Projektmanagement: Welche Fähigkeiten und Tools werden benötigt?
Wie vielen Projektteams gehören Sie an? Seien Sie sich sicher: Es werden noch mehr. In Zukunft werden Unternehmen Arbeit fast ausschließlich in Projekten organisieren. Welche Fähigkeiten und Tools Sie benötigen, um erfolgreich zu sein.
Von Antonio Nieto-Rodriguez
Still und leise, aber doch mit gewaltiger Kraft findet in Unternehmen derzeit eine fundamentale Veränderung statt: Die traditionellen Prozesse, mit denen sie Arbeit strukturieren, lösen sich auf. An ihre Stelle rückt eine neue Form der Zusammenarbeit – eine, die in Projekten stattfindet. Dieser Wandel war längst überfällig.
Im 20. Jahrhundert schufen Unternehmen durch immer effizientere Abläufe einen enormen Wert. Sie optimierten dabei den laufenden Betrieb. Doch im gegenwärtigen Jahrhundert wuchs die Produktivität in den westlichen Volkswirtschaften kaum noch – trotz der Verbreitung des Internets, kürzerer Produktlebenszyklen und exponentieller Fortschritte bei künstlicher Intelligenz und Robotik.
Projekte hingegen befassen sich mit der Veränderung von Unternehmen. Sie steigern sowohl die kurzfristige Leistung als auch die langfristige Wertschöpfung – durch häufigere Transformationen, schnellere Produktentwicklung und eine raschere Einführung von neuen Technologien.
Dies ist ein globales Phänomen. In Deutschland steigt spätestens seit 2009 der Anteil, den Projekte am Bruttoinlandsprodukt ausmachen; 2019 lag er bereits bei 41 Prozent. Für andere westliche Länder sind präzise Daten nicht so leicht verfügbar, aber der Wert dürfte ähnlich sein. Noch höher liegt er wohl in China und anderen führenden asiatischen Volkswirtschaften. Dort ist projektbasierte Arbeit seit Langem eine wichtige Wachstumsquelle.
Dabei stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung. 2017 schätzte das US-amerikanische Project Management Institute, dass der Wert projektorientierter Wirtschaftsaktivitäten weltweit von damals 12 Billionen US-Dollar auf 20 Billionen US-Dollar im Jahr 2027 ansteigen würde. Dieser Prognose zufolge würden dann etwa 88 Millionen Menschen im Projektmanagement arbeiten. Und diese Zahlen stammen aus einer Zeit, in der noch niemand ahnte, dass Staaten bald weltweit Billionen für pandemiebedingte Hilfsprojekte ausgeben würden.
Das hat weitreichende Folgen. "Schon bald wird es keine Stellenbeschreibungen mehr geben", sagte mir eine Führungskraft aus dem Talentmanagement von IBM. "Wir werden nur noch Projektrollen definieren." Für Managementvordenker Roger Martin steht fest, dass wir diesen Punkt schon längst hätten erreichen sollen: "Der normale Büroangestellte betrachtet sein Leben als eine Art regelmäßigen Job", erklärte er mir. "Projekte auf der Arbeit sieht er als Störungen seines Jobs an. Tatsächlich aber sollten alle Entscheidungen in Unternehmen ausschließlich als Entscheidungen über Projekte angesehen werden."
Einige Unternehmen passen sich dem Wandel radikal an. Etwa der in Dubai ansässige Bauträger für Großprojekte Emaar Properties: Der Gründer und Chairman Mohamed Alabbar verkündete 2020, dass das Unternehmen im Zuge der Umstellung auf projektbasierte Arbeit alle traditionellen Funktionsbezeichnungen – inklusive seiner eigenen – abgeschafft habe. Die Rollen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden nicht mehr nach der Abteilung definiert, der sie angehörten, sondern nach den Projekten, an denen sie arbeiteten. In ähnlicher Weise hat die Richards Group, die größte unabhängige Werbeagentur in den Vereinigten Staaten, beinahe alle Führungsebenen und Jobtitel abgeschafft. Sie bezeichnet die meisten ihrer Mitarbeiter jetzt als Projektmanager.
