dollar verschlingen. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit sind diese Zahlen eher optimistisch gewählt; weitere Verzögerungen und Kostenüberschreitungen sind quasi unvermeidlich. Im günstigsten Fall wird Monju als 60 Jahre dauerndes, 15 Milliarden US-Dollar teures Projekt ohne oder sogar mit einem negativen Nutzen in die Geschichte eingehen. Leider ist Monju kein Einzelfall, sondern lediglich eines der anschaulichsten Beispiele.

Der Gegensatz zu Tesla könnte nicht augenfälliger sein. Der Entwurf für Monju war in keiner Weise vergleichbar mit den reproduzierbaren Produktionsmodulen der Gigafactory 1, die es Tesla ermöglichte, kontinuierlich zu lernen und immer besser und schneller zu skalieren. Bei Monju waren alle Bestandteile nur auf eine einzige, komplexe Anwendung ausgelegt. Dies führte zu einem Phänomen, das Experten für den Bereich Operations als "negatives Lernen" bezeichnen: Neue Erkenntnisse verlangsamen den Fortschritt eher, als ihn zu beschleunigen. Je mehr das Team von Monju dazulernte, desto mehr Hindernisse und notwendige Arbeiten identifizierte es.

Natürlich kann es bei Megaprojekten schwierig sein, sie in reproduzierbare Einheiten zu zerlegen, die Iterationen und positive Lerneffekte erst ermöglichen. Bei Bauprojekten, so scheint es, verlangsamt sich alles, sobald man ein erstes Loch in die Erde gegraben hat. Plötzlich treten unvorhersehbare Probleme auf, und man braucht allerlei Speziallösungen.

Doch schwierig bedeutet nicht unmöglich. Bei fast jedem Projekt lässt sich ein großer Teil der Aufgaben reproduzierbar machen. Selbst schlecht skalierbare Projekte bieten somit einen gewissen Spielraum, um negatives in positives Lernen zu verwandeln. Es geht nicht um ein Entweder-oder – also skalierbar oder nicht –, sondern um den Grad der Skalierbarkeit. Ziel muss es sein, jedes Projekt so skalierbar wie möglich zu gestalten, selbst die, bei denen dies kaum vorstellbar erscheint.

Ein Beispiel ist die U-Bahn der spanischen Hauptstadt Madrid.

Manuel Melis Maynar hat verstanden, wie wichtig die Skalierbarkeit ist. Als erfahrener Bauingenieur und Chef der Metro von Madrid war er für eines der größten und schnellsten U-Bahn-Ausbauprogramme in der Geschichte verantwortlich.

Der Bau von U-Bahnstrecken in Städten ist normalerweise ein extrem langwieriges Unterfangen, auch weil jedes Projekt einzigartig ist. Von der Entscheidung, in eine neue Bahnlinie zu investieren, bis zur ersten Zugfahrt können leicht zehn Jahre vergehen, wie es zum Beispiel bei der City Circle Line in Kopenhagen der Fall war. Wenn unvorhergesehene Probleme auftauchen, können es auch schnell 15 bis 20 Jahre werden, wie im Fall der Londoner Victoria Line. Melis war überzeugt, dass es einen besseren Weg geben musste. Und er fand ihn.

Der Ausbau des U-Bahn-Netzes begann 1995. Dank des radikalen Ansatzes von Melis dauerte er nur acht Jahre. Er lief in zwei Phasen ab (1995 bis 1999: 56 Kilometer Schienen und 37 Stationen; 1999 bis 2003: 75 Kilometer Schienen und 39 Stationen). Was Projektmanagementbeispiele angeht, so ist die Madrider Metro ein ausgeprägter Gegensatz zum Eurotunnel, der seine Investoren teuer zu stehen kam.

Der Erfolg von Melis lässt sich auf drei Grundregeln bei der Planung und Verwaltung des Projekts zurückführen:

Keine Denkmäler. Melis entschied sich gegen außergewöhnliche architektonische Merkmale in den U-Bahn-Stationen. Solche Verschönerungen sind in der Branche üblich. Manchmal erhält sogar jede Station ein eigenes, einzigartiges Denkmal (man denke nur an Stockholm, Moskau, Neapel oder die Londoner Jubilee Line). Melis wusste, dass die individuelle Gestaltung häufig zu Verzögerungen und steigenden Kosten führte. Warum also unnötige Probleme schaffen? Er ließ seine Stationen alle nach demselben modularen Design und in bewährter offener Bauweise ("Cut and cover"-Verfahren) konstruieren. Das gewährleistete Reproduzierbarkeit und sorgte dafür, dass Lernerfahrungen aus dem Bau einer Station in den Bau der nächsten einfließen konnten.

