Die Geschäfte mit der Industrieautomatisierung laufen bei den Münchenern derzeit gut. - (Foto: dpa)
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Siemens stoppt Verlagerungen nach China – dieses Land steht stattdessen im Fokus für neue Investitionen

Konzernchef Busch ist mit Blick auf China vorsichtiger geworden und sieht starkes Wachstum in den USA. Das könnte Signalwirkung für andere Unternehmen haben.

München, Stuttgart. Siemens soll künftig verstärkt in den USA wachsen. Der Dax-Konzern reagiert damit auf das immer schwieriger werdende Verhältnis zwischen den USA und China sowie die US-Konjunkturprogramme. „Es ist in mehreren Geschäften der Aufbau von Produktion in den USA geplant“, heißt es in Siemens-Aufsichtsratskreisen. Es gehe um zusätzliche Kapazitäten – nicht um Verlagerung. „Der Fokus verschiebt sich gerade stärker in Richtung USA.“

Angesichts der geopolitischen Spannungen sei die China-Euphorie von Vorstandschef Roland Busch gedämpft, ist im Konzernumfeld zu hören. Auch Investoren von Siemens hatten sich zuletzt besorgt gezeigt, dass ein zu großes Klumpenrisiko in der Volksrepublik entstehen könnte.

Der Siemens-Chef hatte vor über einem Jahr das interne Projekt „Marco Polo“ aufgesetzt, mit dem die Umsätze der Sparte Digital Industries in China bis 2025 verdoppelt werden sollen. Dieses Ziel gilt nach wie vor. Doch weiter gehende Pläne, die auch die Verlagerung von Kapazitäten nach China vorsahen, wurden nach Informationen des Handelsblatts angesichts von Ukrainekrieg und Taiwankrise erst einmal gestoppt.

Busch setze inzwischen stärker auf eine Diversifizierung, sagt ein Aufsichtsrat, und darüber seien alle froh. Umso attraktiver werden die USA, auch vor dem Hintergrund des „Inflation Reduction Act“ (IRA), der gute Geschäfte verspricht.

Siemens’ Entscheidung könnte eine Signalwirkung für andere Unternehmen haben. „Gerade bei der Industrie stehen die USA hoch im Kurs“, sagt Marcus Berret, Global Managing Director bei der Strategieberatung Roland Berger.

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Die USA werden für deutsche Konzerne interessanter

Das Umfeld sei schon jetzt attraktiv mit den niedrigeren Energiepreisen und einem großen, wachsenden Absatzmarkt, so Berret. Nun komme der IRA noch hinzu. China bleibe für die Unternehmen wichtig. „Allerdings sind die Firmen vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen um eine stärkere Diversifizierung bemüht.“

„Wir sehen starkes Wachstumspotenzial in den USA“, ließ Siemens-Chef Busch die Aktionäre auf der Hauptversammlung am 9. Februar wissen. Zunächst will der Technologiekonzern die Produktionskapazitäten in der Zugsparte Mobility in den USA weiter ausbauen. „Wir haben unglaublich viele Aufträge“, sagte Busch.

Im zentralen Geschäft mit der Industrieautomatisierung – also zum Beispiel Simatic-Anlagen zur Steuerung von Maschinen und Prozessen in der Fabrik – will Siemens ohnehin schon länger den US-Konkurrenten Rockwell Automation auf seinem Heimatmarkt stärker attackieren. Der Zeitpunkt ist nun günstig, in den USA werden viele neue Fabriken gebaut.

Das Geschäft mit der Industrieautomatisierung läuft bei den Münchenern gut. Zum Start ins neue Geschäftsjahr legten die Umsätze in diesem Bereich um 23 Prozent zu. „Wir haben weiter Marktanteile gewonnen“, verkündete Busch bei Vorlage der Quartalszahlen.

So langsam stößt der Konzern jedoch an seine Kapazitätsgrenzen und Siemens denkt über ein zusätzliches Werk nach. „Bei dem Wachstum, das wir hinlegen, können Sie sich vorstellen, dass die eine oder andere Fabrik vollläuft“, sagte Busch. Das gelte auch für das Automatisierungsgeschäft. „Da könnte noch was kommen.“ Die Simatic-Technik, die in unzähligen Werken weltweit verbaut ist, wird derzeit in Amberg und Fürth sowie im chinesischen Chengdu produziert.