Der Wandel hin zu einer Projektwirtschaft wird tief greifende organisatorische und kulturelle Folgen haben. Das Problem ist, dass viele Führungskräfte den Wert von Projekten noch immer nicht verstehen und sie als Zeitverschwendung abtun. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Führungskraft, die mir kürzlich sagte: "Wenn Sie sichergehen wollen, dass etwas nicht getan wird, sollten Sie ein Projekt daraus machen."
Es ist gut möglich, dass Führungskräfte von Projektmanagement wenig halten, weil dessen Methoden komplex sind und sich nur schwer anwenden lassen. Tatsächlich produzieren viele Projektmanager Unmengen von Dokumenten, wodurch der Eindruck entstehen kann, dass ihre Rolle hauptsächlich administrativ sei. Doch es wäre ein großer Fehler, deshalb die Bedeutung und das Potenzial von Projekten herunterzuspielen. Vernachlässigen Führungskräfte das Projektmanagement, kommen Produkte zu spät auf den Markt, strategische Initiativen schlagen fehl und Transformationen scheitern. Die Zukunft eines Unternehmens kann dadurch in ernsthafte Gefahr geraten.
Es gibt einen weiteren Aspekt, den Führungskräfte oft verkennen: Projekte geben der Arbeit einen Sinn. Verhaltens- und sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Projekte Teammitglieder stark motivieren und inspirieren können. Die Momente, auf die sie besonders stolz sind, ereignen sich fast immer bei Projekten, an denen sie arbeiten – natürlich bei den erfolgreichen, aber oft auch bei denen, die scheitern.
Führungskräfte müssen erkennen, dass sie in der Projektwirtschaft nicht mehr nur für einzelne Initiativen verantwortlich sind. Sie müssen auch klare und mutige Entscheidungen bei der Auswahl und Priorisierung strategischer Projekte treffen, eine projektorientierte Struktur einführen und eine Kultur schaffen, die die Zusammenarbeit im gesamten Unternehmen fördert. Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, was gutes Projektmanagement ausmacht.
Ich habe meine Karriere der Erforschung von Projekten sowie der Praxis des Projektmanagements gewidmet. Ich habe bei PwC, BNP Paribas Fortis und GlaxoSmithKline die für das Programmmanagement zuständigen Abteilungen geleitet, ich war Chairman des Project Management Institute und habe an renommierten Wirtschaftshochschulen Tausende von Führungskräften, Managern und Projektmanagern unterrichtet. Eine wesentliche Erkenntnis meiner Arbeit war, dass wir einen klareren, einfacheren und umfassenderen Ansatz für das Projektmanagement benötigen.
65 Prozent aller Projekte scheitern. Wir können und müssen es besser machen.
Laut Untersuchungen der Standish Group, einem Forschungs- und Beratungsunternehmen, sind nur rund 35 Prozent der weltweit durchgeführten Projekte erfolgreich. Wenn man bedenkt, dass es hier um Billionen von Dollar und die Arbeit von Millionen von Mitarbeitern geht, ist dies eine wahrhaft erstaunliche Zahl. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir nicht nur 65 Prozent der Zeit und des Geldes verschwenden, die wir in Projekte investieren, sondern auch Billionen von Dollar an neuem Wert für Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt verschenken.
Wir können und müssen es besser machen. In diesem Artikel stelle ich ein einfaches, aber wirkungsvolles Tool für das Projektmanagement vor. Ich zeige Ihnen zudem sechs Fähigkeiten auf, die Sie in einer zunehmend projektzentrierten Welt benötigen werden, um erfolgreich zu sein.
Warum Projekte wichtiger werden
Häufig hört man, dass Unternehmen in Zeiten des Wandels zweigleisig fahren müssen – der Fachbegriff lautet organisationale Ambidextrie. Akademisch ausgedrückt heißt dies: Sie müssen ein Gleichgewicht zwischen dem Ausschöpfen ihrer derzeitigen Fähigkeiten (den Unternehmensabläufen) und dem Erforschen neuer Kompetenzen (den Projekten) herstellen. Mit anderen Worten: Sie müssen sich gleichzeitig auf den laufenden Geschäftsbetrieb und auf den Wandel des Unternehmens konzentrieren.
