Rückzug oder kluger Schachzug? Warum man in seiner Karriere auch mal beiseitetreten darf
Nach vier Jahren Chefredaktion wird diese Frau wieder Redakteurin. Warum wir Karrieren nicht länger als lineare Entwicklung betrachten sollten.
Gerade hatten meine Kollegin und ich die aktuelle Folge unseres Podcasts zum Thema „Mental Load bei Führungskräften“ aufgenommen, da stoße ich auf das Abschieds-Editorial der Chefredakteurin Jacqueline Krause-Blouin. „Ich wollte mir beweisen, dass es geht: Kind und Karriere.“ Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es geht: dass man mit fünf Monate altem Kind, einem neuen Chefredaktionsposten und mitten in einer Pandemie eine Weile lang durchpowern kann. „Aber dann muss man sich entscheiden, was auf der Strecke bleiben soll: der Job, das Kind oder man selbst. Ja, am Ende ist es meistens man selbst.“
Vier Jahre lang war Krause-Blouin inhaltlich für das renommierte Schweizer Magazin „annabelle“ zuständig. Jetzt tritt sie von ihrem Chefredaktionsposten zurück, aber bleibt dem Magazin als Redakteurin erhalten. Sie tut das auch, weil vier Jahre Pandemie, Verlagspolitik und Muttersein viel Kraft gekostet haben. Die möchte sie nun anders einsetzen.
„Ist das eine Niederlage? Am Ende sogar antifeministisch?“ Ist Reduzieren gleich Verlieren? Das fragt sich auch Jacqueline Krause-Blouin in ihrem Editorial. Nein, das ist es nicht. Im Gegenteil: Es ist selbstbestimmt, modern und vorausschauend.
Denn Eltern und ja – insbesondere Mütter – haben immens viel Mental Load zu tragen. Aufsichtsrätin Janina Kugel schrieb gerade in einem Post: „Versteht mich nicht falsch: persönlich war es die beste Entscheidung für mich, Kinder zu bekommen. Aber weiterhin Vollzeit zu arbeiten, war eine Herausforderung. Die sozialen Normen sind brutal, aber die fehlende Infrastruktur für Familien, in denen beide Eltern arbeiten wollen und müssen, ist ein Killer.“
Es muss normal sein, laterale oder auch diametrale Karriereschritte zu gehen, ohne sie als Rückschritte verbuchen zu müssen.Kristina Appel
Sich selbst zu schützen, mit den Kräften zu haushalten, steht jeder und jedem zu. Mehr noch, es sollte für alle Männer*, Frauen*, Mütter und Väter normal sein. Es muss normal sein, Elternzeit zu nehmen ohne dabei mangelnde Ambition unterstellt zu bekommen oder Karriereeinbußen hinnehmen zu müssen. Es muss normal sein, laterale oder auch diametrale Karriereschritte zu gehen, ohne sie als Rückschritte verbuchen zu müssen. Es muss normal sein, denn es ist schlicht gutes Ressourcenmanagement.
Karrieren sollten nicht linear verlaufen. Warum auch? Kein Leben verläuft linear. Erst recht nicht das einer Frau. Schon die Natur sorgt dafür, dass das Leben der meisten Frauen* in Zyklen verläuft. Die einen lassen sich darauf ein und zelebrieren das natürliche Auf und Ab. Viel zu oft versuchen wir aber, gegenanzuleben – einfach um gut ins System zu passen. Dass diese Rechnung auf Dauer nicht aufgeht, wissen wir längst. Burn-out, so zeigt der Trend, wird in Kürze die Rückenschmerzen als Volkskrankheit Nummer eins ablösen.
Wir sollten die Normen aufweichen, denn sie bewähren sich längst nicht mehr.Kristina Appel
Wenn wir eine bessere, gesündere Arbeitswelt wollen, macht es nicht viel mehr Sinn, sich auf natürliche Zyklen einzulassen? Menstruation, vielleicht Schwangerschaft, Carearbeit, Perimenopause, mehr Carearbeit – unsere Lebensphasen gehen fluide ineinander über. Mal sind wir leistungsstark, mal erschöpft, mal voll auf Zukunft ausgerichtet und dann wieder ganz auf die Gegenwart konzentriert.
Wir sollten Karriere in Zyklen normalisieren. Denn wir arbeiten und leben dann besonders gut, das schreibt auch Krause-Blouin, „wenn sich die Arbeit unserer Lebenssituation anpasst – und nicht nur umgekehrt. Denn niemand braucht ein Land der ausgebrannten Frauen.“
Flexibilität kann nicht nur eine Frage des Daily Business sein. Wir können sie auf die Anzahl von Stunden und den Arbeitsort reduzieren. Sie muss sich auch auf unsere Lebensphasen ausweiten. Das bedeutet die Möglichkeit, Arbeitsstunden sowohl reduzieren, als auch aufstocken zu können. Es bedeutet auch, dass Phasen der Verantwortung, in den man führend und wegweisend agiert, sich mit solchen ohne Führungsverantowrtung ablösen dürfen und sollten. Wir sollten die Normen aufweichen, denn sie bewähren sich längst nicht mehr.
Kannst Du Dir vorstellen, Deine Verantwortung im Job zu reduzieren? Schreib mir in den Kommentaren.