Quiet Quitting: Du bist kein Loser, wenn Du keine Überstunden machst
Der Job ist okay, aber Dein Glück ziehst Du aus anderen Dingen? Es ist in Ordnung, nicht die Extrameile im Beruf zu gehen. Diese drei Impulse helfen Dir dabei.
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Frage der Woche:
Viele Leute reden gerade über Quiet Quitting. Bin ich automatisch ein Loser, nur weil ich nicht mehr mache und länger arbeite in meinem Job, als ich muss?Lars, XING Nutzer
Lieber Lars,
wenn du nicht länger arbeiten möchtest als du musst, kann das viele unterschiedliche Ursachen haben. Es könnte sein, dass du effizient arbeitest, dass du auf deine Erholung achtest, dass du ein spannendes Hobby hast, dass du Kinder (mit einem spannenden Hobby) hast, dass du Eltern hast, um die du dich kümmerst… aber es bedeutet sicher nicht, dass du automatisch ein Loser bist.
Ganz im Gegenteil. Quiet Quitting bedeutet, für sich Grenzen zu setzen. Es bedeutet, in Frage zu stellen, wie zentral Arbeit im eigenen Leben sein sollte, ob Überstunden notwendig sein müssen, um Vorgesetzte zu beeindrucken und wieviel zusätzliche Arbeit eigentlich gesund ist. Das ist alles andere als leicht.
In der Diskussion um Quiet Quitting wird jedoch häufig Quantität mit Qualität verwechselt.
Die „Extra-Meile“ wird mit Arbeitsengagement gleichgesetzt. Aber Arbeitsengagement ist als positive und erfüllende Arbeitseinstellung definiert, welche durch Elan (Vigor), Hingabe (Dedication) und dem Aufgehen in der Arbeit (Absorption) charakterisiert ist. Zumindest laut Definition ist es also problemlos möglich, Arbeitsengagement in den dafür vorgesehenen Arbeitsstunden zu erleben und zu zeigen.
Um die Arbeitszeit?
Darum, dass dir die Arbeit keinen Spaß mehr macht?
Wurdest du vom Unternehmen enttäuscht und möchtest daher dein Arbeitsengagement zurückziehen?
In den letzteren beiden Fällen ist es vielleicht wirklich besser, über einen Wechsel nachzudenken. Denn sich selbst das Arbeitsengagement zu nehmen, bedeutet, sich selbst einer wichtigen Ressource zu berauben.
Selbstwert, Transparenz, Kolleg•innen: So schaffst Du Klarheit
Falls du während deiner festgelegten Arbeitszeiten engagiert sein willst (aber eben nicht über diese Arbeitszeit hinaus) oder vielleicht auch engagiert weniger als 5 Tage die Woche arbeiten möchtest, sind die folgenden drei Punkte wichtig.
1. Du bestimmst deinen Selbstwert
Ob wir unseren Wert über die „Extra-Meile“ bestimmen, ist zunächst unsere eigene Entscheidung. Zugegeben, das Wertesystem ist in unserer Gesellschaft verankert, was sich auch am hohen Interesse an der Diskussion um Quiet Quitting zeigt. Aber am Ende bist es trotzdem du selbst. Wenn du dich als Loser•in fühlst, weil du nicht mehr als 8 Stunden gearbeitet hast, solltest du dir die Frage nach dem „Warum“ stellen.
2. Klare Erwartungen und Transparenz
Die Frage, ob Überstunden wirklich notwendig sind, um sich zu beweisen, ist eine wichtige Diskussion, für die man sich nicht schämen sollte. Wer sich schämt, zieht sich zurück. Es hilft aber transparent zu sein – sowohl in Bezug auf die eigene Leistung als auch die eigenen Erwartungen. Klarheit hilft, um entgegenzuwirken, dass Quantität mit Qualität verwechselt wird.
3. Kolleg•innen sind wichtig!
Wenn Kolleg•innen um Hilfe bitten, ist unter Umständen nicht der richtige Moment, um darauf hinzuweisen, dass man nicht bereit ist, über die eigene Arbeitszeit hinauszugehen. Auch sollten Kolleg•innen nicht zum Ausgleich zusätzliche Aufgaben erhalten müssen. Es hilft also, sich eine gewisse Flexibilität zu erhalten und auf funktionale Arbeitsbeziehungen zu Kolleg•innen zu achten.
