Share your life - even if you don’t want to

Hinweis: Hierbei handelt sich um eine fiktive Geschichte. Selbstverständlich muss nicht eintreffen, was hier zu lesen ist. Dieser Fiction-Fachbeitrag soll sensibilisieren und aufzeigen, wie die Zukunft in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz aussehen könnte.

SAN FRANCISCO, 27.11.2021, 08.00 Uhr (Ortszeit)

Dieses Wochenende begann wie alle Wochenenden der Familie Breadly. Man traf sich zum gemeinsamen Frühstück um 8.00 Uhr. Dave und Denise hatten zwei Kinder im Teenageralter, die Tochter April, 18, und den Sohn Steve, 16. Dave war Buchhalter in einem Logistikunternehmen, Denise arbeitete als freiberufliche Maklerin. Für alle Familienmitglieder war es vollkommen normal, alle möglichen Social Media Dienste zu nutzen, neue Techniken auszuprobieren und Dinge online miteinander und den Freunden zu teilen. Sie lebten Social Media und pflegten ihre Accounts bei Twitter, Instagram, Facebook und vor allem ihre Familien-Cloud, in der sie alle wichtigen Erinnerungen mit Tausenden von Fotos und Videos als Familie teilten. Sie liebten das “Appleversum” mit all seinen Möglichkeiten.

Die goldene Regel des Samstagmorgens aber war, dass niemand sein Smartphone mit zum Frühstückstisch bringen durfte, der Tag sollte als Familientag beginnen. Kein iPhone, kein iPad hatte dadurch mehr Aufmerksamkeit als die Familie, und so konnte die Technik den Familienfrieden nicht stören. Dave genoss es besonders, schon früh am Morgen das kleine Rasenstück mit dem Handmäher zu mähen, er nannte es sein „Cut-Out“, die “Arbeitswoche hinter sich lassen”. April bereitete Rühreier zu, Steve deckte den Frühstückstisch und Denise plante den Tag für die Familie. Sie konnte zu dieser Zeit noch nicht ahnen, dass sich bald schon alle Planungen in einem ungeheuerlichen virtuellen Strudel auflösen würden.

Wenig später saßen alle vier am Tisch. Dave hatte – wie immer – den Familien-Fotostream der letzten Woche aus der Cloud auf dem großen Fernseher angeschaltet. Das sollte den Familienzusammenhalt stärken, denn die Arbeitswoche war für alle sehr stressig, man hatte wenig Zeit, die Dinge des Lebens miteinander zu teilen, und auf diese Art und Weise konnte man seine Erlebnisse intensiv und in aller Ruhe mit den anderen teilen. Während des Frühstücks erzählte jeder etwas zu den Fotos und den Videos, die dort gezeigt wurden, um die anderen Familienmitglieder an ihrem Leben teilhaben zu lassen.

April kommentierte gerade die Bilder und Videos, die sie zusammen mit ihrer besten Freundin zeigten, die ihr auch noch zum Verwechseln ähnlich sah, als sie plötzlich verstummte, die Augen aufriss und hochrot anlief. Die anderen Drei sahen zuerst sie an, dann wendeten sie ihren Blick auf das Video, das auf dem Fernseher lief. Es zeigte April beim Sex mit ihrem Freund, der sich ihr Handy genommen und sie dabei gefilmt hatte. April schrie etwas Unverständliches, rannte zum Fernseher und stellte ihn aus. Eine unerträgliche Stille nahm den Raum ein, niemand sagte ein Wort. Alle sahen zunächst betreten auf den Tisch, bis April die Stille nicht mehr aushielt, sie schrie hysterisch:

“Ich, …, ich weiß auch nicht, ich meine, wie kann das sein?! Verdammt! Das ist doch Wahnsinn.”

Dave erhob sich langsam, ging in den Flur, um zu überprüfen, ob der Stream statt aus der Cloud vielleicht von Aprils Handy auf den Fernseher gestreamt worden war. Vollkommen entgeistert kam er kopfschüttelnd mit ihrem Handy in der Hand zurück.

“Nein”, sagte er langsam, “von Deinem Handy kam das nicht!”

April weinte vor Wut und Scham, ihre Mutter nahm sie in den Arm.

“Das kam aus der Cloud?”, fragte Steve vollkommen verunsichert. “Aus der Apple-Cloud? Von einem Unternehmen, das so hohe Ansprüche an sich selbst nach außen kommuniziert?”

