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Skandal? So schützen Sie Ihre Reputation

Lieferengpass, Salmonellen, Flugchaos: Ein einziger Skandal kann das mühsam aufgebaute Image nachhaltig beschädigen. So schützen Sie in der Krise die ­Reputation Ihres Unternehmens.

Von Daniel Diermeier

Irgendwann war dann doch Schluss. Im Oktober 2022 beendete der Sportartikelhersteller Adidas die ­Zusammenarbeit mit Kanye West, nachdem der Musiker und Mode­designer mit einer Reihe von antisemi­tischen Äußerungen wieder einmal für Empörung gesorgt hatte.

Provokante Aussagen und Songtexte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Karriere von West. Damit stellte er auf der einen Seite ein Risiko dar, das Adidas sogar in seinem Geschäftsbericht benannte; auf der anderen Seite steuerten die Yeezy-Produkte des Stars Branchenanalysten zufolge rund 8 Prozent zum Konzern­umsatz bei. Das Unternehmen selbst sprach von der „bedeutendsten Partnerschaft aller Zeiten zwischen einem prominenten Nicht-Athleten und einer Sportmarke“ – die dann für das eigene Geschäft zur Achillesferse wurde.

Adidas hätte Anfang Oktober 2022 einen klaren Schnitt machen und die Zusammenarbeit mit dem Skandalpromi sofort einstellen können. Stattdessen folgte eine lange Phase des Schweigens und des Zögerns. „Wir mussten unsere Partnerschaft erst gründlich prüfen, bevor wir endgültige Maßnahmen ergreifen konnten“, sagt Finanzchef Harm Ohlmeyer.

Wests Anhängerinnen und Anhänger fühlten sich durch das Schweigen von Adidas bestärkt. Sie gingen mit Schildern und Plakaten auf die Straße, um ihre ­Zustimmung zu Wests Äußerungen zu ­bekunden. Unterdessen wurde die Anti-Defamation League aktiv, eine Organisation, die gegen antisemitische Diskriminierung eintritt. Sie forderte Adidas zum Handeln auf und erhöhte mit dem Hashtag #RunAwayfromHate den Druck auf das Unternehmen. In den sozialen Medien protestierten daraufhin gleichzeitig Prominente aus Sport und Unterhaltung gegen den Sportartikelhersteller.

Als Adidas schließlich bekannt gab, die Partnerschaft zu beenden, hatte das Unternehmen nicht nur seinen wichtigsten Markenbotschafter verloren und einen massiven Gewinneinbruch zu verzeichnen. Der Konzern hatte auch eine wunderbare Gelegenheit verpasst: Mit einer schnellen, klaren und empathischen Reaktion auf die öffentliche Entrüstung hätte das Topmanagement für Vertrauen sorgen und einen Teil des Reputationsschadens wieder reparieren können.

Adidas ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: Reputationskrisen treten immer häufiger auf und werden schwerwiegender. Das ist kein Zufall. Über die Jahre ist eine ­unheilvolle Gemengelage entstanden, die geradezu ideale Bedingungen für Reputationsrisiken bietet.

Zum einen ist es inzwischen rund um den Globus praktisch unmöglich, sich der Aufmerksamkeit der Medien und dem kritischen Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Informationen – sowohl zutreffende als auch falsche – verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Zum anderen haben sich die Erwartungen an Unternehmen grund­legend und dauerhaft verändert. Heute reicht es nicht mehr, sein Geschäft zu verstehen – also im Fall von Adidas modische Schuhe und Sportbekleidung anzubieten. Unternehmen müssen auch soziale, politische und moralische Erwartungen erfüllen. Moralische Entrüstung – ganz gleich, ob es um Umweltthemen, Boni für das Topmanagement oder Verstöße gegen die Wertvorstellungen von Stakeholdern geht – wird immer häufiger zum Zündstoff für Krisen, die den guten Namen von Unternehmen ernsthaft gefährden.

Managerinnen und Managern ist durchaus bewusst, wie wichtig die Reputation eines Unternehmens ist und dass die ­externen Risiken gestiegen sind. Für viele CEOs und Boardmitglieder hat das Reputationsmanagement sogar oberste Priorität. Schon 2014 nannten Boardmitglieder in einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EisnerAmper das Reputationsrisiko als wichtigstes nicht finanzielles Risiko – noch vor Cybersicherheit/IT und Compliance: 72 Prozent der Befragten setzten es auf ihrer Prioritätenliste ganz nach oben.

