Lionel Souque - (Foto: dpa)
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Rewe-Chef Lionel Souque: „Wir haben kein Interesse an leeren Regalen“

Der Rewe-Chef erklärt, warum er erneut in das Start-up Flink investiert und für Preissenkungen kämpft. Vor dem Lieferdienst von Aldi will er keine Angst haben.

Köln. Die Rewe-Gruppe hat erneut in den Schnelllieferdienst Flink investiert. „Wir sind der Leadinvestor für eine neue Finanzierungsrunde von Flink im Volumen von 150 Millionen Euro“, sagte Rewe-Chef Lionel Souque im Interview mit dem Handelsblatt. Rewe habe damit seinen Anteil an dem mit mehr als einer Milliarde Euro bewerteten Start-up auf über zehn Prozent ausgebaut.

Souque ist überzeugt, dass Flink den Konkurrenten Getir, der gerade erst den Lieferdienst Gorillas übernommen hat, vom deutschen Markt verdrängen kann. „Es wird in jedem Land langfristig nur einen Anbieter geben“, prognostiziert der Rewe-Chef. „Und deshalb investieren wir in Flink.“

Angesichts der gesunkenen Rohstoffpreise kündigt er erneute harte Verhandlungen mit den Markenherstellern an. „Die Preiskämpfe sind noch lange nicht vorbei“, so Souque, „und wenn einer abgeschlossen ist, beginnt der nächste.“ Und er fordert: „Wir erwarten von der Industrie Preissenkungen bei vielen Produkten.“

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Lionel Souque:

Herr Souque, lange war Rewe der einzige große deutsche Händler mit eigenem Lieferdienst. Jetzt liefert auch Aldi Süd, zumindest testweise in Mülheim. Sehen Sie Ihr schönes Monopol bedroht?

Das sehen wir sehr entspannt, vor einem weiteren Lieferdienst haben wir keine Angst. Aldi und Lidl haben viele Stärken und eine davon ist, dass sie wissen, wie man Geld verdient. Die haben Lieferdienste schon in anderen Ländern getestet und sehen, dass es in Deutschland noch schwerer ist, damit Geld zu verdienen.

Sie erwarten von Aldi also keine große Konkurrenz im Lieferdienst?

Im Discount ist es noch viel schwieriger, den E-Commerce profitabel zu bekommen, weil dort die Marge bei vielen Artikeln geringer ist. Die Logistikkosten sind aber immer gleich hoch, egal was der gelieferte Artikel kostet. Deshalb werden die Discounter den Lieferdienst für Lebensmittel aus wirtschaftlichen Gründen nicht groß ausbauen.

Wenn man damit kein Geld verdienen kann, warum macht es Rewe dann?

Wir als Supermarkt müssen mehr Service bieten, die Discounter müssen das nicht in dem Ausmaß. 2009 bin ich Chef von Rewe Deutschland geworden. Und eine der ersten Reisen mit Management und Aufsichtsrat ging nach Frankreich, wo ich den Kollegen den Abholservice von Leclerc gezeigt habe. Danach haben wir das direkt in Deutschland gestartet und dann auch den Lieferdienst.

Lieferdienst von Rewe - (Foto: Rewe)
Lieferdienst von Rewe - (Foto: Rewe)

Aber durchgesetzt hat es sich noch immer nicht.

Das ist richtig. Wir machen mit Rewe-Supermarkt in Deutschland 30 Milliarden Euro Gesamtumsatz, aber nur eine Milliarde im E-Commerce. Doch die Umsätze wachsen jedes Jahr.

Können Sie sich denn erlauben, auf Dauer einen defizitären Service anzubieten?

Es ist ja nur rund drei Prozent unseres Umsatzes. Und mit dem Abholservice machen wir bereits eine schwarze Null.

Aber viele Investoren, die bereitwillig in neue Liefer-Start-ups investiert hatten, ziehen sich langsam zurück, weil ihnen die Perspektive auf Gewinne fehlt.

Wir haben gegenüber den Start-ups den Vorteil, dass wir wenig Geld in Marketing investieren müssen, weil unsere Marke schon bekannt ist. Der Verlust ist bei uns deshalb moderat und wir nehmen das in Kauf, weil wir diese Dienstleistung anbieten wollen. Aber klar: Die Kosten sind hoch und keiner verdient Geld. Viele neue Player sind gekommen, viele auch wieder gegangen.

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„Flink hat Gorillas komplett überrollt“

Auch Rewe ist an einem solchen Start-up beteiligt, dem Schnelllieferdienst Flink. Machen Sie sich da nicht selbst Konkurrenz?

