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Revolution im Internet: Was ist Web3?

Im Internet bricht ein neues Zeitalter an. Technologien wie die Blockchain verändern, wer Daten kontrolliert, wer Geld verdient und wie Unternehmen geführt werden müssen.

Von Thomas Stackpole

Erinnern Sie sich noch an das erste Mal, als Sie von Bitcoin hörten? Vielleicht waren es vage Gerüchte über eine neue Technologie, die alles verändern würde. Vielleicht hatten Sie Angst, etwas zu verpassen, als Sie sahen, wie erste Investoren ein kleines Vermögen machten. Dabei war noch gar nicht so recht klar, was man mit diesem „Geld“ eigentlich legal kaufen konnte. Vielleicht haben Sie sich auch gefragt, ob Ihr Unternehmen eine Kryptostrategie entwickeln sollte – für den Fall, dass die Technologie in Ihrer Branche doch Fuß fassen würde, selbst wenn Sie sich persönlich für das Thema nicht begeistern konnten.

Jedenfalls folgte sehr wahrscheinlich kurze Zeit später ein Crash. Bislang ist der Bitcoin-Kurs alle paar Jahre eingebrochen. Und immer wenn es wieder einmal so weit ist, springen die Skeptiker aus der Deckung, erklären die Kryptowährung für tot und zetern, das Ganze sei von Anfang an eine Luftnummer für Nerds und Gauner gewesen. Ein Randphänomen, vorangetrieben von Technoliberalen und Bankenhassern. Bitcoin werde sich niemals neben echten Technologieunternehmen behaupten können, heißt es dann, bevor die Kritiker das Thema vergessen und es wieder ruhig wird. Bis zum nächsten Kryptocomeback.

Inzwischen ist Bitcoin gefühlt überall. Kryptowährungen haben nach und nach den Mainstream erobert. Der Schauspieler und Komiker Larry David machte beim Superbowl Werbung für sie, Promis wie Paris Hilton, Tom Brady und Jamie Foxx gaben ihren Namen für sie her, und in Miami wurde eine Furcht einflößende Roboterversion des Wall-Street-Bullen als Symbol für die Kryptoambitionen der Stadt enthüllt. Was als Kuriosität und obs­kure Nische für Spekulanten begann, ist heute Big Business.

Auslöser ist die Blockchain

Kryptowährungen sind aber nur die Speerspitze. Sie basieren auf der Blockchain, einer sogenannten Distributed-Ledger-Technologie (wörtlich übersetzt: verteiltes Kontobuch). Das ist eine Datenbank, die auf einem ganzen Netzwerk an Computern statt einem einzelnen Server gehostet wird und Nutzerinnen und Nutzern eine unabänderliche und transparente Datenspeicherung bietet.

Diese Technologie findet mittlerweile auch in anderen Bereichen Verwendung, zum Beispiel für Non-Fungible Tokens (NFTs). Ein NFT ist eine Art digitale ­Urkunde, die das Eigentum an eindeutig definierten digitalen Objekten verbrieft. Solche NFTs sind 2022 wie Pilze aus dem Boden geschossen und haben scheinbar aus dem Nichts einen Markt im Wert von 41 Milliarden Dollar geschaffen. Der US-amerikanische Digitalkünstler Beeple ­erzielte im vergangenen Jahr bei einer Versteigerung eines NFT-Kunstwerks beim Auktionshaus Christie’s sensationelle 69 Millionen Dollar.

Ein noch etwas spezielleres Blockchain-Thema sind DAOs: dezentralisierte autonome Organisationen. Sie funktionieren wie führungslose Unternehmen. Das heißt: Sie nehmen zwar wie herkömm­liche Unternehmen Geld ein und geben es aus, aber Entscheidungen werden auf Basis von Abstimmungen unter den Teilnehmern getroffen und nach festgeschriebenen Regeln ausgeführt. Eine DAO sammelte kürzlich 47 Millionen Dollar ein, um eine seltene Ausfertigung der Verfassung der USA zu erwerben. Verfechter dezen­tralisierter Finanzmärkte, kurz DeFi, wollen das weltweite Finanzsystem neu gestalten und setzen sich vor dem US-Kongress für eine Zukunft ohne Banken ein.

Neue digitale Wirtschaftssysteme

All diese Entwicklungen laufen unter dem Namen Web3, das die Funktionsweise des Internets grundlegend verändern soll. Die Blockchain soll dafür sorgen, dass die Speicherung, der Austausch und das Eigentum an Daten anders funktionieren als bislang. In der Theorie kann ein Blockchain-basiertes Internet die aktuellen Machtmonopole zu Fall bringen. Das betrifft insbesondere die Fragen, wer Daten kontrolliert, wer Geld damit verdient und sogar wie Netzwerke und Unternehmen funktionieren.

Die Befürworter sagen, Web3 werde neue digitale Wirtschaftssysteme, Produktklassen und Dienstleistungen schaffen; es mache das Internet wieder demokratisch. Web3 sei die nächste Entwicklungsstufe des Internets und genauso wie der Marvel-Superbösewicht Thanos sei es unausweichlich.

Wie unausweichlich ist die Entwicklung wirklich? Zwar konzentrieren sich gerade jede Menge Energie, Geld und Talente auf Web3-Projekte. Aber das Internet auf links zu drehen ist ein enormes Vorhaben. So vielversprechend die Blockchain auch sein mag, bevor sie die alles beherrschende Technologie werden kann, muss sie erst noch hohe technische, ökologische, ethische und regulatorische Hürden überwinden. Immer mehr Skeptiker warnen vor überbordender Spekulation, Diebstahl und Datenschutzpro­blemen im Web3. Außerdem bedrohten Zentralisierungstendenzen und die wachsende Zahl neuer Vermittlungsinstanzen bereits heute die utopische Vorstellung eines dezentralisierten Internets.

