So kämpfen Firmen gegen Betrügereien bei Online-Bewerbungen
Seit Bewerbungsprozesse vermehrt online laufen, kommt es zu mehr Betrugsversuchen. Unternehmen setzen darum teilweise auf künstliche Intelligenz.
Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Arbeiten zu Hause ist für viele normal geworden. Auch die Suche nach neuen Arbeitskräften hat sich verändert. So werden Bewerbungsgespräche vermehrt online geführt. Doch damit steigt auch die Zahl der Betrugsversuche durch Bewerberinnen und Bewerber.
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Laut einer Studie des US-amerikanischen Recruiting-Software-Unternehmens Glider AI haben sich die Betrugsfälle bei Bewerbungen seit der Pandemie fast verdoppelt. Dabei schätzen Führungskräfte, dass etwa 10 Prozent aller Bewerberinnen und Bewerber versuchen, auf irgendeine Weise zu betrügen.
Jobsuchende haben beispielsweise Online-Eignungstests nicht selbst abgelegt, sondern andere Personen dafür angeheuert. Auch Synchronsprecherinnen und -sprecher wurden angestellt, die beim Online-Vorstellungsgespräch die Fragen beantworteten, während die Bewerberinnen und Bewerber selbst nur die Lippen bewegten.
Betrügereien wirken am Bildschirm einfacher
«Grundsätzlich sind Betrügereien nichts Neues in Bewerbungsprozessen», erklärt Personalexperte Matthias Mölleney. So werden gerne Lebensläufe verschönert oder Motivationsschreiben von fremden Personen verfasst.
Online-Bewerbungsprozesse verleiten nun aber vermehrt Personen zu Schummeleien: «Weil man vor einem Bildschirm sitzt, wirken Betrügereien einfacher», so Mölleney. Schlussendlich schaden sich Bewerberinnen und Bewerber damit aber nur selbst.
Meist fliegen Lügen bereits im Bewerbungsprozess auf, wenn es zu einem persönlichen Treffen kommt. Im schlimmsten Fall werden Betrügereien erst in der Probezeit aufgedeckt und die falsch oder unqualifizierten Personen werden entlassen.
Auch kann man sich mit so einem Betrug weitere Karrieremöglichkeiten verbauen: «Die Schweiz ist ein relativ kleines Land, wer in Bewerbungsprozessen betrogen hat, riskiert, dass er oder sie keine Stelle mehr findet, weil Arbeitgebende davon Wind bekommen haben», erklärt Mölleney.
Künstliche Intelligenz soll gegen Bewerbungsbetrügereien helfen
Betrugsmaschen bei Online-Bewerbungen schaden auch den Unternehmen. Denn sie investieren viel Zeit und Geld in die Suche nach fähigen Arbeitnehmenden. Zudem sinkt die Produktivität, wenn unqualifizierte Mitarbeitende eine Stelle besetzen.
Darum sei es wichtig, dass Firmen den Ablauf der Bewerbungsprozesse transparent machen, sagt Personalexperte Mölleney: «Dabei braucht es unbedingt ein persönliches Treffen, so ist Bewerberinnen und Bewerben von Anfang an klar, dass sie nicht unerkannt bleiben können.»
Um Betrügerinnen und Betrüger aufzudecken, setzen Unternehmen auch immer öfters auf künstliche Intelligenz (KI). So nutzen laut der Vereinigung Society for Human Resource Management weltweit 88 Prozent der Unternehmen KI in ihrer Personalabteilung.
Dadurch lassen sich viele Bewerbungen automatisch sortieren. Das ist schnell und günstig. Zudem kann eine KI das Schummeln bei technischen Aufgaben aufdecken und erkennt, wenn etwa mehrere Handys und Computer zum Einsatz kommen.
Schweizer Personalabteilungen arbeiten mit Hirevue
Auch in der Schweiz setzen Firmen auf automatische Programme und künstliche Intelligenz in der Personalrekrutierung. «Eine verbreitete Software hierzulande ist Hirevue», sagt Personalexpertin Ursula Bergundthal.
