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Selfpublishing: Warum Verlage zu Dienstleistern der Autoren werden sollten

Die deutsche Buchbranche erlebt derzeit die größte Veränderung ihrer Geschichte. Sie kämpft mit der Digitalisierung. Da sich dieser Megatrend, der die Welt disruptiv verändert, nicht im Tempo normaler industrieller Entwicklungen vollzieht, sondern viel schneller, sind viele an solche radikalen Veränderungen nicht gewöhnt und verwenden Geschäftsmodellprinzipien, die auf alten Fundamenten basieren.

Die digitale Disruption in der Buchbranche

„Diese harmonieren nicht mit den neuen Denkmodellen, die hinter der digitalen Technologie und den darauf entwickelten Produkten und Leistungen stehen“, betonen Christian Hoffmeister und Yorck von Borcke in ihrem Buch „Think new! 22 Erfolgsstrategien im digitalen Business“.

Die meisten Verlage halten leider noch immer an ihren herkömmlichen Textmodellen fest, doch niemand kann es sich heute mehr leisten, alte Pfründe zu verteidigen und auf herkömmliche Erfahrungen zu setzen. Die digitale Disruption in der Buchbranche steht erst am Anfang. Immer wieder ist in der letzten Zeit zu lesen, dass sich der E-Book-Markt „auf niedrigem Niveau stabilisiert“ habe oder sogar „rückläufig“ sei. Dabei schwingt immer der Gedanke mit, dass damit die digitale Disruption der Buchbranche im Wesentlichen vollzogen sei. Für Dr. Karl-Ludwig von Wendt, der über künstliche Intelligenz promovierte und sich als Unternehmer und Berater mit den Folgen der Digitalisierung in verschiedenen Branchen beschäftigt, ist das ein gefährlicher Irrtum - vor allem deshalb, weil das E-Book, wie wir es heute kennen, für Verlage gar keine wirklich disruptive Technologie ist.

Die disruptive Innovation verändert die Spielregeln des gesamten Marktes: Es werden neue Kunden- bzw. Nutzergruppen angesprochen und ein neuer Kernnutzen geboten. In seinem Beitrag „Selfpublishing. Die wahre Disruption der Buchbranche beginnt erst“ schreibt von Wendt, dass das Selfpublishing Christensens Kriterien nahezu perfekt erfüllt. Denn die Kunden der Selfpublishing-Autoren sind die Leser - „eine von vielen Verlagen immer noch weitgehend unbekannte Zielgruppe. Die klassischen Verlagskunden, die Buchhändler, haben dagegen kein Interesse an Selfpublishing-Titeln“.

Disruptive Technologien werden von etablierten Anbietern zunächst meist nicht ernst genommen, weil sie keine „richtigen“ Bücher machen würden. So findet im klassischen Buchhandel Selfpublishing fast gar nicht statt. Das Segment ist für die meisten Verlage noch unattraktiv oder wird lediglich als Scouting-Plattform betrachtet. Auch gängige Plattformen, die sich mit Wirtschaft, Ideen und Innovationen beschäftigen, ist dies nicht von Interesse („Bei uns steht ja immer noch das Buch als Diskursbeitrag im Zentrum.“). Allerdings legen Untersuchungen aus den USA nahe, dass dort Selfpublisher den Verlagen bereits einen großen Teil des Buchmarkts abgenommen haben und weiter auf dem Vormarsch sind: „Dennoch spricht die offizielle Statistik von einem rückläufigen E-Book-Markt, weil die disruptive Technologie schlicht nicht eingerechnet wird.“

