Purpose: Wie der Danone-Chef Faber am Systemwandel scheiterte
Wenn Nachhaltigkeit und Purpose mehr sein sollen als Stichworte fürs Marketing, brauchen Unternehmen einen echten Systemwandel. Der Sturz des ehemaligen Danone-Chefs Emmanuel Faber zeigt, was schiefgehen kann.
Von Mary Johnstone-Louis und Charmian Love
Es war ein Tag im März 2021, als Emmanuel Faber, CEO und Chairman von Danone, abgesetzt wurde. Manche sagen, ein aktivistischer Investor habe ihn zu Fall gebracht. Dieser Investor hatte 2020 Aktien des Unternehmens erworben, nur wenige Monate nachdem die Aktionäre unter Fabers Führung entschieden hatten, Danone in ein zweckorientiertes Unternehmen umzuwandeln – eines, das sich einem Purpose verschreibt. Dazu nahm es den französischen Rechtsstatus „Entreprise à Mission“ an. (Ein solches „Unternehmen mit Auftrag“ verankert soziale und umweltpolitische Ziele in seiner Satzung – Anm. d. Red.)
Medien haben Fabers Absetzung „eine Fallstudie über die Tücken des Purpose“ genannt, „Sturz eines in Ungnade gefallenen Purposeorientierten Chefs“ und „Kampf um die Seele des Kapitalismus“. Als Faber seine Position verlor, entwickelte sich Danone wirtschaftlich schlechter als die Konkurrenz. Dennoch wurde der CEO durch seine Bemühungen, die Kultur und den Rechtsstatus zu verändern, für viele zu einem Sinnbild für zweckorientiertes Unternehmertum.
Man könnte die Ereignisse, die zu seiner Entlassung führten, ohne Weiteres als ein Aufeinanderprallen von Stakeholder-Kapitalismus und aktivistischen Investoren ansehen. Faber nimmt dabei entweder die Rolle des heldenhaften CEOs ein, der es mit dem wirtschaftsliberalen Vordenker Milton Friedman aufnimmt, oder sein Sturz läutet das Scheitern des Stakeholder-Kapitalismus und den Triumph der Shareholder-Value-Maximierung ein. Faber sprach selbst davon, das Denkmal Friedmans zu Fall zu bringen. Daraus ging der Ökonom dann wohl unbeschadet und/oder gar gestärkt hervor.
Solche Narrative mögen eindrucksvoll klingen, sie erzählen jedoch nicht die ganze Geschichte. Die Vorgänge bei Danone enthalten eine viel wichtigere Lektion: Auf der Suche nach einem unternehmerischen Ökosystem, das die Bedürfnisse von Mensch und Planet zuverlässig – und gewinnbringend – erfüllt, kann es Anführer geben. Es kann Koryphäen geben, Innovatoren und Ikonoklasten. Nur eines kann es nicht geben: Einzelhelden. Um die miteinander verwobenen Krisen, mit denen unsere Gesellschaften und unser Planet konfrontiert sind, zu bewältigen, bedarf es eines Systemwandels. Transformationen dieser Größenordnung sind immer ein Mannschaftssport.
Was bei Danone passiert ist, wird sich wiederholen, solange politische Entscheidungsträger und Wirtschaftsführer nicht einsehen, dass selbst die ehrgeizigsten, fähigsten und engagiertesten CEOs den Systemwandel nicht allein herbeiführen können. Führungskräfte sehen dies immer häufiger ein. Weltweit gibt es bereits mehr als 5000 B-Corporations (Unternehmen, die von der Non-Profit-Organisation B Lab der beiden Autorinnen für die Erfüllung sozialer und ökologischer Standards zertifiziert wurden – Anm. d. Red.). Sie verstehen sich als eine Gemeinschaft, die in ihren Branchen Veränderungen vorantreiben kann, zu denen ein einzelnes Unternehmen nicht fähig wäre.
Unternehmen, die sich dem Systemwandel anschließen wollen, sollen vier Prinzipien befolgen. Als Inspiration diente uns hierbei der Better Business Act, eine von unserer Organisation B Lab UK ins Leben gerufene Kampagne. Sie will es für Unternehmen verpflichtend machen, Aktionäre und Stakeholder gleichermaßen bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Mit einer Führung, die nach diesen Prinzipien handelt, können Unternehmen ihre Ziele erreichen – unabhängig davon, wer ihr CEO ist.
