Sicherer Konzernjob – oder ein riskanter Neustart im Start-up?
Die Angst um den Job ist derzeit groß. In ein Start-up zu wechseln, scheint da abwegig. Doch es gibt gute Gründe dafür.
PorschePorsche, Mahle, Metergrid: Die Liste von David Bieners Arbeitgebern beginnt mit großen Namen – und endet vorerst mit einem kleinen Stuttgarter Betrieb. Als der heute 35-Jährige im April 2023 dort anfängt, steckt Deutschland bereits mitten in der Wirtschaftskrise. Damals wie heute sorgen sich die Menschen um ihren Wohlstand – und ihren Job.
Biener aber wagt den Sprung zu einem 45-Mann-Unternehmen. Er will eine Stelle, „in der ich gestalten kann, in der alles einfach schneller geht“, wie er es ausdrückt. Und er sucht damals ein Produkt, in das er „gerne seine gesamte Energie setzt“.
21 PROZENT BLEIBEN, OBWOHL SIE UNZUFRIEDEN SIND
Dynamik, impact, purpose. Die Motive im typischen Start-up-Sprech treiben viele Menschen zu kleinen Unternehmen. Gerade in Krisenzeiten will jeder Teil einer Erfolgsgeschichte sein. Genau das versprechen Start-ups. Und trotzdem machen es nur wenige wie Biener. 21 Prozent der Beschäftigten wollen ihren aktuellen Job behalten, obwohl sie unzufrieden sind, wie eine Umfrage im Auftrag des Jobportals Indeed kürzlich gezeigt hat. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl damit verdoppelt.
Zu einem Unternehmen zu wechseln, das gerade erst entsteht, kommt da für viele erst recht nicht infrage.
Die Statistik aber schreckt Biener nicht. Auf einer Messe trifft er vor etwa zwei Jahren einen der Gründer seines heutigen Arbeitgebers. Der erzählt ihm von genau dem, wonach er sucht: Metergrid ermöglicht es privaten Hausbesitzern, Mieter mit Solarstrom zu versorgen. Nachhaltig – und nah an den Menschen.
ÜBERSTUNDEN, FEHLENDE BEZAHLUNG – AUF WARNSIGNALE ACHTEN
Biener kündigt seine Managerposition bei einem internationalen Konzern und wird der damals fünfte Mitarbeiter des Start-ups. Heute leitet er den Vertrieb, die Zahl der Angestellten hat sich inzwischen verneunfacht,mehrere Stellen sind aktuell ausgeschrieben.
Keine Frage, in der Start-up-Szene ist nicht alles rosig – und niemand, der wie Biener zu einem jungen Unternehmen wechselt, sollte Warnsignale ignorieren. Wenn am Ende des Monats kein Gehalt aufs Konto kommt oder die Überstunden durch die Decke gehen, ist es Zeit, noch mal neu mit sich zu verhandeln. Doch wer von der Dynamik der Gründerwelt profitieren will, muss bereit sein, auch Chancen zu erkennen.
Den entscheidenden Vorteil gegenüber großen Firmen sieht Biener darin, wie zügig er bei Metergrid seine Führungsqualitäten ausbauen konnte: ein Team motivieren, die Stärken seiner Leute erkennen und weiterentwickeln.
SICHERHEIT NICHT MEHR ÜBER FRISTLOSEN ARBEITSVERTRAG DEFINIERT
Bei einem Mitarbeiter etwa fiel ihm auf, wie dieser ständig To-do-Listen mit Zeitleisten schrieb und immer den Überblick zu haben schien. Da gerade Start-ups von so einer Struktur profitieren, setzt Biener den Kollegen seitdem in der Prozessentwicklung ein. Auch dank diesem trainierten Gespür ist sich Biener sicher: Nach Metergrid könnte er schnell einen neuen Job finden.
Sicherheit, das beobachtet auch Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei der Jobbörse Stepstone, definiere sich nicht mehr über einen unbefristeten Arbeitsvertrag: „Sicherheit entsteht, indem ich weiß, ich kann mich auf meine Fähigkeiten verlassen und werde mit ihnen einen Job finden.“
Das gilt nicht nur für Berufseinsteiger. Ganz im Gegenteil. Die Wirtschaftspsychologin Saskia Bülow, die Fach- und Führungskräfte dabei coacht, zufriedener im Job zu werden, beobachtet: „Viele sind in der privilegierten Position, das Haus abbezahlt und die Kinder aus dem Haus zu haben. Da kann man auch mal mutig sein.“
Unüberlegt aber sollte niemand so eine Entscheidung treffen, meint Bülow. Viele ihrer Kunden kommen derzeit aus der Autobranche und wollen der dortigen Krise entfliehen. Das sei jedoch der falsche Antrieb. „Man muss sich fragen, woher eigentlich die Motivation für den Wechsel kommt. Ist das eine Weg-von- oder eine Hin-zu-Energie?“
WIE ANPASSUNGSFÄHIG BIN ICH?
Wer in einem Start-up anfangen will, muss zudem nicht nur Lust auf selbstständiges Arbeiten haben, sondern auch auf ein gewisses Chaos. Um herauszufinden, wie groß diese Lust wirklich ist, empfiehlt Bülow, sich ernsthaft zu fragen, wie anpassungsfähig man ist. Dabei kann es helfen, die eigenen Prioritäten aufzuschreiben – und sich mit möglichst vielen Menschen auszutauschen, die einmal in einer ähnlichen Situation steckten.
Wenn sowohl der Kopf als auch der Bauch einem Neuanfang zustimmen, müssen nicht alle Brücken fallen. Zu Beginn kann es reichen, in einzelnen Projekten in einem Start-up mitzuhelfen oder einen Urlaubstag zu investieren, um das dortige Klima zu erspüren.
Wer dann, so wie einst Biener, überzeugt vom Wechsel ist, sollte laut Bülow keine Kraft mehr auf einen Plan B verschwenden. „Sobald ich eine Entscheidung treffe, sollte ich dafür sorgen, dass die Entscheidung richtig gut wird“, sagt die Coachin.
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