Trotzdem fehlt vielen Unternehmen immer noch ein systematischer Risikomanagementansatz in diesem Bereich. Die Reputation ist in den Augen von ­Topführungskräften eine Sache der PR-Abteilung – etwas, um das sich Spezialistinnen kümmern, wenn es ein Problem gibt. Sie sehen darin jedoch keinen Vermögenswert, den das gesamte Unternehmen und das Management vorausschauend bewahren und stärken sollten.

Die Reputation ist in den Augen der meisten Topführungskräfte eine Sache der ­PR-Abteilung.

Das ist eine Fehleinschätzung. Die meisten Krisen, mit denen Unternehmen zu kämpfen haben – von Naturkatastrophen und globalen Pandemien einmal abgesehen –, entstehen, wenn die Verantwortlichen bei alltäglichen geschäftlichen Entscheidungen die Reputation nicht berücksichtigen. Zum Beispiel wenn ein Marketingchef bei der Beurteilung einer Kooperation nur auf das Umsatzpotenzial schaut und nicht auf die Konsequenzen, falls sich der Star einen Fehltritt leistet. Oder wenn sich eine Supply-Chain-Managerin beim Outsourcing an einen Auftragsfertiger nur auf die Effizienzsteigerung konzentriert, ohne einen Blick auf die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit in den Fabriken vor Ort zu werfen.

In all diesen Fällen fehlt eine entscheidende Managementfähigkeit, nämlich während des gesamten Entscheidungsprozesses eine externe Perspektive zu ­bewahren. Führungskräfte müssen Entscheidungen, die sie hinter verschlossenen Türen treffen, auch im grellen Licht der Öffentlichkeit erklären können. Sie sollten sich in jeder Phase des Entscheidungsprozesses fragen: Wie würde die Schlagzeile auf der Titelseite des SPIEGEL oder der „New York Times“ aussehen?

Die Reputation eines Unternehmens braucht Steuerung, wie ich auch in meinem neuen Buch „Reputation Analytics“ erläutere. Der CEO ist der oberste Verantwortliche für den guten Namen des Unternehmens. Er oder sie gibt die Richtung vor. Das Topteam setzt sie in den unterschiedlichen Managementbereichen um, und der Aufsichtsrat oder der Board leistet Unterstützung.

Was ich bei Führungsteams stattdessen häufig erlebe, ist eine tiefe Kluft zwischen dem theoretischen Wissen um Reputationsrisiken und ihrer Vernachlässigung in der Praxis. Meist braucht es eine Krise, um diese Diskrepanz aufzudecken. Nicht jedes Unternehmen erholt sich davon. Diejenigen, denen es gelingt, haben eines gemeinsam: Sie erkennen die Krise als Gelegenheit, Vertrauen aufzubauen.

Imagekrisen sind öffentlich. Unternehmen stehen mit einem Mal im Mittelpunkt der Medienberichterstattung, sehen sich feindseligen Interessengruppen gegenüber und werden von einer skeptischen Öffentlichkeit unter die Lupe genommen.

Imagekrisen sind ­öffentlich. Firmen ­stehen mit einem Mal im Mittelpunkt der ­Medienberichte.

In einer solchen Situation sollten sich Unternehmen nicht mit schnellen operativen Behelfslösungen zufriedengeben, sondern eine langfristige Vertrauensbasis aufbauen. Wichtig ist hier zunächst das Tempo der Reaktion. Wer nicht sofort ­reagiert, erweckt den Eindruck, die Wahrheit zu verschleiern oder sich nicht genügend um das Problem zu kümmern. Damit geht Vertrauen verloren.

In wissenschaftlichen Experimenten hat sich gezeigt, dass es auf diesen Faktor bei emotional aufgeladenen ethischen Entscheidungen in besonderem Maße ankommt. Je länger eine Entscheidung auf sich warten ließ, desto schlechter schätzten die Probanden die moralische Inte­grität der Verantwortlichen ein.