Laufender Geschäftsbetrieb (Operations). Diese Dimension umfasst die bestehenden Aktivitäten des Unternehmens. Dazu gehören beispielsweise Vertrieb, Kundenservice, Finanzen, Produktion und IT. Hier fallen die meisten Einnahmen und Fixkosten an. Diese Funktionen sind es, die das Unternehmen am Leben erhalten. Für den laufenden Geschäftsbetrieb sind Effizienz, Produktivität und Geschwindigkeit von Bedeutung. Der Fokus ist kurzfristig, die Ziele sind überwiegend leistungsorientiert, und die Struktur ist hierarchisch. Die Unternehmenskultur ist geprägt von dem Modell "Befehl und Kontrolle".
Unternehmenswandel (Projekte). Diese Dimension ist entscheidend für die Zukunft des Unternehmens. Sie umfasst alle strategischen und taktischen Initiativen und Programme. Beim Wandel geht es um Innovation, Transformation, Agilität und langfristige Wertschöpfung. Der Fokus ist mittel- bis langfristig, die Ziele sind stärker strategisch ausgerichtet, die Struktur ist flach und projektbezogen. Die Ergebnisse lassen sich hier nicht so leicht messen wie operative Ergebnisse. Die Unternehmenskultur ist geprägt von dem Modell "Unternehmergeist und Zusammenarbeit".
Die Zukunft gehört denjenigen Unternehmen, die es schaffen, ihren laufenden Betrieb mit dem nötigen Wandel in Einklang zu bringen. Allerdings liegen die Stärken der meisten Führungskräfte im erstgenannten Bereich, weshalb sie auch den Großteil ihrer Zeit darin investieren.
Dies ist ein Erbe des 20. Jahrhunderts. Ab circa 1920 erhoben die meisten Unternehmen – angeführt von Persönlichkeiten wie Henry Ford und Frederick Taylor – die Produktivität zur obersten Maxime. Sie setzten alles daran, ihre Effizienz zu steigern, die Kosten zu senken sowie ihr Volumen und ihre Leistung zu erhöhen. Da diese Unternehmen hauptsächlich Waren produzierten, war ihr Wachstum überwiegend organisch: Sie erhöhten ihre Produktionskapazitäten, standardisierten und automatisierten ihre Prozesse und erschlossen neue Märkte.
Einmal im Jahr legten die Führungskräfte ihre Strategien, Projekte, Budgets und Betriebspläne fest und führten den Geschäftsbetrieb dann auf dieser Basis fort. Bis zum nächsten jährlichen Planungszyklus waren nur geringfügige Änderungen erlaubt.
All das machte die Unternehmensabläufe extrem effizient. Doch Effizienz hat auch ihre Schattenseiten. Der Fokus auf Prozessoptimierung ging zulasten der mittel- oder langfristig wertvollen Fähigkeiten. Unternehmen wuchsen vermehrt durch Übernahmen statt durch organisches Wachstum. Da ihre Abläufe schneller wurden, konnten sie Produkte rascher einführen und ihr Produktionsvolumen leichter erhöhen. Doch irgendwann erreicht eine Strategie von "noch mehr Volumen, noch mehr Produkteinführungen und noch mehr Markenerweiterungen" ihr natürliches Ende. Die Effizienz lässt sich kaum noch steigern, und nachhaltiges Wachstum wird unmöglich – insbesondere in Zeiten von Unsicherheit und schnellem Wandel.
Das ist die Situation, in der wir uns heute befinden. Der Ein-Jahres-Rhythmus, der ein Jahrhundert lang vorherrschte, ist überholt. Jedes Unternehmen, ob öffentlich oder privat, muss sich in einem Umfeld zurechtfinden, das sich kontinuierlich und gelegentlich auch disruptiv verändert. Früher waren Projekte zeitlich begrenzt und Unternehmensabläufe von Dauer. Heute ist das Gegenteil der Fall: Die Unternehmensabläufe halten Sie kurzzeitig über Wasser. Die stetige Veränderung ist das, was überdauert. Die oberste Maxime lautet heute, den Wandel vorherzusehen, zu organisieren und voranzutreiben.
