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Seniorengerechtes Quartiersmanagement richtig umsetzen

Im Interview spricht Christine Bergmair darüber, wie es gelingt ein bedarfsgerechtes Angebot für ältere Menschen in der Gemeinde Steindorf zu entwickeln und sie zur sozialen Teilhabe zu motivieren – und was andere Kommunen davon lernen können.

Die im Süden des Landkreises Aichach-Friedberg gelegene Gemeinde Steindorf ist Teil der Verwaltungsgemeinschaft Mering und liegt etwa 20 Kilometer entfernt von Augsburg. Wie hat sich in den letzten Jahren die Bevölkerungszahl hier verändert?

Seit den 1960er-Jahren hat sie sich nur geringfügig verändert. 1961 betrug die Einwohnerzahl rund 930, im Jahr 2020 975 Personen. Die Altersstruktur bzw. die Bevölkerungszusammensetzung wird sich in den kommenden Jahren allerdings stark verändern. Ein entscheidender Grund ist, dass die geburtenstarken Jahrgänge zunehmend in das Rentenalter eintreten, Die Einwohnerzahlen in der Gruppe der „Älteren“ wird in den kommenden Jahren stark ansteigen.

Welche Herausforderungen sind mit dieser demografischen Entwicklung verbunden?

Es gibt eine Vielzahl kommunalpolitischer Herausforderungen, mit denen sich die Gemeinde Steindorf unter Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern sowie Akteuren der Seniorenarbeit begegnen möchte. Ältere sollen beispielsweise auch künftig möglichst selbstbestimmt in ihrer vertrauten Umgebung wohnen bleiben können und dabei gut versorgt sein. Aufgrund der sich wandelnden Familienstrukturen mit dadurch sinkendem Unterstützungspotential in den Familien wird eine tragende soziale Infrastruktur in der Gemeinde aktuell und langfristig von großer Bedeutung sein, um den Anforderungen des demografischen Wandels und den Veränderungen der Familien- und Haushaltsstrukturen gerecht zu werden.

Wie kann Seniorinnen und Senioren ermöglicht werden, in ihrem vertrauten Umfeld und innerhalb der gewachsenen sozialen Strukturen älter zu werden?

Zunächst müssen die Lebensbedingungen, die ältere Menschen in Steindorf vorfinden, auf den Prüfstand gestellt und – auch mit dem Blick auf die prognostizierte demographische Dynamik – weiterentwickelt werden. Hierfür ist eine ganzheitliche Betrachtung der Wohn- und Lebensbedingungen in der Gemeinde erforderlich. Dabei ist es wichtig, möglichst viele Akteure der Seniorenarbeit sowie Bürgerinnen und Bürger, auch jüngere, eingebunden werden, um bedarfsgerechte Angebote vorzuhalten und weiterzuentwickeln. Wo sinnvoll, soll mit den Nachbarkommunen – insbesondere mit den Gemeinden aus der Verwaltungsgemeinschaft Mering (Mering, Schmiechen) – zusammengearbeitet werden, um Ressourcen zu schonen, um von der Erfahrung anderer zu profitieren und gemeinsam an zukunftsorientierten Strukturen zu arbeiten.

Was können Sie zu den aktuellen Entwicklungen sagen?

Die Marktgemeinde Mering ist derzeit beim Aufbau eines seniorengerechten Quartiersmanagement. Die Nachbargemeinde Ried hat bereits seit einigen Jahren ein SeLA-gefördertes Quartiersmanagement. Auch hier gilt es eng mit den Gemeinden und den seniorengerechten Quartiersmanagements zusammenzuarbeiten. Die mit dem „altersgerechten Quartierskonzept“ verbundenen Arbeitsschritte sind meiner Meinung nach geeignet, um mit Bürgerinnen und Bürger sowie den Akteuren der Seniorenarbeit vor Ort und den angrenzenden Kommunen die Weichen für eine seniorengerechte Kommune zu stellen.

Im Oktober 2023 wurde das Gesundhaus i-Tüpferl in Steindorf eröffnet. Inwiefern trägt es dazu bei, die Unabhängigkeit der Senioren zu fördern?

Es hat sich mittlerweile zu einem Ort des Austauschs und der Begegnung für alle Generationen etabliert. Durch das Quartiersmanagment soll die Sozialraumgestaltung der Bürgerinnen und Bürger in der Region weiter gefördert und ausgebaut werden. Gezielte Beratungsangebote sollen die sie unterstützen, möglichst lange und gut wohnortnah zu leben und sich selbstbestimmt zu versorgen. Die Weiterentwicklung der Veranstaltungsangebote soll zu einem lebendigen Treffpunkt in der Gemeinde werden und die Bürger durch Information und Erleben in ihrer Selbstverantwortung und demokratischen Teilhabe stärken. Da die Gemeinde selbst sehr klein ist, bietet es sich an, dass dieses spezifische Feld durch die Expertinnen und Experten im Gesundhaus aufgebaut wird. Eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung ist selbstverständlich. Auch mit der bestehenden Seniorenbeauftragten besteht ein regelmäßiger Austausch. Das Gesundhaus und das künftig ansässige Quartiersmanagement können als neutrale Stelle und unabhängiger Netzwerkakteur fungieren.

