Qualcomm soll Nvidia aus dem Cockpit von Mercedes verdrängen
Der Autohersteller bezieht die Chips fürs Infotainment der neuen E-Klasse künftig von Qualcomm. Insider rechnen damit, dass die Stuttgarter sich weiter von Nvidia abkoppeln.
München. Rückschlag für den wertvollsten Chipkonzern der Welt: Nvidia hat beim Autokonzern Mercedes einen prestigeträchtigen Auftrag verloren. Für die nächste Generation der E-Klasse wird der Rivale Qualcomm die Chips für das Infotainment liefern. „Unsere Lösung Snapdragon entwickelt sich zur bevorzugten Plattform für das digitale Cockpit“, sagte Qualcomm-Chef Cristiano Amon dem Handelsblatt zu der neuen Partnerschaft am Rande der Automesse IAA in München.
Für Mercedes soll damit die starke Abhängigkeit von US-Chipkonzern Nvidia enden. Der Stuttgarter Autobauer setzt derzeit sowohl für Fahrerassistenzsysteme als auch für das Infotainment auf Chips und Software des Qualcomm-Konkurrenten.
Die Verträge sind bis heute Gesprächsthema in der Autobranche: Denn bei den Fahrerassistenzsystemen hat Mercedes mit Nvidia ein sogenanntes „Revenue Sharing“ vereinbart. Nvidia wird damit am Umsatz beteiligt, den Mercedes mit dem Verkauf von Fahrerassistenzsystemen erzielt. Diese Vereinbarung hat intern für viel Verstimmung gesorgt, da Nvidia mit 50 Prozent an den Erlösen beteiligt wird.
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Nvidia wird noch mehr Aufträge verlieren
Mercedes will die Zusammenarbeit mit Qualcomm noch größer auslegen als derzeit kommuniziert, heißt es im Konzernumfeld. Demnach dürften künftig alle Autos von Mercedes, die auf der neuen MMA-Plattform basieren, beim Infotainment mit Chips von Qualcomm ausgestattet werden. Dazu gehören die kommenden Generationen der Kompakt-SUVs GLA und GLB. Und auch der neue CLA, dessen seriennahe Studie Mercedes auf der IAA enthüllt hat, könnte künftig mit den Chips der Amerikaner unterwegs sein. Weder Qualcomm noch Mercedes wollten sich dazu im Detail äußern.
Für Fahrerassistenzsysteme und vernetztes Infotainment brauchen die Autohersteller immer leistungsfähigere Chips. Die komplexen Halbleiter im Auto kommen aktuell meist von drei Unternehmen: den US-Konzernen Nvidia und Qualcomm sowie von der Intel-Tochter Mobileye aus Israel.
Experten zufolge ist die Entscheidung von Mercedes für Qualcomm strategisch wichtig: Denn der Autohersteller wolle sich nicht zu sehr auf einen einzigen Lieferanten, also Nvidia, verlassen, meint Peter Fintl, Chipspezialist der Beratungsfirma Capgemini.
Qualcomm bietet sich als Partner in den wichtigsten automobilen Zukunftsfeldern an. Das Unternehmen produziert sowohl Chips als auch Software für vernetzte Infotainment- und Fahrerassistenzsysteme. „Die Autoindustrie befindet sich weltweit in einer Transformation. Technologie, die bislang vor allem im Smartphone-Bereich verwendet wurde, findet immer mehr Einzug ins Auto“, erläuterte Amon. Die Firma aus San Diego ist der weltweit größte Hersteller von Handychips.
Durch die Partnerschaft mit Mercedes arbeitet Qualcomm nun mit allen deutschen Autoherstellern zusammen. Bislang hat der US-Konzern vor allem im Infotainment-Bereich Partnerschaften abgeschlossen, unter anderem mit Stellantis, Renault und Jaguar Land Rover. Der Infotainment-Bereich ist allerdings ertragsschwächer als das Geschäft mit Fahrerassistenzsystemen.