Das bringt ein weiteres Problem mit sich: Häufig dauert es Wochen oder sogar Monate, bis die Fakten eines Vorfalls ­geklärt sind. Die Ursache eines Flugzeug­absturzes zum Beispiel steht oft erst nach langwierigen Untersuchungen fest. Solange nicht alle Informationen vorliegen, gilt: Ob ein Unternehmen Vertrauen aufbauen kann, hängt von der Qualität der Reaktion ab. Forschungsergebnisse zeigen, dass dabei vier Faktoren maßgeblich sind – die Eckpunkte des von mir entwickelten Vertrauensradars oder Trust Radar: Transparenz, Kompetenz, Commitment und Empathie.

Transparenz herstellen

Dieser Begriff wird ebenso überstrapaziert wie missverstanden. Im Zusammenhang mit Vertrauensbildung bedeutet Transparenz, auf alle relevanten Fragen der Zielgruppe einzugehen – idealerweise bevor sie sich diese Fragen stellt. Was relevant ist, entscheidet die Zielgruppe. Für eine Investorin bedeutet Transparenz unter Umständen etwas ganz anderes als für einen Beschäftigten. Und was für eine NGO wichtig ist, spielt für eine Kundin vielleicht keine Rolle.

Unternehmen müssen daher in einer Krise herausfinden, welche Informationen bestimmte Stakeholder brauchen, diese Informationen zügig bereitstellen und den Kommunikationsstil an die Zielgruppe anpassen.

Transparenz heißt nicht, alles lückenlos offenzulegen. Unternehmen müssen den Datenschutz oder laufende Gerichtsverfahren berücksichtigen – ebenso wie die Tatsache, dass sie zumindest am Anfang einer Krise nicht alle Details kennen. In so einem Fall sollten die Verantwortlichen erklären, warum sie nur eingeschränkte Informationen bereitstellen. Die Begründung sollte den „Vernünftige-Personen-Test“ bestehen. Das heißt: Es sollte davon auszugehen sein, dass die meisten Menschen sie als legitim und ausreichend akzeptieren.

Umgekehrt ist das Kriterium der Transparenz manchmal selbst dann nicht erfüllt, wenn das Unternehmen alle Fakten vollständig offenlegt, zum Beispiel wenn die Zielgruppe die Informationen wegen einer juristisch verklausulierten oder unverständlich formulierten Sprache nicht versteht. Auch dann wird die Zielgruppe davon ausgehen, dass das Unternehmen etwas verbirgt. Vertrauen setzt Verständnis voraus. Deshalb ist es so wichtig, klar zu kommunizieren und Informationen so einfach wie möglich zu präsentieren.

Wie sich Transparenz in einer Krisensituation herstellen lässt, hat der ADAC, Europas größter Verkehrsklub, 2021 bei der Flut im Ahrtal gezeigt. Der Verein wollte die Öffentlichkeit nach der Kata­strophe, bei der mehr als 220 Menschen starben, über die sozialen Medien für Hilfsaktionen gewinnen. Es galt, ein transparentes Bild der Lage vor Ort zu zeichnen und Falschmeldungen im Internet entgegenzutreten. Dafür begleitete das ADAC-Kommunikationsteam das Krisenteam mehrere Wochen lang mit einer eigenen Kameracrew. Zusammen mit der ADAC-Luftrettung und der ADAC-Straßenwacht sorgte es für einen Blick hinter die Kulissen – immer mit der Botschaft, die seit mehr als einem Jahrhundert den Markenkern des Vereins ausmacht: „Wir sind da, um zu helfen“. Dem ADAC gelang es dadurch, Hilfsgelder und Unterstützung zu mobilisieren, für seine Arbeit zu werben und in einen direkten Dialog mit den Stakeholdern zu treten.

Ein Negativbeispiel liefert hingegen Vattenfall. Im Juni 2007 stiegen Rauchwolken über dem Atomkraftwerk Krümmel in der Nähe von Hamburg auf. In der Nachbarschaft brach Panik aus. Vattenfall, der Betreiber der Anlage, teilte mit: nichts passiert, alles halb so wild. Es gab noch nicht einmal einen offiziellen Bericht über den Vorfall. Schließlich brannte lediglich ein Transformator auf dem Gelände des Kernkraftwerks, nicht das gefährliche Kraftwerk selbst.