Können Sie etwas zur derzeitigen Entwicklung sagen?

Im September 2024 wurde in einem gemeinsamen Gespräch mit der Seniorenbeauftragten der Gemeinde Steindorf der aktuelle Bedarf und die Ausgestaltung der derzeitigen Versorgung besprochen. Hierbei wurden zahlreiche Lücken in der Betreuung und Begleitung von Seniorinnen und Senioren sichtbar, welche aus Zeit- und Kapazitätsgründen nicht weiter verfolgt werden können.

Auf welche Herausforderungen und Probleme sind Sie gestoßen – und welche ersten Lösungsansätze gibt es?

Viele Ältere leben in (Eigentums-) Häusern, die häufig nicht barrierefrei gestaltet sind. Ein Umzug innerhalb der Gemeinde gestaltet sich schwierig, da es an seniorengerechten Wohnangeboten fehlt. Erste Hinweise wie ein Wohnangebot ausgestaltet werden kann, bieten die Ergebnisse des Experten- und Bürgerworkshops. Ein gemeinschaftsorientiertes Angebot stößt auf große Zustimmung, Bewohnerinnen und Bewohner sollten zudem die Möglichkeit haben, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Auch eine Wohnform, die ein Verbleib in der Gemeinde auch bei Pflegebedürftigkeit ermöglicht, wird als gewinnbringend betrachtet. Es wird Aufgabe des Quartiersmanagements sein, die Gemeinde und die Gruppe der Interessierten in der Anfangsphase und konzeptionellen Entwicklung eines altersgerechten Wohnprojekts zu unterstützen. Dafür sind Wünsche und Ideen zusammenzutragen und weiter zu verfolgen sowie zu konkretisieren. Das Quartiersmanagement soll bei der späteren Bauphase weiter informiert und im Rahmen der Möglichkeiten eingebunden werden.

Wie können Ältere beim Wohnen zu Hause unterstützt werden?

Die Wohnsituation vieler Älterer zeigt, dass häufig bauliche Barrieren in der Häuslichkeit vorzufinden sind. Abhilfe kann eine barrierefreie Wohnraumanpassung bieten. Hierzu bietet die „Beratungsstelle Barrierefreiheit“ der Bayerischen Architektenkammer Beratungsgespräche in Augsburg wie auch telefonische Sprechstunden im Landkreis an. Der Workshop zeigt, dass das Beratungsangebot bei den Bürgerinnen und Bürgern allerdings kaum bekannt ist - eine breitere Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb notwendig.

Was ist in diesem Kontext die Aufgabe des Quartiersmanagements?

Es soll vor allem zum Thema Wohnungsanpassung informieren und sensibilisieren, Informationsveranstaltungen organisieren, auf die bestehenden Beratungsmöglichkeiten verweisen und gegebenenfalls an diese zu vermitteln. Das Thema soll bei allen Generationen bekannter gemacht werden.

Im Experten- und Bürgerworkshop wurde der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde positiv hervorgehoben. Wie wird gewährleistet, dass die Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung in der Gemeinde weiterhin aufrechterhalten werden kann?

Es sollen zum Beispiel Wege der „Hilfe zur Selbsthilfe“ aufgezeigt und diese aktiv unterstützt werden. Dennoch wird ein steigender Bedarf an kleineren Hilfen im Alltag beobachtet, der aufgrund des demografischen Wandels auch noch größer werden wird. Eine organisierte Nachbarschaftshilfe wird von Experten und Bürgern begrüßt. Aufgaben einer Nachbarschaftshilfe werden unter anderem Fahr- und Begleitdienste sein. Weitere Aufgabenbereiche und Hilfeleistungen werden herauszuarbeiten sein. Beim Aufbau sollte eine Vernetzung und ein Austausch zum bestehenden Bürgernetz in der Marktgemeinde Mering angestrebt werden. Das Quartiersmanagement unterstützt und koordiniert den Aufbau einer organisierten Nachbarschaftshilfe (inkl. einem Fahr- und Begleitdienst). Dafür sind u. a. Ehrenamtliche zu befähigen, die Aufgaben der Koordinierung und Organisation der Nachbarschaftshilfe zu übernehmen sowie ehrenamtliche Helfer zu finden. Bei der Konzepterstellung können die Beratungsleistungen der Koordinationsstelle Wohnen im Alter zum Thema Nachbarschaftshilfen in Anspruch genommen werden.

 Welche Barrieren konnten in Ihrer Gemeinde identifiziert werden?

Beispielsweise kann das Rathaus auch durch kleinere Anpassungsmaßnahmen den Zugang für die Bürgerinnen und Bürger erleichtern. Barrieren und darauf resultierende Maßnahmen wurden hier bisher nicht strukturiert erfasst. Aufgabe des Quartiersmanagements wird es sein, die Hindernisse und Barrieren weiter zu konkretisieren - in Form von Ortsbegehungen. Dabei gilt es auch geeignete Orte für die Errichtung von Ruhebänken und öffentlichen Toiletten zu identifizieren. In die Ortsbegehung sollen neben den Senioren auch (ältere) Menschen mit Behinderung, Gemeinderatsmitglieder und Verwaltungsangestellte einbezogen werden.

