Rezession oder Wachstum? Fünf Faktoren entscheiden über die Entwicklung im Jahr 2023
Einige Forscher heben ihre Prognosen an, doch die Unsicherheit ist enorm. Die deutsche Wirtschaft könnte 2023 leicht wachsen – doch sicher ist das mitnichten.
Zwei der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihren Wachstumsausblick für 2023 angehoben. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet jetzt mit 0,5 Prozent Wachstum, wie die Kieler Ökonomen am Mittwoch bekannt gaben. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) erhöhte seine Prognose auf 0,4 Prozent Wachstum.
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Andere Experten sind weitaus pessimistischer. So rechnet das Ifo-Institut noch immer mit einer Rezession und erwartet, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,1 Prozent sinkt.
Die Vorhersagen zeigen, dass die Unsicherheit über die konjunkturelle Zukunft enorm ist. Ob die Konjunktur in Richtung Wachstum oder Rezession kippt, hängt von fünf Faktoren ab.
Spricht für Wachstum: Arbeitsmarkt bleibt robust
Allen Krisen zum Trotz ist die Arbeitslosigkeit weiterhin kein großes Problem für Deutschland. Das IfW rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr minimal auf 5,4 Prozent steigt. Das liegt aber nicht an der Konjunktur, sondern an Flüchtlingen aus der Ukraine, die die Zahl potenzieller Arbeitskräfte erhöhen. Die Kieler Ökonomen gehen in ihrer Prognose davon aus, dass deren Integration in den Arbeitsmarkt etwas dauert. Allerdings – und das könnte für mehr Wachstum sorgen – könnte es auch schneller gehen.
Auch der demografische Wandel kann dem Arbeitsmarkt zumindest in diesem Jahr nicht viel anhaben. Stattdessen kommt der Effekt zum Tragen, dass die Deutschen mehr arbeiten, weil sie weniger krank sind. In den Coronajahren hatte der Krankenstand historische Höchstwerte erreicht. Jetzt normalisiert sich die Zahl der Ausfalltage, sodass das Arbeitsvolumen laut IfW in diesem Jahr sogar steigen soll.
Spricht für Wachstum: Angebot und Nachfrage passen wieder zusammen
Für größere Wachstumschancen spricht auch, dass die Wirtschaft sich zurück in den Normalmodus bewegt. Zuletzt klafften die Produktionsmöglichkeiten der Unternehmen und die Nachfrage der Kunden immer weiter auseinander. Trotz Wirtschaftskrise ging die Nachfrage nur wenig zurück. Die Unternehmen mussten gleichzeitig ihr Angebot einschränken. Erst fehlten Materialien wegen globaler Lieferengpässe, jetzt Arbeitskräfte.
Vor allem die Lieferengpässe gehen aber immer weiter zurück, die Unternehmen können ihre lange Liste mit Aufträgen endlich abarbeiten, selbst in energieintensiven Branchen. Die Überauslastung der deutschen Unternehmen beträgt Ifo-Umfragen zufolge inzwischen noch weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vor einigen Monaten war es noch mehr als doppelt so viel.
Das bemerken auch die Konjunkturprognostiker – und trotzdem haben sie nicht alle diese positive Entwicklung in ihren Prognosen eingepreist. Denn es gibt ein paradoxes Problem: Die mathematischen Modelle, mit denen die Ökonomen die Auslastung der Wirtschaft schätzen, zeigen eine Unterauslastung und damit das komplette Gegenteil von dem, was die Wirtschaft seit Monaten berichtet. Das IWH etwa geht für 2023 von einer Unterauslastung von einem Prozent aus.
Der Grund dafür liegt in der Besonderheit der Krise. „Die Schätzmethoden können das nicht abbilden“, sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Das spricht dafür, dass die Konjunkturprognosen die Wachstumsaussichten unterschätzen. Eine Unterauslastung wäre ein Vorzeichen für eine Rezession. Eine Überauslastung hingegen, wie sie jetzt offenbar vorliegt, ist mit weniger Folgeschäden zu beheben.
Spricht für Rezession: Entspannung bei Preisen könnte abreißen
Allerdings sehen nicht alle Zahlen so rosig aus. Vor allem die Inflation könnte aus mehreren Gründen weniger stark zurückgehen, als die Institute voraussagen. Das könnte zu einer Rezession führen.
Die Kosten für Gas und Strom sind zuletzt deutlich gesunken. Doch die Preise für die meisten anderen Güter steigen. Die Institute rechnen zwar langsam mit Entspannung. Das IWH prognostiziert im Jahresschnitt eine Inflation von 5,4 Prozent. Doch sicher ist das mit Blick auf die bisherige Entwicklung längst nicht.
Jedes Zehntel mehr Inflation würde der Konjunktur vor allem deshalb schaden, weil der private Konsum dadurch geschwächt wird, trotz Gehaltserhöhungen. So rechnet das IWH damit, dass die Lohnsteigerungen die Inflation auch in diesem Jahr nicht ausgleichen werden. Die Bruttolöhne sollen 2023 um fünf Prozent steigen.
Und auch die Energiepreise könnten sich erneut zum Problem entwickeln. Experten rechnen damit, dass die Versorgung mit Gas und Strom im nächsten Winter gesichert ist. Für Entspannung aber ist es zu früh.
Wenn die Gasnachfrage in Asien stark steigt, weil dort die Konjunktur wieder ins Rollen kommt, oder wenn Deutschland osteuropäische Staaten vermehrt mitversorgen muss, weil Russland auch dort seine Gaslieferungen einstellt, könnte die Bundesrepublik wieder mit steigenden Gaspreisen konfrontiert sein.
Spricht für Rezession: Geldpolitik im Dilemma
Die Geldpolitik versucht mit Zinserhöhungen, die Inflation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Doch höhere Zinsen setzen die Banken unter Druck. Die Pleite der US-amerikanischen Silicon Valley Bank hat die Sorgen vor einer Bankenkrise angefacht.
Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte dazu verleitet sein, von ihrem Zinskurs abzuweichen, um den Finanzsektor zu stützen. „Die EZB steht vor der Abwägung Finanzstabilität gegen Inflationsbekämpfung“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Verzichtet die EZB auf Zinserhöhungen, würde eine zentrale Annahme in den Konjunkturprognosen wegfallen, die Inflation höher ausfallen und das Wachstum deutlich schmälern.
Spricht für Rezession: Zinserhöhungen belasten Bauwirtschaft
Gleichzeitig belasten die Zinserhöhungen der EZB die Bauwirtschaft und stellen dadurch ebenfalls ein Rezessionsrisiko dar. Die Vorzeichen in dem Sektor sind miserabel. Baustoffe sind enorm teuer, durch die Zinswende ist die Finanzierung von Bauprojekten unattraktiver als zuvor. Trotzdem ist die Produktion des Baugewerbes im Januar überraschend um fast 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen.
Das können die Konjunkturprognostiker natürlich nicht ignorieren. Sie setzen für ihre Prognose ein Wachstum des Bausektors im ersten Quartal voraus. Erst im zweiten Sektor soll die Wertschöpfung am Bau sinken, aber laut Ifo nur leicht um 0,6 Prozent. Doch viel spricht dafür, dass die Bauwirtschaft ob der misslichen Rahmenbedingungen weit weniger produzieren könnte.
