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Wie viel Feedback wünschen sich Bewerber von Arbeitgebern wirklich? (Bild: gratisography.com)

„Sie sind nur zweite Wahl“ – wie viel Ehrlichkeit verträgst du als Bewerber?

Jobwechsler wünschen sich mehr Feedback von Arbeitgebern, doch mit einer solchen Antwort hatte dieser Bewerber nicht gerechnet ...

Ungewöhnliche Rückmeldung auf Bewerbung erhalten – so steht es im Betreff der Mail, die ich von Michael (Name geändert) erhalten habe. Wir kennen uns nicht persönlich. Er möchte mich an seinen Erfahrungen teilhaben lassen und bittet um meine kurze Einschätzung. Er berichtet von seiner Bewerbung bei einem Arbeitgeber aus dem öffentlichen Dienst. Er schreibt, so etwas habe er in seiner langen Zeit der Berufstätigkeit und vieler Bewerbungen noch nie erlebt.

Was war geschehen? Er hat folgende Antwort auf seine Bewerbung erhalten: 

Die Prüfung der Bewerbungsunterlagen hat ergeben, dass wir Sie gern bei einer zweiten Vorstellungsrunde einladen würden, falls wir bei den ersten Gesprächen zu keinem Ergebnis kommen. Bitte teilen Sie uns deshalb mit, ob Sie noch weiterhin Interesse an der ausgeschriebenen Stelle haben.

Er fühle sich wie ein „Patient 2. Klasse“, schreibt er mir. Nachrückerlisten kenne er von der Studienplatzvergabe oder bei Ausbildungsstellen – doch nicht bei einer derartigen Position, auf die er sich dort beworben habe. Er möchte wissen, ob so etwas heute üblich sei und wie er hierauf reagieren sollte. 

Auch mein spontaner, erster Gedanke war „Krass, das gibt’s doch nicht!“. Ich hatte Mitgefühl mit ihm, schließlich bekomme ich täglich bei meiner Arbeit den Frust vieler Jobwechsler mit ihren wirklich unglaublich unfassbaren Erlebnissen in Vorstellungsgesprächen zu spüren: Wo Frauen offen nach ihrer Familienplanung gefragt oder Bewerber massiv unter Druck gesetzt werden, noch am selben Tag einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Wo einem 55-Jährigen klar gemacht wird, er könne aufgrund seines Alters keine Forderungen stellen und froh sein, dass sich überhaupt noch ein Arbeitgeber mit ihm unterhalte. Oft komme ich aus dem Kopfschütteln nicht raus.

Vermutlich habe ich an solche Geschichten gedacht, als ich die Mail des „2. Klasse-Bewerbers“ gelesen habe. Mein zweiter Gedanke war jedoch – mit etwas mehr professioneller Coach-Neutralität 😎, dass sich doch alle Bewerberinnen und Bewerber darüber aufregen, dass sie kein brauchbares Feedback von Arbeitgebern auf ihre Bewerbungen erhalten – nach dem Motto „Wir haben uns für einen anderen Kandidaten entschieden, dessen Profil besser zu unseren Anforderungen passt.“ Das übliche und als wenig wertschätzend empfundene Anti-Diskriminierungs-Textbaustein-Absagen-Bla-bla, das so viele Jobwechsler schon lange nicht mehr hören können. 

Und nun ist dieser Arbeitgeber in seiner Reaktion einmal außergewöhnlich klar – und auch dies löst auf der Bewerberseite Irritation aus. Formuliere ich die Aussage in der Mail einmal mit meinen Worten, dann könnte die Botschaft etwa so klingen:

Sie scheinen aufgrund Ihrer Bewerbungsunterlagen nicht unser Idealkandidat zu sein, daher führen wir zunächst mit anderen Bewerberinnen und Bewerbern Gespräche. Doch sollten sich diese als nicht passend herausstellen, dann möchten wir Sie gerne zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Gespräch einladen und persönlich kennenlernen. Haben auch Sie bis dahin und auf Basis dieser Information weiterhin Interesse an einem Gespräch mit uns?

Als Bewerber weiß er mit dieser Antwort sehr genau, wo er wortwörtlich dort steht. Es scheint auf den ersten Blick nicht perfekt zu passen, doch für eine Absage reicht es auch nicht. Er weiß ebenso, dass es etwas dauern kann, bis er eine Einladung zum Gespräch erhält und er kann mit dieser Antwort für sich und seine weiteren Bewerbungsaktivitäten ein weniger besser abschätzen, wie hoch seine Chancen dort sind. 

