Smart Home-Lösungen als wichtiger Hebel für den Klimaschutz: Chancen – Entwicklungen – Kosten
Größte Hebel sind bekanntermaßen im Bereich „Wohnen“ die effiziente Nutzung und Einsparung von Energie. Das ist abhängig vom individuellen Verhalten, kann aber auch aktiv durch ein Smart-Home-System unterstützt werden. Intelligente Smart-Home-Systeme können mittels der verschiedenen Sensoren einerseits dabei unterstützen Verbrauchswerte in Echtzeit zu messen und über den Zeitverlauf zu analysieren. Sie können den Bewohnern aber auch proaktiv Hinweise zum energiesparenden Verhalten geben, z.B. das Schließen von Fenstern, wenn die Heizung läuft. Gleichzeitig können Geräte vom Smart-Home-System entsprechend gesteuert werden – im beschriebenen Beispiel würde das System z.B. die Heizung im entsprechenden Raum automatisch herunterregeln. Viele Prozesse, in denen sonst die Disziplin der Bewohner gefragt ist, können in einem smarten Zuhause automatisiert ablaufen, z.B. das automatische Schalten von Licht in Abhängigkeit von Präsenz und Helligkeit.
Weiterer Hebel wird zunehmend die Nutzung der selbsterzeugten Energie, z.B. durch eine Photovoltaikanlage sein. Wenn die Sonne scheint und der Strom fließt, kann das Smart-Home-System gezielt Verbraucher einschalten, die in „Warteposition“ sind – z.B. Spülmaschine oder Waschmaschine.
Kern der Automatisierung ist die Vernetzung aller Geräte und angeschlossenen Einzelsysteme sowie Sensoren. Ein intelligentes Smart-Home-System nutzt diese Vernetzung und die daraus resultierenden Daten, um die beste Entscheidung entsprechend der vordefinierten Ziele der Bewohner zu treffen. Dabei werden Heizungsdaten, aktuelle Sensorinformationen, aber auch lokale Wetterprognosen, Informationen zur Präsenz der Bewohner etc. einbezogen.
In einem integrierten Smart-Home-System spielen Präsenzmelder eine zentrale Rolle. Sie erfassen die Anwesenheit von Personen in Räumen, wodurch z.B. gezielt Licht, Heizung und Beschattung gesteuert werden können. Moderne Präsenzmelder können oft sogar mehr, sie erfassen die Luftqualität, Helligkeitswerte und Raumtemperatur.
Ein weiterer smarter Helfer, der in keinem Smart-Home-System fehlen sollte, ist die Wetterstation. Moderne Wetterstationen bringen mehr als nur einen Windmesser und Thermometer mit. Sie erfassen z.B. auch den Sonnenstand in Abhängigkeit von der Position des Gebäudes, was entscheidend ist, um eine wirklich exakte Steuerung der Beschattung sicherstellen zu können.
Ein Smart-Home-System ist nach wie vor nichts, was man mal schnell im Baumarkt kauft – sofern man wirklich möchte, dass es funktioniert. Nicht alle Geräte, Komponenten und Systeme sind untereinander kompatibel, weil Schnittstellen nicht vorhanden sind und Standards nicht vollumfänglich definiert sind. Am Ende hat der Nutzer ein Sammelsurium an verschiedenen Systemen, die nicht miteinander „sprechen“ und schlimmstenfalls für jede Funktion eine eigene App.
Für den technisch nicht versierten Endanwender ist der Markt nach wie vor undurchsichtig. Sogenannte „geschlossene Systeme“, bei denen die einzelnen Komponenten funktional und technisch aufeinander abgestimmt sind, versprechen dagegen Kompatibilität. Damit macht sich der Nutzer aber abhängig von einem Hersteller und einer oft eingeschränkten Produktauswahl.
Smartphone-Lösungen von Apple, Google & Co. versprechen ebenfalls eine schnelle und unkomplizierte Nutzung von Smart-Home-Funktionen. Sie können aber nur einen kleinen Teilaspekt an Automatisierungen abdecken.
Sogenannte geschlossene Systeme bieten den Vorteil, dass die angebotenen Produkte gut aufeinander abgestimmt sind. Nachteil ist, dass Produkte anderer Hersteller nicht oder schwer integriert werden können. Damit begibt man sich als Käufer in eine direkte Abhängigkeit. Bei fest verbauten, kabelgebundenen Systemen, die perspektivisch für die Lebensdauer eines Hauses halten sollten, finde ich das besonders kritisch. Geht der Hersteller in die Insolvenz, habe ich ein großes Problem. Zudem „diktiert“ dieser eine Hersteller auch die Preise, ich habe keine Ausweichmöglichkeit. Daher empfiehlt es sich auf offene Systeme, wie z.B. KNX zu setzen. Hier gibt es sehr viele Hersteller, die auf diesen Standard setzen. Zudem ist es ein System, das es bereits lange gibt, gut erprobt und stabil ist.
