Der Wechsel zu modernen, digitalen Stromzählern wird nur zögerlich vollzogen. Foto: picture alliance/dpa
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Smart-Meter-Rollout stockt: Deutschland Schlusslicht in der EU – Milliardenpotenzial ungenutzt

Deutschland schläft beim Einbau intelligenter Stromzähler. Ein erster Überblick zeigt, welche deutschen Netzbetreiber Vorreiter sind, und welche noch nicht einmal begonnen haben.


Dass Deutschland nicht gerade zu den Vorreitern der Digitalisierung gehört, ist soweit bekannt. Doch diese Statistik ist wirklich eine Schande: Seit kurzem erfasst eine EU-Behörde, ACER, wie weit die einzelnen Mitgliedsstaaten mit dem Einbau digitaler, intelligenter Stromzähler sind, besser bekannt als Smart Meter.

Die Geräte werden unter anderem gebraucht, damit auch private Verbraucher von den immer stärkeren Preisschwankungen an der Strombörse profitieren können. So können zum Beispiel Großverbraucher wie Warmwasser-Boiler oder die Batterien ihrer Elektroautos dann laden, wenn der Strom gerade günstig ist oder sogar negative Preise hat. Das war in den letzten zwei Jahren immer öfter der Fall.

Deutschland Letzter – hinter Rumänien und Griechenland

Laut ACER-Statistik besitzen derzeit gerade mal 2,8 Prozent der deutschen Haushalte den dafür nötigen intelligenten Stromzähler. Damit ist Deutschland in der EU das Schlusslicht, noch weit hinter dem Vorletzten Griechenland, das immerhin schon 12 Prozent der Privathaushalte mit Smart Metern ausgestattet hat. Komplett fertig mit dem Ausrollen der Messsysteme sind Schweden, Dänemark und Italien; zwischen Bozen und Palermo wird sogar schon die dritte Generation Smart Meter installiert. Finnland, Estland, Lettland, Luxemburg, Spanien und Portugal kommen auf 99 Prozent der Haushalte, Slowenien auf 97, Frankreich auf 95 Prozent Privathaushalte mit Smart Metern.

Zählerstand: Null. Viele Stadtwerke haben noch gar nicht mit dem Einbau intelligenter Messsysteme begonnen; Verbraucher haben aber einen Anspruch. Foto: IMAGO/Steinach

Extreme regionale Unterschiede

Nach neusten Daten der Bundesnetzagentur hatte jeder vierte der rund 850 deutschen Verteilnetzbetreiber zum Ende des ersten Quartals 2025 noch gar keine Smart Meter installiert. Beim Pflicht-Rollout für Kunden mit E-Auto, Wärmepumpe, Solaranlage oder einem Verbrauch von über 6000 Kilowattstunden (kWh) waren es immerhin rund 15 Prozent der Haushalte, die schon ein intelligentes Messsystem bekommen haben.


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Eigentlich haben alle Stromkunden seit dem 1.Januar 2025 einen Anspruch auf die intelligenten Stromzähler: Wenn ein Kunde dem Netzbetreiber mitteilt, dass er einen Smart Meter möchte, um zum Beispiel variable Stromtarife nutzen zu können, muss der Messstellenbetreiber binnen vier Monaten einen einbauen. Und er darf bestimmte Höchstpreise nicht mehr überschreiten.

Für Haushalte mit „regelbaren Großverbrauchern“ (das sind zu über 99 Prozent Wallboxen für E-Autos, Wärmepumpen und Batteriespeicher), mit PV-Anlagen oder mit einem Jahresverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden Strom müssen die Verteilnetzbetreiber die Smart Meter auch dann installieren, wenn die Kunden das nicht ausdrücklich beantragen.

Ohne Smart Meter kein billiges E-Auto-Laden

Auffällig an der neuen Statistik ist aber auch: Regional gibt es erhebliche Unterschiede. Die Stadtwerke Lübz etwa haben schon 100 Prozent ihrer Haushalte mit Smart Metern versorgt; beim Pflicht-Rollout liegen die großen Betreiber in Hamburg, Köln, Berlin zwischen 12 und 33 Prozent, Berlin ist Vorreiter unter den Großen; in der Hauptstadt hat bereits jeder dritte private Haushalt mit mehr als 6000 kWh Jahresverbrauch, E-Auto oder Wärmepumpe ein Smart Meter. Die Netze Baden-Württemberg laufen mit nur 13 Prozent hinterher. Und: nach den Daten der Bundesnetzagentur haben 264 der rund 850 Verteilnetzbetreiber noch keinen einzigen Smart Meter installiert, darunter auch mittelgroße Netze wie die Stadtwerke Deggendorf, Stade, Straubing, Velbert und Weiden.