Die nächste Automatisierungsfabrik von Siemens könnte nach Handelsblatt-Informationen in den USA entstehen. Noch sei keine abschließende Entscheidung gefallen, auch andere Standorte seien vorstellbar, heißt es in Konzernkreisen. Die USA seien aber eine gute Möglichkeit. „Die Kunden gehen verstärkt nach Amerika, also gehen wir mit.“ Klar ist laut Insidern, dass das Werk keinesfalls in China gebaut wird. Siemens wollte sich zu konkreten Standorten für neue Werke nicht äußern.

Mit Blick auf China sind viele deutsche Konzerne mittlerweile vorsichtiger. Zum einen sind die Geschäfte dort teilweise schwieriger geworden. So schwächelt zum Beispiel das Chinageschäft von Volkswagen, bei Adidas sind auch wegen eines Boykotts westlicher Marken die Umsätze in der Volksrepublik eingebrochen.

Zudem fürchten Managerinnen und Manager, dass die Region zum nächsten Krisenfall werden könnte, wenn sich die Spannungen zwischen Washington und Peking weiter verhärten oder es einen Angriff Chinas auf Taiwan gibt. US-Präsident Joe Biden hatte in den vergangenen Monaten einen noch härteren Chinakurs eingeschlagen.

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Die Risiken in China wachsen

Auf der Hauptversammlung hatten Investoren angesichts des Handelsblatt-Berichts über „Marco Polo“ vor einem zu großen Klumpenrisiko China gewarnt. „Siemens muss die Abhängigkeiten von einzelnen Ländern und Regionen auch unter geopolitischen Risiken im Blick behalten, ordnen und für mehr Diversifikation sorgen“, sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft Deka Investment. Dies gelte „im besonderen Maße“ für Buschs Chinastrategie.

Auch intern sorgten die Pläne für Diskussionen. Doch auch Vorstandschef Busch hat seine Lehren aus dem Ukrainekrieg und den wachsenden geopolitischen Konflikten gezogen. Verlagerungen nach China sind nicht mehr geplant, Busch spricht inzwischen viel von Resilienz und Diversifizierung.

Umso stärker rückt bei vielen Unternehmen der US-Markt in den Fokus. „Wenn Unternehmen eine Region mit üppigen Energievorkommen zu günstigen Preisen, mit stabilen Rahmenbedingungen und wenig Bürokratie suchen, dann sind die USA der Ort der Wahl für Investitionen“, sagt Antonis Papadourakis, Amerikachef des Kölner Chemiekonzerns Lanxess.

Das Unternehmen hat seit 2017 rund fünf Milliarden Euro in Wachstum und Übernahmen investiert. Gut 80 Prozent davon flossen in die USA. „Nordamerika ist die wichtigste Wachstumsregion für Lanxess“, sagt Papadourakis. Auch BASF hat im vergangenen Jahr die Erweiterung der Kunststoffproduktion im Süden der USA beschlossen. Investitionsvolumen: 780 Millionen Euro.

Angesichts der politischen Lage sei die China-Euphorie des Siemens-Chefs gedämpft, heißt es im Umfeld des Konzerns. - (Foto: dpa)
Angesichts der politischen Lage sei die China-Euphorie des Siemens-Chefs gedämpft, heißt es im Umfeld des Konzerns. - (Foto: dpa)

Der Stuttgarter Anlagenbauer Exyte will in diesem Jahr 750 neue Jobs in den USA schaffen, etwa die Hälfte der weltweiten Neueinstellungen, kündigte CEO Wolfgang Büchele im Gespräch mit dem Handelsblatt an. Die Schwaben sehen sich als führender Anbieter für Planung, Entwicklung und Bau von Hightech-Anlagen, insbesondere von Chipwerken. Nirgendwo entstehen derzeit mehr neue Halbleiterfabriken als in den USA.

Auch Bosch-Chef Stefan Hartung sagte kürzlich: „Wir müssen unsere Investitionen über alle Weltregionen hinweg noch stärker als bisher balancieren.“ Ein Ausbau sei vor allem in den USA und Mexiko geplant.