Es gibt keine seriöse Festpreis-Lösung, da für jedes Projekt eine individuelle Planung erforderlich ist. Ein Smart Home ist ein zusätzliches Gewerk, das entsprechend auch im Budget berücksichtigt werden muss. Die Investitionshöhe ist abhängig von der Größe des Gebäudes, dem Umfang der Automatisierungen, die die Bewohner wünschen und natürlich von den verwendeten Geräten. Allein bei Schaltern gibt es hier riesige preisliche Unterschiede.
Bei allen Überlegungen ist zu bedenken, dass man mit der Entscheidung für ein Smart Home seine Immobilie aufwertet und auf eine Technologie setzt, die in Zukunft an Relevanz gewinnen wird. Wer im Neubau auf konventionelle Elektrik setzt, baut „alt“.
Für jemanden, der in dem Thema nur ein wenig experimentieren will und dafür ein Faible hat, können Nachrüstlösungen ein Einstieg sein. Damit kann man erste Erfahrungen sammeln und herausfinden, worauf man Wert legt.
Wenn es um die Planung und Installation ganzer Systeme geht, stoßen Laien dann aber schnell an ihre Grenzen. Fachexperten können hier Orientierung bieten, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Systeme aufzeigen und unterstützen dann auch bei der kompletten Umsetzung. Die wenigsten Menschen würden ihre Heizung selbst einbauen – ähnlich ist das mit einem Smart-Home-System.
„Smart Home“-Komponenten gibt es zwischenzeitlich im Baumarkt und im Discounter. Das führt dazu, dass sich mehr Leute mit dem Thema befassen und die Potenziale eines Smart Homes erkennen. Die Nachrüstlösungen sind erschwinglich, decken aber natürlich nicht die kompletten Möglichkeiten ab, die ein Smart Home bieten könnte.
Ganz vorne dabei sind smarte Leuchtmittel, smarte Steckdosen und smarte Thermostate. Die meisten der angebotenen Produkte sind Insellösungen, viele davon kommen aus dem asiatischen Raum. Vorsicht ist bei Systemen geboten, die nur mit einer Cloud funktionieren und auf einen Internetanschluss angewiesen sind. Dieser Abhängigkeit sollte man sich dann bewusst sein.
Im Bereich der Profi-Lösungen sind es einerseits die verschiedenen Bus-Systeme, die Grundlage für die Vernetzung sind. Vorne mit dabei ist der KNX-Standard. Auf den setzen viele Elektro-Komponentenhersteller wie Gira, ABB oder Siemens und bieten dafür entsprechende Produktreihen an. Auch im Consumer-Bereich gibt es viele Player, die mitmischen wollen und sich oftmals auf Nachrüstlösungen fokussieren. Hier ist beispielsweise Ikea sehr aktiv oder auch Hersteller von Beleuchtungsmitteln (Philips), Internetkonzerne und Telekommunikationsfirmen. Auch Baumärkte und Discounter haben den Markt für sich entdeckt. Alles in allem ist der Markt sehr heterogen und schwer zu durchschauen.
Aus Consumer-Sicht ist die Vertrauenswürdigkeit schwer einzuordnen. Eine gesunde Skepsis gegenüber Cloudsystemen ist angebracht – nicht nur was den Aspekt des Datenschutzes angeht, sondern auch die möglicherweise entstehende Abhängigkeit von angebundenen Systemen und dem Internet ist zu berücksichtigen. Bei der Auswahl passender Produkte und damit auch Hersteller empfiehlt es sich, auf die Beratung von Experten zurückzugreifen. Sie können dabei helfen, die passende Lösung und die entsprechenden Produkte zu finden.
Ein gutes Smart Home bietet bereits die Basisfunktionen eines AAL-Systems an, da das Ziel immer sein sollte die Bedürfnisse der Bewohner zu antizipieren und den Komfort zu erhöhen. Spezielle Funktionen für Bewohner mit körperlichen Einschränkungen können an das bestehende Smart-Home-System individuell angedockt werden.
Nachrüstlösungen produzieren tendenziell viel Elektroschrott, weil die Lebensdauer oftmals sehr kurz ist. Integrierte Systeme sind dagegen sehr viel langfristiger auf die Lebenszeit eines Hauses ausgelegt. Wer von Anfang an bei der Wahl der Komponenten auf gute Qualität achtet, kann diese auch lange nutzen.