Unterdessen versuchen Unternehmen und Manager, das Potenzial und die Risiken eines rasanten Wandels abzuschätzen, der denen, die ihn zu nutzen wissen, durchaus hohe Gewinne bescheren könnte. So lassen aktuell viele Unternehmen Web3-Testballons steigen. Manche feiern große Erfolge damit. Aber es gibt auch eine Reihe von renommierten Firmen, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ihnen (oder ihren Kunden) das Ganze nicht gefällt. Die meisten wissen natürlich noch gar nicht so recht, was Web3 eigentlich ist: Bei einer Umfrage unter Leserinnen und Lesern der Harvard Business Review auf Linkedin im März 2022 sagten fast 70 Prozent, sie wüssten nicht, was die Bezeichnung bedeutet.

Willkommen in der verwirrenden, umstrittenen, aufregenden, utopischen, betrügerischen, katastrophalen, demokratisierenden, (vielleicht) dezentralisierten Welt von Web3. Hier sind einige Fakten, die Sie kennen sollten.

Zunächst ein kurzer Abriss der bisherigen Entwicklung, um Web3 besser einordnen zu können. (Die wichtigsten Begriffe finden Sie im Glossar ganz unten)

Am Anfang war das Internet: die physische Infrastruktur mit Leitungen und Servern, die gestatten, dass Computer und die Menschen, die sie nutzen, mitein­ander kommunizieren. Das Arpanet der US-Regierung versandte 1969 die erste Nachricht. Aber das Internet, das wir heute kennen, entstand erst 1991, als HTML und URL die Navigation zwischen statischen Seiten ermöglichten. Nutzerinnen und Nutzer konnten Informationen konsumieren, aber nicht ohne Weiteres selbst veröffentlichen. Das war Web1: schreibgeschützt, read only.

Anfang der 2000er Jahre änderte sich das. Das Internet wurde interaktiver, und das Zeitalter des User-Generated Content brach an – nicht mehr read only, sondern read and write. Soziale Medien waren ein zentrales Merkmal des Web2 (auch bekannt als Web 2.0): Facebook, Twitter und Tumblr definierten von nun an das ­Onlineerlebnis. Youtube, Wikipedia und Google eröffneten ganz neue Möglich­keiten, im Netz Filmmaterial anzuschauen, zu lernen, zu recherchieren und zu kommunizieren. Ein wesentliches ­Element war die Möglichkeit, Inhalte zu kommentieren.

Zugleich war das Web 2.0 von Zentralisierung geprägt. Netzwerk- und Skaleneffekte brachten klare Gewinner hervor, von denen einige gerade genannt wurden. Diese haben sich und ihren Aktionären einen unglaublichen Reichtum beschert, indem sie die Daten der Nutzerinnen und Nutzer erfasst und darauf basierend gezielte Werbung verkauft haben. So konnten sie Dienstleistungen „kostenlos“ anbieten. Den Nutzern war anfangs nicht klar, dass sie zwar nicht mit Geld, aber mit ihren Daten bezahlen. Web2 eröffnete ­darüber hinaus für normale Menschen neue Möglichkeiten, Geld zu verdienen, zum Beispiel im Rahmen der Sharing Economy oder als Influencer, was in manchen Fällen durchaus lukrativ sein kann.

An unserem aktuellen System gibt es viel zu kritisieren: Zum einen gehen die Unternehmen mit ihrer großen oder ­nahezu monopolähnlichen Marktmacht oft nicht verantwortungsbewusst um. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, dass sie das eigentliche Produkt sind und sind immer weniger bereit, die Kontrolle über ihre persönlichen Daten abzugeben. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass das gesamte Geschäft mit gezielter Werbung eine Blase ist, die platzen könnte und Werbetreibende nicht wirklich voranbringt. Jetzt, wo das Internet erwachsen geworden, zentralisiert und von großen Unternehmen dominiert ist, fragen sich viele, ob es für die Zukunft nicht noch etwas Besseres gibt.

Hier kommt Web3 ins Spiel. Die Anhänger dieser Vision verkaufen sie als tiefgreifendes Upgrade, das die Probleme und Fehlanreize des Web 2.0 korrigiert. Sie sorgen sich um Ihre persönlichen Daten? Verschlüsselte Wallets – digitale Geldbörsen – schützen Ihre Onlineidentität. Sie fürchten Zensur? Eine dezentrale Datenbank speichert alles unveränderlich und transparent, ohne dass Moderatoren anstößige Inhalte löschen können. Sie stört die Machtkonzentration? Bei den von Ihnen genutzten Netzwerken haben Sie bei jeder Entscheidung eine Stimme. Mehr noch: Sie bekommen sogar einen Anteil, der etwas wert ist. Sie sind kein Produkt, sondern Eigentümerin oder Eigentümer. Das ist die Vision des Read/Write/Own-Internets.

Die erste Blockchain

Der Grundstein für Web3 wurde 1991 gelegt, als die Wissenschaftler W. Scott Stornetta und Stuart Haber die erste Blockchain schufen. Ziel des Projekts war ein Zeitstempel für digitale Dokumente. Das Konzept setzte sich allerdings erst 2009 richtig durch, als jemand mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto nach der Finanzkrise (und zumindest zum Teil als Reaktion darauf) das Kryptowährungssystem Bitcoin ins Leben rief.

Diese Kryptowährung und die zugrunde liegende Blockchain-Technologie funktionieren so: Das Eigentum an der Kryptowährung wird in einem Shared ­Public Ledger dokumentiert, einem digital signierten und öffentlich zugänglichen Datenbanksystem. Wenn jemand Bitcoin übertragen möchte, kümmern sich sogenannte Miner um die Verarbeitung dieser Transaktion: Sie lösen eine komplexe mathematische Aufgabe, fügen so einen neuen Datenblock zur Blockchain hinzu und werden dafür mit neu geschaffenen Bitcoins bezahlt.