Die Autosparte ist daher noch vergleichsweise klein, sie erzielte im abgelaufenen Quartal lediglich fünf Prozent des Konzernumsatzes. Doch Amon hat große Pläne: In zwei Jahren will der Konzernchef vier Milliarden Dollar an Erlösen mit der Autoindustrie erzielen, Ende des Jahrzehnts sollen es neun Milliarden sein. Zum Vergleich: Im vergangenen Geschäftsjahr kam die Autosparte von Qualcomm auf knapp 1,4 Milliarden Euro.
„Das Geschäft nimmt 2026 Fahrt auf“, unterstrich Cristiano Amon. Denn zwischen Auftragsunterzeichnung und den tatsächlichen Umsätzen liegen im Geschäft mit der Autoindustrie stets mehrere Jahre – so jetzt auch bei Mercedes. Um die Ziele zu erreichen, wird Qualcomm allerdings auf weitere Partnerschaften im Fahrerassistenzbereich angewiesen sein.
Die Kunden des US-Unternehmens können wählen, wie tief ihre Partnerschaft gehen soll. Beispiel BMW: Die Münchener verwenden für ihre Fahrerassistenzsysteme Chips des US-Konzerns und entwickeln die dazugehörige Software gemeinsam mit Qualcomm.
Volkswagen wiederum will für die Fahrerassistenzsysteme, die gegen Ende des Jahrzehnts zum Einsatz kommen werden, nach derzeitigen Plänen lediglich die Chips von Qualcomm nutzen. Die Software versucht Volkswagen in seiner Software-Einheit Cariad in Zusammenarbeit mit Bosch zu entwickeln – ohne die Amerikaner. Das könnte sich aber in Zukunft ändern: „Wir haben eine flexible und offene Plattform“, sagte Amon. „Wir können für unsere Partner jederzeit auch Teile der Software entwickeln.“
Noch sind für die unterschiedlichen Bereiche im Auto jeweils eigene Chips nötig. Doch in Zukunft könnten sowohl Infotainment als auch Fahrerassistenzsysteme über einen einzigen leistungsfähigen Chip laufen. Mithilfe virtueller Maschinen lassen sich Berechnungen auf einem einzelnen Halbleiter getrennt voneinander und simultan durchführen. Die Einzel-Chip-Lösung hat für Autobauer Kostenvorteile.
Nvidia spricht von „viel Geduld“
Bei Qualcomm existiert bereits eine entsprechende Lösung unter dem Markennamen Flex. Diese soll 2025 erstmals in Serienfahrzeugen zum Einsatz kommen. Einzige Einschränkung: Mit dem Flex-Chip lassen sich noch nicht die komplexen Kalkulationen durchführen, die für selbstfahrende Autos nötig wären.
Nvidia nimmt die Niederlage bei Mercedes unterdessen sportlich. Die Beziehung zu Mercedes sei ungetrübt, sagte der Chef der Autosparte, Danny Shapiro, dem Handelsblatt auf der IAA. Außerdem habe Nvidia Aufträge im Autogeschäft über 14 Milliarden Dollar bis Ende des Jahrzehnts in den Büchern.
Dazu kommt: Nvidia verdient in seinem Kerngeschäft mit Grafikprozessoren, den sogenannten GPUs, derzeit glänzend. Im jüngsten Quartal hat sich der Umsatz auf gut 13 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Der Gewinn hat sich mit mehr als sechs Milliarden Dollar sogar verzehnfacht. Die Firma profitiert davon, dass GPUs massenhaft in Rechenzentren für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz genutzt werden.
Wegen des KI-Booms ist der Aktienkurs von Nvidia dieses Jahr um mehr als 300 Prozent nach oben geschossen. Mit rund 1,2 Billionen Dollar ist Nvidia der mit Abstand wertvollste Chipkonzern der Erde.
Die Autodivision ist mit einem Umsatzanteil von rund zwei Prozent fast vernachlässigbar klein. Trotzdem werde der Konzern daran festhalten, beteuerte Shapiro: Vorstandschef und Gründer Jensen Huang sei in dieser Hinsicht „sehr geduldig“.
Bei Qualcomm läuft es lange nicht so gut. Wegen der Flaute im Smartphone-Geschäft war der Umsatz im jüngsten Quartal um fast ein Viertel eingebrochen. Immerhin: Im Autogeschäft liegt der Konzern deutlich vor Nvidia.
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