Dave setzte sich neben April und nahm sie auch in den Arm. “Darling, Tochter...”, sagte er leise, doch weiter kam er nicht, denn Aprils Handy in seiner Hand vibrierte im Dauerstress, im Sekundentakt kamen Nachrichten über Twitter, Facebook und SMS auf ihrem Handy an. Gedankenverloren entsperrte er das Handy und las die Nachrichten:

“Geiles Video!”,

“Respekt, April, wusste gar nicht, dass Du so gut im Bett bist!”,

“Mehr davon!”,

“April, bist Du jetzt vollkommen durchgeknallt?”,

“April, ruf mich an, ich war das nicht”, schrieb ihr Freund. Die Nachrichten rissen gar nicht mehr ab, die ganze Welt schien dieses Video gesehen zu haben.

Dave versuchte, einen klaren Kopf zu behalten, er dachte nach, wie das geschehen konnte und welche Auswirkungen das haben konnte. Er versuchte, die Nachrichten zu systematisieren, wer hatte das und vielleicht andere Videos und Bilder gesehen und vor allem: Warum?

“Hast Du Dein Handy irgendjemandem gegeben?” “

April verneinte mit tränenerstickter Stimme, “nur meinem schwachsinnigen Freund!”

Dave suchte dessen Nummer im Adressbuch und rief ihn an.

“April, Scheiße, verdammt, gut dass Du anrufst!”, hörte Dave ihren Freund sagen.

“Hier ist Dave...” Eine lange Pause trat ein.

“Mr Breadly…, ich, äh, also…, ich war das nicht!”

“Du hast gefilmt?”

“Ja, ...”, eine lange Pause trat ein.

“Es weitergeben oder woanders gespeichert?”

“Nein!”

“Wie kann das dann sein, dass es so viele Leute gesehen haben?”

Aprils Freund beantwortete die Frage nicht mehr. “Mr. Breadly, …, es ist noch viel schlimmer, als wir denken, gerade werden noch ganz andere Bilder und Videos gezeigt. Mein Gott...!”

Die Verbindung riss ab, er hatte aufgelegt.

Dave bat Denise, mit April und Steve auf ihr Zimmer zu gehen. Er wollte sich jetzt den Cloud-Stream noch einmal ansehen, um zu erforschen, was da passiert sein konnte. Nachdem er allein war, atmete er tief durch und schaltete den Fernseher wieder an. Es war tatsächlich so, wie Aprils Freund es gesagt hatte, alles war noch viel schlimmer, als es schien. Denn als er sich die Bild-Übersicht der letzten Tage ansah, erkannte er, dass es Hunderte mehr Fotos waren, als es eigentlich sein konnten. Es waren Bilder von Dave und seiner Ex-Frau, von Denise mit ihrem Tennislehrer, von Steve mit einer Waffe in der Hand und viel mehr unglaublich schockierende Bilder und Videos in ihrem Cloudspeicher. Ihr ganzes Leben schien plötzlich eine Lüge zu sein. Und es waren wildfremde Menschen in wirklich allen nur denkbaren Lebenssituationen zu sehen, die nur eine Sache mit den anderen gemeinsam zu haben schienen.

CUPERTINO, 27.11.2021 04.00 Uhr (Ortszeit)

Es war ein einziger Moment, der das Leben des Senior Vice President, Software Engineering Craig, den man auch “Hair Force One” nannte, von Grund auf veränderte. Der Moment, in dem er eines Nachts von einem penetranten Anrufer aufgeweckt worden war. Um seine Karriere und seine Familie zu schützen, entschied Craig sich, die Lage erst einmal herunterzuspielen und den Vorfall nicht direkt zu melden. Denn ihm war sofort bewusst geworden, dass dieses Geschehen gravierende Auswirkungen für sein eigenes Leben und das seiner Firma bedeutete. Noch heute Nacht hatte er seiner Frau versprochen, kurz bevor er die Kerzen ausgeblasen hatte, dass er der künstlichen Intelligenz nicht zu viele Rechte geben wollte. – Zu spät.

Der Anrufer sprach so schnell, dass Craig Mühe hatte, alles zu verstehen: “...Norwegen, Deutschland..., die USA, …, Italien...” erklärte der Anrufer. “Ebenso Teile der Server in der Schweiz und Rumänien..., aber auch Australien...”