Und wie gelingt das am besten? Indem Sie Ihre Projekte besser managen.
Jeder von uns benutzt dieses Wort, doch es hat für unterschiedliche Personen unterschiedliche Bedeutungen. Das ist ein Problem. Projekte tragen zunehmend zur Wertschöpfung der Unternehmen bei, daher benötigen wir eine einheitliche Vorstellung davon, was "Projekte" und "Projektmanagement" eigentlich bedeuten. Eine kurze Definition ist angebracht:
Projekte umfassen eine Reihe geplanter Handlungen, die ein Ergebnis (ein Produkt, eine Dienstleistung, eine Veranstaltung) hervorbringen sollen. Diese Handlungen – die von einer großen strategischen Initiative bis hin zu einem kleinen Change-Programm reichen können – sind zeitlich begrenzt. Sie haben einen klaren Anfang und ein klares Ende; sie erfordern eine Investition in Form finanzieller und personeller Mittel; und sie zielen auf einen vorab festgelegten Wert, eine Wirkung und einen Nutzen ab. Jedes Projekt besitzt Elemente, die einzigartig sind. Dies ist eine wesentliche Eigenschaft: Ein Projekt enthält immer etwas, das noch nie zuvor getan wurde.
Das Projektmanagement umfasst das Zusammentragen von Kompetenzen, Techniken und Tools, mit denen die Beteiligten Projekte planen und durchführen können, um ihre Ziele zu erreichen. Die meisten Projektmanagementverfahren, die heute verwendet werden, stammen aus den 1970er und 1980er Jahren. Sie orientieren sich an den Verfahren, die in der Betriebssteuerung zur Effizienzsteigerung und Standardisierung eingesetzt werden. In der Regel übernahmen Unternehmen ein standardisiertes Projektmanagementverfahren und wandten dieses einfach auf all ihre Projekte an. So setzte sich mit der Zeit eine Form des Projektmanagements durch, die nicht mehr dem entsprach, was eigentlich benötigt wurde. Während sich die Unternehmen in hohem Tempo weiterentwickelten, blieb das Projektmanagement stehen – obwohl die Zahl der Projekte explodierte.
Projektmanager haben sich viel zu sehr auf Inputs und Outputs konzentriert, also Planung, Schätzung, Kosten, Zeit, Umfang und Risikomanagement. Zu kurz kamen Ergebnisse und Mehrwert (Zweck, Geschäftsmodell, Vorteile, Auswirkungen und Strategie). Es interessierte sie ziemlich wenig, was vor und nach Abschluss ihrer Projekte passierte, solange sie die festgelegten Ziele erreichten. Dahinter steckt die Vorstellung, dass der versprochene Nutzen schon irgendwie eintreten werde, wenn sie nur ihre Projekte in der vorgegebenen Zeit, im vorgegebenen Budget und Umfang abschließen.
Projektmanager denken bei Projekten meist in Zyklen, die von der Initiierung über die Planung und Durchführung bis zum Abschluss reichen. Sie arbeiten an einer Phase, bis diese abgeschlossen ist, und gehen dann zur nächsten über. Ist die letzte Phase abgeschlossen, ist auch das Projekt beendet. Eine Rückkehr zu einer früheren Phase kommt dabei nie infrage.
Inzwischen wissen wir, dass es bei Projekten besser ist, nicht stur eine Reihenfolge einzuhalten und immer nach demselben Schema vorzugehen. Wer Aufgaben in Angriff nimmt, die so noch nie zuvor ausgeführt wurden, muss experimentieren und mit Fehlstarts und Misserfolgen rechnen. Folglich wird auch eine gewisse Hin-und-her-Bewegung zwischen den einzelnen Projektphasen stattfinden müssen. Um ein Projekt zum Erfolg zu führen, müssen sich Sponsor und Manager auf drei Dinge konzentrieren: Innovation, die Bildung eines leistungsstarken Teams und – der wichtigste Punkt – einen Nutzen zu erzielen.
