„Purpose“ vs. „Dienst nach Vorschrift“: Braucht Arbeit wirklich einen tieferen Sinn?
Der „Purpose“ gehört sicherlich zu den Trendbegriffen, die seit einigen Jahren in der Arbeitswelt kursieren. Plötzlich sucht jede·r einen tieferen Sinn in der eigenen Arbeit – ebenso wie im eigenen Leben. Ein Begriff, mit dem viele Unternehmen versuchen, im „War for Talents“ qualifizierte Fachkräfte anzulocken. Aber braucht Arbeit überhaupt einen „Purpose“?
Trends kritisch zu hinterfragen, hat sich in vielen Lebensbereichen bewährt. Das gilt auch in der Arbeitswelt, in der zahlreiche Trends schnell wieder verschwinden. Doch das Thema „Purpose“ hält sich nun bereits seit längerer Zeit hartnäckig und mittlerweile versuchen gefühlt alle Arbeitgeber·innen sowie auch Arbeitnehmer·innen, händeringend einen tieferen Sinn in der Arbeit zu definieren. Die Wunschvorstellung: Der „Purpose“ lässt uns morgens freudig aus dem Bett springen, um endlich wieder arbeiten und einen gefühlt wertvollen Beitrag leisten zu dürfen. Dann, so das Narrativ, fühlt sich Arbeit nicht mehr wie Arbeit an, sondern wird zum Mittelpunkt des Lebensglücks.
Der ironische Unterton ist an dieser Stelle bewusst gewählt. Denn plötzlich retten gefühlt alle die Welt und doch herrscht auf dem Arbeitsmarkt Unzufriedenheit vor: 37 Prozent der Deutschen würden gerne ihren Job wechseln (Quelle: New Work SE). Haben sie also schlichtweg noch nicht ihren „Purpose“ gefunden?
Der „Purpose“ als Wohlstandserscheinung
Pauschale Aussagen sind bei diesem Thema natürlich nicht möglich. Sicherlich gibt es viele Menschen, die aufgrund einer fehlenden Sinnhaftigkeit mit ihrem Arbeitsplatz unzufrieden sind. Aber auch zahlreiche andere Gründe können eine Rolle spielen oder sie sind schlichtweg offen für etwas Besseres – auch ohne wirkliche Unzufriedenheit im aktuellen Job. Stattdessen scheint es, dass vor allem für Menschen, die eher im Wohlstand leben, andere Themen in den Vordergrund rücken. Dazu gehören Dinge wie Individualisierung, persönliche und finanzielle Freiheit oder eben auch der „Purpose“. Ein Stück weit handelt es sich also schlichtweg um eine Wohlstandserscheinung: Denn wo Arbeit nicht mehr dringend zum Überleben gebraucht wird, da weitet sich ihre Rolle plötzlich aus und sie wird auch zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.
Dass der „Purpose“ zunehmend in den Fokus rückt, ist demnach ein Zeichen dafür, dass die Grundbedürfnisse vieler Menschen gedeckt sind und sie Arbeit nicht mehr nur als Mittel zum Zweck betrachten. In der Theorie ist der Gedanke, in der eigenen Arbeit einen tieferen Sinn zu sehen, dann tatsächlich erstrebenswert. Denn so würde sie neben der Deckung der Lebenshaltungskosten noch weitere Aufgaben übernehmen, wie Selbstverwirklichung, Spaß oder eine tatsächliche „Weltverbesserung“ auf die eine oder andere Weise. In der Praxis kann aber eben dieses Streben nach einem tieferen Sinn auch zum Stressor werden. Denn der „Purpose“ führt manchmal in eine regelrechte Selbstausbeutung – in einen Status, in dem Arbeitszeiten & Co plötzlich keine Rolle mehr spielen, weil der tiefere Sinn über allem steht. Auch daraus könnte dann Unzufriedenheit resultieren, weshalb ein „Purpose“ per se kein Garant für Jobzufriedenheit oder sogar Lebenszufriedenheit ist.
Ist die Arbeit selbst der tiefere Sinn?
Um die Perspektive zu wechseln, ist es interessant, einmal einen Blick auf andere Kulturen zu werfen und auf die Frage, wie sie den Sinn in der Arbeit definieren – oder sogar den Sinn im Leben? Während in der westlichen Welt die meisten Menschen versuchen, ihre Existenz zu rechtfertigen, beispielsweise eben durch Arbeit oder außergewöhnliche Errungenschaften, ist in vielen östlichen Kulturen das Leben selbst der tiefere Sinn. Hier geht es vor allem darum, die Schönheit des Seins zu genießen und mit dem Kreislauf der Natur zu leben. Daher ist es auch gesellschaftlich akzeptiert, nur „Dienst nach Vorschrift“ zu machen, pünktlich in den Feierabend zu gehen und anschließend das Leben zu genießen. Die Arbeit wird also deutlich pragmatischer sowie entspannter betrachtet und muss vor allem verlässlich sein. Natürlich gibt es auch von dieser Regel Ausnahmen, beispielsweise in Japan, wo der Arbeit eine besonders hohe gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben wird.
Fazit
Es gibt kein Richtig oder Falsch, wenn es um die Frage geht, ob Du einen tieferen Sinn in Deiner Arbeit brauchst. Wenn Du nach einem „Purpose“ suchst und er Deine Zufriedenheit im Job sowie im Leben allgemein steigert, ist das völlig in Ordnung. Es lohnt sich aber, hin und wieder auch die Perspektive zu wechseln und die eigenen Werte kritisch zu hinterfragen. Denn wenn wir aufhören, unsere Existenz zu rechtfertigen und rein oberflächlichen Zielen wie einem hohen Gehalt oder einer hierarchischen Machtstellung nachzujagen, können jene Ziele in den Vordergrund treten, die wirklich glücklich machen: Freude an der Arbeit vielleicht oder auch einfach der pünktliche Feierabend, um Hobbys nachzugehen oder wertvolle Zeit mit Familie und Freund·innen zu haben. Schlussendlich haben also alle einen „Purpose“ im Job, wenn sie einmal genau hinsehen – von der steilen Karriere über Spaß oder finanzielle Sorgenfreiheit bis hin zur Strukturierung des Tags, um abseits der Arbeit noch genügend Freizeit zu haben. Frage Dich deshalb, was Dein ganz individueller „Purpose“ ist oder sein sollte, wenn Du einmal den Glaubenssatz loslässt, Deinen Platz auf der Welt durch Arbeit „verdienen“ zu müssen; und welcher Job dementsprechend wirklich zu Dir passt.
Wie denkst Du über das Thema? Brauchst Du einen „Purpose“ im Job oder bist Du auch mit „Dienst nach Vorschrift“ zufrieden? Wie kann und sollte Deiner Meinung nach ein tieferer Sinn in der Arbeit oder im Leben aussehen? Wir sind gespannt auf Deinen Kommentar!
