Frauen schützen: Können Arbeitgeber das besser als Veranstalter? (©Getty Images/skynesher)

Sexismus bekämpfen? Was sich Unternehmen (nicht) aus der Veranstaltungsbranche abschauen sollten

Ob Volksfest oder Konzert: Über sexistisches Verhalten wurde in den vergangenen Monaten viel diskutiert. Arbeitgeber können vom Umgang mit diesem Problem lernen – und proaktiv sexistischen Kulturen entgegenwirken.

Die SZ schreibt „Zeltbesucher nötigen Küsse auf, Hände landen dort, wo sie nicht hingehören: Bedienungen berichten, wie übergriffig es auf dem Oktoberfest zugeht“. Das sind Auszüge aus einem der zahlreichen Wiesn-Protokolle, zusammengesetzt aus Erfahrungen von Kellnerinnen und Besucherinnen. Klar, übergriffiges Verhalten gibt es nicht  erst seit 2023 und auch nicht nur auf dem Oktoberfest. Sexismus ist eine alltägliche Praxis, vor allem dort, wo große Männergruppen unter dem Einfluss von Alkohol auf Frauen treffen.

Spätestens seit den Rammstein- Vorwürfen sehen sich Großveranstalter*innen dazu verpflichtet, zu handeln. Ihre Ansätze zielen darauf ab, Frauen zu schützen. Für den Umgang mit Sexismus am Arbeitsplatz lohnt es sich, ihre Ansätze anzusehen – um herauszuarbeiten, wie man es besser machen könnte.

Veranstalter setzen auf punktuelle Hilfestellung

Viele der derzeitigen Ansätze für Großveranstaltungen setzen bei Frauen an. Etwa ein spezifischer Bereich auf Konzerten, der Frauen vorbehalten ist. Oder auch ein dezidierter Ort auf der Wiesn, an dem Frauen sich sicher fühlen sollen – da sie dort unter sich sind. Diese und ähnliche Maßnahmen sind zu begrüßen, sie leisten punktuelle Hilfestellung für Betroffene und schaffen eine schnelle Abhilfe, um aus unangenehmen Situationen herauszukommen. Aber sie greifen zu kurz.

Wenn Schutzräume die einzige Antwort sind, heißt das auch: Wir nehmen eine Kultur hin, in der Frauen sich zum Teil so unwohl fühlen, dass sie es dort nicht aushalten. Wir sagen: Wir lösen das Problem, indem die diskriminierte Gruppe aus dem Raum entfernt wird. Sie müssen gehen. Die eigentliche Kultur dieser Umfelder, die Verhaltensweisen, die Männer an den Tag legen, werden dadurch nicht hinterfragt. Vielmehr wird übergriffiges Verhalten als unumstößliche Gegebenheit hingenommen, das es nicht zu ändern gilt. 

Problematisch ist das nicht nur für Frauen. Auch das diesem Gedankengang unterliegende Männerbild ist düster. Ihnen wird abgesprochen, sich zu verändern und Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen, das für andere ein Unwohlsein auslöst.

Wer Geschlechtergerechtigkeit will, muss auf ganzheitliche Ansätze setzen. Symptombekämpfung reicht nicht

Während punktuelle Hilfestellungen richtig und wichtig sind, um Betroffene von Sexismus und anderen Diskriminierungsformen aufzufangen, bedarf es ein echtes Problembewusstsein. Das gilt sowohl für Veranstaltungen als auch für den Aufbau von Unternehmenskulturen, in denen alle sich wohl fühlen können. Wenn hingegen Fehlverhalten unadressiert bleibt, wird den Betroffenen die Verantwortung zugeschoben, die Situation zu verbessern. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch strategisch unklug.

Es bedarf eines gemeinsamen Problemverständnisses

Egal in welchem Umfeld: Manager*innen müssen sich genau überlegen, wie sie ein Umfeld kreieren, das nicht nur für die Mehrheit, die mächtigste oder gar die lauteste Gruppe funktioniert. Hierzu können sie einige Dinge tun:

  • quantitative und qualitative Status-quo-Analysen durchführen, um ein aussagekräftiges Bild zu bekommen, wer sich wie wohl fühlt – und was mögliche Pain-Points sind,

  • Sensibilisierungsangebote für Mitarbeiter*innen schaffen, egal welcher Geschlechtsidentität sie angehören um ein gemeinsames Verständnis von Alltagssexismus sicher zu stellen,

  • Workshops für Führungskräfte zu ihrer Verantwortung Sexismus zu erkennen, zu benennen und zu intervenieren,

  • das Aufsetzen eines Code of Conducts mit einer Handreichung, der alle im Unternehmen dazu verpflichtet, sich nach bestimmten Verhaltensregeln zu richten und festlegt, was im Falle des Bruchs passiert,

  • inklusive und transparente Beschwerdeprozesse, die Betroffene schützen und es verhältnismäßig leicht machen, vermeintliche „Kleinigkeiten“ vertraulich zu besprechen.

Dinge beim Namen nennen, auch Sexismus

Wenn erst mal eine Kultur entstanden ist, in der übergriffiges Verhalten stillschweigend zur Kenntnis genommen wird oder gar zum Alltag gehört, ist es schwierig, diese zu ändern. Lösungen müssen dann erst recht sowohl auf der Individualebene ansetzen als auch an der Struktur.

Eine solche Strategie muss z.B. Coaching von Führungskräften mit einer strategischen Aufschlauung des gesamten Teams und einer kritischen Evaluation der bestehenden Prozesse verbinden. Sexismus ist ein unbeliebtes Wort; Organisationen, mit denen IN-VISIBLE, meine Beratungsagentur für gendergerechte Arbeitskultur, zusammenarbeiten, bitten uns manchmal, die Workshops „anders zu verpacken“. Verständlich. Wer will schon sexistisch sein?

Beschönigungen helfen hier allerdings nicht. Wenn wir uns alle den Sexismen widmen würden, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und normalisiert sind, könnten wir gemeinsam daran arbeiten, Wandel voranzubringen.

Was unternimmt dein Arbeitgeber gegen Sexismus?

Rea Eldem schreibt über Gendergerechtigkeit, Arbeitskultur, Wirtschaft & Management, Personalwesen

Rea Eldem ist die Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, Berliner Agentur für gendergerechte Arbeitskultur. Rea wuchs in Deutschland, Japan und Hongkong auf und studierte Kulturwissenschaften am Bodensee und Gender Studies an der University of Cambridge.

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