Nicole Simon Photography

Sein und Schein von Living Coral: Was uns die Farbe des Jahres 2019 wirklich signalisiert

Living Coral, ein anregendes und lebensbejahendes Orange mit goldenem Unterton, ist nach Pantone, Anbieter professioneller Farbstandards und digitaler Lösungen für die Designbranche, die Farbe des Jahres 2019. So, wie Korallenriffe den Meeresbewohnern als Nahrungsquelle und Zufluchtsort dienen, schenkt das Living Coral Wärme, „damit wir uns mit Behagen und Elan durch unsere sich ständig verändernde Umwelt bewegen können“, heißt es in der Begründung der Farbexperten des Pantone Color Institute, die jährlich Ausschau nach weltweit neuen Farbeinflüssen halten, bevor sie die Color of the Year küren. Dabei werden unter anderem Farbtrends in Social Media, in der Unterhaltungs- und Filmbranche, in Kunstsammlungen und Werken neuer Künstler, in der Mode, in allen Designbereichen, Reisezielen sowie in neuen Life- und Playstyles und im sozioökonomischen Umfeld berücksichtigt.

Der Blick der Werbestrategen ist allerdings auch oberflächlich, weil sie nur das sehen, was sie sehen wollen - und was sich gut verkauft. Dazu gehören auch Unterwasser-Motive, die durch ihre Komposition, Lichtgestaltung und die atemberaubende Farbenpracht faszinieren. Sie spiegeln uns einen Ort menschlicher Sehnsüchte vor, der in den letzten Jahrzehnten allerdings auch zur größten Müllhalde der Welt wurde. Marten Harket, der Sänger der schwedischen Band A-ha beschreibt in seiner Autobiographie, dass Schmetterlinge, Orchideen und Korallen seit Kindheitstagen seine Passion sind. Auf einige Erinnerungen blickt er wie einige Menschen zurück, für die früher alles besser war: „Was die Riffs angeht, stimmt das allerdings traurigerweise wirklich. Über die Jahre sind sie stark beschädigt worden. Mein allererster Tauchgang war tatsächlich bunter und lebendiger, denn seitdem hat die Vielfalt des Lebens unter Wasser stark abgenommen.“

Das Great Barrier Reef gilt als eines der großen Naturwunder der Erde. Doch wiederholte Korallenbleichen haben seine Riffe stark geschädigt. Forscher fanden heraus, dass die Wiederbesiedlung der Riffe durch Jungkorallen nach der letzten Bleiche um fast 90 Prozent abgenommen haben. Dieser Kollaps deutet darauf hin, dass die Regenerationsfähigkeit des Great Barrier Reefs und anderer Korallenriffe geringer ist als erhofft. Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens erstreckt sich über mehr als 2300 Kilometer Länge. Es ist das größte Korallenriffgebiet der Erde, das in den letzten Jahren ebenfalls von der Korallenbleiche getroffen worden ist: 2016 starben dabei stellenweise bis zu 90 Prozent der Korallen ab.

Terry Hughes vom ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies in Queensland und seine Kollegen werteten in einer Studie die Ansiedlung von Korallenlarven auf speziellen Testplatten aus, die von 1996 an regelmäßig in 13 Riffen des Great Barrier Reefs ausgelegt worden waren. Sie beobachteten, wie sich der Nachwuchs an Jungkorallen vor und nach den Korallenbleichen entwickelt hat und wie effektiv die Wiederbesiedlung nach solchen Massensterben abläuft. Die Auswertungen der Besiedlungsplatten ergaben, dass nach den schweren Korallenbleichen von 2016 und 2017 auch die Larvenproduktion der Korallen nahezu kollabierte. Nach Ansicht der Wissenschaftler schmälern ihre Erkenntnisse die Hoffnung auf eine schnelle Regeneration des Great Barrier Reefs und vieler anderer tropischer Riffe. Studien zufolge haben sich die Intervalle der Korallenbleichen in diesem Riffgebiet von 25 Jahren in den 1980er-Jahren auf nur noch 5,9 Jahre seit 210 verkürzt. „Es gibt nur einen Weg, um dieses Problem zu lösen: Wir müssen die Wurzel der globalen Erwärmung angehen und so schnell wie möglich die Treibhausgasemissionen senken“, sagt Hughes (Quelle: Terry Hughes (ARC Centre of Excellence for Coral Reef Studies, James Cook University, Townsville).