Flink ist der schnelle spontane Einkauf, das ist keine Konkurrenz zum Rewe Lieferservice, wo wir ein größeres Sortiment und Warenkörbe von im Schnitt fast 100 Euro haben. Das ist eine andere Einkaufsmission und ergänzt sich somit gut. Und es ist für uns wirtschaftlicher, uns an einem Spezialisten wie Flink zu beteiligen, als diesen Bereich selber aufzubauen. Wir lernen voneinander und wir machen für die den Großhandel. Aber es ist richtig: Das ist ein Geschäft, wo es sehr schwer ist, Geld zu verdienen.

Es gibt Berichte, dass Sie trotzdem weiteres Geld in Flink investiert haben.

Das stimmt. Wir sind der Leadinvestor für eine neue Finanzierungsrunde von Flink im Volumen von 150 Millionen Euro. Praktisch alle bestehenden Investoren haben sich noch mal beteiligt.

Wie viel hat Rewe investiert? Man hört von 50 Millionen Euro.

Einen genauen Betrag nennen wir nicht, aber wir haben unseren Anteil ausgebaut. Er liegt jetzt bei mehr als zehn Prozent.

Sie sagen selbst, dass dieses Geschäft nicht rentabel ist. Werfen Sie da nicht gutes Geld schlechtem hinterher?

Ich bin überzeugt, dass das Team von Flink mit Abstand das beste in diesem Geschäft ist. Wenn einer das schafft, ist es Flink – und das zeigen auch die Zahlen. Die sind später gestartet, haben aber in Deutschland und den Niederlanden Gorillas komplett überrollt und sind jetzt Marktführer. Es wird in jedem Land langfristig nur einen Anbieter geben. Und deshalb investieren wir in Flink.

Fahrräder von Flink - (Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)
Fahrräder von Flink - (Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Aber aus Österreich und Frankreich musste sich Flink wieder zurückziehen.

Flink fokussiert sich. Man darf nicht den Fehler machen, sich in zu vielen Ländern zu verzetteln. Man muss erst mal im Heimatland zeigen, dass man das beste Konzept hat. Wir erwarten, dass Flink seine Marktführerschaft in Deutschland und den Niederlanden ausbaut und in Richtung Profitabilität geht. In einzelnen Standorten sind sie heute schon profitabel.

Sind die Lieferdienste die Zukunft des Einkaufens?

Das wird in Deutschland kein Massenmarkt. Die meisten Kunden werden auch in Zukunft in die Supermärkte und Discounter gehen.

Gibt es für Rewe in Deutschland denn noch Wachstumspotenzial?

Der deutsche Markt ist sehr schwierig, das ist die Champions League des Handels in Europa. Wir haben in Deutschland mit der Schwarz Gruppe, Aldi, der Rewe Group und Edeka vier der fünf größten europäischen Händler, das bedeutet eine starke Konkurrenz und Geschäfte an jeder Ecke. Aber das ist auch ein Ansporn für uns, immer besser zu werden.

„Wir eröffnen pro Jahr hundert neue Märkte“

Brauchen die Kunden überhaupt noch neue Supermärkte?

Wir eröffnen pro Jahr hundert neue Märkte. Aber, ob das ewig so bleiben wird, weiß ich nicht. Langsam kommen wir da an eine Grenze. Aber wir haben auch keinen Zwang, immer mehr Märkte zu haben. Wichtig ist qualitatives Wachstum – eben immer besser zu werden für die Kunden.

Was bringen neue Services wie die kassenlosen Läden, die Sie zurzeit an vier Standorten erproben?

Es wird eher kein System, das wir in allen unseren Märkten einsetzen werden. Das funktioniert am besten an Standorten mit einem begrenzten Sortiment, die extra dafür gebaut werden. Bei Läden mit Säulen und Winkeln und einem Sortiment mit 15.000 Artikeln ist das ziemlich kompliziert.

Für viele Kunden wäre es aber eine große Erleichterung.

Ja, für Kunden wie für Händler ist die Schlange an der Kasse das größte Ärgernis. Technologie, die das einfacher macht, wird sich Stück für Stück durchsetzen. Wir testen noch viele Varianten. Abhängig vom Standort werden wir in Zukunft mehrere unterschiedliche Technologien sehen, die den Einkauf erleichtern. Aber es werden nicht alle Geschäfte komplett kassenlos, auf Beratung und Bedienung muss auch in Zukunft keiner verzichten.

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Womit kann man sich in diesem dicht besetzten Markt noch vom Wettbewerb absetzen?

Im Vergleich zu den Discountern bieten wir viel mehr Auswahl für den Verbraucher. Die großen Discounter haben insgesamt nicht viel mehr als 2500 Produkte im Sortiment, so viel haben wir bei Rewe allein an Bio-Artikeln. Die Menschen in Deutschland entwickeln immer mehr Leidenschaft für Lebensmittel und gutes Kochen. Mit Klopapier und Konserven können Sie sich nicht profilieren, wir haben daher in unseren Märkten mittlerweile mehr als 50 Prozent Frischware und sehr viel mehr Service.