Welche Unternehmensfaktoren führen zu Quiet Quitting?
Die Vermischung von Quantität und Qualität in der Diskussion zeigt auch, dass Quiet Quitting häufig tatsächlich mit niedrigem Arbeitsengagement einhergeht. Mitarbeiter•innen sind zwar nicht aktiv „unengagiert“, aber eben auch nicht engagiert.
In diesem Fall sollten sich jedoch primär Unternehmen Gedanken machen, ob sie die Loser•innnen sind, denn eine aktuelle Gallup-Studie zeigt, dass es durchaus Unternehmensfaktoren gibt, die zu Quiet Quitting führen. Daher richten sich die folgenden drei Punkte an Unternehmen, deren Mitarbeitende nicht mehr außerhalb der Arbeitszeit arbeiten möchten und kein Arbeitsengagement zeigen.
1. Helft, die Sinnfrage zu beantworten
Aus der Frage „Warum mache ich das eigentlich?“ hört man schon die mit ihr einhergehende Resignation und Demotivation. Es hilft, wenn Mitarbeitende die Bedeutung und den Sinn ihrer Arbeit sehen und verstehen. Da Arbeit in Unternehmen aber häufig in kleine Bruchstücke aufgeteilt ist, ist es oftmals schwer, das große Ganze in den eigenen Aufgaben zu sehen. Auch wenn Unternehmensentscheidungen für Mitarbeitende nicht nachvollziehbar sind, fehlt ihnen der Sinn. Es ist daher eine kontinuierliche Managementaufgabe, Mitarbeitende mitzunehmen und die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit zu adressieren.
2. Kümmert euch um eure Mitarbeitenden
Die Beziehung zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden beruht auf einem sozialen Austausch. Wer das Gefühl hat, dass ein Unternehmen sich ehrlich um Mitarbeitende kümmert, die Beiträge der Mitarbeitenden wertschätzt, und am Wohlbefinden der Mitarbeitenden interessiert ist, gibt dem Unternehmen auch gerne etwas (während der Arbeitszeit) zurück.
3. Investiert in das Lernen und das Wachstum eurer Mitarbeitenden
Gerade vor dem Hintergrund von (Quiet) Quitting haben Unternehmen oftmals Angst, in Mitarbeitende, deren Entwicklung sowie deren Wachstum zu investieren. Sie haben Angst, dass Mitarbeitende mit den neu gewonnenen Kompetenzen das Unternehmen verlassen könnten. Lernen und Wachstum sind jedoch sowohl wichtige sinnstiftende Komponenten für Mitarbeitende als auch ein Zeichen dafür, dass sich das Unternehmen um seine Mitarbeitenden kümmert. Unternehmen sollten daher gerade vor dem Hintergrund von Quiet Quitting in die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden investieren.
Train people well enough so they can leave, treat them well enough so they don’t want to.Richard Branson
Die letzten beiden Punkte wurden einmal sehr prägnant von Richard Branson zusammengefasst: Train people well enough so they can leave, treat them well enough so they don’t want to. Vielleicht ist Quiet Quitting ja gar nicht so neu.
Referenzen/Zum Weiterlesen
Bakker, A. B., Demerouti, E., & Sanz-Vergel, A. I. (2014). Burnout and work engagement: The JD-R approach. Annual Review of Organizational Behavior and Organizational Psychology, 1, 389-411.
Eisenberger, R., Shanock, L. R., & Wen, X. (2020). Perceived organizational support: Why caring about employees counts. Annual Review of Organizational Behavior and Organizational Psychology, 7, 101-124.
Harter, J. (2022). Is quiet quitting real?
Wer schreibt hier?
Prisca Brosi ist Professorin für Human Resource Management an der Kühne Logistics University in Hamburg. Ihr wissenschaftlicher Fokus liegt auf dem Human in Human Resource Management. Ihre Mission auf XING ist es fundiertes Wissen interessant verpackt, hands-on, und just-in-time nutzbar zu machen.
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