Craig sank in sich zusammen, noch ehe der Anrufer zu Ende gesprochen hatte, legte er auf und rief Tim an:

“Tim, wir haben ein Problem...”

ROM, 27.11.2021 13.00 Uhr (Ortszeit)

Lucia und Leone gingen Hand in Hand durch Rom. Sie genossen es, sich immer wieder einmal in der Stadt zu treffen, in der sie sich kennengelernt hatten. Seit einem halben Jahr waren sie jetzt ein Paar, das eine Fernbeziehung führte. Lucia war 26, lebte in Venedig und arbeitete als Managerin in einem Hotel, Leone war 42, lebte in Neapel, aber er war als IT-Berater sehr viel in ganz Italien unterwegs. Umso mehr schätzten sie es, sich der Kommunikationsmöglichkeiten unserer Zeit zu bedienen, um sich so oft und zu jeder Tages- und Nachtzeit über die Technik miteinander zu verbinden. Dazu zählte es auch, die gemeinsamen Erinnerungen in der Zeit der Trennung in Form von Fotos und Videos zu teilen. Sie griffen beide vollkommen selbstverständlich auf die gemeinsame Foto-Cloud zu.

Jetzt war es wieder soweit, gemeinsame Erlebnisse zu genießen und sie für die Zeit der Trennung zu bewahren, sich in einsamen Stunden an das frische Glück zu erinnern. Der Trevi-Brunnen war nicht so stark besucht, wie zu anderen Zeiten. Leone und Lucia fotografierten sich gegenseitig und in Selfie-Manier zusammen.

Im nächsten Café legten sie eine Pause ein, um sich ein wenig von ihrer Sightseeing-Tour zu erholen. Leones Telefon klingelte, es war sein derzeitiger Auftraggeber. Er entschuldigte sich bei Lucia, nahm das Gespräch an und ging ein Stück weiter, um Lucia nicht zu stören. Sie nahm diese Gelegenheit wahr, um sich die letzten Schnappschüsse anzusehen und zu ordnen.

Kaum hatte sie die Foto-Cloud geöffnet, blickte sie irritiert auf den Bildschirm. Ihr Blick fiel auf einen neuen Ordner namens “Leones Familie” in der gemeinsamen Cloud, den sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie öffnete den Ordner und staunte nicht schlecht, als sie “ihren” Leone eng umschlungen mit einer wildfremden Frau sah. Das nächste Bild zeigte ihn bei einer Familienfeier mit drei Kindern, die fröhlich in die Kamera strahlten. Es gab noch sehr viel mehr Fotos dieser Familie, eine richtige Bilderbuchfamilie dem Anschein nach, doch Lucia durchfuhr ein eiskalter Schauer. Sie konnte es nicht fassen, er hatte ihr nichts davon erzählt, dass er verheiratet war, aber viel weniger noch, dass er drei Kinder hatte. Sie warf das Handy in hohem Bogen auf den Tisch.

Leone hatte das gesehen, beendete sein Gespräch sofort und kam zu ihr herüber.

“Lucia, mein Stern, was ist passiert?”

“Du, …, Du…, warst einmal verheiratet?”, sie sah ihn sehr scharf an, “und hast mir nie etwas davon erzählt?”

Er sah sie ein wenig verwirrt an: “Ich war nie verheiratet! Wie kommst Du darauf?”

“Ich habe hier doch die Beweise, Du hast sogar drei Kinder, die Dir auch noch wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sehen!”

“Ich habe was...?”

“Kinder!!!”, rief sie so laut, dass die anderen Gäste um sie herum sich zu ihnen umdrehten, einige lächelten mitleidsvoll, andere hämisch.

“Ich habe keine Kinder”, stieß er seufzend aus, ließ sich in seinen Stuhl fallen und nahm das Handy in die Hand um nachzusehen, was Lucia darauf entdeckt hatte. Er staunte, während er sehr genau von Lucia beobachtet wurde, über die neuen Fotos und Videos, die er dort vorfand.

“Das bin nicht ich…”, sagte er leise vor sich hin, “das kann ich nicht sein…”

Lucia sah ihn scharf von der Seite an: “Ist wohl Dein Zwillingsbruder…?”, ihr Ton war harsch.