Trotzdem gewinnen die Discounter zurzeit wieder Marktanteile.

Sowohl Rewe wie Edeka haben in den vergangenen Jahren eine sehr gute Umsatzentwicklung gehabt. Klar haben sich jetzt durch die Inflation die Marktanteile wieder etwas zu den Discountern verschoben. Auch bei uns steigert Penny den Umsatz stärker als Rewe. Aber der Hauptgrund für den Umsatzzuwachs bei den Discountern ist, dass bei ihnen die Preise viel stärker steigen als in den Supermärkten.

Was ist der Grund dafür?

Sie haben anteilig mehr Preiseinstieg und Eigenmarken, bei denen die Rohware und die Verpackung einen größeren Teil des Einkaufspreises bildet. Da schlagen die Kostensteigerungen prozentuell viel stärker durch als bei Markenartikeln, wo der Preis zu einem großen Teil auf Marketing beruht.

Das Umsatzwachstum von Rewe lag im abgelaufenen Jahr unter der Inflationsrate. Macht Ihnen das nicht Sorgen?

Man muss dabei beachten, dass das Vergleichsjahr 2021 wegen Corona ein ganz starkes für uns war. Da waren Restaurants und Kantinen zu, die Menschen wollten nicht in verschiedene Läden gehen und haben ihren gesamten Einkauf im Supermarkt gemacht. Im Vergleich zu 2019 haben sich die Supermärkte genauso gut entwickelt wie Discounter.

„Die Preiskämpfe sind noch lange nicht vorbei“

Um die Kunden nicht zu verlieren, verzichten Sie aber seit Monaten auf einen Teil der Marge. Wie lange können Sie sich das noch erlauben?

Ein bisschen könnten wir das noch – als Genossenschaft sind wir ja nicht dividendengetrieben. Aber wir haben allein im vergangenen Jahr mehrere Hundert Millionen Euro in die Roherträge investiert. Dieses Jahr auch wieder – und damit Gewinnspanne verloren. Auf Dauer kann man das aber nicht durchhalten. Im vergangenen Jahr haben wir noch 1,9 Prozent Umsatzrendite gemacht nach 2,2 Prozent 2021, da ist der Spielraum begrenzt. Zugleich gehen unter anderem Mieten und Personalkosten nach oben.

Das heißt, die Lebensmittelpreise werden so bald nicht wieder sinken?

Wichtig wäre zunächst mal, dass die Preise nicht mehr so stark steigen. Anfang Mai lag unsere Inflation bei Rewe das erste Mal seit langer Zeit im Vorjahresvergleich wieder unterhalb von fünf Prozent.

Bieten Ihnen die gefallenen Rohstoffpreise nicht gute Argumente bei den Preisverhandlungen mit den Herstellern?

Die Hersteller sind immer sehr schnell dabei, Preiserhöhungen zu fordern, wenn die Rohstoffpreise steigen. Umgekehrt habe ich noch nie erlebt, dass sie uns von sich aus eine Preissenkung angeboten hätten. Aber wir wissen auch, welche Kosten in den Produkten stecken. Deshalb haben wir jetzt wieder sehr sportliche Verhandlungen mit den Herstellern. Wir erwarten von der Industrie Preissenkungen bei vielen Produkten.

Werden die Preiskämpfe mit den Lieferanten wieder eskalieren?

Die Preiskämpfe sind noch lange nicht vorbei. Und wenn einer abgeschlossen ist, beginnt der nächste. Aber die Markenindustrie darf nicht vergessen: Es geht nicht um einen Wettkampf zwischen Handel und Lieferanten, bei dem der Kunde nur Zuschauer ist. Der Kunde ist in Wahrheit der Schiedsrichter, denn er entscheidet am Ende, wo er einkauft und welche Produkte er kauft. Die Kunden sind nicht naiv, sie vergleichen die Preise.

Bei Rewe hört man nur noch wenig von Lieferstopps, bei Edeka ist das anders. Verhandeln die härter als Sie?

Gut verhandelt ist, wenn man am Ende eine gute Lösung hat. Uns ist auch wichtig, hart in die Verhandlungen zu gehen, aber wir wollen am Ende eine Lösung für unsere Kunden finden. Wir haben kein Interesse daran, leere Regale zu haben.

Die können Sie ja mit Eigenmarken auffüllen. Braucht es dann in Zukunft überhaupt noch die teuren Markenprodukte?

Ich glaube schon, dass die Bedeutung der Marken langfristig sinken wird. Die Konsumenten kaufen jetzt schon mehr Eigenmarken als Marken. Und Markenartikel werden wegen der hohen Preise viel stärker als früher nur noch gekauft, wenn sie im Sonderangebot sind. Das kann für die Markenindustrie langfristig keine Lösung sein.

Herr Souque, vielen Dank für das Interview.

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