In den frühen 2000er Jahren, als das Internet und neue Technologien einen explosionsartigen Wandel in Gang setzten, gewannen agile Methoden als Alternative zu den starren Vorgehensweisen der Vergangenheit zunehmend an Beliebtheit. Projektmanager gingen in kleinen Schritten vor, stellten schneller Mehrwert für Kunden bereit und bewerteten fortlaufend Anforderungen, Pläne und Ergebnisse neu. Die agile Bewegung war in vielerlei Hinsicht eine positive Entwicklung, doch sie hat in der Projektmanagement-Community bisweilen auch zu Grabenkämpfen geführt. So manche Führungskraft hält das traditionelle Projektmanagement für überholt, agile Methoden hingegen für cool und teils neu. Viele Unternehmen haben agile Methoden deshalb sehr schnell in ihrer gesamten Organisation eingeführt.
Das ist kontraproduktiv. Agiles und traditionelles Projektmanagement sind keine Gegner. In einer Welt, die von Veränderung geprägt ist, sollten Unternehmen nicht eine einzige Methode auf alle Projekte anwenden. Sie benötigen vielmehr einen Werkzeugkasten mit verschiedenen Ansätzen, darunter agiles und traditionelles Projektmanagement, aber auch Design Thinking, Change-Management und Produktentwicklung. In all diesen Bereichen müssen sie Kompetenzen aufbauen.
Voraussetzung ist, dass die Führungskräfte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Schlüsselelemente eines Projekts erkennen und verstehen. Nur dann sind sie in der Lage, produktiv daran zu arbeiten. Diese Schlüsselelemente habe ich in einem Tool zusammengefasst – der Project Canvas.
Ich nutze die Canvas (auf Deutsch "Leinwand"), in der Lehre und Beratung von Managerinnen und Managern auf der ganzen Welt. Sie passt auf eine Seite. Als Inspiration diente mir die Business Model Canvas von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur – ein Tool für die Geschäftsmodellentwicklung, das Millionen Menschen nutzen. Sowohl Alex als auch Yves waren an einem frühen Brainstorming zur Project Canvas beteiligt. Es existieren ähnliche Konzepte, die denselben Namen tragen, doch hat keines eine so breite Akzeptanz gefunden wie dieses.
Die Canvas besteht aus lediglich drei Bereichen: Fundament, Personen und Entstehung. Jeder dieser Bereiche ist für den Erfolg eines Projekts wichtig (siehe Kasten "Die Project Canvas").
Wodurch unterscheidet sich die Project Canvas von anderen Projektmanagementleitfäden? Durch eine ganze Reihe von Eigenschaften. Sie lässt sich auf jedes Projekt, jedes Programm und jede strategische Initiative anwenden. Sie konzentriert sich auf Mehrwert und Nutzen statt auf Prozesse und Kontrollen und lenkt Aufmerksamkeit darauf, schnell die Bestandteile mit dem größten Wert zu liefern. Sie stellt sicher, dass jedes Projekt einen Zweck besitzt und der Unternehmensstrategie folgt. Ihr Fokus liegt auf Umsetzung, nicht auf detaillierter Planung. Entscheidend ist jedoch: Sie deckt nicht nur den typischen Lebenszyklus eines Projekts ab, sondern auch die Phasen davor und danach, indem sie Nutzen und übergeordnete Ziele integriert. Sie ist flexibel und lässt sich wenn nötig kurzfristig anpassen.
Die Project Canvas ist mit allen Projektmanagementmethoden vereinbar und ist in jeder Phase einsetzbar. Vor Beginn kann ein Team mit ihr beurteilen, ob es das Projekt gut genug definiert hat und loslegen kann. Im laufenden Projekt wird sie eingesetzt, um Fortschritte zu verfolgen und sicherzustellen, dass wesentliche Bestandteile und Annahmen weiterhin valide sind. Neigt sich das Projekt dem Ende zu, hilft die Canvas bei der Bewertung, ob der erhoffte Nutzen entstanden ist. Nach dem Abschluss dient sie dazu, gewonnene Erkenntnisse zusammenzufassen und Kompetenzlücken, die im Projektverlauf identifiziert wurden, zu schließen.