Ich finde diese Antwort und Reaktion auf seine Bewerbung damit sehr klar und transparent. Noch klarer wäre es, ihn nicht auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu vertrösten, sondern zu beziffern, bis wann sie planen, die ersten Gesprächsrunden abzuschließen. 

Klarheit schafft Sicherheit – für Bewerber und Arbeitgeber 

Ich bin der Meinung, dass es vielen Bewerbern sowie auch Arbeitgebern guttäte, im Bewerbungs- bzw. Recruiting-Prozess klarer und transparenter zu kommunizieren.

Mit meinem Leitsatz „Bewerber, zeigt Kante“ arbeite ich mit Klientinnen und Klienten hieran und sehe, wie mehr Klarheit in der Kommunikation in Lebenslauf und Anschreiben sowie auch in den Gesprächen zu höheren Einladungsquoten und schließlich auch zu mehr Vertragsangeboten führt.

So viele Jobwechsler sitzen mir gegenüber und haben das Gefühl, immer irgendwie in der Luft zu hängen. Weil sie heute in der Mehrzahl der Fälle bis auf eine automatisierte Eingangsbestätigung gar keine Reaktion mehr auf ihre Bewerbungen erhalten, nach gefühlt guten Gesprächen über Wochen Funkstille herrscht oder sie nach der dritten Runde und dem Kennenlernen im Team dann doch wieder die Standardabsage erhalten und die Welt nicht mehr verstehen.

Parallel jammern Arbeitgeber über die schlechte Qualität eingehender Bewerbungen, einen Arbeits- und Fachkräftemangel, über unverschämte Forderungen vor allem junger Generationen und sogar von „Ghosting“ ist die Rede – dem plötzlichen Kontaktabbruch nach Gesprächen oder sogar Nichterscheinen zum ersten Arbeitstag. Puh, da läuft echt viel schief. 

Zurück zur Mail des Bewerbers und seiner Frage an mich. Ich habe ihm geantwortet, dass ich sein Gefühl, Bewerber „2. Klasse“ zu sein verstehen kann, jedoch gleichzeitig diese Form der Kommunikation jenes Arbeitgebers auch als sehr transparent und fair bewerte. 

Doch ich frage mich:

Wünschen sich Bewerberinnen und Bewerber wirklich mehr Transparenz und Klarheit im Recruiting-Prozess? Wie viel ehrliches Feedback möchten sie wirklich erhalten – und können sie hiermit selbst heute gut umgehen?

Bei vielen Jobwechslern habe ich oft noch den Eindruck, sie führen in der Rolle als Bewerberinnen oder Bewerber mehr einen Grabenkampf – armer, kleiner Bewerber gegen mächtiger, böser Arbeitgeber – als ein echtes Kennenlernen auf Augenhöhe. So hat selbst das wertschätzendste Feedback keine Chance, gutes Gehör zu finden. 

Am Ende von Kommunikation steht immer ein Gefühl. Es sind unsere eigenen Prägungen, Erfahrungen und auch unsere innere Haltung, die uns jegliche Form von Kommunikation bewerten lässt. Ich fand es für mich selbst total spannend, wie unterschiedlich ich diese Mail an mich mit der Reaktion des Arbeitgebers bewertet habe – vom ersten Gedanken „Ja, stimmt, wie unverschämt“ bis hin zu „Toll, wie dieser Arbeitgeber Klarheit schafft“.

🧐 Was hast du gedacht, als du die Antwort des Arbeitgebers gelesen hast - und wie denkst du am Ende dieses Beitrags darüber? Was hat sich bei dir verändert?

Und wenn du einmal an deine Bewerbungsphasen denkst – was wünschst du dir, wie transparent potenzielle Arbeitgeber mit dir kommunizieren? Möchtest du in Zukunft auch erfahren, die „2. Wahl“ zu sein oder doch lieber stillschweigend die 08/15-Absage erhalten?

Ich bin gespannt auf deine Erfahrungen und Meinung in den Kommentaren ✍🏻👇🏻 

Kommentare

Dr. Bernd Slaghuis schreibt über Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.

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