Es geht nicht darum, ob sich konventionelle Verlage verändern müssen - die Frage ist, ob sie schnell genug sind. Ich arbeite gern mit Verlagen zusammen und mag auch in Zukunft auf das haptische Erlebnis guter Bücher nicht verzichten. Klassiker und gute Literatur sowie Kunstbücher möchte ich weiterhin anfassen und mit der Hand buchstäblich begreifen können. Sachbücher, die ständig aktualisiert werden, sind allerdings eine digitale Bereicherung. In den vergangenen Jahren habe ich auch die Grenzen konventioneller Verlage kennengelernt: Vor allem bei Fachverlagen dauerte der Prozess bis zur Veröffentlichung zu lange – viele Informationen waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon veraltet und konnten im Nachgang nicht korrigiert werden. Bei Herausgeberwerken führte dies sogar dazu, dass Autoren während der Korrekturphase ihre Beiträge zurückgezogen haben. Auch der Satz „Es ist eine Ehre, gedruckt zu werden“ (ohne Honorar im Wissenschaftsbereich) funktioniert heute nicht mehr.

In einer Könnensgesellschaft werden wir selbst zu digitalen Handwerkern und sind auch in der Lage, Bücher selbst zu machen und dies ständig zu professionalisieren. Niemand muss sich heute mehr als Zuschauer in den Zirkus der sich zur Schau stellenden Autoren auf den Buchmessen begeben und sich derartigen Gruppenerlebnissen aussetzen – es geht auch unabhängig vom Literaturbetrieb. Dazu ist es wichtig, gründlich vorauszusehen, um später nicht das Nachsehen zu haben. Wer heute als Publizist nicht im Mittelmaß versinken will, muss viele Dinge anders machen. Vor einigen Jahren bin ich für meine Überzeugung, dass Bloggen zukunftsweisend in der Medienlandschaft ist, noch belächelt worden. Viele Leitmedien betrachteten Blogs damals als Zweite-Klasse-Journalismus. Einige kritisierten, dass meine Beiträge über Nachhaltigkeitsthemen zwischen Tagesthemen und Schmuddelnachrichten im Blogteil auf der ersten Seite der Huffington Post Deutschland erschienen. Ich sollte mich doch nur auf „seriösen“ und Fachmedien konzentrieren. Heute ist es selbstverständlich, dass Artikel aus Spiegel Online oder aus ZEITonline parallel zu den Meinungen guter Blogger gelesen werden.

Von dieser Demokratisierung und Grenzüberschreitung ist nun auch die Buchbranche betroffen: Es ist dank der Digitalisierung möglich, dass heute jeder einer globalen Leserschaft seine Gedanken und Geschichten zugänglich machen kann. Amazon Publishing sollte als Weckruf an alle Verlage betrachtet werden, ihr Serviceportfolio für Autoren anzupassen, um neue Wege zu gehen und dringliche gesellschaftliche Inhalte schneller in den Markt zu bringen. Amazon sieht das Geschäft von Buchverlagen als Dienstleistung gegenüber Autoren an und betrachtet sich nicht als Gatekeeper, der vor der Veröffentlichung Qualität und Chance auf Erfolg durch Lektoren prüfen lässt. Zudem wird das Erlösmodell auf den Kopf gestellt, denn alle Leistungen, die ein traditioneller Buchverlag für einen Autor vorlegt und dann durch den geringeren Umsatzanteil in gewisser Weise wieder in Rechnung stellt, können bei Amazon (Create Space) von Autoren gekauft werden: Korrektorat, Covergestaltung, inhaltliches Lektorat etc. werden auf der Create-Space-Plattform als eigene Leistungen angeboten, die Autoren jeweils kaufen können. E-Books können kostenlos hochgeladen und gestaltet werden. Sie sollten mit der gleichen Aufmerksamkeit geschrieben und umgesetzt werden wie ein richtiges Buch und bieten zahlreiche Vorteile:

  • E-BOOKS bei Kindle Direct Publishing (KDP) sind deutlich günstiger als die Hälfte vergleichbarer Verlagstitel. Viele Selfpublishing-Titel sind im Gegensatz zu aktuellen Verlagstiteln in Flatrates wie „Kindle Unlimited“ zu finden (häufig verschenken Selfpublisher ihre Bücher sogar, um neue Leser zu gewinnen).

  • Inhaltliche und gestalterische EXPERIMENTE sind jederzeit möglich: So können Inhalte ständig neu hochgeladen sowie Cover und Buchtitel verändert werden.