Die Bitcoin-Blockchain wird nur für den Austausch von Währungen verwendet und hält fest, wer wie viele Bitcoins besitzt. Neuere Blockchains bieten noch weitere Möglichkeiten. Das 2015 gegründete Ethereum ist sowohl eine Kryptowährung als auch eine Plattform, auf der sich weitere Kryptowährungen und Blockchain-Projekte aufsetzen lassen. ­Gavin Wood, einer der Gründer, bezeichnete Ethereum als „einen Computer für den gesamten Planeten“, dessen Rechenleistung rund um den Erdball verteilt ist und nirgends zentral gesteuert wird.

Sehr stark vereinfacht ist Web3 eine Erweiterung des Kryptowährungskonzepts, bei der die Blockchain-Technologie auf andere Art und Weise und für andere Zwecke zum Einsatz kommt. In einer Blockchain lassen sich unterschiedliche Dinge speichern, etwa die Zahl der Tokens in einer Wallet, die Vertragsbedingungen eines automatisch ausgeführten Smart Contracts oder der Code für eine dezen­trale App (dApp).

Blockchains funktionieren nicht alle gleich, aber generell dienen Coins als ­Anreiz für Miner, Transaktionen zu verarbeiten. Bei Proof-of-Work-Blockchains wie Bitcoin müssen alle neuen Transaktionen durch Teilnehmer der Blockchain validiert werden, bevor sie dem Netzwerk hinzugefügt werden. Dafür müssen die Miner komplexe mathematische Aufgaben lösen, die energieaufwendig sind. Bei den neueren, immer häufiger anzutreffenden Proof-of-Stake-Blockchains erfordert die Verarbeitung einer Transaktion lediglich einen Konsens der Teilnehmer über die Legitimität einer Transaktion und darüber, welcher Stakeholder den nächsten Block erzeugen darf. Dieses Verfahren ist effizienter. In beiden Fällen sind die Transaktionsdaten öffentlich zugänglich, auch wenn die Wallets der Nutzerinnen und Nutzer nur über eine kryptografisch erzeugte Adresse identifiziert werden. Blockchains sind write only, das heißt, Daten können hinzugefügt, aber nicht gelöscht werden.

Eigentum der Nutzer

Web3 und Kryptowährungen basieren auf sogenannten permissionless Blockchains. Das heißt, es gibt keine zentrale Steuerung. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen einander nicht vertrauen – oder auch nur irgendetwas übereinander wissen –, um Geschäfte miteinander zu machen. Das ist es, worauf sich die meisten beziehen, wenn sie von der Blockchain sprechen. Chris Dixon, Partner beim Wagniskapitalgeber a16z und einer der führenden Unterstützer und Investoren von Web3, zitiert die Definition des Beraters Packy McCormick: „Web3 ist Internet, das seinen Erbauern und Nutzern gehört und über Tokens orchestriert wird.“

Das ist eine grundlegende Abkehr von der aktuellen Version des Internets, bei der Unternehmen den Nutzerinnen und Nutzern so viele Daten abluchsen, wie sie nur können. Tokens und das Prinzip der Shared Ownership, bei dem das Eigentum an Daten und Inhalten bei den Urhebern bleibt, lösen Dixon zufolge „das Kernproblem zentralisierter Netzwerke, in denen ein Unternehmen den Mehrwert behält und anhäuft und letztlich gegen die eigenen Nutzer und Partner kämpft.“

2014 skizzierte Ethereum-Mitgründer Wood in einem wegweisenden Blogpost seine Vision des neuen Zeitalters. Web3 sei ein „neuer Ansatz für die Dinge, für die wir das Internet bereits nutzen, aber mit einem grundlegend anderen Modell für die Interaktion zwischen den beteiligten Parteien“, schrieb er. „Informationen, von denen wir annehmen, dass sie jeder sehen darf, veröffentlichen wir. Informationen, von denen wir annehmen, dass sie Vereinbarungen darstellen, speichern wir in einem Konsens-Ledger. Informationen, von denen wir annehmen, dass sie vertraulich sind, halten wir geheim und legen sie niemals offen.“ In dieser ­Vision ist jegliche Kommunikation verschlüsselt, und die Identität der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer bleibt verborgen. „Wir konzipieren das System so, dass es unsere Annahmen mathematisch durchsetzt, denn wir können bei keiner Regierung und bei keiner Organisation davon ausgehen, dass sie wirklich vertrauenswürdig ist.“

Beim Gaming Geld verdienen

Seitdem hat sich die Idee weiterentwickelt, und es gibt immer neue Anwendungsfälle. Der Web3-Streamingdienst Sound.xyz verspricht Künstlerinnen und Künstlern bessere Konditionen. Bei Blockchain-Spielen wie dem Pokémon-ähnlichen Axie Infinity können die Spielenden beim Gaming Geld verdienen. Sogenannte Stablecoins, deren Wert an den Dollar, den Euro oder andere Vermögenswerte gekoppelt ist, werden bereits als Upgrades des globalen Finanzsystems angepriesen. Kryptowährungen kommen bereits häufiger im internationalen Zahlungsverkehr zum Einsatz, insbesondere wenn das Umfeld volatil ist.