Nach und nach drangen jedoch beängstigende Einzelheiten an die Öffentlichkeit. Zeitweise hätten die Beschäftigten nur noch mit Atemmasken arbeiten können, hieß es. Die Ingenieure, Techniker und das Management waren dennoch überzeugt, es habe sich um keine echte Krise gehandelt – das Kraftwerk sei ja nie ernsthaft in Gefahr gewesen. Was sie völlig außer Acht ließen, waren die Resonanz in der Öffentlichkeit und die emotionale Reaktion in der Nachbarschaft, sodass der SPIEGEL später von einem „Kommunikations-GAU“ für Vattenfall sprach.

Einen Monat nach dem Unfall räumte der CEO die Versäumnisse ein: „In den vergangenen Wochen ist viel Vertrauen verloren gegangen. Wenn ein Unternehmen Reaktoren betreibt, muss es zu jeder Zeit für Vertrauen sorgen und im Dialog mit der Öffentlichkeit stehen.“

Kompetenz ausstrahlen

In Krisen müssen Unternehmen zeigen, dass sie die nötige Kompetenz besitzen, um die Lage zu bewältigen. Das gilt umso mehr, wenn es um die öffentliche Gesundheit oder eine Naturkatastrophe geht und das Leben von Menschen auf dem Spiel steht. Wirkt das Krisenmanagement inkompetent, bröckelt das Vertrauen sehr schnell. Wenn Unternehmen in diesem Punkt die Erwartungen übertreffen, werden sie selten gelobt, verfehlen sie sie ­hingegen, hagelt es Kritik. Besonders schwierig wird es, wenn die Öffentlichkeit unrealistische Erwartungen an die Möglichkeiten des Unternehmens hat.

Hier hat sich bewährt, glaubwürdige Experten einzuschalten. Geht es etwa um ein gesundheitliches Thema, kann eine renommierte Ärztin oder ein Mediziner von einer Gesundheitsbehörde oder einer angesehenen Universität unterstützen. Derartige Fachleute können medizinisches Wissen über Krankheiten vorweisen, das vom Management eines Unternehmens in der Regel nicht erwartet wird.

Gute Krisenvorsorge ist an sich schon ein wichtiger Bestandteil von Kompetenz. Stakeholder erwarten von Unternehmen, dass sie immer darauf vorbereitet sind, effektiv auf eine Krise zu reagieren – vor allem, wenn sie die Krise als vorhersehbares Szenario wahrnehmen. Die Ausrede „Wir hatten ja nicht damit gerechnet, dass es uns treffen würde“ lassen dann die wenigsten gelten.

Ein Mangel an Krisenkompetenz war jüngst bei Ferrero zu beobachten. 2022 wurde Ostern – eigentlich Hochsaison für den Süßwarenhersteller – für das Unternehmen zu einer Katastrophe: Mehrere Hundert Menschen in ganz Europa erkrankten, nachdem sie mit Salmonellen verseuchte Produkte von Ferrero ge­gessen hatten. Schlimmer noch: Viele der Betroffenen waren Kinder unter zehn Jahren. Einige mussten mit schweren Symptomen ins Krankenhaus.

Eigentlich hatte die Krise schon Monate zuvor begonnen, und Ferrero hätte sie – bei entsprechender Krisenkompetenz – im Keim ersticken können. Die Ermittlungen zeigten, dass Beschäftigte in einer Fabrik im belgischen Arlon bereits am 15. Dezember 2021 das Bakterium Salmonella Typhimurium entdeckt hatten. Statt ­sofort Alarm zu schlagen, tauschte das Unternehmen lediglich ein paar Filter aus und verstärkte die Kontrollen. Den weltweiten Vertrieb der Produkte setzte es ­jedoch fort – mit bekannten Folgen.

Am Ende musste Ferrero Untersuchungen unterschiedlicher Behörden über sich ergehen lassen. In Belgien verlor das Unternehmen vorübergehend seine Lizenz. Es musste sich öffentlich entschuldigen und ein Schuldeingeständnis abgeben – für die lange Zeitspanne zwischen dem ersten Feststellen des Salmonellenbefalls im Dezember und dem Rückruf im April. Ferreros Begründung: „interne Ineffizienzen“.