Keine neuen Technologien. Bei diesem Großprojekt, so entschied Melis, sollten keine neuartigen Bauverfahren, Designs oder U-Bahn-Waggons zum Einsatz kommen. Damit schwamm er wieder gegen den Strom, denn üblicherweise brüsten sich U-Bahn-Planer gern mit dem Einsatz modernster Signaltechnik, fahrerloser Züge und Ähnlichem.

Doch Melis war klar, dass die Entwicklung neuer Produkte in jedem Unternehmen Risiken mit sich bringt – auch in seinem. Also verzichtete er darauf. Er drang auf Technologien, die sich bewährt hatten und sich schnell, kostengünstig, sicher und in hoher Qualität herstellen ließen. Aus diesem Grund kamen bestehende, erprobte Produkte und Verfahren zum Einsatz, die Melis und sein Team neu kombinierten. Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist der Ansatz, den Apple bei seinen Innovationen verfolgt – mit bekanntermaßen großem Erfolg.

Der Chef der Metro von Madrid plante eines der größten und schnellsten U-Bahn-Ausbauprogramme in der Geschichte.

Geschwindigkeit. Melis hatte verstanden, dass Zeit mit einem Fenster vergleichbar ist: Je größer es ist, desto mehr Unheil kann hereinfliegen, inklusive unvorhersehbarer Ereignisse mit katastrophalen Auswirkungen, den sogenannten Schwarzen Schwänen. Also dachte Melis intensiv darüber nach, wie er sein Fenster radikal verkleinern konnte. Und das bedeutete in seinem Fall, den Tunnelbau zu beschleunigen.

Beim Bau eines U-Bahn-Netzes bringen Städte üblicherweise ein oder zwei Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz. Melis berechnete stattdessen die optimale Tunnellänge, die ein Team mit einer Bohrmaschine schaffen konnte. In der Regel waren dies drei bis sechs Kilometer in 200 bis 400 Tagen. Dann teilte er die Gesamtlänge des geplanten Tunnels durch diese Zahl und beauftragte anschließend die Anzahl von Maschinen und Teams, die nötig waren, um seinen Zeitplan einzuhalten. Stellenweise setzte er bis zu sechs Maschinen auf einmal ein – das war ein absolutes Novum zu dieser Zeit. Seine Moduleinheit war die optimale Tunnellänge pro Maschine. Wie die Stationsmodule wurden auch die Tunnelmodule immer wieder reproduziert, was positive Lernerfahrungen möglich machte.

Dabei trat ein unerwarteter Nebeneffekt auf: Die Bohrteams begannen miteinander zu konkurrieren, wodurch sich das Tempo zusätzlich beschleunigte. Abends trafen sie sich in den Tapas-Bars der Stadt und verglichen ihre täglichen Fortschritte. Jeder wollte die Nase vorn haben, und so kam es nebenbei auch zu einem Wissenstransfer zwischen den Teams. Da viele Maschinen und Teams parallel im Einsatz waren, konnte Melis systematisch untersuchen, welche die besten Leistungen erbrachten und diese beim nächsten Bauabschnitt erneut beauftragen – auch dies war eine positive Lernerfahrung.

Um zeitraubende Auseinandersetzungen mit Bürgergruppen zu vermeiden, entwickelte Melis ein Feedbacksystem. Er konnte die Bürger sogar überreden, die Tunnelbauarbeiten rund um die Uhr hinzunehmen anstatt nur an Werktagen zu den üblichen Arbeitszeiten. Er fragte sie einfach ganz offen, ob sie eine Bauzeit von drei Jahren bevorzugten oder lieber eine von acht Jahren.

Keine Denkmäler, keine neuen Technologien, modular und schnell – das geht nur mit einem langweiligen, minderwertigen Design, richtig? Doch wer in Madrid mit der U-Bahn fährt, findet große, funktionale, luftige Stationen und Züge vor – kein Vergleich zu den dunklen, engen Katakomben, die man aus London und New York kennt. Die Metro, die Melis geschaffen hat, ist ein Arbeitstier ohne extravagante Technologien, die ihren Betrieb behindern könnten. Sie tut genau das, was sie soll, nämlich tagein, tagaus und Jahr für Jahr Millionen von Fahrgästen zu transportieren.

Verglichen mit dem Branchendurchschnitt hat Melis dies alles mit der Hälfte des Budgets und in der doppelten Geschwindigkeit erreicht – was zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Die gegensätzlichen Erfahrungen der hier vorgestellten Projekte legen nahe, dass Unternehmen und Regierungen bei großen Vorhaben mit Sorgfalt und Bedacht in Technologien investieren müssen, die sich für intelligentes Skalieren eignen.