Wie sieht es mit der Nahversorgung und Mobilität aus?

Die Bürgerinnen und Bürger in Steindorf müssen sich überwiegend in den umliegenden Gemeinden versorgen. Zwar ist eine Metzgerei vor Ort, weitere Einrichtungen des Grundbedarfs allerdings nicht.

Welche konkreten Vorschläge können Sie zur Verbesserung der Situation machen?

Aufgabe des Quartiersmanagements wird es sein ein ortsangepasstes Angebot zur Versorgung mit Produkten des täglichen Bedarfs zu schaffen sowie Einkaufsfahrten aufzubauen (zum Beispiel Hofladen). Es sollten auch Einkaufsfahrten organisiert werden, da viele ältere Menschen Hilfe von Angehörigen benötigen oder auf das Angebot eines motorisierten Individualverkehrs zurückgreifen (müssen). Die Gemeinde ist durch den AVV (Augsburger Verkehrs- & Tarifverbund) an den Öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen. Die Anbindung wie auch die Fahrzeitentaktung sind allerdings ausbaufähig. In der Gemeinde gibt es einen Bürgerbus, der bisher überwiegend aufgrund fehlender Ehrenamtlicher Helfer allerdings nicht bewegt wird. Es wird ein hoher Bedarf an Begleit- und Fahrdiensten gesehen, z. B. Einkaufs- oder Arztfahrten. Dabei kann u. a. mit der zu gründenden organisierten Nachbarschaftshilfe zusammengearbeitet werden. Auch ein Ausbau der Nutzung des Bürgermobils soll angestrebt werden, um die Teilhabe insbesondere der Älteren zu ermöglichen. Ehrenamtliche Fahrer gilt es daher sowohl für Einzelfahrten zu gewinnen sowie für Fahrten mit dem Bürgerbus.

Welche Rolle spielen Netzwerke und Beratungsangebote?

Im Landkreises Aichach-Friedberg gibt es eine Vielzahl an Beratungsangeboten und -stellen, u. a. den Pflegestützpunkt. In Steindorf können sich Ältere an den VdK wenden. Der Workshop hat verdeutlicht, dass eine zentrale Beratungs- und Anlaufstelle in Steindorf für die Themen des „Älterwerdens“ benötigt wird. Diese Anlauf- und Beratungsstelle sollte sich mit den lokalen wie auch landkreisweiten Stellen und (Hilfs-) Angeboten auskennen und somit Ratsuchende an die richtigen Beratungsstellen weitervermitteln.

Welche Aufgabe hat hier das Quartiersmanagement?

Es wird eine neutrale, niedrigschwellige Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde sein. Es kennt die Beratungsstellen und Hilfenetzwerke sowohl in Steindorf und Umgebung als auch im weiteren Landkreis, arbeitet eng mit ihnen zusammen und dient den Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde als Lotse im Hilfesystem.

Wo finden ältere Menschen Informationen?

 Viele Informationen finden sie im Seniorenwegweiser und diversen Flyern des Landratsamtes Aichach-Friedberg. Lokale Informationen zu seniorenrelevanten Themen gibt es bislang nicht. In der Gemeinde selbst sollten die Kommunikationsmedien für die Zielgruppe der Senioren weiter ausgebaut werden. Im Workshop wurde beispielsweise vorgeschlagen, das Gemeindeblatt durch eine eigene Seniorenseite mit aktuellen Themen wie auch regelmäßigen Veranstaltungen und Ansprechpersonen zu erweitern. Ebenso sollen Vorträge und Veranstaltungen zu seniorenrelevanten Themen wie beispielsweise Vorsorgevollmacht, Erbrecht, Patientenverfügung etc. veranstaltet werden. Das seniorengerechte Quartiersmanagement soll Informationen zusammenstellen und entsprechend den Zielgruppen ausbauen. Dabei sind auch auf analoge wie digitale Medien zurückzugreifen. Dazu können auch die Räumlichkeiten des Gesundhauses i-Tüpferl genutzt werden. Eine enge Einbindung weiterer Multiplikatoren (z. B. Fachstelle für pflegende Angehörige, Pflegestützpunkt, Kreisverkehrswacht Aichach-Friedberg, Polizei) zur breiteren Öffentlichkeitsarbeit soll zudem angestrebt werden.

Sie sind gesellschaftlich inzwischen breit mit dem Gesundhaus i-Tüpferl vernetzt. Warum sollten auch Kirche, lokale Vereine und ehrenamtlich organisierte Sozialverbände, wie die Malteser e.V. und Johanniter e.V. künftig besser in die Netzwerkstrukturen und in die Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement eingebunden werden?

Nachhaltiges Quartiersmanagement braucht eine flächendeckende Vernetzung aller gesellschaftlichen Akteure. Auch die Zusammenarbeit und der Austausch mit anderen Quartiersmanagern im Landkreis (Gemeinde Ried, Kissing, Friedberg und Mering) und darüber hinaus gilt es einzubeziehen.

Weiterführende Informationen:

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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