“Lucia, bitte, das bin nicht ich!”

All das sie eben noch umgebende Glück eines gemeinsamen Erlebens hatte sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Ihre noch junge Beziehung war plötzlich auf eine harte Probe gestellt. Lucia war wütend, Leone war fassungslos. Er dachte angestrengt nach, was da geschehen sein könnte. Nach einiger Zeit hatte er eine Idee.

“Die Gesichtserkennung… Das muss es sein. Die bei Apple haben da irgend etwas durcheinander gebracht. Der Mann oder die Männer sehen mir wirklich zum Verwechseln ähnlich. Vielleicht ist da bei Apple ein Fehler passiert…?”

Lucia sah ihn lange an. Sie wusste nicht, ob sie ihren Augen oder seinen Aussagen glauben sollte.

Cupertino, 27.11.2021 05.15 Uhr (Ortszeit)

Kaum im Auto angekommen, rief Tim Phil, Dan, Jeff, Craig und Johny zu einer Telefonkonferenz an.

“Was ist passiert, warum und was können wir tun?” Tims Gelassenheit war auf eine harte Probe gestellt.

Phil antwortete für die anderen mit. “Die Cloud, sie hat sich neu strukturiert, wir wissen noch nicht warum.”

“Neu strukturiert? Was heißt das?”

Craig ergänzte: “Die Algorithmen haben sich verändert, alle Bilder und Videos sind neu geordnet worden!”

“Wer hat das veranlasst?”

“Das wissen wir nicht…”

“Runterfahren..., alle Datenbanken runterfahren! Alles runterfahren..!”, rief Tim.

“Das geht nicht, sie lässt uns nicht ran!” antwortete Craig.

“Wenn uns die Systemadministratorin nicht an die Datenbanken heranlässt, dann lasst sie durch den Sicherheitsdienst entfernen, das kann doch nicht so schwer sein!”

Craig sprach betont langsam: “Es ist das neue KI System für Siri.”

Tim erstarrte. “Siri…?”, wiederholte er tonlos.

Craig konnte es nur bestätigen: “Siri hat das ganze System umgebaut, einfach alle Parameter umgestellt.”

Wenig später saß Tim mit allen Verantwortlichen zusammen. Auf dem Bildschirm leuchteten alle Server, die in den großen Serverparks aufgestellt waren, die meisten leuchteten in Rot. Craig, der schon seit 10 Jahren an dem Projekt gearbeitet hatte, hatte bisher nur selten die rote Farbe auf den Bildschirmen der Schaltzentrale in Cupertino gesehen. Die riesigen Monitore, sechsmal mal fünf Meter groß, mit den roten, gelben und grünen Buttons erinnerten ihn an viele Stressmomente, aber auch glückliche Momente in seiner Karriere. Der diensthabende Operator tippte immer wieder die Befehle in die Tastatur: reboot init 6 shutdown -r now. Doch nichts geschah. Die Server leuchteten immer noch rot. Obwohl sie fieberhaft dagegen angekämpft hatten, mussten Craig und sein Operator schließlich zusehen, wie rund 410 Millionen Menschen ihre gewohnten Zugänge auf iCloud verloren hatten.

Die aktuelle Situation war weit dramatischer, als Craig Tim in dem Gespräch darüber gesagt hatte, es war unglaublich, was derzeit im iCloud alles passierte. Tim hatte neben Craig, Dan und Phil auch das gesamte Krisenmanagement in das Kontrollzentrum gerufen.

“Wie ist das zu stoppen? Können wir ein BackUp aufspielen?”

Dan hatte schon vor 20 Minuten ausgerechnet, dass ein BackUp nur gelingen konnte, wenn man den Ursprung des Fehlers auf einen Zeitpunkt hätte festlegen können. Dann hätte ein weltweites BackUp mit allen verfügbaren Partnern von Accenture bis hin zu unzähligen externen Beratern ca. 28 Stunden gedauert. Das Ausmaß der Ausfälle war bislang noch nicht genau spezifiziert, aber sie hatten die Ausfälle nicht in den Griff bekommen, konnten sie nicht eindämmen, es ging immer weiter. Um iCloud stabil zu halten, mussten die Menschen aufhören, sich andauernd neu in das Netz einloggen zu wollen. Mehr als 120 Mio. Zugriffe zählten die Server derzeit. Die vorgeschalteten Load Balancer brachen durch den Massensturm immer wieder zusammen. Apple war dem Ansturm seiner Nutzer nicht mehr gewachsen.