„Blockchain ist eine neue Art von Computer“, sagt Dixon. Genau wie es Jahre gedauert hat, bis klar wurde, in welchem Ausmaß PC und Smartphone unsere Nutzung von Technologie verändern würden, war auch die Blockchain in einer langen Inkubationsphase. Jetzt „könnten wir im goldenen Zeitalter von Web3 angelangt sein, in dem alle Entrepreneure einsteigen“, sagt er. Zwar sorgen vor allem schwindelerregende Summen wie beim Verkauf des Beeple-Kunstwerks für Aufmerksamkeit. Doch es steckt mehr dahinter. „Das allermeiste, was ich sehe, sind Dinge für kleines Geld, bei denen es um das gesellschaftliche Leben geht“, sagt er, wie beim Streamingdienst Sound.xyz. Während es Unternehmen im Web2 vor allem um Größe ging, ist im Web3 das Engagement, die Einbindung von Menschen, ein besserer Indikator für Erfolg.

Dixon wettet mit hohem Einsatz auf diese Zukunft. Er und a16z investieren seit 2013 in diesen Bereich. Allein im vergangenen Jahr steckten sie 2,2 Milliarden Dollar in Web3-Unternehmen; 2022 wollen sie die Summe verdoppeln. Die Zahl der Entwickler, die an Web3-Code arbeiten, hat sich 2021 auf rund 18.000 nahezu verdoppelt. Das ist gemessen an der Gesamtzahl zwar noch nicht viel, aber der Trend ist bemerkenswert. Was vielleicht am wesentlichsten ist: Web3-Projekte entsprechen dem Zeitgeist. Der Hype ist nicht zu übersehen.

Doch wie wir an prominenten und abgestürzten Start-ups wie Theranos und WeWork sehen, reicht Hype allein nicht aus. Wie geht die Entwicklung weiter? Und worauf sollten Sie achten?

Web3 wird sich in ein paar grundlegenden Punkten vom Web2 unterscheiden: Nutzerinnen und Nutzer brauchen nicht für jede Website eigene Anmeldedaten, sondern haben eine zentrale ID (vermutlich ihre Kryptowallet) mit ihren Informationen. Sie haben mehr Kontrolle über die Seiten, die sie besuchen, weil sie Tokens verdienen oder kaufen, mit denen sie über Entscheidungen mit abstimmen oder Funktionen freischalten können.

Ob Web3 hält, was es verspricht, bleibt abzuwarten. Niemand kann heute sagen, wie es aussieht, wenn es sich auf breiter Basis durchgesetzt hat. Manche Projekte haben allerdings bereits eine beachtliche Größe erreicht. Der Bored Ape Yacht Club (BAYC), NBA Top Shot und der Kryptospieleentwickler Dapper Labs haben erfolgreiche Communitys auf der Basis von Non-Fungible Tokens aufgebaut. Clearinghäuser wie Coinbase (für Kauf, Verkauf und Speicherung von Kryptowährungen) und OpenSea (der größte digitale Marktplatz für Crypto Collectibles, also digitale Sammlerstücke, und NFTs) bieten Menschen mit wenig bis gar keinem technischen Wissen einen einfachen Zugang zum Web3.

Unternehmen wie Microsoft, der US-Möbelhändler Overstock und Paypal akzeptieren bereits seit Jahren Kryptowährungen. Aktuell stehen eher NFTs im Mittelpunkt der Web3-Experimente großer Marken. Im Grunde genommen ist ein NFT eine Mischung aus Urkunde, Echtheitszertifikat und Mitgliedsausweis. Er kann das „Eigentum“ an einem digitalen Kunstwerk verbriefen (in der Regel ist das Eigentum in der Blockchain eingetragen und ein Link verweist auf ein irgendwo gespeichertes Bild) oder Rechte oder Zugangsberechtigungen für eine bestimmte Gruppe dokumentieren. NFTs können in kleinerem Rahmen eingesetzt werden als Coins, weil sie ihre eigenen Ökosysteme schaffen und nichts weiter erfordern als eine Gruppe von Menschen, die dem ­Projekt einen gewissen Wert beimessen. Das ist wie mit Basketballsammelkarten: Wertvoll sind sie nur für Sammler, aber für diese Sammler ist der Wert sehr real.

Erfolgreiche Projekte

Wenn traditionelle Unternehmen mit Web3-Experimenten Erfolg haben, handelt es sich bislang vor allem um Projekte, die neue Communitys schaffen oder auf bestehenden aufsetzen. Die US-Basketballliga NBA ist ein gutes Beispiel: Top Shot war eines der ersten NFT-Projekte einer etablierten Marke. Es gab Fans die Möglichkeit, Videoclips – sogenannte Moments – zu kaufen und zu tauschen (zum Beispiel einen Dunk von LeBron James), analog zu herkömmlichen Sammelkarten. Den Fans, von denen viele schon Basketballkarten sammelten, eröffnete dies zusätzlichen Raum, um ihre Leidenschaft mit anderen zu teilen.

Andere bekannte Marken wie Nike, Adidas und Under Armour haben für ihre Sammler-Communitys ebenfalls eine zusätzliche digitale Ebene geschaffen. Alle drei Unternehmen bieten NFTs an, mit denen Fans in der virtuellen Welt einen Avatar ausrüsten können oder in der realen Welt bestimmte Produkte oder exklusive Kleidungsstücke bekommen. Adidas hat in weniger als einem Tag NFTs im Wert von 23 Millionen US-Dollar verkauft und damit sofort einen Sammlermarkt auf dem NFT-Marktplatz OpenSea geschaffen – das gleiche Phänomen wie bei einem ­limitierten Sneaker. Das US-Nachrichtenmagazin „Time“ startete ein ähnliches NFT-Projekt, das die lange Geschichte des Magazins nutzt, um eine neue Fan-Community aufzubauen.

Adidas verkaufte an einem Tag NFTs im Wert von 23 Millionen Dollar und schuf einen Sammlermarkt – das gleiche Phänomen wie bei einem limitierten Sneaker.