Kultur verändern. Führungskräfte müssen wissen, dass systemischer Wandel nur in einer aufgeschlossenen Unternehmenskultur möglich ist. Faber war sich dessen bewusst. Nach seiner Ankündigung, als CEO zurückzutreten, schrieb er in einem Tweet: „Gestern haben wir im Board beschlossen, als eine Einheit zu handeln. Als unser Chair habe ich für mich entschieden, im Kollektiv zu spielen. Das Projekt wird immer größer sein als die einzelne Person.“ In einem Artikel in der „Financial Times“ über seinen Abschied schrieb Faber, dass „Entreprise à Mission bestehen bleiben wird … ich bin absolut überzeugt davon“.
Mit seinen Worten und Taten zeigte Faber, wie wichtig es ist, den Zweck des Unternehmens in der Kultur zu verankern, damit er mehr ist als nur ein Slogan an der Wand der Vorstandsetage. Ein Sprichwort besagt, dass Kultur bedeutet, das Richtige zu tun, auch wenn niemand hinsieht. Es ist die Kultur, die letztlich das Verhalten und die Entscheidungen der Menschen prägt. Wenn die Interessen von Aktionären und anderen Stakeholdern im Einklang sind, lässt sich ihre kollektive Macht für das Gute einsetzen.
Produkte prüfen. Der Unternehmenszweck erklärt, warum Ihr Unternehmen existiert und welche Rolle es in der Welt spielt. Überlegen Sie, was Sie tun und wem es dadurch besser geht. Genauso wichtig – oder noch wichtiger – ist die Frage, wem es dadurch schlechter geht. Die derzeitigen ESG-Systeme (Environmental, Social and Governance; Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) sind weitgehend produktunabhängig. Dadurch ist es möglich, dass zum Beispiel Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern – oder auch die größten Plastikverschmutzer der Welt –, in Sachen ESG gut dastehen. Das zeigt, dass diesen Regeln eine Komponente fehlt.
Überlegen Sie, was Ihr Unternehmen tut und wem es dadurch besser geht. Genauso wichtig ist die Frage, wem es dadurch schlechter geht.
Unternehmen müssen transparent und klar bewerten, wie ihre Kernprodukte die Bedürfnisse von Shareholdern und Stakeholdern erfüllen. Das schließt die einzeln verpackten Milchprodukte von Danone ein. Wer Veränderungsbedarf erkennt, darf sich Innovationen nicht verschließen.
Kollegen überzeugen. Faber ist eine starke Führungspersönlichkeit und wird sowohl auf Danone als auch auf andere Topmanagerinnen und -manager nachhaltigen Einfluss haben. Dabei war er nur sieben Jahre lang CEO, eine Amtszeit, die für CEOs nicht ungewöhnlich ist. Der Board muss eine langfristigere Perspektive einnehmen, wenn er die Führungsteams anleitet, auf den Unternehmenszweck hinzuarbeiten. Viele Boardmitglieder fühlen sich auf diese Rolle jedoch nicht ausreichend vorbereitet. Sie müssen geschult und befähigt werden, damit sie dafür sorgen können, den Unternehmenszweck in die Wirklichkeit umzusetzen. Für Faber war dies zentral, er sagte: „Man muss einfach sicherstellen, dass der Board einem zur Seite steht.“
Den Zweck verankern. Solche Anker finden sich in einigen Ländern in Form von Gesetzen, in Frankreich beispielsweise durch das Modell „Enterprise à Mission“. Diese sind oft die Voraussetzung für eine Zertifizierung als B-Corp. Dieser Status erlaubt die Art von Governance, Transparenz und Rechenschaftspflicht, die notwendig ist, damit Unternehmen ihren Verpflichtungen gegenüber den Stakeholdern nachkommen – unabhängig von Führungswechseln oder dem Druck von Investoren. Ohne solche Anker kann es durchaus gerechtfertigt sein, selbst die aufrichtigsten Verpflichtungen durch Unternehmen anzuzweifeln.
