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Psychologie: Mit Geduld zum Erfolg

Der Ökonom Thomas Dohmen hat das Verhalten von 80.000 Menschen in über 70 Ländern untersucht und einen Zusammenhang zwischen geduldigem Verhalten und Wohlstand gefunden. Ein zentrales Ergebnis: In Regionen mit besonders geduldigen Einwohnern sind Bildungsniveau und Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung im Schnitt deutlich höher.

Von Frida Preuß

Harvard Business manager: Sie konnten in Ihrer Studie bis zu 40 Prozent der Einkommensunterschiede zwischen Ländern damit erklären, wie groß die Geduld der Menschen dort ist. Hat Sie dieser Effekt überrascht?

Thomas Dohmen: Ja, ziemlich. In der Forschung ist kaum ein anderer Faktor bekannt, der einen so starken Effekt auf Einkommensunterschiede hat. Auf den zweiten Blick ist das Ergebnis aber nicht mehr so überraschend. Geduldige Menschen sind zukunftsorientierter. Sie sparen mehr und investieren in Bildung und physisches Kapital. Das trägt dazu bei, dass sie produktiver sind und ein höheres Einkommen erzielen.

Wie definieren Sie Geduld?

Geduld bedeutet, heute auf etwas zu verzichten, um morgen mehr zu haben. Um geduldiges Verhalten zu messen, sollten sich die Probanden unserer Studie zwischen einer sofortigen und einer höheren Auszahlung in zwölf Monaten entscheiden. Das Szenario war rein hypothetisch. Die Geldmenge haben wir an die lokale Kaufkraft angepasst. Außerdem sollten sich die Probanden eine Welt ohne In­flation vorstellen.

Sie haben von 80.000 Menschen Daten erhoben. Wie lief das ab?

Unsere Studie basiert auf dem Global Preferences Survey. Das ist ein Datensatz zu wirtschaftlichen Präferenzen der Bevölkerung in 76 Ländern, den meine Kollegen und ich über die Infrastruktur des Marktforschungsunternehmens Gallup erhoben haben. Darin haben wir auch Parameter wie geduldiges Verhalten gemessen. In manchen Ländern hat Gallup die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen tele­fonisch befragt. In den meisten Fällen haben die Interviewer allerdings persönlich mit den Menschen gesprochen.

Sie haben also gezeigt: Regionen mit geduldigeren Einwohnern sind reicher. Ist das nicht zu einfach? Gibt es dort vielleicht nur mehr Bodenschätze?

Natürlich gibt es auch noch andere Faktoren als Geduld. Wichtig sind zum Beispiel das politische Klima und die Institutionen in einem Land. Und klar, Bodenschätze sind relevant für die Entwicklung eines Staates. Allerdings lässt sich Wohlstand auch anders erreichen. Die skandinavischen Länder gehören bis auf Norwegen nicht zu den rohstoffreichsten Ländern. Trotzdem haben sie sich extrem gut entwickelt. Das liegt vor allem daran, dass die Skandinavier viel in Humankapital investiert und eine hohe Sparquote haben.

Wie haben Sie Wohlstand gemessen?

Zum einen mit dem Pro-Kopf-Einkommen und zum anderen mit dem Human Development Index. Da fließen mehrere Komponenten ein, die den Lebensstandard unterschiedlicher Länder vergleichen. Geduld hat nämlich nicht nur einen positiven Einfluss auf das Einkommen. Wir zeigen in unserer Studie auch, dass geduldiges Verhalten Investitionen in physisches Kapital und Bildung sowie in Forschung und Entwicklung begünstigt.

Lässt sich die Geduld einer Bevölkerung fördern?

Die Politik muss stärker ins Schulsystem investieren. Wir haben kürzlich in einer Studie gezeigt, dass zusätzliche Bildungsjahre die Geduld der Bevölkerung steigern. Wer eine weiterführende Schule ­besucht, macht die Erfahrung, dass es bis zum erfolgreichen Abschluss viele Jahre dauert. Allein diese Aussicht erhöht die Zukunftsorientierung und so die Geduld.

Also sorgen Bildungsreformen für mehr Wohlstand?

Ja, aber nicht nur. Geduldiges Verhalten entsteht auch aus einem Sicherheits­gefühl. Das kann die Politik etwa durch Eigentumsrechte stärken. Ein Beispiel: Wenn jemand seine Erfindung patentieren kann, plant er zukunftsorientierter, weil ihm die Erfindung auch in Zukunft noch Gewinne bringen kann. Auch zwischen der durchschnittlichen Lebenserwartung einer Bevölkerung und Geduld gibt es einen starken Zusammenhang.