Der Bored Ape Yacht Club ist die bislang größte Erfolgsgeschichte eines NFT-Projekts, das es in den Mainstream geschafft hat. In einer Mischung aus Hype und Exklusivität bietet der BAYC seinen Mitgliedern den Zugang zu echten Partys und virtuellen Welten. Zudem erhalten sie die Nutzungsrechte an Bildern des namensgebenden Affen, was die Marke weiter stärkt. Die Eigentümerinnen und Eigentümer der Kryptoaffen gehören einem exklusiven Klub an, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne.

Diese Projekte zeigen, dass es zwar wichtig ist, Menschen eine Brücke in die Kryptowelt zu bauen und ihnen den Einstieg einfach zu machen. Allerdings spielt das umso weniger eine Rolle, je engagierter eine Community ist. Sich eine Krypto­wallet zu besorgen ist nicht schwierig. Aber es ist ein zusätzlicher Schritt. Die NBA verzichtete bei Top Shot darauf, ­Nutzerinnen und Nutzer können einfach per Kreditkarte bezahlen. Das machte es leichter, Interessenten zu gewinnen, die mit NFTs noch keine Erfahrung hatten. Der Bored Ape Yacht Club hingegen war zwar ein Nischenangebot, aber durch seinen großen Erfolg brachte er Nutzerinnen und Nutzer dazu, sich Wallets zu besorgen. Dadurch wuchs auch das Interesse an OpenSea.

Erfolglose Projekte

Bei anderen Unternehmen lief es mit NFT-Projekten und Kryptoangeboten nicht so reibungslos. Als Jason Citron, CEO des Chat-Tools Discord, eine Verknüpfung des Onlinedienstes mit Kryptowallets in Aussicht stellte, liefen die Nutzerinnen und Nutzer Sturm. Citron musste schließlich klarstellen, die Verknüpfung sei „aktuell nicht geplant“. Die Unterwäschemarke MeUndies aus den USA und der britische Ableger des WWF schoben nach wütenden Protesten der Kundinnen und Kunden wegen des beträchtlichen CO2-Fußabdrucks ihren NFT-Projekten schnell wieder einen Riegel vor.

Auch bei den Erfolgsstorys gibt es Rückschläge. Nike lässt derzeit nicht autorisierte NFTs „zerstören“, und der Marktplatz OpenSea hat mit Fälschern und Nachahmern zu kämpfen. Da Blockchains unveränderlich sind, wirft dies neue rechtliche Fragen auf, und es ist unklar, wie die Unternehmen mit dem Thema umgehen werden. Zu allem Übel gibt es in letzter Zeit Hinweise darauf, dass der NFT-Markt zum Stillstand kommt.

Unternehmen, die demnächst einsteigen möchten, sollten bedenken: Web3 polarisiert, und es gibt keine Garantien. Der Graben verläuft zwischen den Web3-Anhängern, die an das Potenzial glauben, und den Kritikern, die auf die vielen Probleme verweisen.

Die Anfangsphase einer neuen Technologie ist immer eine aufregende Zeit. Es gibt endlos viele Möglichkeiten, und der Fokus liegt darauf, was die Technologie vollbringen kann – oder vollbringen wird, wenn man den Optimisten glaubt. Ich ­erinnere mich noch an die Zeit, als der freie Diskurs auf Twitter und Facebook eine weltweite Demokratisierungsbewegung in Gang setzen sollte. Jetzt, wo die Aura des Unausweichlichen (und hoher Gewinne) Web3 umweht und immer mehr Anhänger hervorbringt, ist es wichtig, die Probleme zu berücksichtigen, die kommen könnten – und die zu begreifen, die schon da sind.

Hort der Spekulation

Skeptiker sagen, all die Erzählungen über Demokratisierung, individuelles Eigentum und Wohlstand für die breite Masse könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Web3 nichts weiter als eine riesige Spekulationswirtschaft sei, die vor allem einige Reiche noch viel reicher mache. Dieses Argument klingt einleuchtend. Schließlich gehören 0,01 Prozent aller Bitcoin-Eigentümer ganze 27 Prozent der Kryptowährung.

Sowohl an den Krypto- als auch an den NFT-Märkten kommt es zudem zu Marktmanipulationen und Wash Trading. Zweiteres bezeichnet den Handel eines Vermögenswerts mit sich selbst. (Der Händler nutzt dabei zwei Wallets, um ein NFT an sich selbst zu verkaufen. Für Außenstehende sieht es so aus, also ob jemand tatsächlich bereit gewesen wäre, den Preis für den NFT zu bezahlen – Anm. d. Red.). Die Akteure treiben so die Kurse künstlich in die Höhe, und Eigentümer verdienen Coins durch Scheingeschäfte.

Die Reporter Edward Ongweso Jr. und Jacob Silverman haben das gesamte System in einem Interview in dem Podcast „The Dig“ als eine ausgeklügelte Wohlstandsverteilung nach oben bezeichnet. Der Investor Rex Woodbury nennt Web3 im Politik- und Gesellschaftsmagazin „The Atlantic“ die „Finanzialisierung von allem“ (und das ist nicht positiv gemeint). Die Softwareentwicklerin Molly White zeigt die Probleme dieses unregulierten Wildwest-Bereichs auf, indem sie auf der Internetseite Web3 Is Going Just Great die vielen Hacks, Betrügereien und Fehlschläge im Web3 dokumentiert.