  • Die GESTALTUNG des Buches liegt beim Autor, der mit professionellen kostenlosen Programmen (z.B. Kindle Cover Creator oder mithilfe des BoD easyEditor) arbeiten kann.

  • HONORAR: Autoren können hier deutlich mehr verdienen als mit eigenen Verlagstiteln. Man kann bei KDP die Käufe verfolgen und erhält monatlich einen Bericht von Amazon über die verkauften Einheiten.

  • „Betaversionen“ der Bücher können nach ersten LESERFEEDBACKS sofort optimiert und hochgeladen werden.

  • Neue MARKTNISCHEN können sofort bedient werden, was bei Verlagen mit ihren langwierigen Planungsprozessen nicht möglich ist.

  • E-BOOKS sind ein hervorragender MULTIPLIKATOR des eigenen Blogs: So können gleiche Inhalte in beiden Medien angepasst werden.

  • Selfpublishing ermöglicht neue PREISMODELLE.

  • Social Media-Kommentare, Amazons Empfehlungsalgorithmen und Blogbeiträge über die Werke haben bei den Lesern häufig die Funktion des QUALITÄTSFILTERS.

  • Es entsteht eine neue VERBINDUNG zwischen Autor und Leser.

  • VERÖFFENTLICHUNGSGESCHWINDIGKEIT: Es braucht nur wenige Mausklicks, um das Manuskript hochzuladen und das Buch online zu stellen.

  • Das Interesse der richtigen ZIELGRUPPE kann schneller geweckt und der Nutzen für den Leser greifbarer gemacht werden.

Wissen ist Können

Im Newsletter von Amazon Kindle Direct Publishing (30.12.2016) bemerkt Marah Woolf, Autorin von „Finian Blue Summers oder Was wir sagen, wenn wir schweigen“ über den Erfolg ihres Buches: “Auch im Leben eines Autors bewahrheitet sich der profane Spruch ‚Erfolg ist der Lohn des Tüchtigen‘. Die nette Vorstellung vom Schriftsteller der in hübschen Cafés sitzt und auf‘s Meer starrt, hat leider nichts mit der Realität zu tun. In Wirklichkeit muss man ein tägliches Schreibpensum absolvieren und hart an seinen Texten arbeiten und oftmals ist auch das keine Garantie für Erfolg, aber in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung.”

Es ist kein Zufall, dass die Idee der Gymnastik, in der die Philosophie von Paul Valéry (1871-1945) gründet, heute eine Renaissance erlebt. Ziel ist die Steigerung der Möglichkeiten, „das Kapital an Genauigkeit, an Kraft, an sicheren und raschen Reaktionen". Jeden Morgen widmete er sich in einem strengen Ritual mehr als fünfzig Jahre lang seinen „Cahiers" (Notizhefte) und setzte der Unsicherheit seiner Zeit diszipliniert und in individueller Höchstleistung die Arbeit des Denkens entgegen. Was auch immer geschah: Täglich rauchte der Schornstein seiner „kleinen Fabrik". Er eignete sich die Gedanken anderer an und listete diese Anregungen in Fußnoten auf. Ihn interessierte alles. Am liebsten dachte er allerdings über das Denken selbst nach: Was heißt es zu denken, was kann und woran scheitert es? Er präzisierte in seinen Cahiers auch das „Können": „Ich KANN tun, handeln, ändern - das ist die Bedeutung von Fähigkeit - und der Aspekt des Handelns."

Das wirkliche (wirksame) Wissen ist für ihn Können. Jede Ausbildung, „die ohne Training auskommen will, das heißt ohne eine Methode zur Entfaltung der Kräfte des Individuums", züchtet nach Valéry nur „redende Tiere" heran. Es sollte verboten werden, von etwas zu sprechen, was man nicht gesehen oder selbst erfahren hat. Das gilt auch für Selfpublishing als eine Form des Handelns, die auch Hingabe an die selbst gesetzten Aufgaben des Tages sind. Nur auf diese Weise ist praktische Meisterschaft möglich.