Wenn ich weiß, dass ich noch einige Jahrzehnte lebe, bin ich geduldiger?

Exakt. Wenn Ihnen bewusst ist, dass Sie nur noch wenige Jahre leben, werden Sie nicht mehr so viel sparen und investieren. Mit höherer Lebenserwartung steigen daher auch Bildungsinvestitionen, und die fördern erneut die Geduld. Wir beobachten hier einen sich selbst verstärkenden Mechanismus.

Die Probanden konnten in Ihrer Studie zwischen einer sofortigen Auszahlung und einer höheren Auszahlung in der Zukunft entscheiden. Wer sich für die spätere Zahlung entschied, gilt als geduldiger. Aber muss man sich diese Geduld nicht auch leisten können?

Klar, man kann nicht ausschließen, dass Geduld teilweise von Geldnöten abhängt. Trotzdem sind die Ergebnisse aussagekräftig. Denn wenn es sich jemand nicht leisten kann, Geld für die Zukunft zurückzulegen, dann wird er das auch im echten Leben nicht machen. Diese Menschen sind dann weniger erfolgreich. Aber es gibt eben noch andere Faktoren. Häufig wird geduldiges Verhalten kulturell gefördert. In Deutschland gab es dafür ­früher den Weltspartag. Da hat die Bank ­Kindern ein Geschenk gemacht, wenn sie ihr Taschengeld eingezahlt haben.

Übertragen wir Ihre Ergebnisse mal in die Businesswelt. Sollten Firmen bevorzugt Menschen aus besonders geduldgeprägten Ländern einstellen?

Schaden würde das sicher nicht. Unternehmen investieren oft in langfristige Projekte. Da ist es vorteilhaft, zukunftsgerichtete Mitarbeiter zu haben, die diese Vorhaben mit Nachdruck angehen.

Die deutschen Automobilbauer sind nur zögerlich in die Elektromobilität eingestiegen. Andere Hersteller wie Tesla sind ihnen jetzt voraus. Kann Geduld Innovationen ausbremsen?

Geduld heißt nicht, langsam zu sein. Genauso ist abwarten im Geschäftskontext nicht zwangsläufig geduldig. Wenn ich als Autobauer heute nicht in den Elektroautomarkt einsteige, habe ich deswegen ja nicht in Zukunft mehr Erträge. Bei solchen Unternehmensentscheidungen spielen noch andere Faktoren wie Geschäftsrisiken und strategische Überlegungen eine Rolle.

Wenn geduldiges Verhalten so wichtig ist, sollten Firmen mit Bewerbern dann einen Geduldstest machen?

Ja, auf jeden Fall. Unternehmen haben häufig umfangreiche Assessmentcenter, aber die Recruiter konzentrieren sich dort meist auf andere Dinge als Geduld. Ich würde für manche Jobs und Aufgaben eher geduldige Menschen auswählen. ­ Geduldige Mitarbeiter bringen solche Projekte voran, die in der Gegenwart viel ­Engagement benötigen, aber nicht direkt Früchte abwerfen. Ihnen fällt es leichter, sich vorzustellen, dass man erst in zwei, drei Jahren sieht, wofür man gearbeitet hat. Ein wichtiger Faktor für Geduld ist, sich die Zukunft vorstellen zu können. Und das geht teilweise auch mit Intelligenz einher.

Kann man Geduld trainieren?

Ja, dazu gibt es eine Studie aus der Türkei. Dort hat man versucht, Schulkindern mit einer Comicfigur geduldiges Ver­halten beizubringen. Die Kinder sollten die Heldin der Geschichte in der Zukunft beschreiben. In einem Szenario hatte sie kein Geld und wollte sich ein Fahrrad kaufen. Die Kinder sollten überlegen, wie sich die Protagonistin fühlt, wenn sie jetzt ihr Geld spart und sich den Wunsch in einem Jahr erfüllen kann. Dadurch sind die Schüler tatsächlich messbar geduldiger geworden. Auch drei Jahre später konnte man bei ihnen noch eine höhere Geduld nachweisen. © HBm 2023

Thomas Dohmen

Jeden Monat überprüfen wir die Thesen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Dieses Mal spricht Frida Preuß, Studentin der Kölner Journalistenschule, mit Thomas Dohmen, Professor für Mikroökonomie an der Universität Bonn und Mitglied des Köln-Bonner Exzellenzclusters ECONtribute. In dem Interview geht es um eine Studie, für die Dohmen mit den Ökonomen Benjamin Enke, Armin Falk, David Huffman, Gerrit Meyerheim und Uwe Sunde zusammengearbeitet hat.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der März-Ausgabe des Harvard Business managers.

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