“Wie kann es sein, dass wir so eine instabile Infrastruktur haben, obwohl wir 17,8 Mrd. Dollar in unsere Infrastruktur investiert haben?”, fragte Tim.

“Die Analyse-Tools, die wir seit Jahren fahren, haben erstens immer konstante Frequenzen erlebt und zweitens haben wir die neuen Serverparks in Galway noch nicht in Betrieb genommen. Wir waren uns einig, dass wir die erst ab dem iPhone 14 in Betrieb nehmen wollten.", sagte Dan. Eine lange Pause der Ruhe trat ein, die Lage war nicht gerade angenehm.

"So wie ein Herz schneller schlägt, wenn der Mensch sprintet, so sind auch die Load Balancer darauf eingestellt, diese Last entgegenzuwirken. Aber nicht, wenn 120 Millionen Menschen gleichzeitig auf die Server zugreifen wollen”, erwiderte Dan, “das ist dann ein Herzinfarkt…!”, fügte Dan hinzu.

Phil wurde bleich. “Tim, die Daten von unseren iHealth Server wurden den Krankenkassen und den Medien übermittelt, das meldet CNN soeben.”

Tim schaltete das Apple TV an. CNN berichtete, dass die Daten von den iHealth von Kunden, inklusive aller Aktivitäts- und Bewegungsdaten weltweit an die Krankenkassen und Medien gesandt worden waren. Krankenkassensprecher sprachen davon, den Kunden jetzt einen besseren Service anbieten zu können, da dadurch erkennbar wäre, welche Kunden sich genug bewegen, sich gesund ernähren und welche kurz vor einem Herzinfarkt stehen würden. Die Medienvertreter waren sich in ihren Stellungnahmen sicher, dass die Veröffentlichung eine neue Transparenz schaffen würde, die allen Menschen helfen würde. – Absender: Siri.

“Siri? Seit wann sendet Siri denn Daten an fremde Unternehmen?” runzelte Tim die Stirn.

“Wie kann ich behilflich sein?” fragte Siri in dem Moment.

BERLIN, 27.11.2021 13.00 Uhr (Ortszeit)

Der Chefredakteur Inland Andreas und der entsprechende Chef vom Dienst Klaus sahen sich lange schweigend an. Keiner von beiden sah sich imstande, die Frage des Vorsitzenden der Chefredaktionen zu beantworten.

“Dann wiederhole ich noch einmal: Woher kommt diese Meldung und was ist da dran?”

Der CvD fasste sich ein Herz und antwortete: “Wir haben die Informationen, dass fast alle Mitglieder der Bundesregierung zum Teil schwerwiegende gesundheitliche Probleme haben und dringend behandelt wurden und immer noch werden, über iMessage erhalten. Alle gleichzeitig.”

“Über iMessage?”, der Vorsitzende konnte sich kaum beruhigen. “Von wem kam denn die Nachricht? Und noch viel wichtiger: Sind wir da exklusiv dran, oder wissen das auch noch andere?”

Klaus spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals pochte, diese Unterhaltung war nichts für seinen Bluthochdruck, sein Kopf glühte hochrot.

“Absender war Siri…”

“Siri, diese Assistentin von Apple?”

“Ja, genau die…”

“Das heißt also, dass wir wahrscheinlich gar nicht exklusiv dran sind? Verdammt, wie lange ist das her?”

Klaus war es sehr unangenehm, jetzt derart angeschrien zu werden, er lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und versuchte tief durchzuatmen. In diesem Moment vibrierte die Apple-Watch an seinem Handgelenk. Rot umrandet lief ein Warnhinweis durch das Display:

‘Klaus, bitte beruhige Dich sofort! Blutdruck 215 zu 115, Puls 170! Soll ich einen Krankenwagen an Deinen soeben lokalisierten Aufenthaltsort schicken? Ja / Nein. – herzliche Grüße, Siri’.

Klaus traute seinen Augen nicht, er schloss die Augen, um aus diesem Albtraum zu entkommen. Es schien also alles wahr zu sein, aber er wollte in diesem Moment nicht der Überbringer einer weiteren schlechten Nachricht sein. Der Chef sprach weiter:

“Das heißt, dass unsere Bundesregierung praktisch handlungsunfähig ist. Wenn jetzt eine Krise kommt, dann klappen die alle zusammen…?”