Es liegt nun an uns, der Sache auf den Grund gehen, und die Farbe des Jahres 2019 mit einer Botschaft zu verbinden, zum Beispiel, dass das, was wir lieben, beschützen werden muss. Doch dazu müssen wir es kennen und verstehen. Tiefes Wissen kann Werbung nicht vermitteln, sondern nur Kunst und Wissenschaft. Jaques Cousteau, der französische Pionier in der Meeresforschung, verweist darauf in seinen Lebenserinnerungen und beklagt, dass sich auch die reichsten Fischgründe der Erde „in jene fischlosen Wasserwüsten verwandelt (haben), wie sie Hemingway vor langer Zeit vorausgesehen hat.“ Die Weltmeere würden nicht auf der Suche nach Nahrung ausgeplündert werden, sondern auf der Jagd nach Profit. Während seines auf See verbrachten Lebens traf er viele Männer, die von Eitelkeit und der Gier nach Geld getrieben waren. Forscher und „reine Wissenschaftler“ leben dagegen „nur für die Suche, nur für die Hoffnung, nur für den Moment“. Im lateinischen Ursprung des englischen Wortes „exploration“ findet er seinen Ausdruck: „lauter Aufschrei beim Finden“. Entsprechend nennt die Fotokünstlerin Nicole Simon ihren kurzen Unterwasserfilm, der auf Youtube zu sehen ist, auch „Exploring the sea“. All das hat mit der Lust auf Wissen und ihrer puren Leidenschaft am Erkunden der Natur zu tun. Mit feinen Antennen geht sie dem nach, was sie persönlich vitalisiert und fasziniert (in diesem Punkt ist die Pantone-Botschaft stimmig).

Davon legen auch die fotografischen Werke von Leni Riefenstahl Zeugnis ab: Mit 71 Jahren entdeckte die Regisseurin, Künstlerin und Fotografin bei ihren ersten Schnorchelgängen im indischen Ozean die Unterwasserwelt für sich. Sie lernte tauchen und veröffentlichte die beiden Bildbände „Korallengärten“ (1978) und „Wunder unter Wasser“ (1990). Sie suchte die schönsten Korallengärten der Welt auf vor der Küste Kenias, im Roten Meer, in der Karibik, den Malediven, in Indonesien, in Cocos Island im Pazific und in Papua Neuguinea. Die Unterwasserwelt kann „überwältigend schön“ sein, bestätigt Nicole Simon, die bei ihren Tauchgängen allerdings auch auf tote Korallen im Süd-Ari-Atoll der Malediven stieß. Der „Korallen-Garten“ erinnerte eher sie eher an einen „Korallen Friedhof voller Skelette“. Ihr Tauchlehrer beklagte, dass der amerikanische Präsident „keine Ahnung hat, wie sehr der Klimawandel die Weltmeere inzwischen beeinflusst.“ Besonders unter dem Wasser wird er sicht- und spürbar. Hier ist nichts mehr so, wie es einmal war. Vieles erinnert an einen toten Planeten.

Cousteau machte nicht nur die Umweltverschmutzung dafür verantwortlich, sondern auch etwas, das er in seinem Buch mit dem französischen Wort saccage (dt.: „Plünderung, Verwüstung“) benennt. Damit sind zerstörerische menschliche Vorgehensweisen gemeint. Für den Forscher sind die Menschen nach dem Bild des Schöpfers geschaffen. Plünderung empfand er deshalb als Gotteslästerung. Die Botschaft der heiligen Schriften, dass der Mensch die Umwelt bewahren soll, erschöpft sich für ihn nicht in Symbolismus, Allegorien und in Geboten.

Es geht vor allem darum zu erkennen, „dass die Qualität menschlichen Lebens auf der Erde davon abhängt, wie die Menschheit mit dem Planeten umgeht.“ Dabei verweist er auch auf den Buddhismus, weil er lehrt, dass ein Verfall der Umwelt mit moralischem Verfall einhergeht. „Vielleicht muss erst alles zusammenbrechen, damit die Menschen begreifen und handeln“, bemerkt er resigniert in seinem Buch, das aber auch zahlreiche Gründe zur Hoffnung enthält. Living Coral hat durchaus auch mit ihm zu tun, denn die Quelle seiner Energie (die hier mit Lebensbejahung in Verbindung steht) lag in seiner Entschlossenheit, alles, was er tat, mit Freude und Leidenschaft zu tun. Er hatte eine Vision vom Leben, von der Erde, vom Universum und wollte trotz aller Schattenseiten vor allem ihre Pracht und Herrlichkeit vermitteln. Um sie zu sehen, braucht es Wissen und Gewissen.

Umwelttipp:

Rund 14.000 Tonnen Sonnenschutzmittel landen jährlich im Meer. Wie diese Substanzen Korallen und andere Organismen schädigen können, haben Forscher aus Südfrankreich untersucht. Im Fachjournal „Analytical Chemnistry“ publizierten sie ihr erschreckendes Ergebnis.(DER SPIEGEL 4 (2019), S. 93. Touristen sollten auf Produkte zurückgreifen, die keine Bleichmittel enthalten. Weitere Tipps: Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Sowie: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Weiterführende Literatur:

Jaques Cousteau und Susan Schiefelbein: Der Mensch, die Orchidee und der Oktopus. Mein Leben für die Erforschung und Bewahrung unserer Umwelt. Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2008.

Morten Harket: My Take On Me. Edel Germany GmbH, Hamburg 2016.

Nicole Simon: Wirklichkeit in Bildern. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 275-303.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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