Ein Anschreiben kann Kopfzerbrechen bereiten. - (Foto: imago images/agefotostock)
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Sind Anschreiben bei der Bewerbung noch zeitgemäß?

Viele Regeln fürs Bewerbungsschreiben sind 2023 überholt. Strittig ist, ob es Bewerber besser komplett weglassen. Jürgen Hesse erklärt im Interview, welche Fehler Sie vermeiden sollten.

Düsseldorf. Jürgen Hesse kann getrost als „Bewerbungskoryphäe“ bezeichnet werden. Seit mehr als 40 Jahren schreibt der 71-Jährige zusammen mit seinem Co-Autor Hans Christian Schrader Bücher über das Arbeitsleben und vor allem zu Bewerbungen. Außerdem coachen die beiden Bewerber.

Aktuell, sagt Hesse, sorgt vor allem ein Faktor dafür, dass sich die Regeln ändern, nach denen Bewerber lange spielen mussten: der Fachkräftemangel. Der um sich greifende Personalmangel hat zur Folge, dass Kandidaten sich selbstbewusster präsentieren und neue Schwerpunkte setzen können – und dass Personaler einige Dinge verzeihen, die zuvor als No-Gos galten.

Doch was bedeutet diese Entwicklung für den Angstgegner vieler Bewerberinnen und Bewerber – das Anschreiben? Im Handelsblatt-Interview verrät Jürgen Hesse, wie heute ein hervorragendes Bewerbungsschreiben aussieht, in welchem Fall es überhaupt eines braucht, womit Kandidaten bei der Bewerbung Pluspunkte sammeln – und was sie von Liebesbriefen lernen können.

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Lesen Sie hier das Interview mit Jürgen Hesse zu Bewerbungsschreiben, Bewerbung und Jobsuche:

**Herr Hesse, 2016 haben Sie mit Ihrem Co-Autor Hans Christian Schrader das Buch „Das perfekte Anschreiben“ publiziert. Was hat sich seitdem geändert? Gibt es Tipps, die Sie heute nicht mehr geben würden?**Heute würde ich sagen: Machen Sie sich nicht so viele Gedanken über das Anschreiben. Früher war das Anschreiben viel wichtiger. Heute ist es eher eine Vorspeise oder eine Nachspeise in der Bewerbung. Die Hauptspeise ist der Lebenslauf. Personaler wollen schnell wissen, mit wem sie es zu tun haben. Also ob Sie gerade als Ingenieur bei einem Großkonzern arbeiten oder sich als Freigänger aus dem Knast heraus bewerben.

**Ist denn ein Anschreiben 2023 noch sinnvoll?**Ja, denn Personaler können am Anschreiben eine ganze Menge erkennen. Um mal einen Vergleich zu machen: Sie könnten einem geliebten Menschen einen teuren Ring schenken und ihm den einfach so in die Hand drücken. Wenn Sie aber eine tolle Verpackung haben und etwas Nettes dazu sagen, kommt das Geschenk viel besser rüber. So ähnlich ist es auch mit dem Anschreiben. Es kann eine gute Atmosphäre für Ihre Bewerbung schaffen.

Er gibt Menschen auf Jobsuche seit 40 Jahren Tipps dazu, wie sie sich erfolgreich bewerben. - (Foto: Büro für Berufsstrategie)
Er gibt Menschen auf Jobsuche seit 40 Jahren Tipps dazu, wie sie sich erfolgreich bewerben. - (Foto: Büro für Berufsstrategie)

**Der Fachkräftemangel setzt Unternehmen wie nie zuvor unter Druck. Kann das Bewerber entlasten – weil Arbeitgeber froh sind, wenn sich überhaupt jemand bewirbt?**Wer sehr gefragt ist, muss sich keinen Kopf um das Anschreiben machen. Da reicht auch schon ein Dreizeiler.

**Was ist mit alten Binsen wie der, dass Anschreiben mit einem Rechtschreibfehler direkt in der Tonne landen? Gilt das noch?**Rechtschreibfehler sorgen für einen schlechten Beigeschmack. Profis wissen aber, dass das Anschreiben nicht der wichtigste Part der Bewerbung ist. Wenn eine 15-Jährige sich auf einen Ausbildungsplatz bewirbt und einen Rechtschreibfehler macht, dann ist das nicht schön. Wichtiger ist aber, dass sie ein gutes Abschlusszeugnis hat.

**Welche anderen Mythen gibt es zum Anschreiben?**Eine Zeit lang hieß es ständig, dass der erste Satz entscheidend sei. Natürlich sollten Bewerber heute nicht mehr schreiben: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bewerbe ich mich auf …“. Das ist sehr altmodisch. Das Gute daran ist aber: Bewerber sind heute viel freier. Solche Regeln wie die, dass Rechtschreibfehler ein No-Go sind, lösen sich mehr und mehr auf.