Doch das unvorhersehbare, spekulative Wesen der Märkte könnte auch notwendig sein, um das System überhaupt am Laufen zu halten. Der Technologieexperte David Rosenthal sagt, die Spekulation mit Kryptowährungen sei der Motor, der das Web3 antreibt – ohne sie würde es nicht funktionieren. „Eine Permissionless Blockchain setzt voraus, dass die Kryptowährung funktioniert, und die Kryptowährung setzt wiederum voraus, dass die Spekulation funktioniert“, sagte er bei einem Vortrag in Stanford Anfang 2022. Im Grunde genommen beschreibt er ein Schneeballsystem: Blockchains müssen Menschen für die Bereitstellung von Rechenleistung eine Gegenleistung anbieten, und diese Rolle übernehmen Kryptowährungen. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn andere bereit sind, diese Kryptowährungen zu kaufen, weil sie auf eine Aufwertung spekulieren.

Stephen Diehl, Softwareexperte und Web3-Kritiker, schmäht Blockchain als „One-Trick-Pony“ – als Zirkuspferd, das nur ein Kunststück beherrscht und „das einzig und allein dazu dient, zensurfreie Investmentsysteme zu schaffen, deren negative Externalitäten und Schadenpotenzial ungleich größer sind als jeg­licher potenzielle Nutzen“.

Der Web3-Kritiker Stephen Diehl schmäht Blockchain als „One-Trick-Pony“, als Zirkuspferd, das nur ein Kunststück beherrscht.

Unpraktisch und teuer

Ob Web3 – oder genauer gesagt die Blockchain – die Technologie der Wahl für die nächste Internetgeneration wird, ist umstritten. „Ganz gleich, ob man der Philosophie und den wirtschaftlichen Grundlagen der Kryptowährungen zustimmt oder nicht, mit ihnen ist eine katastrophale Softwarearchitektur vorprogrammiert“, sagt Grady Booch, Chief Scientist für Software Engineering bei IBM Research. Jede Technologie sei mit Kompromissen verbunden, sagt er in einem Gespräch auf Twitter Spaces. Sogenannte Trustless Systems (bei denen keine zen­trale Organisation, etwa eine Bank, notwendig ist, um das Vertrauen zwischen Handelspartnern zu gewährleisten – Anm. d. Red.) haben den Nachteil, dass sie überaus ineffizient sind und nur einige wenige Transaktionen pro Minute verarbeiten können. Das ist eine verschwindend geringe Menge im Vergleich zu zentralisierten Systemen wie zum Beispiel Amazon Web Services. Dezentralisierung macht Technologie komplizierter und für normale Anwenderinnen und Anwender schwerer zugänglich.

Dieses Problem lässt sich durch zusätzliche Ebenen beheben, die für eine Beschleunigung sorgen. Das führt aber zu einer stärkeren Zentralisierung des Systems – was der eigentlichen Grundidee widerspricht. Moxie Marlinspike, Gründer des verschlüsselten Messengerdienstes Signal, drückt es so aus: „Wenn sich ein verteiltes Ökosystem aus Komfortgründen stärker auf eine zentrale Plattform ausrichtet, vereint es die Nachteile beider Modelle: zentralisierte Steuerung, aber immer noch verteilt genug, dass das System mit der Zeit versumpft.“

Aktuell hat die Ineffizienz der Blockchain buchstäblich ihren Preis. Die Transaktionskosten bei Bitcoin und Ethereum (wo sie Gasgebühren heißen) können Hunderte von Dollar betragen. Ein Megabyte Daten in einer Blockchain zu speichern kann Tausende oder gar Zehntausende Dollar kosten. Sie haben richtig gelesen! Deshalb ist der NFT, den Sie gekauft haben, vermutlich gar nicht wirklich in einer Blockchain gespeichert. Dort ist nur ein Code hinterlegt, der Ihr Eigentum an dem NFT verbrieft und eine Adresse des tatsächlichen Speicherorts des NFT angibt. Das kann Probleme verursachen. Es ist schon vorgekommen, dass eine teure digitale Errungenschaft verschwindet, wenn der Server ausfällt, auf dem der NFT tatsächlich gespeichert ist.

Belästigungen und Missbrauch

Die Gefahr katastrophaler, unbeabsichtigter Konsequenzen ist sehr real. „Die Blockchain-Befürworter sprechen über die ‚Zukunft des Internets‘ auf der Grundlage von öffentlich zugänglichen Datenbanken, Anonymität und unveränderlichen Daten“, schreibt die Kryptokritikerin Molly White in ihrem Blog. „Doch diejenigen von uns, die schon einmal online belästigt wurden, können nur mit blankem Entsetzen zusehen, wie Faktoren, die ganz offensichtlich Belästigung und Beschimpfungen befördern, vernachlässigt oder gar ausdrücklich als wünschenswerte Merkmale angepriesen werden.“

Kryptowallets bieten theoretisch Anonymität. Weil die Transaktionen öffentlich sind, lassen sie sich aber auf Einzelpersonen zurückverfolgen. Das FBI ist darin ziemlich gut, weshalb sich Krypto für Kriminalität eher schlecht eignet. „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein erstes Date, und Sie überweisen ihm oder ihr die Hälfte der Restaurantrechnung. Dann könnte Ihr Date jede Transaktion sehen, die Sie je getätigt haben“, sagt White (siehe Interview „Schöne neue Kryptowelt?“). Geraten diese Informationen in die Hände eines gewalttätigen Ex-Partners oder Stalkers, könnte es lebensgefährlich werden.

Die Tatsache, dass die Daten in einer Blockchain unveränderlich sind, bedeutet auch, dass sie nicht mehr gelöscht werden können. Sie können nichts rückgängig machen – ganz gleich, ob es ein Post ist, den Sie bedauern, oder ein aus Rache hochgeladenes Pornovideo. Die Unveränderlichkeit kann in manchen Ländern und Regionen für Web3 auch ein ernstes juristisches Problem darstellen. In Europa etwa gibt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) den Nutzern und Nutzerinnen das Recht, persönliche Daten löschen zu lassen.