Dieser Realität müssen sich Verlage heute stellen. Sie werden nicht verschwinden, nur ihre Aufgaben werden sich – wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen. Sie verschieben sich in Richtung Mehrwert und Dienstleistung für Autoren, die zum Beispiel darin unterstützt werden, ihr Manuskript besser zu machen und sich aus der Masse der anderen Autoren abzuheben.

Gute Lektoren werden immer gebraucht. Eine Liebeserklärung für diesen Berufsstand hat uns der Publizist Roger Willemsen hinterlassen. In seinem Aufsatz „Die Raupe“, der im Herausgeberband von Insa Wilke, „Der leidenschaftliche Zeitgenosse“ (2015) enthalten ist, schreibt er: „Es ist dem Autor von seinem einzigen Konkurrenten, dem Schöpfer, ein Lektor mitgegeben… Ein guter Lektor tut viel. Er liest all das Schadhafte und Fadenscheinige weg. Hat die Jacke drei Arme, fällt es ihm auf, ist die Seide bloß Viskose, schüttelt er, ganz gute Hausfrau, darüber den Kopf und zeigt aufs Etikett.“ Sein Lektor und idealer Leser hieß Jürgen Hosemann. Sie hatten „Lebenslänglich“.

Viele Autoren oder die, die es werden wollen, versuchen heute zu machen, was die meisten machen: Sie senden ihren Buchvorschlag an Literaturagenten oder an Verlage. Aus der Fülle der eingereichten Manuskripte werden hier diejenigen ausgewählt, die gedruckt werden sollen und sich später im in den begrenzten Regalen der Buchhandlungen finden. Schließlich sind sie enttäuscht, wenn sie eine Absage erhalten, weil ihr Buchprojekt nicht in den Markt passt. Aber das Problem ist doch: Wenn einem immer nur das Gewohnte vor die Nase gestellt wird, dann wird das Neue nicht einmal bemerkt. Deshalb sollten Mutmacher auch Marktmacher sein und anderes ausprobieren und anbieten. Der Markt sollte nie als Orientierung genommen werden, denn er weiß nicht, was er gerne hätte. Und wenn er gefragt wird, sagt er das, was er ohnehin schon kennt. So sieht es zuweilen auch in den Bücheregalen aus: immer das Gleiche, weil immer der Markt gefragt wird. Wer etwas Neues bietet, hat alle Freiheiten, denn es gibt ja noch keinen Vergleich. Das gilt auch für Autoren: Wer sein Heil nur auf dem üblichen Verlagsweg sucht, sitzt immer öfter in der Klemme.

Um anzufangen und sich im Selfpublishing auszuprobieren ist es wichtig, sich vom Perfektionismus zu verabschieden, von der Vorstellung, „vorher“ noch mehr wissen zu wollen oder können zu müssen. Selfpublisher begreifen sich in der Doppelrolle als Autor und Unternehmer, da beide Seiten der Wertschöpfungskette (Autor und Verlag) bedient werden.

Erfolgreiche Unternehmer legen einfach los und motivieren sich selbst. Es nützt nichts, wenn Autoren gute Ideen haben und gut schreiben können, aber ihre Arbeit nicht sichtbar ist. Was nützt es, wenn sie ihre Leistung als besser empfinden, wenn andere sich besser verkaufen? Ein Wissensriese kann nichts bewirken, wenn er gleichzeitig ein Umsetzungszwerg ist. Jack Welch hat es einmal so ausgedrückt: „Wenn du etwas als richtig erkannt hast, dann tu es – und zwar sofort!“ Dazu braucht es Zuversicht und Chancenblick. Wer skeptisch ist, sieht überall Hindernisse und kommt als Bedenkenträger nur langsam ins Handeln.

Weitere Informationen:

Die 7 häufigsten Fragen zum Selfpublishing

Die Self-Publisher-Bibel

Alexandra Hildebrandt: Selfpublishing 21.0: Warum Verlage zu Dienstleistern der Autoren werden sollten. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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