**In Ihrem Buch von 2016 schreiben Sie auch, dass Emotionalität im Anschreiben sich positiv auswirke. Was heißt das?**Das Anschreiben ist eine Werbeanzeige für den Kandidaten. Vielen Menschen ist aber gar nicht bewusst, dass sie klare Werbebotschaften brauchen. Drei bis vier davon sollten Sie vermitteln. Der Mechanismus erinnert ein wenig an die Politik. Wir hätten alle nicht gedacht, dass Olaf Scholz Kanzler wird, aber er hat uns immer wieder eine emotionale Botschaft vermittelt: Er wird für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Bewerber sollten ähnlich vorgehen. Sie müssen klare Botschaften senden. Die hohe Kunst ist, das in kurzen Sätzen zu tun. Sie dürfen heute eine Viertelseite Anschreiben schicken, aber auch zwei Seiten. Dann allerdings müssen Sie den Personaler gut unterhalten, sonst ist das Mist.

Rufen Sie vorher beim Personalmanager an, um Ihre Bewerbung anzukündigen. - (Foto: imago images/Addictive Stock)
Rufen Sie vorher beim Personalmanager an, um Ihre Bewerbung anzukündigen. - (Foto: imago images/Addictive Stock)

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**Worin unterscheidet sich ein Anschreiben für eine Position in der Geschäftsführung etwa von einem Anschreiben eines IT-Ingenieurs?**Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Als ITler ist es wichtig, zu vermitteln, an welchen Projekten ich beteiligt war. Da zählt auch die Teamleistung. Bei einem Geschäftsführer liegt der Fokus eher darauf, eigene Erfolge herauszustellen. So ein CEO kann darauf anders verweisen, weil er die Weichen für diese Erfolge selbst gestellt hat.

**Welche Fehler sollten Bewerber vermeiden, wenn sie sich auf Führungspositionen bewerben?**Ein schrecklicher Fehler ist, dass viele zu bescheiden sind, weil sie so erzogen wurden. Ein anderer: Wenn Sie über sich Auskunft geben müssen, kann es passieren, dass drei Sätze in Folge mit „Ich“ anfangen. Das geht gar nicht. Lassen Sie, um so was zu vermeiden, vorher jemand Dritten auf das Anschreiben schauen. Kein Fehler, aber zumindest unglücklich ist es auch, kein „P. S.“ zu setzen. Untersuchungen haben gezeigt: Personaler lesen die Betreffzeile, Ihren Namen und das „P. S.“.: Auch eine detaillierte Übersicht über die Anlagen ist idiotisch. Das gehört ans Ende des Lebenslaufs – falls Sie mehr als fünf Zeugnisse angehängt haben.

**Wie schaffen Kandidaten es, nicht verkrampft zu wirken?**Wichtig ist, dass Sie ein Konzept davon haben, was Sie dem Leser vermitteln wollen. Ich kenne kaum jemanden, der gern Anschreiben für sich selbst textet. Das ist für die meisten Leute ungewohnt und deshalb Stress. Darum sollten Sie den Mut haben, Ihr Anschreiben gegenlesen zu lassen. Auch die ersten Versionen vergangener Liebesbriefe werden Sie zerknüllt und weggeworfen haben. Die enthielten eben viele Emotionen, und das macht verletzlich. Beim Anschreiben ist das nicht anders.

Jürgen Hesse im Interview: Was ist die Kernaussage im Bewerbungsschreiben?

**Worauf reagieren Personalmanager im Anschreiben besonders gern?**In meinen Coachings versuche ich, mit den Kandidaten herauszufinden: Was ist die Kernaussage? „Ich will den Job, ich bin bestens geeignet“ reicht da nicht aus. Das behaupten schließlich auch alle anderen. Besser sind konkrete Sätze wie: „Bei meinem vorigen Arbeitgeber habe ich erfolgreich eine strategische Neuausrichtung verantwortet“, oder: „Mein Verhandlungsgeschick hat mir bei meinem jüngsten Großauftrag geholfen, mehr als zehn Prozent der ursprünglich geplanten Kosten einzusparen“. So etwas macht Personaler neugierig und steigert Ihre Einladungschancen enorm.

**Und wie heben Kandidaten diese Botschaften im Bewerbungsschreiben hervor?**Bei meinen Coachings fette ich die wichtigsten Sätze im Anschreiben oder mache sogar die Schrift größer. Mit solchen Hervorhebungen sollten Sie allerdings sparsam umgehen. Bauen Sie nicht zu viele Gimmicks ein. Womit ich darüber hinaus gute Erfahrungen gemacht habe: Rufen Sie vor dem Abschicken Ihrer Bewerbung im Unternehmen an, um sich anzukündigen. Machen Sie ein bisschen Smalltalk. Wenn Ihnen das charmant gelingt, stechen Sie schon aus der Masse heraus.

Herr Hesse, vielen Dank für das Interview.

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