Einige Menschen, die mit Smart Home in Berührung kommen, fürchten, dass sie einen Teil ihrer Autonomie verlieren.
Gute Smart-Home-Systeme wollen den Komfort der Bewohner erhöhen. Dabei muss aber immer die Prämisse gelten, dass die Menschen das letzte Wort haben und jederzeit Automatisierungen stoppen und beeinflussen können. Alles andere wäre tatsächlich beängstigend.
Die Systeme selbst sind komplex. Entscheidend ist, dass die Nutzer-System-Interaktion so einfach wie möglich gehalten wird. Hier spielt die Bedienoberfläche eine entscheidende Rolle. Sie sollte möglichst intuitiv bedienbar sein. Ich muss auch nicht verstehen, wie ein Auto im Detail funktioniert und kann trotzdem damit fahren, wenn ich es einmal gelernt habe; und das auch noch mit Autos unterschiedlicher Hersteller.
Dass der Durchbruch für Smart Homes in der breiten Masse noch nicht stattgefunden hat, ist auf viele Faktoren zurückzuführen. Die angesprochene Komplexität der Systeme, die vielen erst einmal Angst macht, die Heterogenität des Markts, der es für Laien schwer macht, den Überblick zu behalten, die damit verbundenen Investitionen, die nach wie vor vielen Menschen zu hoch sind, aber auch fehlende, wirklich funktionierende Praxisbeispiele für gute Smart Homes. Der Markt steckt, bei allen positiven Entwicklungen, in den Kinderschuhen. Wir brauchen eine kritische Masse an guten Smart Homes, damit das Thema in der breiten Masse Akzeptanz findet und einen wirklichen Durchbruch erlebt.
Wer auf Nummer Sicher gehen möchte, verzichtet auf Cloud-Systeme im Smart Home, mit denen gerade Nachrüstlösungen vielfach arbeiten. Denn, das wird einige überraschen, ein Smart Home braucht nicht zwingend eine Verbindung zum Internet! Bei der Konzeption eines sicheren Smart Homes ist die Netzwerk-Architektur entscheidend – so bietet man von vornherein keine Angriffsfläche. Das Smart Home selbst wird in einem getrennten Netzwerk installiert. Selbst wer auf Komfortfunktionen wie einen Sprachassistenten oder einen externen Zugriff auf sein Smart Home nicht verzichten möchte (beides erfordert einen Internetzugang), kann durch die entsprechende Netzwerkarchitektur die Angriffsfläche minimieren.
Verzicht auf Cloud-Systeme, ein Smart Home kann komplett Cloud-frei betrieben werden – und das, ohne Komfort einzubüßen. Ein fest installiertes, kabelgebundenes System ist zudem resilienter als Nachrüstlösungen. Funklösungen sind nach wie vor anfällig für Ausfälle, selbst wenn es hier erhebliche Fortschritte gegeben hat.
Vielen Dank für das Gespräch.
Marc Böhm, geboren 1981, ist geschäftsführender Gesellschafter der captica GmbH. Bereits als 12-Jähriger hat er seine ersten Programme geschrieben. 2005 wagte er gemeinsam mit einem Kompagnon den Weg in die Selbstständigkeit und gründete sein erstes Unternehmen. 2021 machte er seine Leidenschaft für Automatisierungen im eigenen Zuhause zum Geschäftskonzept und gründete mit drei weiteren Mitstreitern die captica GmbH. Vision des Start-ups ist es, das Smart Home auf ein neues (Komfort-)Level zu heben und das Zuhause der Zukunft heute schon für Kunden zu realisieren.
Elmar Loth, geboren 1971, hat sich direkt nach seinem Informatik-Studium mit Kommilitonen selbstständig gemacht und war zwei Dekaden geschäftsführender Gesellschafter einer Software-Schmiede im Umfeld des Identity Managements. Durch und durch Technologie-Enthusiast hat er mit dem Aufkommen der Industrie 4.0-Ära eine neue Herausforderung in der Verknüpfung der realen Welt mit in Software gegossenen Prozessen gefunden. Im eigenen Haus Smart-Home-Lösungen einzusetzen, zu optimieren und neue Wege des Machbaren zu finden, gehört selbstredend dazu. 2021 gründete er gemeinsam mit drei Mitstreitern die captica GmbH mit dem Ziel, eine Smart-Home-Lösung zu schaffen, die intelligent und unaufdringlich die Bewohner beim Leben unterstützt.
Marc Böhm, Tobias Lehmann, Elmar Loth: Zuhause – smart und nachhaltig. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.