Das Canvas-Verfahren beginnt, bevor ein Unternehmen in größerem Umfang in ein Projekt investiert, jedoch nachdem es sowohl einen Projektmanager als auch einen Projektsponsor ernannt hat. Diese beiden Rollen sind für den Erfolg eines jeden Projekts von entscheidender Bedeutung. Üblicherweise konzentriert sich der Projektmanager in erster Linie auf die technischen Aspekte – mit dem Ziel, die Ergebnisse in der vorgegebenen Zeit, im vorgegebenen Umfang und mit dem vorgegebenen Budget zu liefern. Der Sponsor betreut und unterstützt ihn dabei. Zudem soll er darauf achten, dass das Projekt seinem Zweck treu bleibt und den versprochenen Nutzen liefert. Eine solche Aufteilung mindert jedoch die Rolle des Projektmanagers, der sich ebenfalls um Zweck und Nutzen kümmern sollte. Auch was den Ablauf und die Ziele angeht, müssen Manager und Sponsor auf einer Linie sein – und genau das macht die Project Canvas möglich.
Die Canvas muss für alle funktionieren und deshalb auf Konsens beruhen. Als Erstes sollte der Projektmanager oder die Projektmanagerin deshalb zu einem Workshop einladen, um das Projekt zu definieren. Dieses Meeting bringt den Sponsor, wichtige Stakeholder und Experten aus dem Unternehmen an einen Tisch, ebenso wie andere Personen, die relevante Informationen liefern können, wie Kunden und Lieferanten.
Für dieses Treffen sollten Sie zwei bis drei Stunden einplanen. Nehmen Sie sich Zeit. Stellen Sie sicher, dass jeder Teilnehmer eine leere Vorlage der Project Canvas erhält. Besprechen Sie Ziele, Umfang und Details des Projekts und gehen Sie gemeinsam die Bestandteile der Canvas durch. Machen Sie ein Brainstorming. Beginnen Sie mit dem Fundament und gehen Sie dann die anderen Bereiche und deren Bausteine durch. Fragen Sie die Teilnehmer nach ihrer Meinung und tragen Sie die wichtigsten Themen in einer gemeinsamen Canvas ein. Sie erhalten damit ein erstes Bild der Herausforderungen, die vor Ihnen liegen.
Die meisten Projektmanagement-Verfahren, die Unternehmen heute verwenden, stammen noch aus den 1970er und 1980er Jahren.
An diesem Punkt wird Ihre Canvas eine große Menge an Informationen enthalten. Fragen Sie sich, ob diese ein schlüssiges Gesamtbild ergeben. Ist das Vorhaben aus strategischer und organisatorischer Sicht sinnvoll? Berücksichtigen Sie, dass sich das Umfeld schnell ändern kann und es unterschiedliche Prioritäten gibt? Jetzt ist die Zeit für sorgfältige Überlegungen und Anpassungen im Detail. Gibt es bei mindestens zwei Bausteinen noch Lücken oder Unklarheiten, ist es wahrscheinlich zu früh und zu riskant, mit dem Projekt zu beginnen. Nehmen Sie sich die Zeit, diese Bausteine zu definieren. Sind Sie dazu noch immer nicht in der Lage, sollten Sie mit dem Projekt gar nicht erst starten.
Mit dem Ende des Workshops ist die Canvas längst noch nicht abgeschlossen. Als Nächstes leiten Sie das Dokument, das Sie erstellt haben, an andere Stakeholder weiter. Arbeiten Sie anschließend deren Feedback ein.
Ihre Project Canvas ist nun ein lebendes Dokument, das Sie regelmäßig überprüfen sollten. Ziehen Sie es immer dann hinzu, wenn Sie vor einer wichtigen Entscheidung stehen. Aktualisieren Sie Bestandteile, wenn sich der Charakter oder die Ziele des Projekts verändert haben. Sie können die Canvas sogar in Ihre Projekt-Updates einfügen. Überlegen Sie, ob Sie in regelmäßigen Abständen – beispielsweise einmal im Monat – zu einem oder mehreren Bestandteilen ein Video produzieren, einen Artikel schreiben oder einen kurzen Workshop veranstalten möchten.