Gesetze anpassen. Unternehmen brauchen klare Spielregeln, damit sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Stakeholdern glaubwürdig und dauerhaft erfüllen können. In vielen Ländern sind die Gesetze, die für solche Entscheidungen als Leitlinie dienen sollen, bestenfalls zweideutig. Es werden jedoch immer häufiger Forderungen laut, diese Regeln mit den Interessen von Aktionären und anderen Stakeholdern in Einklang zu bringen – und diese Forderungen kommen zunehmend von Brancheninsidern.
Da wäre zum Beispiel der ehemalige Chief Investment Officer of Sustainable Investing beim weltweit größten Vermögensverwalter BlackRock, der für eine CO2-Steuer plädierte. Oder der offene Brief des Nachhaltigkeitsexperten Bob Eccles an Bill Gates zu den Investitionen der Gates Foundation in kohlenstoffintensive Anlagen. Mehr als 1000 britische Unternehmen haben bereits den Better Business Act unterzeichnet. Diese Firmen sind Vorreiter, aber es gibt noch sehr viele mehr, die sich nicht solchen Nachhaltigkeitszielen verpflichtet sehen. Ein Systemwandel bedeutet, dass man sich für Gesetze und intelligente Regelungen starkmacht, die allen Unternehmen eine Roadmap an die Hand geben.
Unternehmen brauchen klare Spielregeln, damit sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Stakeholdern glaubwürdig und dauerhaft erfüllen können.
Klar in der Sprache sein. Wenn wir darüber sprechen, wie Unternehmen unsere Gesellschaft beeinflussen, verwenden wir oft unpräzise Wörter. Den Begriffen „Kapitalismus“ und „Unternehmen“ stellen wir eine wachsende Zahl an wohlig-warmen und schwammigen Wörtern voran. Das soll angeblich neue Modelle von bestehenden, weniger adäquaten Modellen unterscheiden. Ein Beispiel ist die Flut von schlagzeilenträchtigen Verweisen auf die „Seele“ oder den „Zweck“ des Kapitalismus, die mit dem Ende von Fabers Amtszeit als CEO einhergingen.
Der britische Unternehmer und Buchautor John Elkington prägte einst das nun abgedroschene Nachhaltigkeitsschlagwort „Triple Bottom Line“ – und startete 2018 eine öffentliche Rückrufaktion für sein eigenes Konzept. Unter anderem störte er sich daran, dass die „erstaunliche Palette von Optionen, die inzwischen im Angebot sind, Unternehmen ein Alibi für ihre Untätigkeit liefern kann“. Die Verbreitung von Begriffen wie „Stakeholder-Kapitalismus“, „nachhaltiger Kapitalismus“, „Sozialunternehmen“ und „zweckorientierte Unternehmen“ hat dieselbe Auswirkung. Sie lenken von einem Ziel ab, das eigentlich klar und verständlich ist: Geschäftsmodelle und Wirtschaftssysteme sollen so ausgelegt sein, dass die Aktionäre und alle anderen Stakeholder davon profitieren.
Branchenziele setzen. Die Nachhaltigkeitsziele, die sich Unternehmen selbst setzen, sind durchaus ehrgeizig. Doch ohne einen Systemwandel sind viele dieser Ziele für einzelne Firmen mit extremen Kosten verbunden – oder schlichtweg unerreichbar. Die Abkehr von einer kohlenstoff- und konsumbasierten Wirtschaft beispielsweise hat eine gewaltige Größenordnung und erfordert enorme Investitionen. Das weltweite Verpackungs- und Müllproblem, die Verstöße gegen die Menschenrechte entlang von globalen Lieferketten und die Gleichberechtigung der Geschlechter in Unternehmen sind ebenfalls große Herausforderungen. Um sie zu bewältigen, braucht es intensive und transparente Zusammenarbeit auf Branchenebene.
Die Grenzen erkennen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist auf dem Vormarsch. Von den weltweit verwalteten Vermögenswerten sind schätzungsweise 30 Billionen US-Dollar in irgendeiner Form unter dem Gesichtspunkt von ESG investiert worden – und diese Zahl ist in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 30 Prozent gestiegen. In jüngster Zeit hat es einen regelrechten Boom von Berichtsregelungen, Standards, ESG-Fonds und ESG-Dienstleistern gegeben.