Commitment signalisieren

In einer Krise müssen die Menschen überzeugt sein, dass die Verantwortlichen mit Nachdruck an Lösungen arbeiten und ­damit beschäftigt sind, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Das gelingt am besten, wenn die obersten Entscheidungsträger Präsenz zeigen. Damit sig­nalisieren sie nicht nur, dass sie Verantwortung übernehmen, sondern auch, dass es für das Unternehmen zum aktuellen Zeitpunkt nichts Wichtigeres gibt, als die Krise zu bewältigen.

Während der Corona-Pandemie beispielsweise gingen Managerinnen und Manager bei virtuellen Mitarbeiterversammlungen vermehrt auch direkt auf die Sorgen der Beschäftigten ein. Viele Unternehmen machten daraus ein regelmäßiges Format, das sie auch nach der Pandemie fortführten.

Besonders wichtig ist ein sichtbares Commitment bei Naturkatastrophen oder geopolitischen Krisen. Topmanagerinnen und Topmanager, die ihre Zeit so effizient wie möglich nutzen wollen, mögen es für Zeitverschwendung halten, nach einer Ölpest oder einem Hurrikan in die betroffenen Gebiete zu reisen. Aber das ist eine Fehleinschätzung. Genau diese gefühlte „Ineffizienz“ hat für Mitarbeitende sowie Kundinnen und Kunden einen hohen symbolischen Wert.

Uber-CEO Dara Khosrowshahi reiste beispielsweise in die Ukraine, um den Beschäftigten vor Ort dafür zu danken, dass sie auch Ärztinnen, Pfleger und vor dem Krieg geflüchtete Menschen fahren. Der Reputation des Unternehmens hat dies enorm geholfen. Khosrowshahi sagt dazu: „Ich wollte unseren Teams, Fahrerinnen und Fahrern, die hier jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, meine persönliche Unterstützung zum Ausdruck bringen.“

Es muss nicht immer der CEO vor Ort sein, aber eine Topführungskraft mit ­operativer Erfahrung und Verantwortung sollte sich schon engagieren. Schickt ein Unternehmen etwa nur den Pressesprecher vor, signalisiert es damit im Grunde das Gegenteil von Commitment: Dem Management scheint die Sache nicht wichtig genug zu sein, um sich persönlich darum zu kümmern.

Wenn Unternehmen nur den Pressesprecher vorschicken, signali­sieren sie das Gegenteil von Commitment.

Unternehmen sollten ihr Commitment auch durch konkrete Maßnahmen untermauern, mit denen sie die Krise bewältigen wollen. Sie könnten zum Beispiel eine Taskforce oder einen Ad-hoc-Ausschuss des Aufsichtsrats einrichten, der die Verantwortung für das Krisenmanagement übernimmt.

Empathie zeigen

Empathie ist der vierte und wichtigste Faktor beim Aufbauen von Vertrauen. Es ist nicht das Gleiche wie eine Entschuldigung – wenngleich eine Entschuldigung ein Ausdruck von Empathie sein kann. Eine floskelhafte und unglaubwürdige Entschuldigung schadet oft mehr als sie nutzt, denn sie wirkt schnell zynisch und berechnend. Wenn Führungskräfte hingegen mit Wärme und Aufrichtigkeit auf Betroffene zugehen, kann das sehr effektiv sein – ganz gleich, ob sie sich dabei entschuldigen oder nicht.

Nach einer Katastrophe Empathie zu zeigen fällt vielen Unternehmen schwer. Statt echten Anteil zu nehmen, reagieren sie oft aus einer Geschäftslogik heraus. Geld zu zahlen oder, schlimmer noch, einen Nachlass zu gewähren, ist deutlich weniger effektiv, als persönlich mit anzupacken, um den Betroffenen zu helfen.

Das „Wall Street Journal“ berichtete im Januar 2023 über den Entschuldigungsbrief, den der CEO von Graza, ein kleiner Olivenölproduzent, an seine Kundinnen und Kunden schrieb. Es ging unter anderem um verzögerte Lieferungen und mangelhafte Ware. Der Brief hatte etwas, das in der Kommunikation vieler Konzern-CEOs fehlt: ehrliche Reue, getrieben von Empathie. Der Olivenölfabrikant drückte in dem Brief sein Bedauern aus, dass Kundinnen und Kunden ihre Geschenke nicht rechtzeitig zu den Feiertagen erhalten hatten. Er erklärte die Gründe für die Probleme und ebenso, was das Unternehmen in Zukunft besser machen wollte.