Schaden für die Umwelt

Web3 hat immense ökologische Auswirkungen, die sich in zwei Kategorien unterteilen lassen: Energieverbrauch und Elektroschrott. Beide fallen beim Schürfen der Kryptowährungen an. Ein Netzwerk, das jedes Mal, wenn Daten in einer Blockchain gespeichert werden, mit Supercomputern komplexe Gleichungen löst, verbraucht enorme Ressourcen. Laut David Rosenthal produziert Bitcoin „bei jeder ‚wirtschaftlich bedeutsamen‘ Transaktion im Schnitt ein ganzes MacBook Air an Elektroschrott“, weil die Miner massenhaft kurzlebige Computerhardware verschleißen. Die Studie, auf die er sich bezieht, stammt von den Forschern Alex de Vries und Christian Stoll. Sie hat ergeben, dass Bitcoin jährlich so viel Elektroschrott verursacht wie ein Land von der Größe der Niederlande.

Ob es für diese Probleme eine Lösung geben wird und, wenn ja, welche, lässt sich schwer abschätzen. Unter anderem deswegen, weil noch gar nicht klar ist, ob sich Web3 wirklich durchsetzen wird. Die Blockchain ist eine Technologie auf der Suche nach einer sinnvollen Verwendung, sagt der Techautor Evgeny Morozov. „Das Geschäftsmodell der meisten Web3-Unternehmen ist extrem selbstreferenziell und lebt vom Glauben der Menschen an die unausweichliche Evolution von Web 2.0 zu Web3.“

Der Softwareentwickler Tim O’Reilly, der für das Web als Plattform in den frühen 2000er Jahren die Bezeichnung Web 2.0 geprägt hat, sagt, wir seien in einem Investmentboom, der an die Hochzeiten der Dotcom-Zeit vor ihrem Niedergang erinnere. „Web 2.0 war keine Versionsnummer, sondern das Wiederauferstehen des Internets nach dem Platzen der Dotcom-Blase“, sagt er. „Ich denke, wir können das Web3 erst Web3 nennen, nachdem die Kryptoblase geplatzt ist. Weil wir dann erst sehen werden, was übrig geblieben ist.“

Wenn das stimmt, werden Innovationen einen hohen Preis haben. Die Juraprofessorin Hilary Allen von der American University in Washington D. C. hat die ­Finanzkrise von 2008 untersucht und Parallelen zum Web3 gefunden. Sie sagt, das System „spiegelt und verstärkt genau die Schwächen der Schattenbanken, die zur damaligen Finanzkrise geführt haben“.

Wohin geht die Reise also mit Web3? ­Vitalik Buterin, der Mitgründer des Blockchain-Netzwerks Ethereum, hat Besorgnis geäußert über die Entwicklung der Kryptowelt, die er selbst maßgeblich mitgeprägt hat. Dennoch überwiegt bei ihm Optimismus. Er räumt ein, dass die Web3-Kritik von Moxie Marlinspike eine „korrekte Kritik am Status quo des Ökosystems“ darstelle. Aber das dezentralisierte Internet hole schnell auf. Aktuell arbeite man daran, Programmbibliotheken zu schaffen. Das werde schon bald dazu führen, dass andere Entwickler einfacher an Web3-Projekten arbeiten könnten. „Die Welt mit ordnungsgemäß authentifizierten, dezentralisierten Blockchains wird kommen – und zwar schneller als viele denken“, prophezeit Buterin.

Zum einen verliert das Proof-of-Work-Konzept – das von Haus aus ineffiziente System, das Bitcoin zugrunde liegt – an Bedeutung. Die Validierung einer Transaktion erfolgt immer seltener über das energieintensive Schürfen. Stattdessen kaufen die Nutzerinnen und Nutzer sich eine Beteiligung (Stake), um Transaktionen zu validieren.

Ethereum wird seinen Energiebedarf durch die Umstellung auf das Proof-of-Stake-Verfahren eigenen Schätzungen zufolge um 99,95 Prozent senken. Gleichzeitig soll es die Plattform schneller und effizienter machen. Solana, eine neuere Blockchain, die mit Proof of Stake und Proof of History, einer Zeitstempel­methode, arbeitet, kann 65.000 Trans­aktionen pro Sekunde verarbeiten. Bei ­Ethereum waren es Anfang 2022 15 Transaktionen pro Sekunde, bei Bitcoin 7. Dabei verbraucht Solana nur ungefähr so viel Energie wie zwei Google-Suchanfragen. Es gleicht diese Emissionen zudem aus, ­indem es ein Unternehmen unterstützt, dass die Reduktion von Treibhausgasen vorantreibt.

Manche Unternehmen fahren einen hybriden Blockchain-Ansatz, der die Vorteile nutzt und die Beschränkungen umgeht. „Es gibt viele interessante neue Architekturen, die bestimmte Dinge in der Blockchain verankern und andere nicht“, sagt Buterin. Ein soziales Netzwerk könnte zum Beispiel Ihre Follower und die Personen, denen Sie folgen, in der Blockchain speichern, nicht aber Ihre Posts, sodass Sie weiterhin Beiträge löschen können.

Hybridmodelle können auch beim Einhalten der DSGVO und anderer Vorschriften helfen. „Um dem Recht auf Löschung nachzukommen“, schreiben Cindy Compert, Maurizio Luinetti und Bertrand Portier in einen Whitepaper von IBM, „sollten persönliche Daten nicht in der Blockchain, sondern vertraulich in einem Off-Chain-Datenspeicher hinterlegt werden. Dabei wird nur der Beleg (als kryptografische Hashfunktion) in der Blockchain gespeichert.“ Auf diese Weise lassen sich personenbezogene Daten im Einklang mit der DSGVO löschen, ohne dass die Blockchain beeinträchtigt wird.