Diese werde gerne für zeitversetzte Videointerviews genutzt. Firmen nehmen dafür drei bis vier Fragen auf und senden einen Link für den Systemzugang an die Bewerberinnen und Bewerber.
Meist müssen die Antworten nacheinander mit kurzer Bedenkzeit in einem vorgegebenen Zeitrahmen beantwortet werden. Pausen können nicht eingelegt werden.
So bekommen Firmen einen ersten, spontanen Eindruck bezüglich der Persönlichkeit der Bewerbenden. Tricksen kann man hier nicht, da man die Fragen nur einmal beantworten kann.
HR-Software kann Gestik und Stimme analysieren
Die Personalrekrutierung erhält mit den kurzen Videos auch eine gute Vergleichbarkeit der Kandidaten und Kandidatinnen und kann jederzeit darauf zurückgreifen. Doch die Software kann noch mehr: Hirevue hat eine Funktion, die Gestik und Stimme analysiert.
«Schweizer Unternehmen verzichten laut eigenen Angaben aber darauf», sagt Bergundthal. Denn damit eine künstliche Intelligenz Menschen analysieren kann, braucht es Musterprofile.
Diese könnten aber rassistische oder geschlechtsspezifische Stereotypen unterstützen. Gewisse Bewerberinnen und Bewerber könnten dadurch diskriminiert werden. Kritiker warnen deshalb vor dem übermässigen Einsatz von KI bei Bewerbungsprozessen. Stimm- und Mimikerkennung könnte aber bei Betrugsversuchen in Online-Bewerbungen helfen.
Bewerbende können Schlüsselwörter im Lebenslauf verstecken
Wer unbedingt betrügen wolle, könne das aber auch trotz künstlicher Intelligenz tun, sagt Bergundthal. So gibt es Programme, die Lebensläufe auf Schlüsselwörter durchsuchen. Wer diese nicht aufgeführt hat, fällt automatisch aus dem Bewerbungsprozess raus.
Diesen Mechanismus kann man aber einfach umgehen: «Alle geforderten Angaben werden in weisser Farbe in den Lebenslauf eingefügt. Für das menschliche Auge sind die Wörter unsichtbar, doch das Programm erkennt sie und sortiert die Bewerbenden nicht aus», erklärt Bergunthal.
So fordern beispielsweise viele Firmen eine bestimmte Anzahl Jahre Berufserfahrung. Wer diese nicht erfüllt, wird von einem Programm aussortiert. Bewerberinnen und Bewerber können aber die Anzahl Jahre in weiss auf weissen Hintergrund in den Lebenslauf einfüllen.
Das automatisierte Programm sortiert dann die Bewerbung nicht aus und man kommt in die nächste Runde. «Mit dieser Schummelei bewegen sich Bewerbende in einem Graubereich», sagt Bergundthal.
Betrügereien im Bewerbungsprozess fliegen immer auf
Möglicherweise eigene sich die Person trotz fehlender Berufserfahrung sehr gut für die Stelle und wäre ohne diesen Trick nicht weitergekommen. Setzt ein Unternehmen aber grossen Wert auf die Anzahl Jahre Berufserfahrung, bringt der Trick am Schluss nichts.
Denn irgendwann schauen sich Menschen die Lebensläufe an und sehen, dass beispielsweise die Erfahrung fehlt. «Alle Betrügereien im Bewerbungsprozess fliegen irgendwann auf und niemand stellt jemanden ein, der schon bei der Bewerbung schummelt», so Bergundthal.
Kleinere Mogeleien können sich zwar lohnen, um einen Schritt weiterzukommen. Wer aber die Anforderungen gar nicht erfüllt, sollte nicht betrügen. Das kostet laut der Personalexpertin Bewerberinnen und Bewerber sowie das Unternehmen nur Zeit und führt auf beiden Seiten zu Frust.