Allein im Jahr 2022 hat Bosch gut 660 Millionen Dollar in Nordamerika investiert. 200 Millionen Dollar fließen in das Werk in Anderson. Bis zum Produktionsstart im Jahr 2026 sollen mindestens 350 neue Arbeitsplätze in der Fertigung der Brennstoffzellen-Stacks entstehen. Ein Stack ist ein Stapel aus Brennstoffzellen.

In Charleston in South Carolina ist gerade die Komponentenfertigung für Elektromobilität angelaufen und wird weiter ausgebaut. In Mexiko wollen die Schwaben sogar eine Milliarde Euro investieren, unter anderem auch in den Ausbau der Automobiltechnik-Werke.

Wenn Unternehmen eine Region mit üppigen Energievorkommen zu günstigen Preisen, mit stabilen Rahmenbedingungen und wenig Bürokratie suchen, dann sind die USA der Ort der Wahl für Investitionen
Antonis Papadourakis, Amerikachef des Kölner Chemiekonzerns Lanxess

Ähnliche Pläne für Nordamerika gibt es bei anderen Konzernen. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) wollen fast 40 Prozent der deutschen Unternehmen in den kommenden Monaten höhere Investitionen in den USA tätigen.

Dabei geht es oft nicht um eine Verlagerung – im Sinne der Balance der Regionen soll auch weiter in China und Europa investiert werden.

„Internes Decoupling“ soll die Widerstandsfähigkeit stärken

Dabei betreiben viele Unternehmen eine Art internes Decoupling. Sie wollen die Umsätze und Wachstumschancen in China nicht liegen lassen, solange die Geschäfte dort laufen. Doch sollen die großen Weltregionen – USA, Europa und Asien mit China – stärker für sich stehen mit eigener Produktion, eigenen Lieferketten und eigener Finanzierung. Wenn eine Region ausfällt, sollte eine andere nicht mitgerissen werden.

Somit geht es nicht mehr primär um die Verlagerung von Produktion in die kostengünstigste Region. Eine Fertigungspräsenz ist in allen drei Regionen wichtig.

Siemens-Automatisierungswerk in Amberg
Siemens-Automatisierungswerk in Amberg

Damit kommen die USA stärker ins Spiel. Die Siemens-Zugsparte Mobility hatte 2021 bereits einen Rekordauftrag vom US-Bahnbetreiber Amtrak über 3,4 Milliarden Dollar erhalten. Dafür soll die Fertigung im kalifornischen Sacramento aufgebaut werden. Weitere Aufträge erhoffen sich die Münchener von Hochgeschwindigkeitsprojekten in den USA. Nun wird laut Industriekreisen entweder Sacramento noch stärker erweitert oder eine weitere Fertigung in Nordamerika aufgebaut.

Auch die Sparte Digital Industries mit der Industrieautomatisierung will in den USA wachsen. Schon die Strategie „Vision 2020+“ von Buschs Vorgänger Joe Kaeser sah vor, sich bei den Geschäften mit der digitalen Fabrik stärker auf die USA und Mexiko zu konzentrieren. Ziel sollte es sein, die dortige starke Stellung des Konkurrenten Rockwell Automation in der Industrieautomatisierung anzugreifen, der zum Beispiel in der Auto- und Luftfahrtindustrie stark ist.

Rockwell ist ein Konkurrent, auf den sie in München sehr genau schauen. Zuletzt stand Siemens im globalen Vergleich gut da. So konnte die Sparte Digital Industries die Umsätze im ersten Quartal um vergleichbar 15 Prozent auf 5,1 Milliarden Euro steigern. Die Marge lag bei guten 22,5 Prozent.

Bei Rockwell wuchsen die Umsätze im selben Zeitraum um knapp zehn Prozent auf fast zwei Milliarden Dollar. Der operative Gewinn stieg um rund 13 Prozent auf 401 Millionen Dollar. Dies entsprach einer Marge von 20,2 Prozent.

Weltmarktführer ist Siemens bei der Automatisierung und bei Industriesoftware bereits. Durch einen Ausbau von Vertrieb und Fertigung sowie Akquisitionen in den USA könnte die Position gestärkt werden. Doch werde man es mit der US-Euphorie auch nicht übertreiben, sagt ein Aufsichtsrat. Niemand wisse, wie die Welt nach den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA aussehe.

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