Der Energiesektor beispielsweise muss den derzeitigen Teufelskreis des negativen Lernens durchbrechen und das Geheimnis des schnellen, reproduzierbaren Skalierens entschlüsseln. Small Modular Reactors (SMR; deutsch: kleine modulare Kernkraftwerke) könnten eine Lösung sein. Die Kosten pro Reaktor liegen bei schätzungsweise einer Milliarde Dollar. Ein erster SMR ist im US-Bundesstaat Wyoming bereits in Planung – finanziert von den Milliardären Bill Gates und Warren Buffett. Doch der Bau soll sieben Jahre dauern, das ist zu lang. Angesichts der drohenden Klimakrise können wir nicht so lange warten.

Windkraft ist die bessere Alternative. Die Turbinen sind modular und reproduzierbar – und damit ideale Kandidaten zum Skalieren. Ursprünglich wurden sie vor Ort aufgebaut, doch die Unternehmen erkannten schnell, dass dies ineffizient war, und verlegten die Fertigung in Hallen. Dort nutzten sie industrielle Prozesse und Logistikverfahren, die sie kontrollieren und optimieren konnten.

Der Offshore-Windpark London Array war bei seiner Fertigstellung 2013 der größte der Welt und kostete drei Milliarden Dollar (Preise aus dem Jahr 2012). Der erste Spatenstich erfolgte im März 2011; die Stromproduktion begann im Oktober 2012; und im April 2013, nur zwei Jahre und einen Monat nach Baubeginn, waren alle Turbinen in Betrieb. Nach heutigen Maßstäben wäre das nicht mehr unbedingt schnell. 2018 wurden bei der Erweiterung des Windparks Walney vor der englischen Küste in weniger als einem Jahr 87 Turbinen errichtet.

Auch andere Branchen verabschieden sich von den traditionellen Megaprojekten, etwa die Raumfahrtindustrie. Die Nasa benötigt in der Regel ein Jahrzehnt für die Planung und ein weiteres Jahrzehnt für den Bau ihrer komplizierten Entwürfe. Ihre Missionen sind zu groß, um ein Scheitern zu erlauben, und zu langsam, um bei einem Misserfolg wieder von vorn anzufangen. Je länger ein Projekt dauert, desto höher ist das Risiko eines endgültigen Scheiterns. Und dabei bieten sich kaum Möglichkeiten für Lernerfahrungen. Doch eine neue Generation von Raumfahrtunternehmern, darunter Elon Musk, senkt die Kosten und Lieferzeiten drastisch. Sie setzen auf wiederverwendbare, standardisierte Bausteine aus der industriellen Fertigung.

Dove-Satelliten bestehen aus vielen 10 x 10 x 10 Zentimeter großen Modulen, genannt Legosteine.

Einer dieser Unternehmer ist Will Marshall. Er begann seine Karriere als junger Ingenieur im Jet Propulsion Laboratory der Nasa, das Raumsonden entwickelt. Irgendwann wurde er der langsamen und verschwenderischen Prozesse in der Raumfahrtindustrie überdrüssig. Er wollte die Dinge anders machen. Zusammen mit zwei anderen ehemaligen Nasa-Mitarbeitern gründete er Planet Labs und baute in seiner Garage im kalifornischen Cupertino einen Satelliten namens Dove.

Dove-Satelliten wiegen nur etwa 4,5 Kilo, lassen sich in wenigen Monaten bauen und kosten weniger als eine Million Dollar – inklusive Start und Betrieb. Damit sind sie viel kleiner, schneller und günstiger als alle Nasa-Satelliten. Trotzdem sind sie genauso gut konstruiert und sogar beweglicher. Jeder Satellit besteht aus drei CubeSat-Modulen, die aus vielen 10 x 10 x 10 Zentimeter großen Modulen zusammengesetzt sind. Marshall nennt sie Legosteine. Um Kosten und Lieferzeiten gering zu halten, nutzt der Hersteller für die Elektronik und die Struktur der CubeSats handelsübliche Komponenten, zum Beispiel solche, die in Masse für Mobiltelefone und Privatdrohnen produziert werden. In den 2010er Jahren hat Planet Labs mehrere Hundert Satelliten ins Weltall geschossen – die größte Konstellation, die jemals in die Umlaufbahn gebracht wurde. Sie liefern aktuelle Daten für die Klimaüberwachung, die Landwirtschaft, den Katastrophenschutz und die Stadtplanung.

2014 verlor Planet Labs 26 seiner Dove-Satelliten. Sie befanden sich an Bord einer großen Weltraumrakete, die auf der Startrampe explodierte. Gemessen an den bis dahin neun erfolgreichen Starts hatte dieser Verlust jedoch kaum Auswirkungen auf das Unternehmen. Es konnte die zerstörten Satelliten schnell durch neue ersetzen, die es erfolgreich in die Umlaufbahn brachte. Dank Marshalls modularem Ansatz ist jede Mission kostengünstig genug, um ein Scheitern zu erlauben, und im Falle eines solchen Scheiterns schnell genug, um reproduzierbar zu sein. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen dabei bereits in die nächste Iteration mit ein.