Was Manager können müssen
Projekte sind nur so gut wie die Menschen, die sie leiten. Welches sind die wichtigsten Fähigkeiten, die Führungskräfte besitzen müssen? Es gibt sechs Kategorien.
Kenntnisse im Projektmanagement. Projektsponsoren benötigen solide Grundlagenkenntnisse. Sie müssen wissen, warum Projekte erfolgreich sind oder scheitern, wie sie helfen können, ein Projekt richtig aufzusetzen, und welche Merkmale entscheidend sind, um den Projektmanager auszuwählen. Darüber hinaus müssen sie die Komplexität und die Beschränkungen verstehen, die mit der Entwicklung von Plänen und Schätzungen verbunden sind. Projektmanager wiederum müssen Tools und Methoden einsetzen, mit denen sie das Geschäftsmodell eines Projekts und den Mehrwert für das Unternehmen ermitteln können. Sie müssen fähig sein, mit Beteiligten und Partnern zusammenzuarbeiten, um den Projektumfang festzulegen. Sie müssen wissen, wie sie Risiken erkennen und bewältigen können. Sobald ein Projekt angelaufen ist, sind sie dafür verantwortlich, Berichtsmechanismen einzuführen, um Umsetzung und Qualität zu überwachen. Sind Verzögerungen oder Veränderungen des Plans absehbar, müssen sie die Folgen abschätzen und Alternativen entwickeln.
Produktentwicklung und Fachwissen. Projektsponsoren und -manager müssen die Technologie, die Funktionen, das Produkt, die Dienstleistung oder die Fähigkeiten, die das Projekt hervorbringen soll, verstehen. Dieses Wissen kommt ihnen in vielerlei Hinsicht zugute: Es macht sie für das Team und die Stakeholder glaubwürdig. Es versetzt sie in die Lage, mit den Experten, Expertinnen und den Produktteams auf Augenhöhe zu sprechen. Sie verstehen, wie und wann sich der Nutzen des Projekts einstellt und wie es sich in die Unternehmensstrategie einfügt.
Unternehmen müssen Projektteams mehr Ressourcen, größere Budgets und mehr Befugnisse zuweisen.
Strategie und Geschäftssinn. Aufgrund ihrer hohen Position sind die meisten Projektsponsoren sehr vertraut mit ihrem Unternehmen, seiner Strategie und seinen wichtigsten Konkurrenten. Sie kennen auch die finanziellen Voraussetzungen und das Umfeld ihrer Projekte. Projektmanager müssen diese Fähigkeiten häufig erst entwickeln. Sie müssen den Nutzen und Zweck eines Projekts mit konkreten Unternehmenszielen verbinden können. Nur so können sie für Akzeptanz und Unterstützung sorgen. Das gilt auch für die Anfangsphase.
Führung und Change-Management. Projektsponsoren und -manager müssen leistungsstarke Teams zusammenstellen, die Richtung vorgeben, verschiedene Kulturen unter einen Hut bringen und für ihr Projekt gewinnen, Brücken innerhalb des Unternehmens bauen, klar und effektiv kommunizieren, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bewerten, entwickeln und coachen, und Meinungsverschiedenheiten so lösen, dass das Ergebnis für alle Parteien annehmbar ist. Das erfordert ausgeprägte Kompetenzen in der Mitarbeiterführung und im Change-Management.
Agilität und Anpassung. Es steht außer Frage, dass sich Projektsponsoren an agile Methoden anpassen müssen. In alten Zeiten wurde von ihnen erwartet, dass sie nach einem festen Plan vorgehen und einfache, binäre Entscheidungen treffen. Heute müssen sie ihren Kurs häufig ändern und viele Projekte auch abbrechen, wenn sich die Umstände ändern. Agiles Projektmanagement kann hier helfen. Schulungen und Zertifikatskurse vermitteln meist ein ausreichendes Grundlagenwissen. In ähnlicher Weise müssen Projektmanager sich sicher genug fühlen, in unklaren Situationen trotz unzureichender Informationen Pläne aufzustellen und zu entscheiden. Sie sollten einige agile Methoden oder adaptive Techniken anwenden können, darunter agiles Projektmanagement, Scrum, Kanban und das Scaled Agile Framework.