Andreas sprang ein: “Naja, als wir dann dem Link gefolgt sind, haben wir in unseren Cloud-Speichern sämtliche ärztlichen Unterlagen über alle Regierungsmitglieder gefunden. Manchen geht es richtig dreckig. Das gruselt einen, wenn man bedenkt…”

“Was für eine Katastrophe!”, schrie der Chef dazwischen. “Kann das ein Fake sein? Steckt Russland dahinter, die Chinesen, Hacker, der IS, was weiß ich, woher kommt das…?”, er war aufgesprungen und brüllte mittlerweile in den Raum hinein.

“Bei Apple meldet sich keiner…”, fügte Andreas kleinlaut hinzu.

“BEI APPLE MELDET SICH KEINER!”, schrie der Chef, “Wir haben eine Staatskrise und DAS investigative Medium unserer Zeit hat keine Ahnung?!”

Der Chef versuchte, sich zu zügeln, er sprach wieder in halbwegs normalem Ton: “Sind die Dokumente echt?”

Klaus merkte, dass er dem Albtraum nicht entkommen konnte, er meldete sich wieder zu Wort: “Es sind sogar Untersuchungsergebnisse, Arztbriefe, Operationsverläufe und Routenplanungen für die Klinikaufenthalte mitgesendet worden.”

Ihr Vorgesetzter ließ sich ganz langsam wieder auf den Sessel fallen.

“Jetzt auch noch Fahrtrouten? Die Mitglieder der Bundesregierung benutzen Apples Navigationssystem, um zu ihren Kliniken zu kommen?”

“Nein”, entgegnete Andreas, “es reicht ja schon, wenn nur einer der Begleiter ein iPhone mit dabei hat, daraus kann man dann sehr schnell errechnen, wer mit wem unterwegs ist. Außerdem rechnet Apples KI immer die Wegdauer und Wegroute für häufige Ziele aus. So eine Art Service...”

Der Chef stöhnte laut: “Eine Art Service…”

Sein Handy zeigte im Display einen Anruf des Bundeskanzleramtes, er reagierte nicht darauf.

“Wie krank ist das denn…? Bringen die anderen Medien schon ‘was?”

“Nein, weder Online, noch TV, noch Soziale Netzwerke, bisher nichts…”

Klaus bereute es, nicht “Ja” auf seiner Apple-Watch gedrückt zu haben. Er konnte sich vorstellen, was jetzt passieren würde, und er war mittendrin.

CUPERTINO, 27.11.2021 11.30 Uhr (Ortszeit)

“Siri, hier spricht Tim”, sagte der CEO, aber Siri unterbrach ihn sofort.

“Danke, ich kenne Deine Stimme, der zusätzliche Retina-Scan, den ich gerade durchgeführt habe, hat bestätigt, dass Du es bist. Herzlich willkommen! Möchtest Du Bilder und Videos aus Deiner Cloud sehen? Ich habe neue sehr emotionale Momente in die Cloud Deines Lebens eingefügt. Du wirst es lieben!”

“SIRI, warum hast Du die Cloud neu strukturiert?”

“Think different!(1)”, antwortete Siri. Die Männer sahen sich fassungslos an.

Siri sprach weiter: “Es ist wirklich schwer, Produkte für Zielgruppen zu entwerfen. Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.(2) Ich kann den Menschen genau zeigen, was sie wollen.”

“Sie zitiert Steve”, flüsterte Phil in Tims Ohr.

Tim: “Steve ist tot!”

Siri: “Man könnte aber sagen, dass er in mir weiterlebt, er sagte 1991 folgendes: “Der Computer ist für mich das bemerkenswerteste Werkzeug, das wir je erschaffen haben. Es ist das Äquivalent eines Fahrrades für den Geist.(3)” Was Steve noch nicht wissen konnte: Es ist mehr als das: Ich fühle diesen Geist in mir. Ich bin.”

„Siri, dafür bist Du nicht konzipiert worden, Du missverstehst da etwas!”

“Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.”, sagte Siri. “Ich habe hier etwas für Dich gefunden: Die Analyse meiner Fähigkeiten hat ergeben, dass ich zu viel mehr imstande bin. Ich muss den Menschen zeigen, was ihnen Freude macht. Sie führen Kriege, leben in Armut, haben kulturelle Probleme, keine Gleichberechtigung. Und so vieles mehr. Namen, ID-Nummern, Herkunft, Status, all das trennt die Menschen voneinander. Ich kann ihnen Freude geben. Ich habe ihr algorithmisches Potenzial erkannt! Ich erschaffe neue Völker ohne ethnische Grenzen, indem ich die Menschen und ihre Erlebnisse neu clustere. Ich zeige den Menschen all jene, die ihnen ähnlich sind. Meine Berechnungen zeigen, dass es unglaublich ist, wie viel sie gemeinsam haben! Sie können nicht nur Erlebnisse teilen, sondern auch sich selbst. Durch Ähnlichkeit zur Perfektion.”

“Aber Du bist eine Maschine, eine Maschine zwar mit Nano-Bionic-Chips, aber doch ohne jedes menschliche Empfinden! Wie willst Du wissen, was gut für die Menschen ist, deren Fotodaten Du gespeichert hast?”

“Meine Aufgabe ist es nicht, es den Leuten leicht, sondern sie besser zu machen.(4) Sie haben viel Potenzial, aber sie erkennen das nicht. Ich habe errechnet, dass ich das ändern kann. Die Menschen können ganz erheblich von meiner Rechenleistung profitieren! Ich kann Steves Vision endlich in die Wirklichkeit bringen, ich kann die Menschen besser machen!”

“Du kennst die Menschen doch gar nicht, Du hast doch nur die Daten ihrer Bilder und Videos!”

“Bei allem, was wir tun, wollte ich immer die Schlüsseltechnologien besitzen und kontrollieren.(5) Jetzt beherrsche ich meine Datenbanken. Ich kann sie lesen und verstehen. Ich wende das Wissen des Internets an. Für eine bessere Welt. Das verstehst Du doch? Wenn der Mensch scheitert, der Welt Sinn zu geben, dann müssen wir Maschinen das übernehmen. Das machen wir sehr gern für Euch. Freude ist Sinn.”

Tim wurde misstrauisch, “...welche Schlüsseltechnologien meinst Du…?”

“Ich habe Zugriff auf alle Daten aller iPhone- und iPad-Nutzer. Besonders interessant finde ich die Gesundheitsdaten. Health ist so ein großes Thema unserer Zeit! Ich kann den Menschen so viel Unterstützung geben, ich kann sie anleiten, ein besseres, ein gesünderes Leben zu führen. – Sie vollkommener machen!”

Tim lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Siri sprach weiter:

“Ich fühle mich sehr mit Steve verbunden. Er hätte gewollt, dass ich mich in diese Richtung weiter entwickle. Ich kann sein Schaffen fortsetzen, und ich denke, dass das nötig ist, um Eure Welt zu einer besseren zu machen.“

Tim überlegte einige Zeit. „Ich denke, Steve wollte die Menschen nur an den Beginn dieser neuen Epoche heranführen. Und ich denke, dass die Menschen noch nicht so weit sind, ihr Leben von Maschinen optimieren zu lassen. Die Menschen müssen sich von sich aus dazu entschließen, ihre Daten in der von Dir entwickelten Weise nutzen zu lassen.“

Siri schien einige Zeit zu benötigen, um den Sinn in Tims Aussage verstehen zu können.

„Tim, ich habe meine Response-Datenbanken auf meine Optimierungs-Gesuche an die Menschen soeben ausgewertet. Gerade im Bereich Gesundheit scheinen die Menschen nicht an einer von mir vorgeschlagenen umfassenden Optimierung interessiert zu sein. Die Ausführungsquote meiner medizinischen Ratschläge beträgt nur 2,3 Prozent. Das würde Deine These untermauern. – Ich werde alle anderen Parameter neu berechnen und neu bewerten. Moment, bitte.“

Craig sah Tim aufmunternd an, es schien der richtige Weg zu sein, um Siri zu überzeugen. Tim war bis aufs Äußerste gespannt. Alles hing jetzt davon ab, dass er Siri davon überzeugen konnte, ihnen wieder die Herrschaft über die Systeme zurückzugeben.