Auch Southwest Airlines verschickte nach desaströsen Zuständen im Weihnachtsreiseverkehr ein Entschuldigungsschreiben. Die US-Fluggesellschaft hatte viele Flüge gestrichen und überdies Gepäck verloren (häufig mit Weihnachtsgeschenken), weil ihre alternden Systeme mit schlechtem Wetter weniger gut zurechtkamen als die von anderen Airlines. Das Entschuldigungsschreiben umfasste mehr als sieben Absätze. Doch nirgends war erkennbar, ob Southwest die emotionale Lage der Fluggäste verstanden hatte, die durch gestrichene Flüge ihre Freunde und Verwandten nicht hatten sehen ­können. Statt auf Frust, Angst, Traurigkeit oder Einsamkeit einzugehen, kon­zentrierte die Airline sich nur auf die umgesetzten Verbesserungen. Das erzielte nicht die gewünschte Wirkung, im Gegenteil: Die enttäuschten Kundinnen und Kunden kritisierten die Airline als unaufrichtig – und empathielos.

Managerinnen und Manager müssen die Reputation genau wie jede andere ­geschäftliche Herausforderung angehen – mit disziplinierter Führung und pro­fessionellen Fähigkeiten, die mit der Strategie und Kultur des Unternehmens übereinstimmen. Die Welt vernetzt sich stärker, die Medien berichten schneller, und die sozialen Erwartungen an Unternehmen wachsen zusehends. Deshalb wird das Reputationsmanagement ein immer wichtigerer Teil der Unternehmensführung. Der Schlüssel ist ein Prozess, der Probleme früh erkennt und ihre Auswirkungen so gering wie möglich hält.

Technologie kann hierbei helfen, aber auch das beste Reputationsmanagementsystem hängt von den Menschen ab, die es bedienen. Jemand muss letztlich eine Situation beurteilen, das Risiko abschätzen und eine angemessene Entscheidung treffen. Um das zu tun, braucht es klare Werte und eine übergeordnete Firmenkultur, die Orientierung und Unterstützung bietet. Die Kultur entscheidet darüber, wie gut ein Unternehmen Risiken kontrollieren kann.

Deshalb reicht es auch nicht, nur einen Chief Reputation Officer oder ein Chief Reputation Council zu ernennen, die den guten Ruf der Firma im Blick haben. Vielmehr muss jede und jeder Einzelne in der Organisation die Möglichkeit haben, auf Verhaltensweisen oder Risiken hinzuweisen, die den Unternehmenswerten widersprechen – und mit diesen Hinweisen auch Gehör finden.

Bei Adidas gab es durchaus Leute, die schon lange vor dem Herbst 2022 auf das problematische Verhalten Kanye Wests verwiesen hatten. Wenn doch nur jemand auf sie gehört hätte. © HBm 2023

Autor

Daniel Diermeierist Chancellor der Vanderbilt University in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee. Zuvor war er vier Jahre lang Provost an der Spitze der University of Chicago. Diermeier ist Autor von „Reputation Analytics: Public Opinion for Companies“ (University of Chicago Press 2023).

Kompakt

Das Problem Informationen – richtige wie falsche – verbreiten sich heute wie ein Lauffeuer. Schon kleine Skandale können sich so zur Krise auswachsen und dem Image eines Unternehmens nachhaltig schaden. Obwohl Managerinnen und Manager wissen, dass die Reputationsrisiken deutlich ­gestiegen sind, fehlt es oft an einem systematischen Risiko­managementansatz. Die Repu­tation gilt als Sache der PR-­Abteilung – doch die kann in der Krise nicht die Signale aus- senden, mit denen sich Stakeholderberuhigen lassen.

Die Lösung Die Reputation eines Unternehmens braucht eine Steuerung von der Spitze aus. Das Topmanagement, allen voran der oder die CEO, muss in der Krise dafür sorgen, dass Kunden und Öffentlichkeit dem Unternehmen wieder Vertrauen schenken. Vier Faktoren entscheiden darüber, ob das gelingt: Das Management muss Transparenz herstellen, Kompetenz ausstrahlen, Commitment signalisieren und Empathie zeigen.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Juni-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.

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