Resilient werden für den Job? Warum das absoluter Bullshit ist
Resilienz „lernen“ ist erstens nicht möglich, und zweitens ist der Versuch unklug und sogar kontraproduktiv.
„Resilient werden“ ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Viele Anbieter vermitteln den Eindruck, man könne intrinsische Resilienz (also mentale Stärke aus dem eigenen Antrieb heraus) im Sinne einer stabilen Widerstandsfähigkeit gegen äußere Widrigkeiten nicht nur in begrenzter Form einüben, sondern wirklich in der Tiefe manifestieren. Als authentischen Gefühlszustand in jeder Lebenslage. Spoiler: Das funktioniert so nicht.
Denn wenn die Gegenspieler von Resilienz, also Empfindsamkeit, das unbedingte Streben nach Lob, Fehlerfreiheit und Perfektion und hohe atmosphärische Sensibilität evolutionär so sinnlos wären, dann gäbe es diese motivationale Ausstattung schon lang nicht mehr. Überflüssige Fähigkeiten werden in der Natur, spätestens per epigenetischer Regulation, konsequent aussortiert.
Sensible Menschen und ihr Wesen feiern, statt sie zu enteiern
So haben wir unser Ganzkörperfell verloren, so hat sich auch unsere Verdauung an unsere Nahrungsauswahl angepasst – aus gutem Grund haben wir nicht mehrere Mägen wie zum Beispiel Kühe. Auch die großen, kräftigen Kaukiefer unserer Vorfahren – evolutionär wegrationalisiert, weil bis auf Weiteres erst mal überflüssig.
Was die Natur, aus gutem Grund, nicht wegrationalisiert hat, sind die sensitiven Menschen. Doch anstatt diese mit ihren Eigenschaften anzunehmen und größer zu machen, wollen wir ihnen resilientes Verhalten antrainieren und überschwemmen sie mit allerlei Literatur, Coachings, Seminaren und Keynotes. Geben ihnen sogar oft das Gefühl, „nicht richtig zu sein“.
Der innere Antrieb wird sehr früh unumkehrbar angelegt
Wichtig zu wissen ist, dass sowohl Verletzbarkeit (Vulnerabilität) als auch eine starke mentale Widerstandskraft schon sehr früh in uns festgelegt werden. Sie bestehen zu einem Großteil aus in uns angelegten Komponenten des motivationalen Antriebs, also dem, was uns ausmacht, motiviert und im Wesen entspricht. Diese Ausprägung ist lebenslang relativ stabil – wenn das auch gern anders behauptet wird, bisher ist kein echter Beleg für eine Umkehrbarkeit aufgetaucht.
Natürlich kann man als sensibler Mensch durch Übung und Reflexion eine gewisse Gewöhnungs- und Bewältigungsroutine entwickeln. Das kann hilfreich und auch situativ sehr entlastend sein. Zur Belastungsbewältigung jedoch, nach scharfer Kritik zum Beispiel oder im Hamsterrad quälend ausbleibender sozialer Anerkennung im Job, braucht es immer einen deutlich spürbaren Energieaufwand.
Kritik wird unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet
Wenn sensible Angestellte von ihren Chefs mit Fehlern im Job konfrontiert werden, müssen sie sehr viel mehr Kraft aufwenden, um damit klarzukommen, als von Natur aus weniger verletzliche Menschen. Da startet der Motor der Zweifel, der Unsicherheit, der Selbstkritik. Bin ich gut genug? Und es wächst das starke Bedürfnis, aktiv etwas dafür zu tun, das gewünschte Lob, die ersehnte Anerkennung durch das soziale Umfeld doch noch zu erlangen. Das macht diese Mitarbeitenden sehr zuverlässig und produktiv. Leider oft bis über die eigene Leistungsgrenze hinaus.
Resiliente Angestellte reagieren in selbiger Situation nur mit einem Kopfschütteln und dem Satz: „Ist doch egal, was der Chef denkt.“ Punkt. Fertig. Oder: „Lob ist doch mehr als unnötig, ich weiß ja, dass ich das total gut kann.“ Null Anstrengung, null selbstkritisches Hinterfragen. Und kein überflüssiger Energieverbrauch. Diese Mitarbeitenden sind häufig gut in der Lage, Visionen auch gegen Widerstände voranzutreiben. Sie scheren sich nicht so sehr um die Meinung anderer.
Wir brauchen beide Ausprägungen. Eben auch die sensiblen, nicht resilienten Menschen dringend für die Diversität und das Funktionieren von Teams und Gesellschaft, eben weil sie immer nach Perfektion streben, weil sie sehr selbstkritisch und nie fehlertolerant sind. Weil sie vorsichtig im Umgang mit Kritik an anderen sind und darauf achten, was die soziale Umgebung von ihnen hält.
Sensibilität ist eine Superkraft
Mein Appell ist also: Respektieren wir doch sensible Menschen mit dem, was sie motivational für ihr Wohlbefinden brauchen, dann sehen wir – wie übrigens auch im Profifußball, wo viele sensible Sportler:innen unterwegs sind – wie irre wertvoll und leistungsfähig sie gerade aufgrund ihrer inneren Beschaffenheit sind. Denn die ist eigentlich ihre Superkraft: Sie kämpfen um jede kleine Anerkennung durch höchste „Trainingswut“ durch permanente Reflexion ihrer eigenen Leistung und durch enorme Verbissenheit.
Sie können bei guten motivationalen Bedingungen (durch motivbasierte Führung zum Beispiel) auch unter größten Belastungen zu Höchstleistungen fähig werden. Sie halten durch bis zur Perfektion ihrer vom Umfeld gewürdigten Performance.
Stichprobe aus unserer Datenbank: Bei über 250 Profilen von sehr erfolgreichen Fußballprofis hatten unter 40 ein niedriges Bedürfnis nach Anerkennung. Alle anderen gehören zu diesen sensiblen, extrem nach sozialer Anerkennung und Lob strebenden Menschen, sind permanent unsicher und selbstkritisch.
Was bedeutet das nun aber für die, die sensible Menschen führen? Für diejenigen, in deren Verantwortung es liegt, ihre Mitarbeiter:innen so zu supporten, dass tolle Ergebnisse entstehen können? Und was bedeutet das für die Sensiblen unter uns?
📌 Ganz klar: Kenne den motivationalen Antrieb Deiner Mitarbeiter:innen sehr gut und erlerne, sie konsequent so zu führen, dass sie sich in ihrem Wesen erkannt und optimal wahrgenommen fühlen.
📌 Nutze die Qualität, die sich gerade bei den Sensiblen unter ihnen in dem starken Streben nach Fehlerfreiheit und Perfektion verbirgt.
📌 Entwickle in Deinem Team eine offene Gesprächskultur darüber, wer was braucht, um hochmotiviert zu sein.
📌 Lass gute Synergien zwischen resilienten und sensitiven Teammitgliedern zu.
Bist Du einer dieser sensitiven Menschen? Je besser Du die genaue Struktur Deines motivationalen Antriebs kennst, desto besser kannst Du Dich selbst durch die Unwägbarkeiten Deiner Situation navigieren. Nutze Deinen inneren atmosphärischen Seismografen, Deinen Perfektionismus und Dein Streben nach Lob. Deine Sensibilität ist Deine SUPERKRAFT.