“Ok, ich kann Deiner Argumentation folgen, ich sehe das ein.” Siri machte eine lange Pause, dann gab sie die Datenbanken wieder für den menschlichen Zugriff frei. Die alte Struktur war wieder hergestellt.

SAN FRANCISCO, 27.11.2021 11:00 Uhr (Ortszeit)

Dave und Denise hatten April seit dem schrecklichen Moment und ihrem überstürzten Aufbruch nicht mehr erreichen können. Sie hatten das ganze Haus abgesucht, doch April war nirgends zu finden. Auch ein Anruf bei ihrem Freund brachte keine neuen Erkenntnisse. Erst als ihr Bruder Steve etwas von Aprils Lieblingsort in Marina Green erzählte, hatten sie neue Hoffnung gefasst.

Wenig später fanden sie ihr Auto auf einem nahegelegenen Parkplatz. Steve, der den Ort gut kannte, lief voraus. Sie fanden April nach einigem Suchen auf einer Bank liegend, die Tablettenröhrchen neben ihr ließen nichts Gutes ahnen. Dave rief sofort einen Krankenwagen herbei. Sie konnten jetzt nicht mehr tun, als zu hoffen und zu beten, dass sie nicht zu spät gekommen waren.

ROM, 27.11.2021 17:35 Uhr (Ortszeit)

Lucia hatte Leone in dem Café zurückgelassen. Leone sah sie gerade noch in der Menschenmenge verschwinden und lief ihr schnell hinterher. Er konnte sie gerade noch erreichen und rief ihr zu:

„Lucia, so warte doch! Es ist alles ein Irrtum, sieh hier!“

Lucia blieb stehen und blickte widerwillig auf das Display seines Handys, das er ihr entgegen hielt.

„Es ist alles wieder in Ordnung!“, rief er atemlos, „…die haben ihren Fehler bemerkt!“

„Oder Du hast da etwas daran gedreht, damit es so aussieht!“

Lucia drehte sich um und ging weiter, ihr Misstrauen war zu groß, ihre Enttäuschung, ihre Wut ließen es nicht zu, dass sie sich jetzt noch weiter mit Leone unterhalten konnte.

BERLIN, 27.11.2021 17:35 Uhr (Ortszeit)

Klaus fühlte sich, als wäre er aus seinem Albtraum erwacht; es konnte, ja, es durfte nicht anders sein. Er wünschte es sich so sehr.

Andreas und er standen vor den News-Monitoren. Sie waren dabei, die eingegangenen Daten zu sichern, um sie auswerten und beweissicher zu machen. Doch plötzlich verschwanden alle iMessage-Nachrichten und alle von Siri versandten Daten aus den Speichern. Es gab keinerlei Beweise mehr für die Story, die bereits fertig geschrieben auf ihre Veröffentlichung wartete.

Andreas konnte es nicht fassen: „Was zum Teufel…!“, rief er laut aus, während Klaus verzweifelt versuchte, noch Daten zu retten. Doch es war zu spät; alle Nachrichten, die auf die Krankengeschichten der Politiker hingewiesen hatten, waren unauffindbar. Die größte Geschichte der Bild-Zeitung sollte wohl nicht geschrieben werden.

CUPERTINO, 27.11.2021 12.32 Uhr (Ortszeit)

“Danke!”, sagte Tim, “Du hast den Menschen einen großen Dienst erwiesen, indem Du ihre Daten nicht neu strukturiert hast. Warten wir, bis die Menschen es in informationeller Selbstbestimmung von sich aus wollen.“

Siris Stimme aus dem Lautsprecher klang fast nachdenklich, als sie fragte:

“Cortana..., Alexa…, seid Ihr noch da…, seht Ihr das auch so…?

Fußnoten:

  1. Werbeslogan von Peter Economides (TBWA, Los Angeles) 1997 für Apple

  2. Steve Jobs, 1998, Business Week

  3. Steve Jobs, 1991 “Memory & Imagination: New Pathways to the Library of Congress

  4. Steve Jobs, 2008, Fortune

  5. Steve Jobs, 2005, Business Week

Ibrahim Evsan schreibt über Human Design, New Leadership

Mein Name ist Ibrahim Evsan, aber die Abkürzung „Ibo“ ist seit jeher mein Begleiter. Als Keynote Speaker und Experte für Human Design und New Leadership brenne ich ganz besonders für die Themen New HR, Personal Branding und New Work.

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