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Risikomanagement: Wie Sie Ihr Unternehmen gegen Inflation absichern

Gestörte Lieferketten, Krieg in der Ukraine, Fachkräftemangel – all das wird die Preise langfristig treiben. Sieben Strategien schützen Ihr Unternehmen.

Von Vijay Govindarajan, Hassan Ilyas, Felipe B. G. Silva, Anup Srivastava und Luminita Enache

An sich ist Inflation nicht problematisch. Das Realeinkommen eines Landes steigt so lange, wie die Beschäftigung hoch bleibt und die Produktivitätssteigerung der Beschäftigten deren Lohnzuwächse übersteigt. Wenn Preise von Vermögenswerten wie Häusern und Aktien steigen, bringt das Investoren dazu, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Die Wirtschaft wächst, und alle profitieren. Warum also sind Verbraucherinnen, Unternehmen, Regierungen und Investorinnen so besorgt über die aktuellen Inflationszahlen? Was ist dieses Mal anders?

Erstens: Die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen hat das Niveau vor der Pandemie erreicht oder übertroffen, aber das Angebot ist nicht gleichermaßen gestiegen. Es gibt nach wie vor Probleme in den Lieferketten, und viele Waren bleiben auf Schiffen oder in Häfen liegen.

Die Versand-, Fracht- und Versicherungspreise haben sich auf ein Vielfaches des Niveaus vor der Pandemie erhöht. Chinas Null-Covid-Politik geht mit Abriegelungen und Schließungen der wichtigsten Produktions- und Schifffahrtszentren der Welt einher. Viele Fabriken sind nach wie vor geschlossen oder haben den Betrieb noch nicht wieder aufgenommen. Die Löhne steigen, und Unternehmen ­haben Schwierigkeiten, genügend Fachkräfte einzustellen. Ein weitverbreiteter Mangel an Lkw-Fahrern beeinträchtigt die Produktionsketten.

Zweitens kommen Russlands Angriff auf die Ukraine und die anschließenden Sanktionen des Westens gegen russische Waren und den Handel hinzu. Die direkten und indirekten Auswirkungen heizen die Inflation an. Russland ist ein wichtiger Lieferant von Öl, Gas und Kohle für europäische Fabriken. Die Ukraine und Russland sind die weltweit größten Exporteure von Getreide, Viehfutter und Düngemitteln für den Ackerbau. Diese Lieferungen bleiben aus oder werden deutlich geringer. Dadurch gerät ein bisher gut funktionierendes globales Lieferkettensystem ins Stottern. Selbst wenn der Krieg morgen enden würde, wäre es unwahrscheinlich, dass der Westen die Sanktionen und Handelsembargos bald aufheben würde. Bis das geschieht, könnten noch Jahre ver­gehen – wenn nicht Jahrzehnte.

Wir glauben nicht, dass die Inflation in absehbarer Zeit zurückgehen wird. Zwar plant die US-Notenbank, ihre Bilanz in diesem Jahr um mehr als eine Billion ­Dollar zu reduzieren. Das heißt, sie holt sich eine Billion Dollar aus der Wirtschaft zurück, in der Hoffnung, dass die Nachfrage zurückgeht und sich dem Angebot anpasst. Doch das wird die Probleme ­allenfalls abmildern.

Der Grund ist der russische Krieg in der Ukraine. Er hat die Lieferkettenprobleme verstärkt und die Inflationsentwicklung beschleunigt. Die Situation ist noch schwieriger geworden und lässt sich kurzfristig nicht mehr lösen. Unternehmen müssen reagieren. Ihnen stehen sieben Strategien zur Verfügung, um mit einer länger anhaltenden Inflation zurechtzukommen:

  1. Zuerst sollten Sie Ihre Wertschöpfungskette und deren Anfälligkeit für Schocks untersuchen. Informieren Sie sich nicht nur über Ihren unmittelbaren Zulieferer, sondern auch über den Zulieferer, der hinter Ihrem Zulieferer steht, und so weiter. Bei vielen Produkten durchlaufen heute selbst kleine, unwichtige Teile verschiedene Fertigungsstufen auf der ganzen Welt. Schätzen Sie das Unterbrechungsrisiko auf jeder Stufe ein, entwickeln Sie alternative Bezugsquellen und halten Sie einen ausreichenden Bestand vor. Die Zeiten, in denen Sie schlanke Just-in-time-Bestände führen konnten, sind vorbei.