Ethik und Werte. Projektsponsoren und -manager sind Vorbilder. Sie schaffen ein sicheres, respektvolles und diskriminierungsfreies Umfeld, in dem die Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen Vertrauen zueinander aufbauen und offen miteinander kommunizieren können. Sie sollten gleich zu Anfang einen Verhaltenskodex entwickeln, der dem Team als Leitfaden dient. Sowohl das Project Management Institute als auch die International Project Management Association haben dafür Muster online zur Verfügung gestellt.
Wer diese Fähigkeiten erlernen will, sollte eine Weiterbildung in Betracht ziehen. Einige Wirtschaftshochschulen bieten einjährige Studienprogramme im Projektmanagement an, Einrichtungen wie das Project Management Institute oder Prince2 haben international anerkannte Programme im Angebote. PM2, der Projektmanagementstandard der Europäischen Kommission, und Praxis stehen online kostenlos zur Verfügung, und die International Project Management Association hat einen Kompetenzleitfaden über die notwendigen technischen Kenntnisse zusammengestellt. Die beste Lösung ist jedoch, ein internes Schulungsprogramm zu entwickeln, welches speziell auf die Bedürfnisse und die Unternehmenskultur zugeschnitten ist.
Fazit
Führungskräfte und Unternehmen, die in der neuen Projektwirtschaft erfolgreich sein wollen, müssen anders planen und anders arbeiten als bisher. Künftig müssen sie Strategien entwickeln, die nicht von Effizienz, sondern von Veränderung geprägt sind. Sie müssen Projekten und Projektteams mehr Ressourcen, größere Budgets und mehr Befugnisse zuweisen, und zwar auf Kosten der traditionellen Abteilungshierarchie.
Mit einem einfachen Tool wie der Project Canvas können sie es schaffen, dass jeder im Unternehmen den Wandel unterstützt. Dazu ist es nötig, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projektmanagement zu schulen und neue Technologien einzuführen. Sie müssen den Fokus von Inputs und Outputs auf Ergebnisse und Mehrwert verlagern. Sie müssen Projektziele weiter fassen und beispielsweise auch Schwerpunkte in den Bereichen Diversity und Nachhaltigkeit setzen.
Stellen Sie sich nur vor, was wir als Führungskräfte gemeinsam dadurch erreichen könnten: Wenn wir unsere Projekte besser umsetzen, schaffen wir für die Welt einen zusätzlichen Wert in Höhe von Billionen US-Dollar.
© HBP 2022
Der Autor
Antonio Nieto-Rodriguez ist Gastprofessor an Business Schools wie Duke Corporate Education, Instituto de Empresa und Solvay. Er war Chairman des Project Management Institute. Nieto-Rodriguez hat unter anderem das Buch "The Harvard Business Review Project Management Handbook" (erschienen 2021) verfasst, auf dem dieser Beitrag beruht.
Kompakt
Die Situation Projektarbeit wird zur dominierenden Arbeitsweise. Bis zum Jahr 2027 werden voraussichtlich 88 Millionen Menschen weltweit im Projektmanagement tätig sein. Der Wert projektorientierter Wirtschaftsaktivitäten wird auf 20 Billionen US-Dollar ansteigen.
Das Problem Viele Führungskräfte verkennen die Bedeutung des Projektmanagements in ihren Unternehmen. Das liegt auch daran, dass die gängigen Methoden zu komplex und unflexibel sind. Infolgedessen sind nur 35 Prozent aller Projekte weltweit erfolgreich. Unternehmen verschwenden Zeit, Geld und Möglichkeiten.
Die Lösung Unternehmen brauchen einen neuen Projektmanagementansatz, der traditionelle und agile Methoden kombiniert. Dabei hilft ein neues Tool, die Project Canvas. Unternehmen müssen zudem ihren Führungskräften die nötigen Fähigkeiten beibringen, um ihre Aufgabe als Projektsponsor zu erfüllen, und Manager in modernen Methoden schulen.
Dieser Artikel erschien in der Februar-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.