Und doch gibt es mindestens zwei Gründe, warum das nicht zwangsläufig zu einem Systemwandel führt, sondern möglicherweise sogar kontraproduktiv sein kann. Erstens ist die Sprache der Berichterstattung bestenfalls uneinheitlich. Die ESG-Leistung von Unternehmen hinkt in den meisten Fällen ihrer Leistung in anderen Bereichen hinterher. Darum sind oft weder die Investoren noch die Öffentlichkeit davon überzeugt, dass die Einhaltung von ESG-Standards ein aussagekräftiger Indikator für ein „gutes Unternehmen“ ist.
Der zweite – und entscheidendere – Grund ist, dass die ESG-Performance im Allgemeinen nicht davon abhängt, ob der Board sich einem Purpose verpflichtet hat. Diese Verpflichtung ist für die langfristige Art der Unternehmensführung jedoch wichtig.
Das bedeutet nicht, dass ESG an sich keinen Wert hat. Wie das Fair-Trade-Siegel kann es sensibilisieren, das Bewusstsein von Verbrauchern und Investorinnen schärfen – und ein Managementinstrument sein. Die Berichterstattung einzelner Unternehmen über unterschiedlichste Regelwerke hinweg ist jedoch kein glaubwürdiger Pfad zu einem Systemwandel.
Standards erhöhen. Wer die Grenzen des ESG-Reportings überwinden will, sollte sich für ehrgeizige, klare und einheitliche Mess- und Berichtsstandards einsetzen. Globale Institutionen, Regulierungsbehörden und Standardisierungsgremien haben bereits große Fortschritte bei der Standardisierung der nicht finanziellen Performancemessung gemacht. Weltweit einheitliche, vergleichbare und verlässliche Standards für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten zeichnen sich am Horizont ab. Es wäre ein Rückschritt, wenn Unternehmen lieber ihre eigenen Standards festlegen. Systemwandel bedeutet, auf Vereinheitlichung zu drängen, anstatt sich auf individuelle Unternehmensclaims zu verlassen.
Was können wir daraus lernen? Behauptungen über den Unternehmenszweck oder über die Verpflichtung gegenüber dem Stakeholder-Value müssen glaubwürdig sein, zudem derart eingebettet und geregelt, dass sie selbst den visionärsten CEO überdauern können. Schließlich sind die Ansprüche der Stakeholder mit dem Ende der Amtszeit eines CEOs nicht abgegolten. Der Aufbau eines inklusiven, gerechten und regenerativen Wirtschaftssystems erfordert ein dauerhaft kollektives Handeln – und zwar über Generationen hinweg. © HBP 2022
Autorinnen
Mary Johnstone-Louisist Senior Research Fellow an der Saïd Business School der Universität Oxford, Direktorin des Programms The Ownership Project und Head Tutor für das Oxford Leading Sustainable Corporations Programme. Sie ist außerdem Chair of the Board der Non-Profit-Organisation B Lab UK.
Charmian Loveist Global Director of Advocacy beim brasilianischen Kosmetikkonzern Natura & Co. Zudem ist sie Mitbegründerin und Activist in Residence bei B Lab UK, Social Entrepreneur in Residence an der Saïd Business School und Co-Director des Oxford Climate Emergency Programme.
Kompakt
Das Problem Viele Unternehmen setzen sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit auseinander, doch der Wandel in der Wirtschaftswelt vollzieht sich zu langsam – noch immer steht das Wohl der Aktionäre über allem. Wenn Managerinnen und Manager wirklich alle Stakeholder angemessen berücksichtigen wollen, müssen sie vier Prinzipien verinnerlichen.
Die Lösung Unternehmen müssen erstens Kulturen und Produkte so ausrichten, dass sie sich an den Interessen aller Stakeholder orientieren. Sie müssen zweitens den Unternehmenszweck rechtlich in ihrer Satzung verankern und dafür sorgen, dass ihre Führungsteams sich danach richten. Drittens müssen sie sich für eine stärkere Regulierung einsetzen und mit ihren Wettbewerbern gemeinsam klare und transparente Ziele verfolgen. Und viertens müssen sie die Nachhaltigkeitsberichterstattung vereinheitlichen und darin nicht nur eine Pflichtübung sehen.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der September-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.