Wie auch immer – die Regulierung wird nach und nach zunehmen. Und sie wird das nächste Kapitel von Web3 prägen. China hat Kryptowährungen vollständig verboten, wie auch Algerien, Ägypten, Bangladesch, Irak, Marokko, Oman, Katar und Tunesien. Europa erwägt Umweltauflagen, die Proof-of-Work-Blockchains einschränken oder verbieten. Und in den USA hat die Regierung von Präsident Joe Biden im März 2022 ein Dekret erlassen, das den Staat verpflichtet, die Regulierung von Kryptowährungen zu prüfen.

Bei Web3 gibt es noch so viel zu klären, dass es weiterhin eine Wette mit hohem Risiko und großen Chancen ist. Manche Unternehmen und Branchen spüren einen stärkeren Anreiz als andere, ihr Glück zu versuchen. Es sind vor allem jene, die in den früheren Entwicklungsstufen des Internets den Anschluss verpasst haben. Es ist kein Zufall, dass ein Medienunternehmen wie der „Time“-Verlag am Potenzial des Web3 interessiert ist, nachdem das Web2 sein Geschäftsmodell geschwächt hat. Andere Organisationen wie Nike oder die NBA haben vielleicht einfach festgestellt, dass ihre Geschäftsmodelle gut zu Web3 passen. Bei anderen ist die Lage nicht so eindeutig.

Die vollmundigen Versprechungen, Web3 werde das Internet übernehmen, das Finanzsystem revolutionieren, Reichtum umverteilen und das Internet wieder demokratisieren, sind mit Vorsicht zu genießen. Wir haben erlebt, wie frühere Phasen der Euphorie im Sande verlaufen sind. Das bedeutet nicht, dass wir Web3 abschreiben sollten. Es kann aufwärts- oder abwärtsgehen. Aber wir werden so oder so mit einer der Optionen leben müssen. Welche Version sich durchsetzt – und wie Ihr Unternehmen darauf reagiert –, könnte die Zukunft der Digitalwirtschaft prägen und bestimmen, wie das Onlineleben in der nächsten Internetepoche aussehen wird. © HBP 2022

Autor

Thomas Stackpoleist Redakteur der Harvard Business Review. Er ist Experte für die Themen Technologie und Innovation.

Kompakt

Die Vision Web3 wird als die Zukunft des Internets angepriesen. Das neue Blockchain-basierte Web umfasst Kryptowährungen, NFTs, autonome Unternehmen, dezentralisierte Finanzen und anderes. Die Nutzerinnen und Nutzer erhalten einen finanziellen Anteil an den Web-Communitys, denen sie angehören, und Kontrolle über ihre Daten.

Das Problem Das Web3 ist noch längst nicht ausgereift. Unternehmen müssen sich der schädlichen Umweltauswirkungen einiger Anwendungen bewusst sein. Sie müssen sich auch auf finanzielle Spekulationen und das Betrugspotenzial, das mit Web3-Projekten einhergeht, gefasst machen. Und während die Blockchain Probleme des Datenschutzes und der großen Macht von Internetplattformen zu lösen verspricht, schafft sie gleichzeitig neue dieser Probleme.

Die Lösung Unternehmen müssen Risiken und Chancen abwägen, bevor sie sich auf Web3-Projekte einlassen. Bislang haben traditionelle Firmen vor allem mit Web3-Experimenten Erfolg, die neue Communitys schaffen oder auf bestehenden aufsetzen – beispielsweise NFTs als Sammelstücke für Basketballfans. Zudem lassen sich mit hybriden Nutzungsmodellen einige Beschränkungen umgehen und trotzdem die Vorteile von Blockchain-basierten Anwendungen nutzen. Vor allem sollten Unternehmen die zunehmende Regulierung beobachten.

Glossar

Ein Wegweiser für Managerinnen und Manager. Worum geht es bei Web3? Hier ein Überblick über wichtige Begriffe.

Web3 Eine neue Version des Internets auf der Basis von Blockchain, die – in der Theorie – dezentral und demokratisch sein wird und die Nutzer direkt miteinander verknüpft. ­Kryptowährungen, NFTs und DAOs sind Bestandteile des Web3.

Blockchain Ein „Distributed Ledger“, also eine Datenbank, die auf einem Netzwerk von Computern statt auf einem ­einzelnen Server gehostet wird. So entsteht eine unveränderliche und transparente Methode der Datenspeicherung. Die Blockchain ist die Grundlage für Web3-Technologien wie Kryptowährungen und NFTs.

Kryptowährung Eine Form der Währung, die nicht auf eine Zentralbank, Regierung oder andere Intermediäre angewiesen ist. Aus technischer Sicht ist es eine Software, die auf Blockchains läuft. Aktuell gibt es Tausende von Kryptowährungen. Die wohl bekanntesten sind Bitcoin und Ether.

NFT Abkürzung für Non-Fungible Token. Ein NFT ist eine digitale Urkunde, die das Eigentum an einem einmaligen digitalen Objekt verbrieft. Bei diesen Objekten handelt es sich oft um Kunstwerke oder digitale ­Sammlerobjekte, zum Beispiel die ­illustrierten Avatare des Bored Ape Yacht Clubs oder die Titel des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins „Time“. Sie werden in einer Blockchain authentifiziert.

DAO Abkürzung für Decentralized Autonomous Organization. Eine DAO ist ein Unternehmen ohne zentrale Führung. Es nimmt Geld ein und gibt es aus. Alle Entscheidungen werden auf Basis von Abstimmungen der Mitglieder getroffen und durch fest codierte Regeln auf einer Blockchain automatisch umgesetzt. DAOs vereinen häufig Menschen, die sich nicht kennen, sich geografisch weit voneinander entfernt befinden, aber ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Oktober-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

Revolution im Internet: Was ist Web3?

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