  2. Analysieren Sie Ihre Kapitalstruktur: Ihre Mischung aus Eigenkapital, Vorzugsaktien, Bankkrediten, kurzfristigen Krediten, Lieferantenkrediten und Wandelanleihen. Stellen Sie fest, welche Kredite wann zurückgezahlt werden müssen, welche von Zinserhöhungen betroffen sind und welche Sie ohne Wenn und Aber rechtzeitig bedienen müssen. Finanzpläne, die im letzten Jahrzehnt funktioniert haben, können künftig zu riskant sein. Strukturieren Sie Ihre Kredite um, nehmen Sie neue Kreditlinien auf und sorgen Sie für ein ausreichendes Polster.

  3. Behalten Sie die globalen Entwicklungen im Auge – Staaten gehen neue Bündnisse ein, Lieferanten ändern ihre Politik. Sie können nicht davon aus­gehen, dass Länder rational und im Sinne ihrer langfristigen Wirtschaftsinteressen handeln werden. Politische Erwägungen, internationaler Druck und nationaler Eifer können die Wirtschaftspolitik jederzeit beeinflussen.

  4. Achten Sie auf die Ankündigungen und Sitzungsprotokolle der Notenbanken. Sie enthalten oft detaillierte Pläne und Maßnahmen, die Unternehmen überraschen können. Auf die jüngsten Zinserhöhungen waren die Aktienmärkte etwa kaum vorbereitet.

  5. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen Sie die Arbeitsmoral hochhalten und Fluktuation verhindern. Der Verlust eines wichtigen Mitarbeiters ­bedeutet monatelange Produktivitätseinbußen und Aufwand, um Ersatz zu suchen und einzuarbeiten. Deshalb sollten Sie mit Ihren Mitarbeitern in ständigem Kontakt stehen und darüber informiert sein, wenn jemand plant, den Job zu wechseln. Gehen Sie flexibler auf persönliche Bedürfnisse ein. Erlauben Sie Ihren Leuten, von zu Hause aus zu arbeiten, was ja auch die Leistung steigern kann.

  6. Der Luxus, viele Geschäftsideen auszuprobieren, ist vorbei. Jetzt ist die Zeit, Aktivitäten, Kunden, Geschäftsbereiche, Marken, Segmente, Lieferanten, Produktionsstätten und Produktlinien zu rationalisieren, weil kurzfristiges Überleben Vorrang hat vor langfristigem Wachstum. Gehen Sie zurück ans Reißbrett. Identifizieren Sie Ihre Kernbereiche und konzentrieren Sie sich auf die Aktivitäten, die die besten Erträge für Ihre begrenzten Ressourcen liefern und gleichzeitig das meiste Zukunftspotenzial bieten.

  7. Man tendiert in solchen Zeiten schnell dazu, pauschal bei Gehältern, Ausgaben und Personal zu kürzen. Das senkt die Arbeitsmoral, talentierte Mitarbeiter werden kündigen. Es mag auch verlockend sein, bei zukunftsorientierten Ausgaben den Rotstift anzusetzen – Forschung und Entwicklung, Schulungen, Werbung. Wir raten von solchen pauschalen Maßnahmen ab. Verwenden Sie ein feineres Skalpell. Entwerfen Sie eine neue Scorecard, um Ihre Aktivitäten und Geschäftsbereiche nach Wichtigkeit zu ordnen. Berücksichtigen Sie die aktuellen Prioritäten und lassen Sie gleichzeitig Raum für Wachstum und zukünftige Rentabilität.

Es lässt sich nicht beschönigen: Inflationsdruck und Lieferkettenprobleme werden bleiben. Sie müssen diese Herausforderungen umfassend verstehen. Nur dann können Sie einen Plan aufstellen, um sie zu bewältigen. © HBP 2022

Vijay Govindarajanist Professor an der Tuck School of Business des Dartmouth College und Marvin Bower Fellow an der Harvard Business School.

Hassan Ilyaspromoviert in Finanzwissenschaften an der Graduate School of Management der Cornell University in den USA.

Felipe B. G. Silvaist Assistant Professor am Trulaske College of Business der University of Missouri in den USA. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt im Bereich Accounting.

Anup Srivastavaist Associate Professor an der Haskayne School of Business der Universität Calgary. Er forscht unter anderem zu den Themen Entscheidungsfindung und Kapitalmärkte.

Luminita Enacheist Associate Professor für Accounting an der Haskayne School of Business der University of Calgary in Kanada.

Dieser Artikel erschien erstmals in der August-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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