Recruiting unter Provisionsdruck: Wenn Vermittlung zur Vertriebsdisziplin wird – und dabei Menschen verloren gehen
In vielen Personalabteilungen und Headhunting-Agenturen gilt die Vermittlungsprovision als zentrales Anreizsystem. Doch was kurzfristig den Umsatz steigert, kann langfristig teuer werden – vor allem dann, wenn der Fokus vom Menschen zur Marge kippt.
„Erfolg“ im Recruiting wird oft in Zahlen gemessen: Wie viele Stellen sind besetzt? Wie schnell ging es? Wie viel Provision wurde erzielt? Doch diese KPI-Logik übersieht, worum es bei Personalentscheidungen eigentlich geht – nämlich um Passung, Vertrauen und nachhaltige Zusammenarbeit.
Fehlanreize mit Nebenwirkungen
Provisionen sollen Leistung belohnen. Doch sie schaffen auch gefährliche Anreize: Kandidat*innen werden nicht wegen ihrer Eignung empfohlen, sondern weil sie „vermittelbar“ sind. Gespräche werden nicht geführt, um Menschen zu verstehen, sondern um möglichst schnell ein Profil zu „verkaufen“.
Besonders problematisch wird es dann, wenn der Druck hoch ist, Stellen schnell zu besetzen, weil Provisionen direkt mit dem Gehalt der Vermittler*innen verknüpft sind. Die Folge: kurzfristige Matches, hohe Frühfluktuation, Frustration auf allen Seiten – und ein Imageschaden für den gesamten Berufszweig.
Der Preis der Unabhängigkeit
Es gibt sie dennoch: Recruiter*innen, die bewusst auf Provisionen verzichten – aus Überzeugung. Sie arbeiten inhouse oder auf Retainer-Basis, nehmen sich Zeit für Menschen, bauen Beziehungen statt Pipelines.
„Ohne Provisionsdruck lernt man, wirklich zuzuhören – und nicht nur den Pitch vorzubereiten“, sagt eine erfahrene Recruiterin, die heute als externe Sparringspartnerin für wachsende Unternehmen arbeitet. „Ich habe nie gelernt, für 3 Mark 50 irgendwen irgendwo reinzupressen – sondern Menschen zu verstehen und sie mit den richtigen Jobs zu verbinden.“
Recruiting braucht Haltung, nicht Verkaufsdruck
Die Arbeitswelt verändert sich – und mit ihr das Verständnis von HR-Arbeit. Recruiting ist längst keine Abwicklung mehr, sondern Teil der strategischen Unternehmensführung. Wer hier auf kurzfristige Verkaufslogiken setzt, läuft Gefahr, langfristiges Vertrauen zu verspielen – bei Bewerbenden ebenso wie bei Führungskräften.
Gutes Recruiting funktioniert nicht über Boni, sondern über Bindung. Es braucht weniger Verkäuferinnen mit Zielvorgaben – und mehr Menschen, die sich als Vermittlerinnen zwischen Bedürfnissen, Kompetenzen und Werten verstehen. Wer das ernst meint, sollte auch das Provisionssystem hinterfragen.