Ich rate jedem, der ein Großprojekt plant, den Beispielen von Tesla, Planet Labs, der Stadt Madrid und den Windparks zu folgen. Wo immer möglich, sollten Sie auf Basistechnologien zurückgreifen, die sich für eine modulare und reproduzierbare Anwendung eignen. Ist dies nicht möglich, sollten Sie versuchen, herkömmliche, bewährte Technologien auf innovative und modulare Weise einzusetzen. So können Sie bei jeder Iteration lernen, Ihre Kosten senken und Ihre Geschwindigkeit erhöhen.

Dieser Ansatz hat sich sogar bei einem so schwierigen und sehr individuellen Projekt wie dem Bau einer U-Bahn unter einer Großstadt als effektiv erwiesen; er sollte sich daher auch für beinahe jedes andere Projekt eignen. Ihre Möglichkeiten sind so groß wie Ihre Vorstellungskraft. © HBP 2022

Der Autor

Bent Flyvbjerg ist Professor an der Saïd Business School der Universität Oxford. Er leitet dort das von ihm gegründete Centre for Major Programme Management. Zugleich ist er Professor und Chair an der IT-Universität Kopenhagen. Gemeinsam mit Dan Gardner hat er das Buch "Big Plans: Why Most Fail, How Some Succeed" geschrieben, das demnächst bei Random House erscheint.

Kompakt

Das Problem Viele Großprojekte scheitern, weil sie auf ein sehr individuelles Ergebnis abzielen. Bauteile und Technologien sind maßgefertigt, ebenso wie die Verfahrensschritte. Dadurch sind die Lernmöglichkeiten gering und die Kosten für Integration und Nachbesserungen hoch. Solche Projekte müssen zu 100 Prozent fertiggestellt sein, bevor sie Nutzen bringen. So ist ein Nuklearreaktor, selbst wenn er zu 95 Prozent fertig ist, noch immer nicht funktionsfähig.

Die Lösung Projektmanagerinnen und -manager müssen auf zwei Faktoren achten: die reproduzierbare Modularität im Design und die Geschwindigkeit bei der Iteration. Lässt sich ein Projekt schnell und modular umsetzen und gibt es dabei Raum für Experimente und Lernen, wird es sehr viel eher erfolgreich sein.

Der Eurotunnel: Vom Prestigeprojekt zum Desaster

Viele Großprojekte, die zunächst wie Wunderwerke des menschlichen Könnens und Erfindergeistes anmuten, werden zum wirtschaftlichen Desaster. So auch der Eurotunnel, Europas längster Unterwassertunnel im Schienenverkehr. Die Entscheidung, mit privaten Mitteln eine Tunnelverbindung zwischen Frankreich und Großbritannien zu bauen, fiel im Februar 1986. Knapp neun Jahre später, im Dezember 1994, startete der vollständige Passagierbetrieb.

Der maßgefertigte Entwurf des Tunnels und der Züge, die ihn befahren sollten, erwies sich als schwieriger und teurer als veranschlagt. Effektiv lagen die Baukosten um 80 Prozent über dem Budget, die Finanzierungskosten sogar um 140 Prozent. Diese Kosten galt es noch während der Bauphase zu decken und Kredite zu bedienen, obwohl es noch keine Einnahmen gab. Als sich diese 1995 endlich einstellten, betrugen sie nur ein Fünftel dessen, was prognostiziert worden war. Der Eurotunnel musste Insolvenz anmelden. Während der langen Entwicklungsphase waren Billigfluggesellschaften auf den Markt gedrängt. Sie konkurrierten mit der Bahn, und der Eurotunnel konnte seine Preise für eine Zugverbindung zwischen London und Paris nicht mehr beliebig setzen. Diese Entwicklung war kaum vorhersehbar gewesen.

Allein der Verlust für die britische Wirtschaft beträgt schätzungsweise 17,8 Milliarden Dollar, die Rentabilität des Projekts minus 14,5 Prozent. Eine Evaluation des Eurotunnels, die systematisch die tatsächlichen mit den prognostizierten Kosten und Nutzen verglich, kam zu dem Schluss, dass es für Großbritannien "aus finanzieller Sicht besser gewesen wäre, wenn der Tunnel nie gebaut worden wäre".

2020 brachen die Fahrgastzahlen aufgrund der Corona-Pandemie ein, und die Betreiber des Tunnels mussten erneut Insolvenz anmelden. Das wirft die Frage auf, ob sich der Tunnelbetrieb jemals finanziell tragen wird und ob er Großbritannien und Frankreich unter dem Strich überhaupt wirtschaftliche Vorteile bringt. Der Eurotunnel: Vom Prestigeprojekt zum Desaster

Dieser Artikel erschien in der Februar-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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