Das ist nicht nur für die Kunden ärgerlich, weil sie ohne Smart Meter kaum von den immer stärkeren Preisschwankungen an der Leipziger Strombörse EEX profitieren können: Wegen des stark gestiegenen Anteils Erneuerbarer an der Stromerzeugung (zuletzt immerhin über 60 Prozent), die schwankend einspeisen, kommt es dort immer öfter zu immer längeren Phasen mit sehr niedrigen oder gar negativen Preisen. Das ist vor allem im Sommer häufig der Fall, wenn viel Solarstromerzeugung und Wind zusammenkommen. Dagegen sind die Preise gerade in den frühen Abendstunden im Winter oft sehr hoch.

Noch nie gab es so viele Stunden mit negativen Strompreisen wie in den ersten sechs Monaten 2025. Bis zum 30. Juni zählte die Leipziger Strombörse EEX 389 Stunden mit Preisen unter null Euro – rund 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Verbraucher mit flexiblem Stromtarif, für den ein Smart Meter Voraussetzung ist, könnten laut Berechnungen von Verbraucherportalen oft bis zu 15 Cent je Kilowattstunde sparen. Dafür müssten sie den Verbrauch – etwa das Laden eines Elektroautos – aus den teuren Abendstunden in Zeiten mit hohem Stromangebot und geringer Nachfrage verlegen.

Ohne Smart Meter mehr teure Stromnetze

Ärgerlich ist der schleppende Smart-Meter-Rollout aber nicht nur aus Sicht der Stromkunden. „Auch die Kosten für den Netzausbau wären erheblich geringer, wenn man die Flexibilisierungspotenziale am Strommarkt besser nutzen könnte“, sagt Marco Wünsch, Experte für Energiemärkte bei der Beratungsgesellschaft Prognos.

Früher war die Stromwelt recht einfach: Einer gut steuerbaren Erzeugung in großen, zentralen Kohle- und Kernkraftwerken stand ein gut prognostizierbarer Verbrauch gegenüber: Es gab die „Tagesschau-Spitze“ am frühen Abend und die „Braten-Spitze“ am Sonntagmittag. „Doch mehr flexible Einspeisung durch Wind und Sonne und zugleich mehr flexible Last durch E-Autos, Wärmepumpen und Industrie haben das System in Unwucht gebracht; der Netzausbau hinkt dem Zubau der Erneuerbaren hinterher, was das System für alle teurer als nötig macht“, sagt Wünsch.

Smart Meter und flexible Stromtarife könnten nach Meinung von Experten zumindest helfen, Erzeugung und Verbrauch wieder besser zu synchronisieren. Flexibilisierbare private Verbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher können ab 2035 jährlich 100 Terawattstunden Stromnachfrage aus Tageszeiten mit tendenziell hohen Strompreisen verschieben und dadurch im Stromsystem 4,8 Milliarden Euro pro Jahr einsparen, so eine Studie von Agora Energiewende und der Forschungsanstalt für Energiewirtschaft (FFE).

Die flexibilisierbare Strommenge entspreche immerhin zehn Prozent des deutschen Gesamtstromverbrauchs, so die Autoren. Durch eine zeitlich flexible Anpassung ihres Verbrauchs können Haushalte ihre Stromkosten mit dynamischen Tarifen ab 2035 um etwa 600 Euro im Jahr reduzieren, so Agora und FFE, die Kosten zur Ertüchtigung der Verteilnetze, die alle Kunden tragen, würden halbiert. Außerdem würde der Bedarf an neuen Gaskraftwerken, Großbatterien und Brennstoffen sinken, wenn Smart Meter flächendeckend dynamische Stromtarife erlaubten.

„Leider gibt es keine klaren Pönalen, wenn ein Netzbetreiber seinen verpflichtenden Zielen nicht nachkommt, obwohl die Bundesnetzagentur die rechtliche Handhabe dafür hätte, schöpft sie diese bisher kaum aus“, kritisiert Jan Rabe, CEO von Rabot Energy. „Offenbar setzt die Netzagentur eher auf die transparente Veröffentlichung der Einbauquoten pro Messstellenbetreiber und darauf, dass Negativ-PR die Netzbetreiber etwas anspornt.“

Einen Versucht wäre das sicher wert. In Österreich hat genau solcher öffentlicher Druck durch die Veröffentlichung der Rollout-Daten die Smart-Meter-Installationen durch die dortigen Netzbetreiber erheblich motiviert.

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